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Entscheidungen

Sonstiges

Auslieferungsverfahren, Beistand, Beiordnungsgründe

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 14.03.2011 - (4) Ausl. A. 4/11 (30/11)

Fundstellen:

Leitsatz: 1. Allein der Umstand, dass die Generalstaatsanwaltschaft eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung beantragt hat, führt nicht zur Annahme einer notwendigen Beistandschaft (Abgrenzung zu BGHSt 32, 221).

2. Zu den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 IRG.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
(4) Ausl.A. 4/11 (30/11)
In der Auslieferungssache betreffend
den tunesischen Staatsangehörigen pp.
zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Moabit
Gef.B.Nr. ,

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
- zu 3. durch seinen stellvertretenden Vorsitzenden -
am 14. März 2011 beschlossen:

1. Die Auslieferung des Verfolgten an das Königreich Belgien zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl des Gerichts Erster In-stanz in Mons/Belgien vom 15. Dezember 2010 – be-zeichneten strafbaren Handlung wird mit der Maßgabe für zulässig erklärt, dass die Generalstaatsanwalt-schaft Berlin die Auslieferung unter der Vorausset-zung bewilligt, dass der Verfolgte nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen freiheitsentziehenden Sanktion auf seinen Wunsch von dem Königreich Belgien zur Strafvollstreckung in die Bundesrepublik Deutschland zurück überstellt wird.

2. Die Auslieferungshaft dauert fort.

3. Der (erneute) Antrag auf Bestellung von Rechtsan-walt Z., Berlin, als Beistand wird abgelehnt.



G r ü n d e :

I.

Die belgischen Behörden haben durch Übermittlung eines Europä-ischen Haftbefehls um die Festnahme und Auslieferung des Ver-folgten zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Der Verfolgte ist am 31. Januar 2011 vorläufig festgenommen worden und hat sich bei seiner am selben Tag durchgeführten richterlichen An-hörung nach §§ 22, 28 IRG nicht mit der vereinfachten Auslie-ferung einverstanden erklärt (§ 41 IRG). Mit Beschluss vom 7. Februar 2011 hat der Senat die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin erklärt der Senat die Auslie-ferung des Verfolgten – mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Maßgabe – für zulässig (§ 29 Abs. 1 IRG).

1. Der übermittelte Europäische Haftbefehl des Gerichts Erster Instanz in Mons/Belgien vom 15. Dezember 2010 –- entspricht den Anforderungen des § 83 a Abs. 1 IRG. Er weist aus, dass gegen den Verfolgten der unter dem genannten Aktenzeichen aus-gestellte Haftbefehl desselben Gerichts vom 14. Dezember 2010 besteht. Danach wird dem Verfolgten zur Last gelegt, am 25. November 2006 gemeinschaftlich mit einem unbekannten Mittäter vermummt und mit einem Revolver und einem Messer bewaffnet in das in der Rue de Beuafait 17 in 7191 Ecaussines/Belgien gele-gene Haus der Geschädigten xy eingedrungen zu sein, die Ge-schädigten gefesselt und unter Gewaltanwendung gezwungen zu haben, die Aufbewahrungsorte ihrer Wertgegenstände zu benennen, und 7500 Euro Bargeld, Schmuck im Wert von 7500 Euro und Gemälde entwendet zu haben.

2. Die Auslieferung des Verfolgten ist zulässig (§ 29 Abs. 1 IRG). Bei der ihm zur Last gelegten Tat handelt es sich um eine auslieferungsfähige strafbare Handlung (§§ 3, 81 IRG). Die beiderseitige Strafbarkeit nach § 3 IRG ist gemäß § 81 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen. Denn es handelt sich um eine Katalogtat im Sinne des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb. Sie ist nach dem Recht des ersuchenden Staates (Art. 66, 461, 468, 471, 472 des belgischen Strafgesetzbuches) mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht (§ 81 Nr. 1 IRG).

3. Auslieferungshindernisse sind nicht ersichtlich. Das pau-schale Bestreiten des Tatvorwurfes durch den Verfolgten gibt keinen Anlass zu einer Tatverdachtsprüfung nach § 10 Abs. 2 IRG.

4. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Be-willigungshindernisse geltend zu machen, die Auslieferung je-doch nur unter der Voraussetzung zu bewilligen, dass der Ver-folgte nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder einer sonstigen freiheitsentziehenden Sanktion auf seinen Wunsch in die Bundesrepublik Deutschland zurück überstellt wird, ist ermessensfehlerfrei begründet und nicht zu beanstan-den (§§ 83 b Abs. 2 Nr. 1, 80 Abs. 1 Nr. 1 IRG).

5. Die weitere Anordnung der Auslieferungshaft ist aus den Gründen erforderlich, die der Senat in seinem Beschluss vom 7. Februar 2011 näher dargelegt hat. Entscheidungserhebliche Änderungen haben sich seitdem nicht ergeben. Der Zweck der Auslieferungshaft kann durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 25 IRG weiterhin nicht erreicht werden.


II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss der Vorsitzenden des Senats vom 16. Februar 2011, mit dem die Bestellung von Rechtsanwalt Z. als Beistand abgelehnt worden ist, ist im Hinblick auf
§ 13 Abs. 1 Satz 2 IRG unzulässig. Sie ist nach dem verfolgten Ziel entsprechend § 33 IRG in einen Antrag auf erneute Ent-scheidung umzudeuten.

Die Bestellung eines Beistandes kommt vorliegend unverändert nicht in Betracht.

1. Die Sach- oder Rechtslage ist mangels entsprechender An-haltspunkte nicht schwierig (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG). Der Um-stand, dass nunmehr über die Zulässigkeit der Auslieferung nach § 29 IRG zu entscheiden ist, führt entgegen der Auffassung des Verfolgten zu keiner anderen Beurteilung. Die in anderem Zusammenhang ergangene Entscheidung BGHSt 32, 221 ff., die die Frage der Erstattungsfähigkeit notwendiger Auslagen in Fällen unberechtigter Verfolgung betrifft, enthält den ihr vom Beistand des Verfolgten beigemessenen Rechtssatz, wonach allein die Antragstellung nach § 29 IRG zur notwendigen Beistandschaft führe, nicht (gegen eine solche Ansicht zutreffend Vogler, IRG 2. Aufl. 24. Lfg., § 40 Rdn. 24). Im Übrigen ist zwar bei Zweifeln an der Zulässigkeit der Auslieferung die Bestellung eines Beistandes geboten (vgl. OLG Karlsruhe StV 2005, 676 bei formeller Unklarheit über die Einordnung einer ausländischen Strafbestimmung). In einem auslieferungsrechtlich tatsächlich und rechtlich einfach gelagerten Fall wie dem vorliegenden aber ist - ungeachtet des regelmäßig gestellten Antrages nach § 29 IRG - die Bestellung eines Beistandes nicht erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf StV 1983, 453; OLG Karlsruhe GA 1987, 514; OLG Köln NStZ-RR 2010, 377; Vogler aaO., Rdn. 17ff.), zumal wenn dem Ersuchen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt. Weder der Wortlaut des § 40 IRG noch die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucksachen 9/1338, 60 und 9/2137, 23ff.) sprechen für das Erfordernis einer regelmäßigen Beistandsbestellung im Falle einer nach § 29 IRG anstehenden Entscheidung. Der Gesetzgeber hat eine solche vielmehr von den weiteren in § 40 Abs. 2 IRG abschließend genannten Umständen (vgl. Vogler aaO., Rdn. 26) abhängig gemacht. Auch enthält § 29 IRG keine Verweisung auf § 40 IRG. Vielmehr verweist das Gesetz lediglich im Falle der Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf das Erfordernis der Hinzuziehung eines Beistandes (§ 31 Abs. 2 IRG). Eine solche ist jedoch regelmäßig nur bei Zweifeln an der Zulässigkeit der Auslieferung und damit bei Vorliegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten angezeigt (vgl. BT-Drucksache 9/1338, S. 60; Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG 4. Aufl., § 30 Rdn. 30). Auch bringt das Gesetz in § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG beispielhaft zum Ausdruck, dass bei Zweifeln, ob die Voraussetzungen der §§ 80, 81 Nr. 4 IRG vorliegen, eine schwierige Sach- oder Rechtslage vorliegt, die die Bestellung eines Beistandes erfordert. Vorliegend sind den vorgenannten Fällen vergleichbare Zweifel an der Zulässigkeit der Auslieferung und damit eine schwierige Sach- oder Rechtslage begründende Um-stände weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

2. Es ist auch unverändert nicht erkennbar, dass der Verfolgte seine Rechte nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann (§ 40 Abs. 2 Nr. 2 IRG). Etwaige Verständigungsschwierigkeiten, wel-che bei dem Verfolgten angesichts seiner in deutscher Sprache zu den Akten gereichten Eingabe vom 25. Februar 2011, nach der er sich bereits seit 1969 in Deutschland aufzuhalten scheint, jedenfalls nicht ausgeprägt sein können, könnten – falls über-haupt vorhanden - durch die Beiziehung eines Dolmetschers be-hoben werden. Auch die im Hinblick auf § 77 Abs. 1 IRG in Ver-bindung mit § 147 Abs. 1 StPO fehlende Möglichkeit, Aktenein-sicht selbst nehmen zu können, führt zu keiner anderen Beur-teilung. Denn vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Ver-folgte die vollständige Aktenkenntnis zur hinreichenden und sachgerechten Wahrnehmung seiner Rechte benötigt. Soweit der Beistand „sämtliche Verfahrensakten“ im Auge hat, übersieht er ersichtlich, dass die Akten hier im Wesentlichen aus den Aus-lieferungsunterlagen bestehen.


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