Gericht / Entscheidungsdatum: LG Wuppertal, Urt. v. 26.07.2011 - 16 S 10/11
Eigener Leitsatz: Wird von der Rechtsschutzversicherung eine Gebühr, über deren Voraussetzungen in Rechtsprechung und Literatur Streit besteht, ohne Vorbehalt gezahlt, dann kann sie sich nach einer streitentscheidenden höchstrichterlichen Entscheidung nicht darauf berufen, es sei zu Unrecht gezahlt worden. Mit einem Rückforderungsbegehren verhält sie sich dann widersprüchlich und setzt sich in Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten.
Urteil
In pp.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Velbert vom 25.1.2011 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der beklagte Rechtsanwalt hatte einen Versicherungsnehmer der Klägerin in einem Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Unfallflucht anwaltlich vertreten. In der von der Klägerin erteilten Deckungszusage vom 24.11.2008 wurde darauf hingewiesen, dass auf den Rechtsschutzvertrag die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2002) Anwendung finden. In § 17 Abs. 8 der ARB 2002 heißt es:
Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen andere auf Erstattung von Kosten, die der Versicherer getragen hat, gehen mit ihrer Entstehung auf diesen über.
Nachdem das Strafverfahren gegen den Versicherungsnehmer nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden war, rechnete der Beklagte gegenüber der Klägerin am 8.1.2009 seine Gebühren ab. Dabei setzte er u. a. eine - hier streitige - Verfahrensgebühr für die Einstellung des Verfahrens (nach Nr. 4141 VV RVG) in Höhe von 166,60 inklusive Mehrwertsteuer an. Diese Rechnung wurde von der Klägerin am 18.1.2009 ohne Vorbehalte beglichen.
Das Strafverfahren gegen den Versicherungsnehmer der Klägerin hatte die Staatsanwaltschaft nach Einstellung an die Bußgeldstelle abgegeben, die zunächst ein Ordnungswidrigkeitenverfahren betrieb. Auch dieses Verfahren wurde eingestellt. Auch hier rechnete der Beklagte gegenüber der Klägerin am 24.2.2009 seine Vergütung ab, inklusive einer Gebühr für die Mitwirkung am Verfahren zur Vermeidung der Hauptverhandlung (nach Nr. 5115 VV RVG). Auch diese Rechnung wurde von der Beklagten ohne Vorbehalte beglichen.
Am 5.11.2009 fällte der Bundesgerichtshof - in anderer Sache - ein Urteil, in dem er feststellte, dass die Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG dann nicht verdient ist, wenn das Verfahren - wie hier - als Bußgeldverfahren weitergeführt wird (Az. IX ZR 237/08; NJW 2010, 1209).
Die Klägerin nahm den Beklagten daraufhin auf Rückzahlung der Verfahrensgebühr für die Einstellung des Verfahrens nach Nr. 4141 VV RVG in Höhe von 166,60 in Anspruch und betrieb deswegen schließlich das Klageverfahren.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben mit der Begründung, dass dem Beklagten die streitige Gebühr nicht zustehe und es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gäbe, dass die Klägerin bei der Begleichung der Rechnungen die Forderung des Beklagten habe anerkennen wollen.
II.
Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Amtsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Erstattung des bereits bezahlten Anwaltshonorars zu.
Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin berechtigt wäre, unberechtigte Zahlungen an einen von ihren Versicherungsnehmern beauftragten Anwalt aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung unmittelbar zurückzuverlangen. Zwar besteht hier zwischen der Klägerin (Versicherung und Angewiesene) und dem Mandanten (Versicherungsnehmer und Anweisender) das sog. Deckungsverhältnis, in dem durch die Begleichung der Anwaltsforderung eine Leistung (der Klägerin) erbracht wird. Im vorliegenden Fall war - nach Ansicht der Klägerin - auch gerade dieses Deckungsverhältnis gestört, da der Anspruch des Mandanten geringer war als die Leistung der Klägerin. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten (Anweisungsempfänger) besteht hingegen lediglich das Vollzugsverhältnis, in dem grundsätzlich kein Bereicherungsausgleich stattfindet (Abwicklung übers Eck, vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 205). Vorliegend ist eine direkte Kondiktion im Vollzugsverhältnis jedoch ausnahmsweise möglich, da aufgrund der Regelung in § 17 Abs. 8 ARB 2002 die Erstattungsansprüche des Mandanten gegen den Anwalt bereits mit ihrer Entstehung auf die Rechtsschutzversicherung übergehen.
Es ist der Klägerin jedoch verwehrt, einen solchen (übergegangenen) Erstattungsanspruch geltend zu machen. Zwar dürfte die Leistung der Klägerin betreffend die Verfahrensgebühr für die Einstellung des Verfahrens nach Nr. 4141 VV RVG in Höhe von 166,60 ohne rechtlichen Grund erfolgt sein, woraus grundsätzlich ein Erstattungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt BGB (sog. condictio indebiti) folgt. Denn nach der - insoweit nicht in Zweifel zu ziehenden - höchstrichterlichen Rechtsprechung bestand bereits zum Zeitpunkt der Zahlung kein Anspruch auf Erstattung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG, da diese Gebühr aufgrund der Weiterführung des Verfahrens als Bußgeldverfahren nicht verdient war (Urteil vom 5.11.2009, Az. IX ZR 237/08, NJW 2010, 1209). Diese Rechtslage bestand auch bereits zum Zeitpunkt der Leistung, da nicht das RVG geändert, sondern lediglich dessen Auslegung durch den BGH konkretisiert wurde.
So kann auch in den - hinsichtlich der Auswirkungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung vergleichbaren - Fällen, in denen ein Mieter Renovierungsarbeiten durchgeführt hatte, die nach der neueren Rechtsprechung des BGH zur Fristenregelung nicht hätten erfolgen müssen, ein Bereicherungsanspruch des Mieters aus § 812 BGB geltend gemacht werden (BGH, Urt. v. 27.5.2009, VIII ZR 302/07, NJW 2009, 2590; dazu u. a. Börstinghaus, WuM 2005, 675; Klimke/Lehmann-Richter, WuM 2006, 653; Paschke, WuM 2008, 647). Insoweit wird lediglich vereinzelt die Problematik der Rückwirkung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesehen (vgl. Artz, NZM 2007, 265), was nach der zitierten Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Lehre dem Bereicherungsanspruch jedoch nicht entgegensteht.
Vorliegend steht dem (übergegangenen) Bereicherungsanspruch der Klägerin jedoch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB). Dieser ist darin begründet, dass sich die Klägerin dem Beklagten gegenüber widersprüchlich verhalten hat und sich mit ihrem Rückforderungsbegehren in Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten setzt (venire contra factum proprium).
Missbräuchlich ist ein widersprüchliches Verhalten jedenfalls dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist. Dies hat die Rechtsprechung u. a. in den Fällen bejaht, in denen eine Partei einen Anspruch in Kenntnis aller anspruchsbegründenden Umstände der anderen Partei gegenüber selbst abgerechnet hat. So wurde einer Kaskoversicherung eine Rückforderung in dem Fall verwehrt, in dem sie selbst die zu zahlende Entschädigung ermittelt, sie dann jedoch gegenüber Ihrem Versicherungsnehmer falsch berechnet hatte (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 8.8.2008, 3 U 270/07, NJW-RR 2009, 452).
Hier liegt der Fall ähnlich. Zwar hat hier der Beklagte gegenüber der Klägerin abgerechnet und diese hat dessen Abrechnung inklusive der Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG akzeptiert. Es stellt jedoch das unmittelbare Kerngeschäft einer Rechtsschutzversicherung dar, die eingereichten anwaltlichen Honorarrechnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf deren Richtigkeit zu überprüfen und die danach tatsächlich verdienten Gebühren und Auslagen zu erstatten. Vorliegend waren der Klägerin die tatsächlichen Umstände, anhand derer sie die rechtlich verdienten Gebühren bemessen hat, bekannt. Sie hat zunächst für das Strafverfahren eine Gebühr für die Erledigung des Verfahrens gezahlt, die nach ihrer eigenen Überprüfung verdient war. Auch nach Kenntniserlangung davon, dass das Verfahren als Bußgeldverfahren fortgeführt wurde, hat sie ihre diesbezügliche Ansicht nicht revidiert, sondern auch für das Bußgeldverfahren eine Gebühr für die Erledigung des Verfahrens gezahlt. Dabei ist sie nicht einem Irrtum unterlegen, sondern hat sich - wie der Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat - an der bis dahin fast einhellig vertretenen Meinung in Literatur und Rechtsprechung orientiert, wonach die Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 VV RVG trotz der Überleitung in ein Ordnungswidrigkeitenverfahren verdient war. Beide Zahlungen erfolgten ohne Äußerung eines Vorbehalts.
Mit der Zahlung hat die Klägerin damit einen Vertrauenstatbestand geschaffen, wonach die von ihr geprüfte Honorarrechnung vom 8.1.2009 rechtlich und tatsächlich zutreffend ist. Dass der BGH sodann - mehrere Monate später und offenbar auch zur Überraschung der Klägerin - eine andere Ansicht zur Grundlage der Abrechnung nach dem RVG gemacht hat, konnte diesen Vertrauenstatbestand nicht mehr beseitigen.
Für dieses Ergebnis spricht auch die Überlegung, dass eine Rückforderung seitens der Klägerin dann, wenn die abgerechneten Gebühren von einer - bindenden - Kostenfestsetzung des Gerichts erfasst worden wären, aufgrund dieser Bindungswirkung nicht mehr möglich gewesen wäre. Die Frage, ob eine Rechtsschutzversicherung also bei Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Rückerstattungsforderungen durchsetzen kann oder nicht, wäre nach Ansicht der Klägerin damit von der - zufällig zu entscheidenden - Frage abhängig, ob ein Kostenfestsetzungsverfahren stattgefunden hat oder nicht.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Soweit ersichtlich, ist weder die Frage einer Rückwirkung höchstricherlicher Entscheidungen zur Auslegung des RVG auf bereits abgewickelte Mandatsverhältnisse, noch die Frage, ob die vorbehaltlose Erstattung einer anwaltlichen Honorarrechnung durch eine Rechtsschutzversicherung einen Vertrauenstatbestand schafft, der einer Rückforderung entgegensteht, höchstrichterlich geklärt.
Streitwert: 166,60 Euro.
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