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Gericht / Entscheidungsdatum: LG Lübeck, Urt. v. 08.07.2011 - 1 S 16/11
Leitsatz: 1. Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Fahrrads ist als ersatzfähiger Vermögensschaden anzusehen. Das gilt insbesondere dann, wenn das Fahrrad regelmäßig für den Weg zur Arbeit benutzt wurde. 2. Die Höhe der Entschädigung wird unter Zugrundelegung des geschätzten Mietpreises ermittelt. Dieser ist aber um den Gewinn des Vermieters i.H.v. 40 Prozent zu kürzen.
1 S 16/11 Verkündet am: 08.07.2011 LANDGERICHT LÜBECK URTEIL IM NAMEN DES VOLKES In dem Berufungsverfahren pp. hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck auf die mündliche Verhandlung vom 01.07.2011 durch für Recht erkannt: Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Ratzeburg vom 30.12.2010 (15 C 313/09) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 537,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.06.2009 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 46,41 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 61%, die Beklagte 39%. Von den Kosten des Berufungsrechtszugs tragen der Kläger 65 %, die Beklagte 35%. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. i Gründe: Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen; auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen, §§ 540 Abs. 1, Abs. 2, 313a ZPO. li Der Kläger verfolgt seine in der ersten Instanz geltend gemachten Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 20.04.2009 weiter, soweit das Amtsgericht die Klage wegen eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von 1.050 Euro, der Kosten für ein vorgerichtliches Gutachten in Höhe von 267,75 Euro sowie weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat. I Die Berufung ist teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes aus dem Verkehrsunfall vom 20.04.2009 in Höhe von insgesamt 537,26 Euro gem. §§ 823, 249 BGB.
Der Kläger kann eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 195,90 Euro verlangen, da er bedingt durch das Unfallgeschehen, sein Fahrrad für einen Zeitraum von 35 Tagen nicht nutzen konnte. l
Ob eine Nutzungsausfallentschädigung bei Beschädigung eines Fahrrades verlangt werden kann, ist in der Rechtsprechung umstritten. Die Rechtsprechung zur Nutzungsausfallentschädigung ist zunächst für die Fälle der entgangenen Nutzungsmöglichkeit bei einem Kfz entwickelt worden. Sie beruht auf der Erwägung, dass der auf einen Mietwagen verzichtende vorsichtige und sparsame Eigentümer nicht schlechter gestellt werden soll als derjenige, der einen Ersatzwagen anmietet. Voraussetzung für die Ersatzpflicht ist ein Verlust der Möglichkeit, mithin eine fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung. Daher sind das Bestehen eines Nutzungswillens und einer Nutzungsmöglichkeit erforderlich (Pal. § 249, Rn. 40-42). Diese Rechtsprechung, wonach der Verlust von Gebrauchsvorteilen einer Sache unter bestimmten Voraussetzungen einen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellen kann, ist auf weitere -Gebrauchsgegenstände ausgedehnt worden. Der Große Zivilsenat des BGH (NJW 1987,50) hat entschieden, dass ein Nutzungsausfall dann als ein zu ersetzender Vermögensschaden anzusehen ist, wenn es sich um einen Gegenstand handelt, auf dessen ständige Verfügbarkeit der Berechtigte für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung folgt die Kammer der Auffassung, dass auch der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Fahrrades als ersatzfähiger Vermögensschaden anzusehen ist (so auch KG NJWRR 1993, 1438), wenn Fahrräder etwa regelmäßig für den Weg zur Arbeit genutzt werden. In diesen Fällen ist die Voraussetzung, dass der Berechtigte auf die ständige Verfügbarkeit typischerweise angewiesen ist, grundsätzlich erfüllt. Ein Grund, der es rechtfertigen würde, denjenigen, dessen für den Weg zur Arbeitsstätte genutzter Pkw beschädigt wird, anders zu behandeln als denjenigen, dessen für den Weg zur Arbeit genutztes Fahrrad beschädigt wird, besteht nicht.
Die regelmäßigen Voraussetzungen für die Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung . liegen im vorliegenden Fall vor. Aufgrund des Unfalls war das Fahrrad des Klägers derart beschädigt, dass er es nicht mehr nutzen konnte. Er selbst war in der Zeit nach dem Unfall in der Lage, Fahrrad zu fahren und hätte das Fahrrad nach eigenem, unbestrittene*m Vortrag während dieser Zeit für den täglichen Weg zur Arbeit genutzt.
Dem Entschädigungsanspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger über weitere Renn, räder verfügt, die nach seinen Angaben jedoch nicht mit einem Schutzblech und auch nicht mit einer ordnungsgemäßen Beleuchtung ausgestattet sind. Unter Zugrundelegung der für PKW entwickelten Rechtsprechung, wonach ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung nicht besteht, wenn der Einsatz eines Zweitwagens möglich und zumutbar ist (OLG Jena NJW RR 2004, 1030), kommt es darauf an, ob eines der weiteren Fahrräder des Klägers einen zumutbaren Ersatz für das beschädigte Fahrrad während der Reparaturzeit bzw. der Zeit bis zur Lieferung des neuen Fahrrades darstellte. Dies ist nicht der Fall. Der Kläger kann auf die Nutzung eines nicht verkehrssicher ausgestatteten Rennrades schon aus rechtlichen Gründen nicht verwiesen werden. Da entscheidend nur die (abstrakte) Zumutbarkeit der Nutzung eines Fortbewegungsmittels ist, kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob der Kläger seine nicht verkehrssicheren Rennräder auf eigene Gefahr - gegebenenfalls in seiner Freizeit auf öffentlichen Straßen nutzt. Zudem führt das Fehlen von Schutzblechen an möglichen Ersatzrädern zur Unzumutbarkeit ihrer ersatzweisen Nutzung für den Weg zur Arbeit, Weil bei entsprechender Witterung mit erheblichen Spritzern auf der Kleidung zu rechnen ist.
Der Kläger ist auch nicht im Hinblick auf seine Schadensminderungspflicht gehalten, eines seiner Sporträder in einen verkehrssicheren Zustand zu versetzen. Im Hinblick auf die Höhe einer möglichen Nutzungsausfallentschädigung und die bei einer fachgerechten Umrüstung entstehenden Kosten führt dies nicht zu einer maßgeblichen Schadensreduzierung.
Dem Entschädigungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass der Kläger als selbstständiger Inhaber einer Autovermietungsfirma die Möglichkeit hätte, auf eines seiner Mietfahrzeuge zurückzugreifen. Der Kläger ist nicht verpflichtet, auf seine gewerblich genutzten" Kfz zurückgreifen und mögliche Mieteinbußen hinzunehmen.
Der Kläger kann die Nutzungsausfallentschädigung für einen Zeitraum von 35 Tagen verlangen. Es handelt sich um den Zeitraum nach dem Unfall vom 20.04.2009 bis zur Erstellung des Kostenvoranschlags vom 24.04.2009 sowie von der Bestellung am 13.05.2009 bis zur Lieferung des gleichwertigen Ersatzfahrrades am 11.06.2009. Der letztgenannte Zeitraum ist berücksichtigungsfähig, auch wenn kein wirtschaftlicher Totalschaden an dem Fahrrad vorlag. Der Kläger hat durch Vorlage der Mail vom 5.11.2010 belegt, dass eine Reparatur nicht in kürzerer Zeit hätte erfolgen können, weil ein entsprechender Ersatzrahmen nicht schneller hätte geliefert werden können. Die Höhe des von dem Kläger geltend gemachten Nutzungsausfallschadens von 30 pro Tag ist jedoch deutlich übersetzt, auch wenn es sich um ein hochwertig ausgestattetes Fahrrad handelt. Eine Tabelle o. ä. für die Berechnung eines Nutzungsausfallschadens bei Fahrrädern existiert nicht. Daher werden ausnahmsweise als Grundlage für eine Schätzung die Mietkosten für ein vergleichbares Fahrrad herangezogen, die allerdings um den geschätzten Gewinn des Vermieters in Höhe von 40% zu kürzen sind (vgl. auch KG NJW-RR 1993, 1438; Palandt, § 249 Rn. 49). Der vom Amtsgericht bestellte Sachverständige K. hat die Kosten für die Miete eines entsprechenden Fahrrades nachvollziehbar geschätzt. Er hat berücksichtigt, dass es sich um ein hochwertiges, nur selten in der Vermietung befindliches Fahrrad handelt. Sein Vorschlag, 99 Euro für die erste Woche, dann für jeden weiteren Tag 12-13 Euro, ab der 3. Woche 50% des Tagesmietpreises zu Grunde zu legen, ist plausibel. Danach ergibt sich für 5 Wochen ein Mietpreis von 326,50 Euro und nach Abzug des geschätzten Gewinns eine Nutzungsausfallentschädigung von 195,90 Euro.
Die Kosten für ein Sachverständigengutachten mir Schadensfeststellung sind zu erstatten, weil es zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sachdienlich war, § 249 Abs. 2 BGB (Palandt, BGB, 2010, § 249 Rn. 58). Der Kostenvoranschlag des Radhauses Altona weist nur die Reparaturkosten, nicht aber den Wiederbeschaffungswert und den Restwert des Fahrrades aus. Im Hinblick auf die erheblichen Reparaturkosten von 1.873,61 Euro netto lag die Annahme eines Totalschadens für ein 2 1/2 Jahre altes Fahrrad trotz des Neupreises von fast 4.000 Euro nicht ganz fern, zumal der Kläger das, Fahrrad nach eigenem Vortrag täglich nutzt. Zudem hat die Beklagte mit Abrechnung vom 10.06.2009 nicht die Reparaturkosten für das Fahrrad als erstattungsfähigen Schaden anerkannt, vielmehr eine Abrechnung auf Totalschadensbasis nach der Schwacke-Liste für Fahrräder vorgenommen und zwar nach einem Zeitwert von 1.800 Euro. Dies durfte der Kläger im Hinblick auf die hochwertige Ausstattung des Fahrrades überprüfen. Soweit die Beklagte die Qualität des Gutachtens des öffentlich bestellten Sachverständigen beanstandet, hat dies keinen Einfluss auf den Schadensersatzanspruch des Klägers. Der Kläger wäre lediglich verpflichtet, auf Aufforderung der Beklagten hin etwaige Ersatzansprüche gegenüber dem Sachverständigen an die Beklagte abzutreten.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der für die Geltendmachung seiner berechtigten Schadensersatzforderungen entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 249 BGB, weil die Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich war. Der Kläger hat aus dem Verkehrsunfall insgesamt einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 2.430,26 Euro. Dieser setzt sich 'zusammen aus dem vorgerichtlich gezahlten Schadensersatz für das Fahrrad in Höhe von 1.893,00 Euro und dem; gerichtlich zuerkannten Schadensersatzanspruch in Höhe von 537,26 Euro, der sich aus dem erstinstanzlich rechtskräftig' zuerkannten 73,61 Euro, der Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 195,90 Euro sowie den Gutachterkosten in Höhe von 267,75 Euro zusammensetzt. Danach errechnen sich zu erstattende vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 272, 87 Euro (1,3 Gebühren aus 161,00 Euro + 20 Euro + 19% MwSt). Abzüglich vorprozessual gezahlter 229,55 Euro ergibt sich eine Restforderung in Höhe von 43,32 Euro, mithin weniger als das Amtsgericht bereits rechtskräftig zuerkannt hat.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zinsen in gesetzlicher Höhe aus §§ 286, 288 BGB seit dem 6.6.2009, dem Zeitpunkt des Verzugseintritts nach Ablauf der vom dem Klägervertreter gesetzten Zahlungsfrist am 5.06.2009.
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