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Entscheidungen

StPO

Terminsverlegung, ermessensfehlerhafte Ablehnung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stuttgart, Beschl. v. 29. 11. 2011 - 17 Qs 99/11

Fundstellen:

Leitsatz: Zur ermessensfehlerhaften Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags.


Geschäftsnummer: 17 Qs 99/11
Landgericht Stuttgart
17. Große Strafkammer
Beschluss
vom 29. November 2011
in der Beschwerdesache des
Verteidiger:
RA Martin Ellinger, 70567 Stuttgart
wegen Gefährdung des Straßenverkehrs.
Die Verfügung des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt v. 22.11.2011, durch die im Verfahren 2 Cs 64 Js 15995/11 der Termin zur Hauptverhandlung auf den 30.11.2011, 15:15 Uhr verlegt wurde, wird aufgehoben.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt v 22.11.2011, durch den der Terminsverlegungsantrag des Verteidigers d es Angeklagten vom 22.11.2011 abgelehnt wurde, wird aufgehoben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt führt gegen X. ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (2 Cs 64 Js 15995/11). Laut Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt soll die Tat vom Angeklagten am 02.02.2011 begangen worden sein.

Bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zeigte Rechtsanwalt E. mit Schreiben vom 23.02.2011 gegenüber der Verkehrsunfallaufnahme Stuttgart an, dass er den Angeklagten verteidige. Mit Schriftsatz vom 19.04.2011 beantragte der Verteidiger des Angeklagten unter Hinweis auf ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 17C Abs. 2 StPO. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 05.09.2011 erließ das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt am 12.09.2011 Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen der oben genannten Tat. Es setzte eine Geldstrafe von 50 Tagessatz(n zu je 60,00 € gegen den Angeklagten fest, zog den Führerschein ein, entzog die Fahrerlaubnis und setzte eine Sperrfrist von 10 Monaten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis fest. Zum weiteren Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 12.09.2011, im Falle des Einspruchs die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, setze das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt eine Stellungnahmefrist von 2 Wochen.
Mit Fax vom 20.09.2011 legte der Verteidiger für den Angeklagten Einspruch ein. Er bat mit Fax vom 29,09.2011 um die Gewährung ergänzender Akteneinsicht und nahm zum Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ausführlich Stellung. Nach Einsicht der Akten erfolgte vom Verteidiger mit Schriftsatz vom 13.10.2011 eine weitere Stellungnahme.

Mit Verfügung vom 27.10.2011 bestimmte das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt Termin zur Hauptverhandlung auf Montag, den 28.11.2011, 09:00 Uhr und lud zwei Zeugen. Die Ladung ging dem Verteidiger am 03.11.2011 zu, der mit Fax vorn 11.11.2011 um Terminsverlegung bat, da er bereits an selben Tag u 08:30 Uhr einen seit längerer Zeit anberaumten, anderweitigen Termin beim Arbeitsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt habe. Durch Verfügung vom 15.11.2011 ließ der Vorsitzende mitteilen, der Termin könne nicht verlegt werden, weit es sich um eine Führerscheinsache handle.
Mit Fax vom 20.11.2011 teilte der geladene Zeuge X. mit, er sei am 28.11.2011 wegen einer Operation seines Sohnes verhindert. Mit Fax vom 22.11.2011 beantragte der Verteidiger die Terminsaufhebung und bat, einen neuen Termin mit ihm abzustimmen; für den Fall der Ablehnung des Verlegungsantrags legte er Beschwerde ein, Seine Anträge begründete der Verteidiger u.a. damit, dass er in das Mandat eingearbeitet sei und das Mandat „personengebunden“' sei. Obwohl es sich um eine Führerscheinsache handle, sei eine besondere Eilbedürftigkeit nicht gegeben, insbesondere weil die Tat über neun Monate zurückliegt und zwischen Einspruch und Terminierung mehrere Wochen vergangen seien.

Mit Verfügung vom 22.11.2011 verlegte das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt ohne Absprache mit den übrigen Verfahrensbeteiligten den Termin zur Hauptverhandlung vom 28.11.2011 auf den 30.11.2011, 15:15 Uhr. Die Umladung wurde dem Verteidiger am 22.11.2011 um 12:54 Uhr per Fax übermittelt, der mit Fax um 13:42 Uhr antwortete. Darin bat er um Terminsverlegung, da er als alleiniger Sachbearbeiter am 30.11.2011 bereits um 13:30 Uhr einen Termin beim Amtsgericht Reutlingen wahrnehmen müsse. Mit weiterer Verfügung vom 22.11.2011 ließ der Vorsitzende dem Verteidiger mitteilen, eine weitere Verlegung sei nicht mehr möglich. Daraufhin beantragte der Verteidiger mit Fax vom 24.11.2011 die Ablehnung des Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit. Diesem Schreiben fügte ee eine Kopie der Terminsladung des Amtsgerichts Reutlingen vom 21.10.2011 bei.

In seiner dienstlichen Stellungnahme zum Befangenheitsantrag vorn 24.11.2011 teilte der Vorsitzende mit, die Termine seien nicht verlegt worden, weil es sich um eine Führerscheinsache handle, welche angesichts des unbeschiedenen Antrags auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zeitnah stattzufinden habe. Der Termin vom 30.11.2011 sei kurzfristig frei geworden; andernfalls hätte frühestens auf Mitte Januar 2012 terminiert werden können.

Der Angeklagte hat über seinen Verteidiger Beschwerde gegen die Ablehnung des Terminsverlegungsantrags eingelegt mit Fax vom 25.11.2011, auf das hinsichtlich der Beschwerdebegründung verwiesen wird.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 26.11.2011 wurde der Befangenheitsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Akte n zur Entscheidung über die Beschwerde dem Landgericht Stuttgart vorgelegt.

II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1.
Die Beschwerde gegen eine Terminsbestimmung ist trotz § 305 Satz 1 StPO zulässig, wenn gewichtige und evidente Fehler der Ermessensentscheidung des Vorsitzenden geltend gemacht werden (vgl. OLG Stuttgart, Justiz 2006, S. f. m.w.N.).

2.
So liegt der Fall hier.

Die Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung auf den 30.11.2011, 15:15 Uhr, durch den Vorsitzenden war in erheblicher Weise ermessensfehlerhaft.

Die angefochtene Verfügung des Vorsitzenden selbst enthält keine Begründung. Im Vorfeld der angefochtenen Entscheidung war jedoch eine Ermessensabwägung bei der ablehnenden Verfügung vom 15,11.2011 (betreffend den ersten Terminsverlegungsantrag des Verteidigers) vorgenommen worden. Zudem enthält die — nach der angefochtenen Verfügung gefertigte — dienstliche Stellungnahme vom 24.11.2011 eine Begründung für die Terminsverlegung und die spätere Ablehnung des Terminsverlegungsantrags.

Die sich aus der Akte ergebende Begründung der angefochtenen Entscheidung lässt im vorliegenden Einzelfall jedoch nicht erkennen, dass der Vorsitzende innerhalb des ihm zustehenden weiten Ermessensspielraumes neben der Bedeutung der Sache sowohl in angemessener Weise die Geschäftslage des Gerichts als euch die Belange des Angeklagten, einschließlich der geladenen Zeugen, bedacht und abgewogen hat. Dabei hat der Vorsitzende das grundsätzliche Recht des Angeklagten auf Beistand eines Verteidigers seiner Wahl und seines Vertrauens unter Zugrundelegung der Grundsätze des fairen Verfahrens verkannt.

Zwar war dem Gericht aufgrund der Terminslage eine anderweitig Terminierung frühestens erst Mitte Januar 2012 möglich. Angesichts des im Februar 2011 liegenden Tatzeitpunktes und der Tatsache, dass das Amtsgericht am 12.09.2011 Strafbefehl erlassen und Termin zur Hauptverhandlung auf den 30.11.2011 t bestimmt hat, ist eine besondere Eile im Hinblick auf die weitere Terminierung nicht ersichtlich, zumal es sich nicht um eine Haftsache handelt und das Amtsgericht jederzeit im schriftlichen Verfahren einen Beschluss nach § 111a StPO erlassen kann.

Zudem hat sich der Verteidiger des Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren, nämlich mit Schriftsatz vom 23.02.2011 und damit zu einem frühen Zeitpunkt, legitimiert, wenn auch eine schriftliche Vollmacht bislang nicht vorgelegt wurde. Über einen Zeitraum von mehr als 9 Monaten hat der Verteidiger des Angeklagten diesen vertreten und in dieser Zeit mehrfach substantiierte Schriftsätze zur Akte gebracht. Das hierdurch dokumentierte Vertrauensverhältnis zwischen dem angeklagten und seinem Verteidiger darf vorliegend nicht dadurch erschüttert werden, dass der Angeklagte — wenn auch rund eine Woche vor dem vorgesehenen Hauptverhandlungstermin — aufgrund einer von dem Verteidiger des Angeklagten unverzüglich mitgeteilten Terminskollision zu einem Wechsel des Verteidigers seines Vertrauens angehal-ten ist. Eire bewusste Verzögerung des Verfahrens seitens des Angeklagten und seines Verteidigers ist insoweit nicht zu erkennen. Eine bewusste Terminskollision wurde ersichtlich nicht herbeigeführt, zumal lediglich zwei Tage zwischen den vorgesehenen Hauptverhandlungsterminen lagen.

Zwar führt die Verhinderung des gewählten Verteidigers für sich allein nicht ohne weiteres zu einem Anspruch auf Verlegung der Hauptverhandlung, was sich schon aus der Regelung des § 228 Abs. 2 StPO ergibt, nach der die Verhinderung des Wahlverteidigers dem rechtzeitig geladenen Angeklagten kein Recht gibt, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Vielmehr kommt es bei der Ermessensentscheidung über den Antrag auf Terminsverlegung unter Beachtung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens auf die Umstände des Einzelfalles an.

Vorliegend hat der Verteidiger des Angeklagten zudem jedoch mit Schriftsätzen vom 11.11.2011 und vom 22 11.2011 das Gericht ausdrücklich um eine Terminsabsprache gebeten. Ein Versuch einer solchen Absprache wurde seitens des Gerichts nicht wenigstens unternommen. Wenn in einer derartigen Situation der Vorsitzende den Belangen der ordnungsgemäßen, zügigen Erledigung des Verfahrens wie auch der Gesamtbelastung im Einzelfall den Vorrang vor dem Grundsatz des fairen Verfahrens gibt, ist dies im vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände evident ermessensfehlerhaft.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.

Einsender: RA M. Ellinger, Stuttgart

Anmerkung:


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