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Entscheidungen

StPO

Zustellung, Ersatzzustellung, Beweis, Zustellungsurkunde

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Rostock, Beschl. v. 04.05.2011 - I Ws 101/11

Fundstellen:

Leitsatz: Da eine ordnungsgemäß erstellte Postzustellungsurkunde die Korrektheit der (Ersatz) Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung als Voraussetzung des Erlasses eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO belegt, ist - soll dies entkräftet werden - der volle Beweis dahin zu führen, dass der Angeklagte anderweitig Wohnung nicht nur im melderechtlichen Sinne genommen hatte.


In pp.
Die weitere Beschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe
I. Die für den Angeklagten M. angebrachte weitere Beschwerde seines Verteidigers, Rechtsanwalt P. in R., vom 29.03.2011 richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 10.03.2011 - 33 Qs 22/11 -, mit dem die Große Strafkammer 3 - als Jugendkammer - die Beschwerde des Angeklagten vom 14.02.2011 gegen den Hauptverhandlungshaftbefehl des Amtsgerichts Schwerin vom 02.11.2010 als unbegründet verworfen hat.

Die Strafkammer hat mit Beschluss vom 01.04.2011 der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO statthafte Beschwerde ist formgerecht erhoben (§ 306 StPO), mithin zulässig. Sie erweist sich jedoch als unbegründet.

1.) Dem Rechtsmittel liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Am 19.02.2010 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer und den Mitangeklagten Pa. Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung zum Amtsgericht Schwerin - Jugendrichter - (Bd. I Bl. 117 ff. d. A.). Die Anklageschrift wurde dem Beschwerdeführer unter der im Ermittlungsverfahren bekannt gewordenen Adresse Pl..er Str. XX in XXXXX Sch. am 25.03.2010 durch Einlegen des Schriftstücks in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt (Bd. I Bl. 122 d. A.).

Die Ladung zu dem für den 14.09.2010 anberaumten Hauptverhandlungstermin wurde dem Beschwerdeführer ebenfalls unter der vorbezeichneten Adresse zugestellt, und zwar am 27.08.2010 wiederum durch dieselbe Postbedienstete durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten (Bd. I Bl. 148 d. A.).

Zu dem Termin erschien der Beschwerdeführer nicht. Der Mitangeklagte teilte dem Gericht mit, der Beschwerdeführer habe ihn darüber informiert, keine Ladung erhalten zu haben. Das Gericht ordnete daraufhin die Vorführung des Beschwerdeführers zum nächsten Termin am 02.11.2010 an (Bd. I Bl. 152 ff. d. A.). Am 14.09.2010 teilte die Jugendgerichtshilfe Schwerin eine neue Adresse des Beschwerdeführers in XXXXX A., A. E. XX, mit, woraufhin die zuständige Jugendrichterin am 20.09.2010 die Aufrechterhaltung des Vorführungsbefehls verfügte (Bd. I Bl. 155 d. A.). Die Vorführung des Beschwerdeführers unter der neuen Adresse in A. schlug fehl. Dort konnte lediglich dessen Mutter angetroffen werden, die mitteilte, dass sich ihr Sohn derzeit zu Ausbildungszwecken in M. befinde. Sie habe keinen Kontakt zu ihm, eine Adresse, Telefon-Nummer oder der Name der von ihm besuchten Berufsschule seien ihr nicht bekannt (Bd. I Bl. 165 d. A.). Der Hauptverhandlungstermin am 02.11.2010 wurde wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers bereits nach 10 Minuten beendet (Bd. I Bl. 166 f. d. A.). Außerhalb des Hauptverhandlungsprotokolls verfügte die zuständige Jugendrichterin gesondert am selben Tag den Erlass eine Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO (Bd. I Bl. 168, 169 f. d. A.).

Der Haftbefehl konnte bisher nicht vollstreckt werden. Am 25.11.2010 konnte der Beschwerdeführer weder an der bis dahin bekannten Anschrift in Schwerin noch in A. angetroffen werden. Nach Auskunft des Vermieters habe der Beschwerdeführer die Wohnung in Sch. im August 2010 gekündigt und dabei die Adresse in A. als neue Wohnanschrift angegeben.

Mittlerweile hat die Verteidigung eine Bescheinigung des Meldeamtes Sch. vom 28.04.2011 beigebracht, derzufolge der Angeklagte mit Hauptwohnung bis zum 01.07.2010 in Sch., Pl..er Str. XX, in der Zeit vom 01.07.2010 bis zum 30.08.2010 in Sch., Gr. W.str. XX, und ab dem 30.08.2010 in A., A. E. XX gemeldet (gewesen) sei.

2.) Das Landgericht hat die Beschwerde gegen den Haftbefehl zu Recht als unbegründet verworfen. Der Erlass des Haftbefehls am 02.11.2010 war in der Sache gerechtfertigt.

a.) Voraussetzung dafür ist nach § 230 Abs. 2 StPO, dass das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ist. Dazu ist zu prüfen, ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens unter Abwägung aller Umstände des Falles billigerweise ein Vorwurf gemacht werden kann (Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 230 Rn. 16 m. w. N.). Eines dringenden Tatverdachts bedarf es ebensowenig wie Haftgründen nach den §§ 112 ff. StPO, erforderlich ist lediglich die Notwendigkeit des Zwangsmittels zur Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung. Ferner ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (L/R-Becker, aaO., § 230 Rn. 32 f.).

b.) Eine ausreichende Entschuldigung des Beschwerdeführers für sein Ausbleiben in den Hauptverhandlungsterminen am 14.09. und 02.11.2011 ist nicht ersichtlich.

aa.) Ausweislich der Zustellungsurkunde vom 27.08.2010 war der Beschwerdeführer unter der Adresse Pl.er Straße X in XXXXX Sch. ordnungsgemäß zum Hauptverhandlungstermin am 14.09.2010 geladen worden.

Als öffentliche Urkunde begründet diese gemäß §§ 182 Abs. 2 Satz 1, 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich demzufolge auch darauf, dass der Postzusteller die Sendung am 27.08.2010 in einen zur Wohnung des Angeklagten gehörenden Briefkasten eingeworfen hat (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2010 - 3 Ws 21/10 - zitiert nach juris; BVerfG, NJW 1992, 225; NJW-RR 2002, 1008). Auf Grund der Postzustellungsurkunde ist daher von einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten auszugehen.

Der Gegenbeweis ist zwar zulässig (§ 418 II ZPO). Hierzu ist indes der volle Beweis der Unrichtigkeit der Zustellungsurkunde erforderlich. Dieser kann nur dadurch geführt werden, dass ein Sachverhalt vorgetragen und bewiesen wird, der jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache ausschließt (OLG Frankfurt aaO.; OLG Hamm, Beschluss vom 06.10.2009 - 3 Ss 425/09 -, zitiert nach juris; BVerfG, aaO.; BGH, NJW 2006, 150, 151; Meyer-Goßner, § 37 Rn 27 m. w. N.), indem z.B. bewiesen wird, dass die Zustellungsanschrift in Wirklichkeit nicht (mehr) Wohnung des Angeklagten im hier maßgeblichen Sinne (vgl. dazu KK-Maul, StPO, 6. Auflage, § 37 Rz. 12) zur Zeit der Zustellung gewesen ist.

bb.) Ein solcher Beweis ist hier nicht geführt. Es fehlt vorliegend bereits am substantiierten Antritt eines Gegenbeweises. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist dieser noch nicht erbracht.

(1) Dem Beschwerdevorbringen war dazu, neben nicht näher begründeten Zweifeln an der ordnungsgemäßen Bewirkung der Zustellung, zunächst nur zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bereits seit dem 01.06.2010 nicht mehr unter der Sch.er Adresse Pl.er Str. X wohnhaft gewesen sei. Bereits am 01.06.2010 habe er sich "anderweitig ordnungsgemäß wohnhaft gemeldet". Tatsächlich erfolgte nach Mitteilung des Vermieters die Kündigung der Wohnung in der Pl.er Str. jedoch erst zum Ende August 2010. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hatte sich der Beschwerdeführer auch nicht schon am 01.06.2010, sondern erst am 30.08.2010 bei der zuständigen Ordnungsbehörde A. angemeldet.

Soweit mit Schriftsatz vom 29.04.2011 nunmehr eine Bescheinigung vorgelegt wird, wonach der Angeklagte nur bis zum 01.07.2010 unter der Anschrift Pl.er Str. X, Sch., mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen sei, hernach vom 01.07.2010 bis 30.08.2010 in der G. W.str. XX (nicht, wie noch mit Anwaltsschriftsatz vom 06.04.2011 mitgeteilt, G. W.str. X), Sch. (als "Zwischenadresse"), und danach in A., A. E. XX, ist damit ein Gegenbeweis ebenfalls nicht geführt. Denn eine meldepolizeiliche Adresse ist auch und gerade noch kein hinreichender Beleg, dass unter ihr auch Wohnung im maßgeblichen Sinne genommen worden ist (vgl. dazu KK-Maul aaO. § 37 Rz. 11, 12; Meyer-Goßner aaO. § 37 Rz. 8), was im Falle des Angeklagten und seinem angeblichen letzten Wohnsitz in A. auch mehr als deutlich zu Tage tritt.

(2) Im Hauptverhandlungstermin am 14.09.2010 hatte das Gericht darüber hinaus keine sicheren Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte an der Adresse, unter der die Zustellung bewirkt worden war, nicht mehr wohnhaft ist. Nach den Angaben des Mitangeklagten hatte der Beschwerdeführer jedenfalls Kenntnis vom Termin, lehnte es aber ab zu kommen, da er angeblich keine Ladung erhalten habe. Den o. g. Anforderungen an einen Gegenbeweis der beurkundeten Zustellung genügte dieses Vorbringen nicht.

c.) Eine Vorführung des Beschwerdeführers an der inzwischen als neuen Wohnanschrift bekannt gewordenen Adresse des Beschwerdeführers in A. konnte nicht realisiert werden. Einer nochmaligen Ladung vor der Vorführung bedarf es regelmäßig nicht (L/R-Becker, aaO., § 230 Rn. 28 m. w. N.). Vielmehr wurde bekannt, dass sich der Beschwerdeführer tatsächlich nicht an dieser Adresse, der Anschrift seiner Mutter, aufhält. Diese konnte keinerlei Angaben zum Verbleib ihres Sohnes machen und bestritt, mit diesem noch in Kontakt zu stehen.

Ob von einem Angeklagten in einem Strafverfahren erwartet werden kann, nach einem Umzug seine neue Adresse dem Gericht mitzuteilen, nachdem er bereits von der gegen ihn anberaumten Hauptverhandlung Kenntnis erlangt hat, mag dahinstehen. Vorwerfbar nach dem o. g. Maßstab ist jedenfalls die Mitteilung einer Adresse gegenüber der Ordnungsbehörde und der Jugendgerichtshilfe durch den Beschwerdeführer, an der er sich nicht aufhält und über die ihn offensichtlich auch keine Post bzw. sonstige Nachrichten erreichen.

d.) Soweit die Beschwerde das Unterlassen einer Einwohnermeldeamtsanfrage vor Erlass des Haftbefehls beanstandet, wird nicht ersichtlich, welche Erkenntnisse zum tatsächlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers dadurch hätten gewonnen werden können, die den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO entbehrlich machen. Mittels einer solchen Anfrage wäre nach dem Hauptverhandlungstermin am 02.11.2010 allenfalls die neue Anschrift in A. bekannt geworden. Polizeiliche Ermittlungen vor Ort am frühen Morgen des 02.11.2010 hatten aber gerade ergeben, dass sich der Beschwerdeführer unter dieser Anschrift nicht aufhält, ohne das eine neue Adresse ermittelt werden konnte bzw. eine solche bisher mitgeteilt wurde.

3.) Gründe für eine Aufhebung des - bisher noch nicht vollstreckten - Haftbefehls sind nicht ersichtlich. Er ist weiterhin zur Sicherstellung der Durchführung der Hauptverhandlung erforderlich. Es kann nicht erwartet werden, dass der Angeklagte M. zu einem neu anzuberaumenden Hauptverhandlungstermin ohne weiteres erscheinen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.12.2000 - BvR 1706/00 -, zitiert nach juris). Eine glaubhafte Erklärung in dieser Hinsicht haben weder der Angeklagte noch sein Verteidiger bisher abgegeben. Im Gegenteil lassen das bisherige Verhalten des Angeklagten und das stellenweise zumindest unvollständige und widersprüchliche Beschwerdevorbringen den Schluss zu, dass dieser gerade mittels seiner Unerreichbarkeit eine weitere Verzögerung des Hauptverfahrens anstrebt.

Angesichts der Schwere der Tatvorwürfe und der Bedeutung der Sache ist die Aufrechterhaltung des Haftbefehls auch nicht unverhältnismäßig.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Von den Vorschriften der §§ 109 Abs. 2 Satz 1, 74 JGG hat der Senat keinen Gebrauch gemacht.

IV. Dieser Beschluss des Senats ist nicht weiter anfechtbar, § 310 Abs. 2 StPO.


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