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Entscheidungen

StPO

Richtervorbehalt, Blutentnahme, Beweisverwertungsverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Nördlingen, Urt. v. 28.12.2011 - 5 OWi 605 Js 109117/11

Fundstellen:

Leitsatz: Die pauschale Annahme, bei Verdacht von Alkohol- und Drogendelikten stets zur An-ordnung einer Blutprobe berechtigt zu sein, begründet die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts und führt zur Annahme eines Beweis-verwertungsverbotes.


AG Nördlingen

5 OWi 605 Js 109117/11

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

in der Strafsache gegen pp.



wegen Verkehrs0Wi

auf Grund der Hauptverhandlung vorn

28. Dezember 2011

an der teilgenommen haben:

Der Betroffene wird freigesprochen
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

Dem Angeklagten lag auf Grund Bußgeldbescheids des Bayer. Polizeiverwaltungsamtes vom 03.01.2011 (1) - 7307-007799-10/ 2) zur Last, am 1.1.11.2010 um 16.20 Uhr als Führer des PKW xxxxx auf der Hauptstraße in Megesheim ein Kraftfahrzeug unter Wirkung eines berauschenden Mittels - nämlich THC in einem Messwert von 18,7 ng/ml, welcher deutlich oberhalb des empfohlenen Grenzwerts von 1,0 ng/ml liegt - geführt zu haben.



Von diesem Tatvorwurf war der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil das Ergebnis des Betäubungsmittelgutachtens vorn 26.11.2010 nicht verwertet werden kann, da die diesem Gutachten zu Grunde liegende Blutprobe dem Betroffenen unter Verletzung von § 81 a StPO entnommen wurde und dieser Umstand ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Betäubungsmittelgutachtens zur Folge hat. Da darüber hinausgehende - ohne Verletzung des § 81 a StPO ermittelte - Beweistatsachen für die Wirkung eines berauschenden Mittels auf den Betroffenen nicht zur Verfügung stehen, kann ein Tatnachweis nicht erbracht werden.

Der Zeuge Z, der polizeiliche Sachbearbeiter der verfahrensgegenständlichen Verkehrskontrolle und Anordnung der Blutprobenentnahme hat folgendes glaubhaft bekundet:

Nach Anhaltung des Fahrzeugs des Betroffenen im Rahmen einer Routinekontrolle habe er bei diesem Anzeichen für Drogenkonsum festgestellt. Dies habe er an dessen Augen bzw. der Pupillenreaktion wahrgenommen. Einen ihm angebotenen Drogenschnelltest habe der Betroffene dann verweigert. Er - der Zeuge habe dann - nachdem der Betroffene auch die freiwillige Abgabe einer Blutprobe verweigert habe, eine Blutentnahme angeordnet. Vor dieser Anordnung habe er keine richterliche Anordnung eingeholt bzw. eine Kontaktaufnahme zu einem Richter nicht versucht. Der Zeuge hat dies glaubhaft damit begründet, dass für ihn zum damaligen Zeitpunkt eine Anordnung des zuständigen Polizeipräsidiums gegolten habe, wonach bei dem Verdacht von Drogenkonsum grundsätzlich Gefahr im Verzug gegeben sei und daher eine richterliche Anordnung nicht erforderlich wäre. Im Hinblick auf diese generelle Anordnung habe er keine Kontaktaufnahme zum zuständigen Gericht unternommen.



Auf Grund dieser Einlassung des polizeilichen Sachbearbeiters, ist diesem persönlich keinerlei Vorwurf zu machen, weil er sich lediglich an die rechtlich nicht haltbare generelle Anordnung seines übergeordneten Dienstvorgesetzten gehalten hat, wonach beim Verdacht von Drogenkonsum grundsätzlich Gefahr im Verzug anzunehmen sei. In Umsetzung dieser Anordnung hat der Zeuge daher keine Kontaktaufnahme zum zuständigen Gericht gesucht, weil er davon ausging, dass ihm grundsätzlich eine Eilkompetenz aus § 81 a II StPO zustehe. Eine Reflektion des konkreten Einzelfalles auf das tatsächliche Bestehen von Gefahr im Verzug hat der Sachbearbeiter daher gerade nicht vorgenommen.



Somit liegt nicht erst in der konkreten Anordnung des zuständigen polizeilichen Sachbearbeiters eine Verletzung des Richtervorbehalts gemäß § 81 a II StPO sondern bereits in der generellen Anordnung der übergeordneten Polizeibehörde. Diese rechtsfehlerhafte generelle Anordnung führt jedoch zu einem besonders schwerwiegenden Verfahrensfehler, welcher wiederum ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht.



Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt vorliegenden Verfahrens grundsätzlich von anderweitigen Fällen, in welchen von der obergerichtlichen Rechtsprechung trotz Verstoßes gegen den Richtervorbehalt des § 81 a II StPO kein Beweisverwertungsverbot angenommen wurde. Denn in vorliegendem Verfahren beruht der Verstoß auf einer generellen Anordnung der übergeordneten Polizeibehörde, während es in den besagten anderen Verfahren um jeweils individuelle Fehleinschätzungen der zuständigen polizeilichen Ermittlungsperson ging.



Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsprechung des OLG Köln in dessen Beschluss vom 26.08.2011 (III-1 RBs 201/11) zu einer völlig identischen Verfahrenskonstellation an und macht sich diese zu Eigen.



Das OLG Köln hat hierzu u.a. wie folgt ausgeführt:

„a)

Somit ist im Rahmen des § 81a Abs. 2 StPO für die im konkreten Einzelfall zu beurteilende Frage, ob die Ermittlungsbehörde eine richterliche Entscheidung rechtzeitig hätten erreichen können, der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Staatsanwaltschaft bzw. - wie hier - ihre Ermittlungspersonen eine Eingriffsmaßnahme in Form der Blutentnahme für erforderlich hielten (BGHSt 51, 285 [289] NJW 2007, 2269 = NStZ 2007, 601). Die mit der Sache befasste Ermittlungsperson muss zu diesem Zeitpunkt eine eigene Prognoseentscheidung zur mutmaßlichen zeitlichen Verzögerung treffen. Dabei sind in diese Abwägung neben der wahrscheinlichen Dauer bis zum Eintreffen eines Arztes auf der Dienststelle bzw. bis zum Erreichen eines Krankenhauses und damit bis zur tatsächlichen Möglichkeit zur Entnahme der Blutprobe beim Beschuldigten sowohl die eintretende zeitliche Verzögerung mit oder ohne Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung als auch vor allem die bisher festgestellten konkreten Tatumstände am Ort der Kontrolle - insbesondere der durch eine Atemalkoholmessung bereits ermittelte oder durch Ausfallerscheinungen erkennbare Grad der Alkoholisierung und seine Nähe zu relevanten Grenzwerten - sowie das Verhalten des Beschuldigten einzubeziehen. Während bei einer höhergradigen Alkoholisierung eine kurzfristige Verzögerung ohne Gefährdung des Untersuchungserfolgs hinzunehmen ist, wird diese bei einer nur knappen Grenzwertüberschreitung eher zu bejahen sein. Vor allem ein unklares Ermittlungsbild oder ein komplexer Sachverhalt mit der Notwendigkeit einer genauen Ermittlung des BAK-Werts wird als ein Indiz für die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden herangezogen werden können (OLG Hamburg NJW 2008, 2597 [2598]; OLG Hamm NJW 2009, 242 [243]; OLG Jena, B. v. 25. 11. 2008 - 1 Ss 230/08, BeckRS 2009, 4235; OLG Bamberg NJW 2009, 2146). Eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch eine Verzögerung tritt im Einzelfall dann ein, wenn die praktische Durchführung der Blutentnahme unter Berücksichtigung der dargestellten Kriterien zu einem Zeitpunkt für notwendig erachtet wird, der erheblich von dem abweicht, zu dem mit einer richterlichen Entscheidung gerechnet werden kann (OLG Bamberg NJW 2009, 2146)."



Hier hat der die Anordnung treffende Polizeibeamte im Hinblick auf die allgemeine Dienstanweisung überhaupt keine eigene Bewertung vorgenommen, sondern mit Rücksicht auf das generelle Vorgehen bei Alkohol- und Drogendelikten eine Blutprobe angeordnet. Der ermittelnde Polizeibeamte hielt sich generell für anordnungsbefugt. Er hat keine Überlegungen dazu angestellt, ob die Anordnung der Blutentnahme im konkreten Fall einem Richter vorbehalten war, welche Umstände im konkreten Einzelfall die von ihm pauschal unterstellte Gefahr im Verzug begründeten und wodurch seine Anordnungskompetenz ausnahmsweise eröffnet war. Die pauschale Annahme, bei Verdacht von Alkohol- und Drogendelikten stets zur Anordnung einer Blutprobe berechtigt zu sein, begründet die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts. Ein solches Vorgehen missachtet klar die Regelung des § 81 a StPO (vgl. auch OLG Oldenburg NJW 2009, 3591; OLG Dresden NStZ 2009, 526; OLG Brandenburg zfs 2010,587; OLG Nürnberg DAR 2010, 217; OLG Hamm DAR 2009, 336; OLG Celle NJW 2009, 3524 ff.).



b) Allerdings gehen die Strafgerichte in gefestigter, vom Bundesverfassungsgericht gebilligter und vom Beschwerdeführer auch nicht angegriffener Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist und dass die Frage der Verwertbarkeit verbotswidrig erlangter Erkenntnisse jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug, die bewusste Umgehung oder Missachtung des Richtervorbehalts oder das Vorliegen eines besonders schwer wiegenden Fehlers können danach ein Verwertungsverbot begründen (BVerfG NJW 2008, 3053; BGHSt 51, 285 = NJW 2007, 2269 = NStZ 2007, 601; BGH, B. v. 15.05.2008 - 2 ARs 452/07 - Rz. 15 bei Juris; Sen E v. 15.01.2010 a. a. 0.; speziell für den Fall der Blutentnahme: SenE v. 26.09.2008 - 83 Ss 69/08 - = NStZ 2009, 406 = zfs 2009, 48; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238 = Blutalkohol 45 [2008], 76 = VRS 113, 365; OLG Karlsruhe VRR 2008, 243; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146; OLG Schleswig, Urt. v. 26.10.2009 -1 Ss OWi 92/09 = BeckRS 2009, .28618; OLG Celle NJW 2009, 3524; OLG Jena, B. v. 25.11.2008 -1 Ss 230/08 = BeckRS 2009 04235; jeweils mit weiteren Nachweisen).



Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend ein besonders schwerwiegender Fehler festzustellen, der einer Verwertung der Blutprobe entgegensteht. Dabei kann offen bleiben, ob dem die Blutprobe anordnenden Polizeibeamten ein grober Verstoß anzulasten ist oder ob diesem - wie das Amtsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Wertung ausgeführt hat - ein objektiv willkürliches Verhalten deswegen nicht vorgeworfen werden kann, weil er sich an die Vorgaben des Erlasses gebunden fühlte. Jedenfalls beinhaltet eine solche generelle Anweisung eine so „schweren Fehler im System" (vgl. OLG Hamm DAR 2009, 339) und damit einen solch groben Verstoß der Dienstvorgesetzten, die nicht Sorge getragen haben, dass der Bedeutung des Richtervorbehalts auf der Ebene der Polizeibeamte vor Ort Rechnung getragen wurde (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 3591 f.), dass die Annahme eines Verwertungsvorbehaltes hier angezeigt ist, um zu verhindern, dass ansonsten der Richtervorbehalt umgangen und ausgehebelt werden könnte (vgl. OLG Dresden, NZV 2009, 464 f.; OLG Brandenburg zfs 2010, 226 ff.).



Der - für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten - Rechtsfigur eines möglicherweise hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei solch bewusster Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zu (vgl. BGHSt 51, 285 ff. OLG Oldenburg, OLG Dresden jeweils a. a. 0.).



Kostenentscheidung: §§ 464, 467 StPO

Einsender: RA Tschampel, Ansbach

Anmerkung:


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