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Entscheidungen

Haftfragen

Pflichtverteidiger, inhaftierter Beschuldigter, Wahlanwalt,. Auswechselung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.03.2011 - III-4 Ws 127/11

Fundstellen:

Leitsatz: 1. Verzichtet der Beschuldigte, dem nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ein Pflichtverteidi-ger wegen Vollstreckung der Untersuchungshaft beizuordnen ist, im Rahmen seiner Anhörung durch den Ermittlungsrichter auf sein Recht zur Benennung eines Verteidi-gers seiner Wahl, so ist ihm gleichwohl eine angemessene Überlegungs- und Erklä-rungsfrist zu gewähren, wenn zweifelhaft erscheint, dass er sich der Tragweite und Bindungswirkung seiner Erklärung bewusst ist.
2. Die Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO entfällt mit der Entlassung des Be-schuldigten aus der Untersuchungshaft.
3. Hat sich nach Haftentlassung ein Wahlverteidiger bestellt, so ist bei erneutem Vollzug von Untersuchungshaft nunmehr dieser auf einen entsprechenden Antrag des Beschuldigten; eine rechtsmissbräuchliche Verdrängung des bisherigen Pflicht-verteidigers liegt dann nicht vor.


In pp.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird unter Entpflichtung des ihm durch Beschluss
des Amtsgerichts Duisburg vom 24. September 2010 beigeordneten Rechtsanwalts B. Rechtsanwalt Dr. K. in Düsseldorf als Pflichtverteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Das Amtsgericht Duisburg erließ am 23. September 2010 gegen den Angeklagten Haftbefehl wegen schwerer Brandstiftung (11 Gs 2621/10). Nach vorläufiger Festnahme am frühen Morgen des 24. September 2010 wurde der Angeklagte zunächst polizeilich vernommen und sodann noch am selben Vormittag der Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht Duisburg zum Zwecke der Bekanntgabe des Haftbefehls vorgeführt. Diese ordnete im Anschluss an die Verkündung den Vollzug des Haftbefehls an und belehrte den Angeklagten darüber, dass ihm mit Blick auf den Vollzug der Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger beizuordnen sei, hinsichtlich dessen ihm ein Auswahlrecht zustehe. Ausweislich des Verkündungsprotokolls gab der Angeklagte insoweit folgende Erklärung ab:
"Da ich hier keinen Verteidiger kenne, bitte ich darum, dass mir das Gericht einen Pflichtverteidiger bestellt."
Dem Angeklagten wurde daraufhin Rechtsanwalt B. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 5. November 2010 wurde der Haftbefehl vom 23. September 2010 auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben, weil nach dem Ergebnis der Ermittlungen zu diesem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht nicht mehr begründet war; der Angeklagte wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.
Mit Schriftsatz vom 10. November 2010 bestellte sich Rechtsanwalt Dr. K. als Wahlverteidiger für den Angeklagten.
Am 16. November 2010 erließ das Amtsgericht Duisburg aufgrund weiterer Ermittlungsergebnisse erneut Haftbefehl wegen schwerer Brandstiftung gegen den Angeklagten. Im Rahmen der am selben Tage stattfindenden Verkündung des Haftbefehls, zu der sowohl der beigeordnete Rechtsanwalt B. als auch der Wahlverteidiger Dr. K. erschien, erklärte der Angeklagte, er habe kein Vertrauen zu seinem Pflichtverteidiger und bitte darum, ihm an dessen Stelle Rechtsanwalt Dr. K. zu beizuordnen. Diesen Antrag lehnte der Ermittlungsrichter ab. Zudem ordnete er den Vollzug des Haftbefehls an.
Nachdem die Staatsanwaltschaft unter dem 22. November 2010 Anklage zum Landgericht Duisburg erhoben hatte, beantragte Rechtsanwalt Dr. K. dort mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2010 erneut seine Beiordnung anstelle des bisherigen Pflichtverteidigers und verwies auf eine handschriftliche Erklärung des Angeklagten zur Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 10. Januar 2011 hat der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer die begehrte Auswechslung des Pflichtverteidigers abgelehnt. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt, der Angeklagte habe vor der Beiordnung des Rechtsanwalts B. Gelegenheit zur Benennung eines Verteidigers erhalten, hiervon jedoch ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht, eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses sei nicht dargetan und die Zurücknahme der Bestellung hier auch nicht nach § 143 StPO geboten, weil die Beauftragung des Rechtsanwalts Dr. K. als Wahlverteidiger offensichtlich nur zu dem Zweck erfolgt sei, dessen Beiordnung anstelle des bisherigen Pflichtverteidigers zu erzwingen.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der durch Schriftsatz seines Wahlverteidigers vom 1. Februar 2011 eingelegten Beschwerde, der der Vorsitzende der Strafkammer durch Beschluss vom 4. Februar 2011 nicht abgeholfen hat.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg.
Zweifelhaft erscheint bereits, ob das Amtsgericht Duisburg dem Recht des Angeklagten auf Beteiligung an der Auswahl des Pflichtverteidigers in ausreichendem Maße Rechnung getragen hat. Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO soll dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Verteidigers zunächst Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. Diese Anhörungspflicht besteht auch dann, wenn sich die Notwendigkeit der Verteidigung nach Anordnung von Untersuchungshaft aus § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ergibt. Denn dass der Verteidiger in diesem Fall gem. § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO "unverzüglich" nach Beginn der Vollstreckung zu bestellen ist, ändert nichts daran, dass dem Beschuldigten auch hier zur Ausübung seines Anhörungs- und Mitwirkungsrechts zunächst Gelegenheit gegeben werden muss, einen Verteidiger zu benennen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. April 2010, III - Ws 163/10; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 141 Rn. 3a; Wohlers in: SK-StPO, 4. Aufl., § 141 Rn. 9). Zwar darf das Gericht in der Regel darauf verzichten, dem Beschuldigten eine angemessene Überlegungsfrist zu setzen, wenn dieser - wie hier nach dem Inhalt des Verkündungsprotokolls vom 24. September 2010 geschehen - erklärt, eine eigene Wahl nicht treffen zu können oder zu wollen und die Auswahl des Verteidigers dem Gericht zu überlassen (vgl. Meyer- Goßner, a.a.O. § 142 Rn. 10). Voraussetzung ist jedoch, dass der Beschuldigte damit bewusst einen ausdrücklichen Verzicht auf die Ausübung seines Wahlrechts zum Ausdruck bringt (vgl. BGH NStZ 2008, 231). Mit Rücksicht auf die besondere Situation, in der sich ein oftmals überraschend und gerade eben erst in Untersuchungshaft genommener Beschuldigter befindet, hat daher der Ermittlungsrichter jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob der Beschuldigte sich bei Abgabe seiner Erklärung über deren Bedeutung, Bindungswirkung und Tragweite tatsächlich bewusst ist. Bestehen hieran Zweifel, darf im Interesse eines fairen Verfahrens von der Einräumung einer angemessenen Überlegungs- und Erklärungsfrist nicht abgesehen werden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Februar 2011, 2 Ws 50/11 ).
Ob im vorliegenden Fall die Ermittlungsrichterin die protokollierte und von dem Angeklagten auch durch seine Unterschrift bestätigte Erklärung, er kenne hier keinen Verteidiger und bitte das Gericht um die Bestellung eines solchen, als eindeutigen und endgültigen Verzicht auf sein Mitwirkungsrecht verstehen durfte, kann indes dahin gestellt bleiben, weil jedenfalls aus anderen Gründen die begehrte Beiordnung des Rechtsanwalt Dr. K. anstelle des bisherigen Pflichtverteidigers geboten ist.
Es ist nämlich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Rechtsanwalt Dr. K. sich mit Schriftsatz vom 10. November 2010 - eingegangen bei der Staatsanwaltschaft Duisburg am selben Tage - als Verteidiger des Angeklagten bestellt hat, also dessen am 5. November 2010 erfolgter Entlassung aus der Untersuchungshaft und der erneuten Inhaftierung am 16. November 2010.
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO wirkt lediglich für die Dauer des Vollzuges von Untersuchungshaft. Nach Beendigung der Inhaftierung bleibt die Bestellung nach § 140 Abs. 3 Satz 2 StPO nur unter den in § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bezeichneten Voraussetzungen wirksam, also dann, wenn der Beschuldigte sich seit mindestens drei Monaten in Haft befunden und er nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung seine Freiheit zurückerlangt hat. Diese ergänzenden Voraussetzungen lagen hier nicht vor, da der Angeklagte lediglich vom 23. September bis 5. November 2010 inhaftiert und im Zeitpunkt seiner Entlassung noch nicht einmal Anklage gegen ihn erhoben war. Dies bedeutet, dass mit der Beendigung der Untersuchungshaft - nach dem Wortlaut des § 140 Abs. 3 Satz 2 StPO auch ohne entsprechenden Aufhebungsbeschluss des Gerichts - die Beiordnung des Rechtsanwalts B. keinen Bestand mehr hatte. Selbst wenn man indes die Auffassung vertreten wollte, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO nicht ohne weiteres mit der Haftentlassung des Beschuldigten endet, sondern diese lediglich - wie in § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO für die Fälle des Abs. 1 Nr. 5 bestimmt - Anlass zur Aufhebung geben kann, hätte hier aber jedenfalls die Beauftragung des Rechtsanwalts Dr. K. als Wahlverteidiger nach § 143 StPO zwingend zur Zurücknahme der Bestellung des Rechtsanwalts B. führen müssen.
Entgegen der Auffassung des Strafkammervorsitzenden vermag der Senat nämlich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Wahlverteidigers, das eine Ausnahme von der in § 143 StPO getroffenen Regelung begründen würde, nicht zu erkennen. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beauftragung des Wahlverteidigers nur erfolgt ist, um die Entbindung des bisherigen Pflichtverteidigers zu erzwingen und zu erreichen, dass der Wahlverteidiger an dessen Stelle beigeordnet wird.
So war nämlich während des Zeitraumes, in dem sich der Angeklagte auf freiem Fuß befand und innerhalb dessen sich Rechtsanwalt Dr. K. für ihn als Verteidiger bestellt hat, gerade kein Fall notwendiger Verteidigung im Sinne des § 140 StPO gegeben. Die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO lagen wie ausgeführt nach Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft nicht mehr vor. Dass der Angeklagte alsbald wieder inhaftiert werden würde, war nicht voherzusehen, ein Antrag der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten aus anderen Gründen bereits im Vorverfahren einen Verteidiger beizuordnen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO), war nicht gestellt und die Mitwirkung eines Verteidigers auch noch nicht nach § 140 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StPO geboten, weil noch keine Anklage erhoben war (§ 141 Abs. 1 StPO). Folgerichtig hatte Rechtsanwalt Dr. K. die Verteidigungsanzeige vom 10. November 2010 auch nicht mit einem Beiordnungsantrag verbunden, sondern seine Bestellung erst beantragt, nachdem sich mit der erneuten Inhaftierung des Angeklagten ein neuer Beiordnungsgrund ergeben hatte. Diesem Antrag hätte aus den oben dargelegten Gründen entsprochen werden müssen.
Nach alledem war der angefochtene Beschluss des Strafkammervorsitzenden vom 10. Januar 2011 aufzuheben. Zugleich hat der Senat gem. § 309 Abs. 2 StPO unter - zumindest deklaratorischer - Entpflichtung des Rechtsanwalts B. dem Antrag des Angeklagten auf Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. K. als Pflichtverteidiger entsprochen. Wichtige Gründe, die dessen Bestellung entgegenstehen könnten (§ 142 Abs. 1 Satz 2 StPO), vermag der Senat nicht zu erkennen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus analoger Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


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