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Leitsatz: 1. Der Beschluss des Berufungsgerichts, durch den die Berufung des Angeklagten wegen Nichtvorliegens der Annahmevoraussetzungen des § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO als unzulässig verworfen wurde, ist gegenstandlos, wenn der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt Berufung eingelegt hatte.
2. Sogenannte Rechtstatsachen wie der Notwehrbegriff beinhalten lediglich eine zusam-menfassende Bewertung zugrunde liegender Tatsachen mit einem Rechtsbegriff. Die Beweiswürdigung muss sich indes mit konkreten Tatsachen auseinandersetzen.
In der Strafsache gegen pp. wegen vorsätzlicher Körperverletzung hier: Sprungrevision und Nichtannahmeentscheidung des Berufungsgerichts
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz am 18. April 2010 gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Jugend-richter - Mayen vom 17. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere als Jugendrichter zuständige Abteilung des Amts-gerichts Mayen zurückverwiesen.
2. Der Beschluss der 7. kleinen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Koblenz vom 24. Januar 2011 wird aufgehoben.
Gründe: I. Durch Urteil vom 17. November 2010 hat die Jugendrichterin des Amtsgerichts Mayen den zur Tatzeit 19 Jahre alten Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 12 verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch Verteidigerschriftsatz am 24. November 2010 Rechtsmittel eingelegt. Nachdem das Urteil dem Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, am 15. Dezember 2010 zugestellt worden war, hat er das Rechtsmittel mit am 11. Januar 2011 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz als Revision bezeichnet und mit der Sachrüge begründet.
Die Staatsanwaltschaft, die die Auffassung vertrat, Sprungrevision könne in Fällen der An-nahmeberufung nur durchgeführt werden, wenn zunächst die Berufung angenommen worden sei, hat die Akten der für die Berufung zuständigen Jugendkammer vorgelegt. Durch Beschluss vom 24. Januar 2011 hat die kleine Jugendkammer des Landgerichts Koblenz die Berufung des Angeklagten gemäß §§ 313 Abs. 1 und 2, 322a Satz 1 StPO als unzulässig verworfen.
Mit Telefax seines Verteidigers vom 1. Februar 2011 hat der Angeklagte beantragt, die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Revision vorzulegen. Vorsorglich wendet er sich mit einem Aufhebungsantrag auch gegen den Beschluss der Jugendkammer vom 24. Januar 2011.
Nachdem die Jugendrichterin des Amtsgerichts Mayen die zuvor unterbliebene Zustellung des Urteils sowie der Revisionsanträge und ihrer Begründung an den Nebenklagevertreter nachgeholt hatte, hat die Staatsanwaltschaft die Akten dem Senat übersandt. Die General-staatsanwaltschaft beantragt, den Beschluss der Jugendkammer vom 24. Januar 2011 auf die als sofortige Beschwerde zu wertende Eingabe des Angeklagten aufzuheben und die Sprungrevision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
Das als Sprungrevision zulässige Rechtsmittel des Angeklagten gegen das Urteil des Ju-gendrichters des Amtsgerichts Mayen vom 17. November 2010 hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
Der Beschluss der Jugendkammer, durch den die Berufung des Angeklagten wegen Nicht-vorliegens der Annahmevoraussetzungen des § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO als unzulässig ver-worfen wurde, ist gegenstandlos (BayObLG StV 1994, 238). Denn der Angeklagte hat zu keinem Zeitpunkt Berufung eingelegt. Die innerhalb der Wochenfrist (§§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) formgerecht angebrachte unbestimmte Anfechtung ist rechtzeitig innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) als Sprungrevision bezeichnet und begründet worden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. § 335 Rn. 3 m.w.N). Erst danach hat die Berufungskammer die Nichtannahmeentscheidung getroffen. Ob der Nichtannahmebeschluss auch dann ohne weiteres gegenstandlos wäre, wenn das Berufungsgericht unzulässigerweise vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist über die Nichtannahme entschieden und der Angeklagte erst anschließend endgültig die Sprungrevision gewählt hätte (so KG NStZ-RR 1999, 146 und OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 53; a.A. BayObLG StV 1994, 364 und Senat, Beschluss 1 Ss 269/99 vom 04.11.1999 für Fälle, in denen der Angeklagte sein Rechtsmittel zunächst als Berufung und erst nach der Nichtannahmeentscheidung, jedoch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Sprungrevision bezeichnet hatte), bedarf hier keiner Entscheidung. Zur Klarstellung hebt der Senat den Beschluss des Berufungsgerichts auf (BayObLG und KG a.a.O.), auf dessen Grundlage das angefochtene Urteil fälschlicherweise einen Rechtskraftvermerk erhalten hat.
Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft bedarf es bei dieser Sachlage keiner Auslegung des von der Verteidigung vorsorglich gestellten Aufhebungsantrags als sofortige Beschwerde, da das Revisionsgericht ohnehin über die form- und fristgerecht eingelegte Revision zu entscheiden hat. Ein Bedürfnis für ein gesondertes Beschwerdeverfahren gegen die Nichtannahmeentscheidung des Berufungsgerichts besteht regelmäßig nur dann, wenn das Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil nicht als Sprungrevision bezeichnet worden ist. In diesen Fällen wird die sofortige Beschwerde entgegen § 322a Satz 2 StPO und in analoger Anwendung des § 322 Abs. 2 StPO für statthaft erachtet, wenn die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO, unter denen über die Annahme der (endgültig gewählten) Berufung zu entscheiden ist, tatsächlich gar nicht vorgelegen haben (OLG Koblenz NStZ 1994, 601; OLG Zweibrücken NStZ 1994, 601; NStZ-RR 2002, 245; OLG Stuttgart Justiz 1999, 494; OLG Hamburg JR 1999, 479; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 346; Meyer-Goßner a.a.O. § 322a Rn. 8 m.w.N.;).
2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefoch-tenen Urteils in vollem Umfang und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere als Ju-gendrichter zuständige Abteilung desselben Amtsgerichts.
a) Der Schuldspruch ist nicht frei von Rechtsfehlern.
aa) Nach den Urteilsfeststellungen ging der Angeklagte am frühen Morgen des 11. Oktober 2009 nach einem Gaststättenbesuch in Mayen zusammen mit seiner Freundin und zwei Freunden in Richtung seines Fahrzeugs. Vor ihnen ging eine weitere Personengruppe, zu der der Nebenkläger gehörte. Zum eigentlichen Tatgeschehen führt das Urteil sodann folgendes aus:
Zwischen dieser Personengruppe kam es dann zu einer Streiterei, in die der Angeklagte glaubte sich einmischen zu müssen. Dem Zeugen U. schlug er mit der rechten Hand auf die linke Backe, ohne dass es hierzu eine Veranlassung gegeben hätte. Der Zeuge U. hatte nach dem Gerangel eine blutende Wunde im Gesicht bzw. am Kopf, die ärztlich versorgt werden musste.
Die Beweiswürdigung lautet wie folgt:
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, sowie den Aussagen der ausweislich des Sitzungsprotokolls vernommenen Zeugen und den im Übrigen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten und verlesenen Urkunden.
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, dass er eine Schlägerei, die sich vor ihm und seinen Freunden ereignet habe, habe schlichten wollen. Er sei eingeschritten, um die Streitenden auseinander zu nehmen. Anscheinend habe der Zeuge U. geglaubt, dass er ihn attackieren wolle und sei mit drohender Gebärde auf ihn zugekommen. Dies sei für ihn Anlass gewesen, ihm ins Gesicht zu schlagen, um ihn wieder runterzuholen.
Das Ergebnis der Beweisaufnahme hat jedoch erbracht, dass für den Angeklagten keinerlei Notwehrlage vorgelegen hat. Aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Zeugen, selbst der Freundin des Angeklagten, sah das Gericht deshalb den vom Angeklagten ge-tätigten Schlag als nicht gerechtfertigt an.
bb) Die Feststellungen sind bereits lückenhaft. Sie lassen den Schuldumfang nicht erkennen. Es bleibt völlig offen, ob die blutende Verletzung des Nebenklägers auf den Schlag des An-geklagten zurückzuführen ist. Die Beschreibung, wo sich diese Verletzung befunden hat, bleibt völlig unbestimmt. Deshalb kann auch aus ihrer Lokalisierung nicht darauf geschlossen werden, der Tatrichter habe zum Ausdruck bringen wollen, sie sei durch den Schlag auf die Wange entstanden. Es bleibt auch unklar, welches Gerangel gemeint ist, in dessen An-schluss der Nebenkläger die Verletzung aufwies.
cc) Auch die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ausführungen zur fehlenden Notwehrsituation sind völlig allgemein gehalten und werden den Mindestanfor-derungen nicht gerecht, die an die Urteilsgründe zu stellen sind. Ähnlich einem vom Bundes-gerichtshof entschiedenen Fall (NStZ 1993, 501 = StV 1994, 7 = BGHR StPO § 267 Abs 2 Umstände 1) könnten auch die hier vorliegenden Ausführungen als Textbaustein in jedem Fall verwendet werden, in dem die Notwehreinlassung des Angeklagten durch Zeugenaus-sagen widerlegt wird. Die sachlichrechtliche Begründungspflicht erfordert aber Darlegungen, die die Nachprüfung der getroffenen Entscheidung auf ihre Richtigkeit ermöglichen (BGH a.a.O. m.w.N.). Das bedeutet, dass die vom Angeklagten behauptete Situation, in der er sich zu einem Einschreiten in die von ihm behauptete Schlägerei (in den Feststellungen ist dem-gegenüber der Begriff Streiterei gebraucht, der völlig offen lässt, ob es innerhalb der anderen Personengruppe zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam) und schließlich zu einem Schlag auf die Wange des Nebenklägers entschlossen hat, konkret wiederzugeben ist. Die ihr entgegenstehenden Zeugenaussagen dürfen nicht nur als zusammenfassende rechtliche Wertung keinerlei Notwehrlage abgehandelt werden. Entscheidend ist vielmehr der genaue Geschehensablauf, den die Zeugen geschildert haben. So genannte Rechtstatsachen wie der Notwehrbegriff beinhalten lediglich eine zusammenfassende Bewertung zugrunde lie-gender Tatsachen mit einem Rechtsbegriff. Die Beweiswürdigung muss sich indes mit kon-kreten Tatsachen auseinandersetzen (BGH a.a.O m.w.N.). Deshalb sind auch die sich aus den Zeugenaussagen ergebenden Tatsachen nachprüfbar niederzulegen und zu würdigen.
b) Auch die Strafzumessung ist rechtsfehlerhaft. Die Jugendrichterin hat ohne jegliche Be-gründung auf den zur Tatzeit 19 Jahre alten Angeklagten allgemeines Strafrecht angewendet. Mit den Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 JGG, die zur Anwendung von Jugendstrafrecht führen, findet keinerlei Auseinandersetzung statt.
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