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Entscheidungen

StPO

Verständigung, Deal, Rechtsmittelverzicht, Wirksamkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 27.09.2011 - 1 Ws 381/11

Fundstellen:

Leitsatz: Zur Frage, ob die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Verständigungen Anwendung findet, die den gesetzlichen Vorgaben der §§ 257c, 273 Abs. 1a StPO nicht genügen.


Oberlandesgericht Celle
1 Ws 381/11
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
wegen gefährlicher Körperverletzung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und am 27. September 2011 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 15. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 26. Juli 2011 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 5. April 2011 wegen „gefährlicher Körperverletzung im minder schweren Fall“ zu einer Geldstra-fe von 90 Tagessätzen zu je 15,- € verurteilt.

Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls bestritt der Angeklagte bei seiner Vernehmung zunächst die Tat. Nach der Zeugenvernehmung des Geschädigten und einer Unterbrechung von 10 Minuten findet sich im Protokoll die Erklärung des Angeklagten:

„Es kann so gewesen sein. Der Alkohol war schuld.“

Auf die übereinstimmenden Anträge der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers wurde der Angeklagte zu der Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,- € verurteilt. Anschließend verzichteten nach dem Protokollinhalt der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel. Ein Vermerk nach § 273 Abs.1a StPO über das Ergebnis einer Verständigung oder deren Unterbleiben wurde in das Protokoll nicht aufgenommen.

Am 12. April 2011 legte der Angeklagte nach Wechsel seines Verteidigers Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts ein. Er macht unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung und einer schriftlichen Erklärung seines früheren Verteidigers geltend, dass der erklärte Rechtsmittelverzicht wegen einer in der Hauptverhandlung getroffenen Verständigung unwirksam sei. Die Erklärung des Rechtsmittelverzichts habe er nicht erfasst.

Das Amtsgericht verwarf das Rechtsmittel durch Beschluss vom 12. Mai 2011 we-gen des erklärten Rechtsmittelverzichts als unzulässig. Auf den hiergegen gerich-teten Antrag auf Entscheidung des Berufungsgerichts verwarf das Landgericht durch Beschluss vom 26. Juli 2011 die Berufung des Angeklagten nach § 322 Abs. 1 StPO als unzulässig.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit der sofortigen Be-schwerde, mit der er weiterhin die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat nach Einholung dienstlicher Stellungnahmen des Vorsitzenden der Hauptverhandlung und des Sitzungsvertreters der Staats-anwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen, weil der Nachweis einer Verständigung in der Hauptverhandlung nicht erbracht sei.

II.
Die gem. § 322 Abs. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten im Ergebnis zutreffend nach § 322 Abs. 1 Satz 2 StPO verworfen, weil die eingelegte Berufung infolge wirksa-men Rechtsmittelverzichts unzulässig war. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob der Ausschluss des Rechtsmittelverzichts nach § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auch auf Vereinbarungen der Verfahrensbeteiligten Anwendung findet, die den gesetzli-chen Vorgaben des § 257c nicht StGB entsprechen. Denn nach dem Ergebnis des Freibeweisverfahrens kann nicht festgestellt werden, dass dem Urteil eine Ver-ständigung der Verfahrensbeteiligten vorausging.

Im Einzelnen:

1.
Der zu Protokoll erklärte Rechtsmittelverzicht ist nicht bereits deswegen als wirk-sam zu behandeln, weil das Protokoll keinen Hinweis auf eine getroffene Verstän-digung enthält.

Ergibt sich aus dem Protokoll weder der nach § 273 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1a Satz 1 und 2 StPO zwingend vorgeschriebene Vermerk über eine erfolgte Verständigung noch der - ebenso zwingend vorgeschriebene - Vermerk nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass eine Verständigung nicht stattgefunden habe (sog. Negativat-test), ist das Protokoll widersprüchlich und verliert insoweit seine Beweiskraft. Das Rechtsmittelgericht hat in diesem Fall im Wege des Freibeweisverfahrens aufzu-klären, ob dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, die zur Unwirksam-keit des nachfolgend erklärten Rechtsmittelverzichts führen würde (BGH NJW 2011, 321; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2010, 213; OLG Düsseldorf, StV 2011, 80; Peglau in Beck OK StPO, § 273 Rn. 21).

2.
Nach dem Ergebnis der Freibeweisaufnahme kann nicht festgestellt werden, dass sich die Verfahrensbeteiligten verständigt haben.

a.
Zwar könnte der nach dem Protokoll dokumentierte Verlauf der Hauptverhandlung eine Verständigung nahe legen, weil der Angeklagte nach einer umfänglichen be-streitenden Einlassung im Anschluss an eine 10-minütige Unterbrechung den Tat-vorwurf mit der knappen Einlassung „Es kann so gewesen sein. Der Alkohol war schuld“ einräumte und Staatsanwaltschaft und Verteidigung sodann übereinstim-mende Anträge stellten, denen das Amtsgericht im Urteil folgte. Der Schluss auf eine Verständigung ist jedoch keineswegs zwingend, denn auch ein zunächst un-verbindliches Rechtsgespräch kann bei den Verfahrensbeteiligten ein Prozessver-halten auslösen, dass sich nur rückblickend als einvernehmlich abgesprochen darstellt. Eine Unterbrechung, auch wenn sie im Protokoll als „Rechtsgespräch“ bezeichnet wird, trägt nicht die Vermutung einer Verständigung in sich (BGH Be-schl. v. 17. Februar 2010, 2 StR 16/10, juris; Bittmann, NStZ-RR 2011, 102, 103).

b.
Die zum Verlauf der Hauptverhandlung abgegebenen Stellungnahmen sind jedoch widersprüchlich und liefern im Ergebnis kein klares Bild, ob die unstreitig geführten Rechtsgespräche zu einer Verständigung im Sinne einer für verbindlich erachteten Vereinbarung geführt haben, sei es über zulässige Gegenstände gem. § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO oder über einer Verständigung entzogene Inhalte wie z.B. ei-nen Rechtsmittelverzicht. Der „in dubio“-Grundsatz findet auf verfahrensrechtliche Fragen insoweit keine Anwendung (BGHSt 16, 164; BGH NJW 2004, 1336).

Nach der eidesstattlichen Versicherung des Angeklagten vom 20. April 2011 (Bl. 134 d.A.) hätten sich zwar Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen geeinigt (wobei bereits nicht mitgeteilt wird, dass dies für den Fall einer geständigen Einlassung gelten sollte). Danach fehlte es jedoch an der Zustimmung des Angeklagten selbst, der ausdrücklich vorträgt, er habe einen Freispruch angestrebt, sei von dem Rat seines Verteidigers, die Strafe zu akzeptieren, wie vor den Kopf geschlagen gewesen und habe nur ge-sagt, wozu sein Verteidiger ihm geraten habe.

Der frühere Verteidiger erklärte durch Schreiben vom 27. April 2011 (Bl. 136 d.A.), der Angeklagte sei zwar mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden gewesen, habe aber kein Geständnis abgeben wollen. Er - der Verteidiger selbst - hätte da-raufhin eine Erklärung abgegeben. Mit dieser Einlassung hätten sich Staatsan-waltschaft und Gericht hingegen nur für den Fall des Rechtsmittelverzichts einver-standen erklärt. Nach dieser Stellungnahme - die zudem im Widerspruch zum Protokoll steht, nach dem der Angeklagte selbst eine Einlassung abgegeben hat - fehlt es ebenfalls an einer Zustimmung des Angeklagten jedenfalls zu der von ihm zu liefernden „Gegenleistung“ des Geständnisses.

Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hat am 11. September 2011 dahin-gehend dienstlich Stellung genommen (Bl. 191 d.A.), dass es zwar ein Rechtsge-spräch gegeben habe, in dem der Vorsitzende anfragte, ob seitens der Staatsan-waltschaft eine Bewertung als minder schwerer Fall in Betracht käme und ob der Angeklagte angesichts des bisherigen Beweisergebnisses am Bestreiten festhal-ten wolle. Eine Strafobergrenze sei hingegen nicht zugesagt worden; zu der Höhe der beantragten Strafe habe er sich erst unmittelbar vor dem Schlussvortrag ent-schieden.

Der Vorsitzende hatte nach seiner dienstlichen Äußerung vom 7. September 2011 keine Erinnerung mehr an die Hauptverhandlung (Bl. 188R d.A.).

Danach bleibt im Ergebnis bereits zweifelhaft, ob die für eine Verständigung we-sensnotwendige Zustimmung des einen Freispruch erstrebenden Angeklagten überhaupt gegeben war, selbst wenn er - offenbar unter dem Eindruck der Bera-tung durch den Verteidiger - tatsächlich eine formelhafte geständige Einlassung abgegeben hat. Zudem kann nicht sicher festgestellt werden, ob Gericht und Staatsanwaltschaft von vornherein die letztlich erkannte Strafe als Obergrenze für ein Geständnis zugesagt haben. Denkbar wäre zwar zumindest eine - nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO zulässige - Vereinbarung über die Beurteilung als minder schwerer Fall i. S. d. § 224 Abs. 1 Hs.2 StGB. Bei einer solchen „weichen“ Zusage bedürfte es dann jedoch eindeutiger Hinweise darauf, dass Staatsanwaltschaft und Gericht eine verbindliche Zusage zumindest hinsichtlich des veränderten Strafrahmens abgeben wollten und nicht lediglich eine Bewertung der Sache im Rahmen eines Rechtsgesprächs zum Ausdruck gebracht haben.

3.
Vor diesem Hintergrund kann der Senat offen lassen, ob der Ausschluss des Rechtsmittelverzichts nach § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Vereinbarungen der Verfahrensbeteiligten Anwendung findet, die sich in der Sache als Umgehung der materiellen und formellen Vorgaben der §§ 273 Abs. 1a, 257c StPO darstellt, sei es wegen der Nichteinhaltung der Protokollierungsvorschriften oder wegen einer Verständigung über nach § 257c Abs. 2 StPO unzulässige Gegenstände bzw. über einen Rechtsmittelverzicht.

Gleichwohl gibt die Sache dem Senat Anlass zu folgender Anmerkung:

Inwieweit die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Verständigungen „prae-ter legem“ Anwendung findet, ist umstritten und derzeit obergerichtlich nicht ent-schieden (ausdrücklich offen gelassen in BGH, Beschl. v. 27. Oktober 2010, 5 StR 419/10, NStZ 2011, 473). Für zulässig erachtet hat der BGH die Rücknahme einer Revision, die am Tage der Verkündung gegen ein auf einer Verständigung beru-hendes Urteil eingelegt wurde, binnen einer Stunde nach deren Einlegung (Beschl. vom 14. April 2010, 1 StR 64/10, BGHSt 55, 82). In den Entscheidungsgründen wird allerdings ausdrücklich betont, dass dies keine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften sei, weil für den Angeklagten bei Einlegung und anschließender Rücknahme eines Rechtsmittels eine andere Entscheidungssituation gegeben sei als bei einer in der Hauptverhandlung u.U. vorschnell abgegebenen Verzichtser-klärung.

Vereinzelt wird vertreten, dass die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nur auf die Fälle einer Verständigung i. S. d. § 257c StPO bzw. solche Verständigungen, die zumindest die „Essentialia“ der Verständigungsordnung wahren, beschränkt sei, um die Rechtsunsicherheit nicht unnötig zu beeinträchtigen. So seien schon zuvor Verständigungen, die nicht gesetzlichen bzw. höchstrichterlichen Anforderungen genügten, für insgesamt unbeachtlich gehalten worden (Bittmann, wistra 2009, 414; ders. NStZ-RR 2011, 102ff.).

Diese Rechtsauffassung ist jedoch nur schwer mit der Entstehungsgeschichte der Norm des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO in Einklang zu bringen. Noch vor der gesetzli-chen Regelung hatte der Große Senat für Strafsachen beim BGH am 3. März 2005 (BGHSt 50, 40) entschieden, dass ein Rechtsmittelverzicht nach unzulässi-gen Urteilsabsprachen, die eben einen solchen Rechtsmittelverzicht zum Gegen-stand haben, unwirksam ist, wenn der Angeklagte zuvor nicht qualifiziert belehrt wurde. Nachdem im Gesetzgebungsverfahren diese qualifizierte Belehrung nach der Vorgabe des BGH als ausreichend erachtet wurde (Regierungsentwurf, BT-Drs 16/12310; Bundesratsentwurf, BT-Drs 16/4197), entschied sich der Gesetzge-ber letztlich auf Empfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs 16/13095) für die gänzliche Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts in der Form des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO. Zweck dieser Regelung war eine Ausdehnung der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auf alle Urteile, denen eine Verständigung vorausging, nicht hingegen eine Einschränkung gegenüber der früheren Rechtsprechung.

Deswegen wird mit guter Begründung vertreten, dass die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO erst Recht auf solche Absprachen bzw. Verständigungen An-wendung finden muss, die den gesetzlichen Vorgaben des § 257c StPO nicht ent-sprechen und die es in dieser Form eigentlich gar nicht geben dürfte (so Kudlich, Gutachten zum 68. DJT, S. C 55f; Jahn/Müller, NJW 2009, 2625, 2630 m.w.N.)

4.
Der weiter vorgebrachte Einwand, der Angeklagte habe die Bedeutung und Trag-weite des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts nicht erfasst, liegt fern. Insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entschei-dung.

5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Einsender: 1. Strafsenat des OLG Celle

Anmerkung:


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