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Entscheidungen

OWi

Einspruch, Verwerfung, genügende Entschuldigung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 21. 2. 2012 - III-3 RBs 365/11

Fundstellen:

Leitsatz: Hält sich der Betroffene für längere Zeit im Ausland auf, ist für die Frage, ob das als Entschuldigung für seine Abwesenheit im Hauptverhandlungstermin des Bußgeldverfahrens entscheidend, ob dem Betroffenen die kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthaltes und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland vor dem eigentlich geplanten Rückkehrtermin zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können.


In pp.
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm am 21. 2. 2012 beschlosseN.

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Jugendrichter – Lübbecke zurückverwiesen.

G r ü n d e

I.

Der Landrat des Kreises N verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 12. Januar 2011 wegen (fahrlässigen) Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG) eine Geldbuße von 500 € und ordnete ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat an. Nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid hatte der damals 20 Jahre alte Betroffene am 15. August 2010 in T im öffentlichen Straßenverkehr einen Pkw unter dem Einfluss von Cannabis geführt.

In der Hauptverhandlung am 27. Mai 2011 verwarf der Jugendrichter den Einspruch des nicht erschienenen und auch nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen unter Hinweis auf § 74 Abs. 2 OWiG.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.
Das Rechtsmittel hat mit der sich bei verständiger Auslegung (§§ 46 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 300 StPO) aus dem Rechtsbeschwerdevorbringen ergebenden Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG (vorläufig) Erfolg. Die weiteren Rügen bedürfen daher keiner Erörterung.

Der Betroffene rügt unter Wahrung der Begründungsanforderungen nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mit Erfolg, dass das Amtsgericht zu Unrecht vom Fehlen einer genügenden Entschuldigung im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG für sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung ausgegangen ist.
1. Der Verteidiger des Betroffenen hatte dem Amtsgericht vor und in der Hauptverhandlung dargelegt, dass sich der Betroffene seit dem 29. November 2010 bis voraussichtlich November 2011 ununterbrochen im Rahmen eines "Studienförderprogrammes" ("Working Holiday") zunächst in Neuseeland und seit dem 6. Mai 2011 in Australien aufhalte, und Dokumente (Ausdruck des elektronischen Einreisevisums des Königreichs Neuseeland, Passkopie mit neuseeländischem und australischem Einreisestempel) zum Beweis seines Vorbringens vorgelegt.

2. Dieses Vorbringen, an dessen Richtigkeit der Senat aufgrund der von dem Verteidiger vorgelegten Unterlagen keinen Zweifel hat, stellt in der vorliegenden Fallkonstellation – entgegen der in den Gründen des angefochtenen Urteils nur mit dem Satz "ein langfristiger Aufenthalt von einem Jahr Dauer in Australien/Neuseeland stellt keinen Entschuldigungsgrund dar" begründeten Auffassung des Amtsgerichts – eine genügende Entschuldigung im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG dar.

a) Eine genügende Entschuldigung liegt vor, wenn dem Betroffenen das Erscheinen in der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Umstände und der Bedeutung der Sache nicht zumutbar oder nicht möglich ist (OLG Hamm, VRS 56, 156; Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Aufl. [2009], § 74 Rdnr. 29). Bei der Beurteilung des vorliegenden Falles ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene sich nicht nur zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, sondern bereits am Tag des Erlasses des Bußgeldbescheides in Neuseeland bzw. Australien aufhielt. Für die Prüfung der Möglichkeit oder Zumutbarkeit des Erscheinens in der Hauptverhandlung kommt es damit nicht – wie in den häufig vorkommenden Fällen einer Terminskollision zwischen der Hauptverhandlung und einer (kurzen) Urlaubsreise (vgl. hierzu OLG Hamm, BeckRS 2005, 07058) – primär darauf an, ob für den Betroffenen eine Verlegung seiner Reise möglich oder zumutbar gewesen wäre; entscheidend ist vielmehr, ob dem Betroffenen die kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthaltes und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland vor dem eigentlich geplanten Rückkehrtermin zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können (OLG Celle, BeckRS 2011, 26738). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der – vor allem finanzielle – Aufwand für eine Rückreise außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und weder unter dem Gesichtspunkt eines drohenden Verlustes von Beweismitteln noch unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verfolgungsverjährung eine Hauptverhandlung vor dem geplanten Termin der Rückkehr nach Deutschland erforderlich ist. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, NJW 1994, 1748. Dort war der Grund für das Fernbleiben nicht – wie hier – ein von vornherein befristeter Auslandsaufenthalt, sondern ein Auslandsaufenthalt von ungewisser Dauer.

b) Die vorstehend skizzierten Voraussetzungen für eine genügende Entschuldigung liegen vor.

Der finanzielle Aufwand für eine kurzzeitige Rückkehr aus Australien nach Deutschland hätte in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Sache gestanden. Gegenstand des Verfahrens ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr mit einem überschaubaren Sachverhalt und einem ebenfalls überschaubaren Sanktionsrahmen. Eine Hauptverhandlung vor der geplanten Rückkehr des Betroffenen nach Deutschland im November 2011 war auch nicht erforderlich, um dem drohenden Verlust von Beweismitteln oder dem Eintritt der Verfolgungsverjährung zu begegnen. Die Verjährungsfrist beträgt im vorliegenden Fall nach § 31 Abs. 2 Nr. 3 OWiG ein Jahr. Das Amtsgericht hätte am Tage der Hauptverhandlung ohne Weiteres eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG durch die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen der Abwesenheit des Betroffenen nach § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 205 StPO herbeiführen können.

3. Wegen des aufgezeigten Mangels ist das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 353 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Jugendrichter des Amtsgerichts Lübbecke zurückzuverweisen.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass durch den vor dem Ablauf eines Jahres nach der Beendigung der Tat erfolgten Erlass des angefochtenen Urteils eine Ablaufhemmung der Verfolgungsverjährung nach § 32 Abs. 2 OWiG eingetreten ist. § 32 Abs. 2 OWiG erfasst auch Verwerfungsurteile nach § 74 Abs. 2 OWiG (Göhler, a.a.O., § 32 Rdnr. 10 m.w.N.) und gilt auch dann, wenn das Urteil – wie hier – im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wird (Göhler, a.a.O., § 32 Rdnr. 9).

Der verjährungshemmenden Wirkung des angefochtenen Urteils steht auch nicht entgegen, dass die Zustellung des Bußgeldbescheides möglicherweise unwirksam war. Der Bußgeldbescheid ist dem Betroffenen – nach seiner Abreise – unter der Anschrift seines Elternhauses, in dem er vor seiner Abreise nach Übersee gewohnt hatte, durch Einwurf in den Hausbriefkasten zugestellt worden. Angesichts der Dauer des Auslandsaufenthaltes bestehen ernsthafte Zweifel, ob es sich hierbei zum Zeitpunkt der Zustellung noch um eine Wohnung im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG iVm § 3 Abs. 2 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen iVm § 180 ZPO handelte (vgl. BGH, NJW-RR 1997, 1161). Die Frage nach dem Bestehen einer Wohnung kann aber letztlich offen bleiben. Ist nämlich – wie im vorliegenden Falle – gegen den (möglicherweise) nicht wirksam zugestellten Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt worden, so steht die Unwirksamkeit der Zustellung des Bescheides der Wirksamkeit späterer verjährungsunterbrechender oder –hemmender Handlungen – hier des angefochtenen Verwerfungsurteils – nicht entgegen (Göhler, a.a.O., § 33 Rdnr. 35).


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