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Entscheidungen

Sonstiges

Auslieferung, USA, Auslieferungshindernisse

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 14.02.2011 - OLG Ausl 179/10

Fundstellen:

Leitsatz: 1. Im Auslieferungsverkehr mit den Vereinigten Staaten von Amerika zum Zwecke der Strafverfolgung ist es unschädlich, wenn der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende US-amerikanische Haftbefehl entgegen Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV nicht von einem Richter, sondern von einem Urkundsbeamten unterzeichnet ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht gehindert, ihr innerstaatliches Auslieferungsrecht (§ 10 IRG) dann anzuwenden, wenn und soweit es zu Gunsten des ausländischen Verfahrens über den Vertrag hinausgeht.

2. Es steht der Auslieferung nicht entgegen, dass dem Auslie-ferungsersuchen keine Beweismittel gemäß Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV beigefügt sind.

3. Die in den Vereinigten Staaten von Amerika drohende Verhän-gung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung verstößt nicht gegen unab-dingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ord-nung, wenn für den Verfolgten die Möglichkeit eines Gnadenge-suches besteht. Das Oberlandgericht ist im Rahmen der Ent-scheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nicht ver-pflichtet, die nähere Ausgestaltung des zur Anwendung kommenden Gnadenrechts aufzuklären.

4. Die Haftbedingungen in den Vereinigten Staaten von Amerika bieten keine begründeten Anhaltspunkte für die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Verfolgten.

5. Die Auslieferung eines Verfolgten wegen des Vorwurfs der Begehung erheblicher Straftaten mit schwersten Rechtsgutver-letzungen verstößt weder gegen Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK.


Oberlandesgericht Dresden, 2. Strafsenat,
Beschluss vom 14. Januar 2011 Aktenzeichen: OLG Ausl 179/10

Beschluss
vom 14. Januar 2011
In der Auslieferungssache gegen den amerikanischen Staatsan-gehörigen
wegen Mordes

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Vereinig-ten Staaten von Amerika zur Verfolgung der im Haftbe-fehl des Bundesbezirksgerichts der Vereinigten Staaten von Amerika - Mittlerer Bezirk von Florida/Abteilung Tampa - (Fall-Nr. 8:08/cr-2040-T-17TBM) vom 11. Februar 2009 und der zugrundeliegenden Anklage der Grand Jury (eingereicht am 10. Februar 2009) bezeichne-ten Taten wird für zulässig erklärt.

2. Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird ange-ordnet.


G r ü n d e :


I.

Der Senat hatte gegen den am 13. Oktober 2010 vorläufig festgenommenen Verfolgten am 21. Oktober 2010 die vorläufige Auslieferungshaft und am 08. November 2010 die Ausliefe-rungshaft angeordnet.

Das US-Justizministerium hatte mit Ersuchen vom 20. August 2010 über die US-amerikanische Botschaft mit Ver-balnote vom 30. August 2010 die Auslieferung des Verfolgten begehrt.

Das Auslieferungsersuchen stützt sich auf den in der Be-schlussformel genannten Haftbefehl sowie die darin bezeich-nete Anklage.

Dem Verfolgten wird vorgeworfen, am 13. September 1998 in Tampa/Florida als Mitglied der Organisation "Blood and Honour" gemeinsam mit drei Mittätern die Obdach-losen und durch Schläge mit einem Wagenheber, einer Axt und einer Brechstange getötet zu haben. Die Organisation "Blood and Honour" vertritt die Ideologie einer Überlegen-heit der weißen Rasse und bereitete sich zum damaligen Zeit-punkt auf einen Rassenkrieg vor. Obdachlose wurden dabei als minderwertige Menschenklasse angesehen. Um ihren Status in-nerhalb der Organisation zu bewahren und anzuheben, nahmen der Verfolgte und seine Mittäter an einem so genannten "bum rolling" teil. Das "bum rolling" ("Aufmischen von Pen-nern") beschreibt das gezielte Auswählen obdachloser Perso-nen, um gegen diese Gewalttaten zu begehen.

Die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden werten diese Handlungen als Verstöße gegen Titel 18 United States Code (USC), § 1959 (a) (1) (Gewaltverbrechen zur Unterstützung von organisierter Kriminalität) und Titel 18 USC, § 2 (Bei-hilfe) sowie als Verstoß gegen § 782.04 (2) (Mord) i.V.m. § 777.011 (Haupttäter ersten Grades) der Gesetze Floridas.

Bei seiner Anhörung am 13. Oktober 2010 vor dem Ermittlungs-richter des Amtsgerichts Pirna hat sich der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden er-klärt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Der Verfolgte hatte über seinen Beistand Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Schriftsatz vom 03. Januar 2011 hat der Verfolgte über seinen Beistand umfangreich Stellung genommen und beantragt, die Auslieferung für nicht zulässig zu erklären sowie den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben oder hilfsweise unter ge-eigneten Auflagen außer Vollzug zu setzen.

Der Verfolgte meint, die notwendigen Formalitäten des Aus-lieferungsersuchens seien nicht eingehalten. Die Ausliefe-rung erweise sich auch als unzulässig, weil sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Der Verfolgte habe keine Chance auf praktische Wiedererlan-gung seiner Freiheit. Die hierzu von den US-amerikanischen Behörden abgegebene Erklärung sei nicht ausreichend. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der deutschen Rechtsordnung re-sultiere auch aus den bei einer Auslieferung zu erwartenden US-amerikanischen Haftbedingungen. Schließlich sei eine Aus-lieferung mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unvereinbar.


II.

Die Auslieferung des Verfolgten an die Vereinigten Staaten von Amerika zur Verfolgung der in Ziffer I. bezeichneten Ta-ten ist zulässig.

1. Der Auslieferungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika richtet sich nach dem Auslieferungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (BGBl. 1980 II S. 646, 1300) i.V.m. den Zusatzverträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 21. Oktober 1986 (BGBl. 1988 II S. 1086; 1993 II S. 846) und vom 18. April 2006 (BGBl. 2007 II S. 1634; 2010 II S. 829) - im weiteren als "US-AuslV" bezeichnet - sowie dem Abkommen zwi-schen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung vom 25. Juni 2003 (ABl. EU Nr. L 181 vom 19. Juli 2003, S. 27; BGBl. 2007 II S. 1618, 1643; 2010 II S. 829) - im weiteren als "EU-US-Abkommen" be-zeichnet.

a) Die mit dem Auslieferungsersuchen übermittelten Auslie-ferungsunterlagen genügen den vertraglichen Anforderungen gemäß Art. 14, 29 US-AuslV, Art. 5 EU-US-Abkommen. Insbeson-dere steht einer Zulässigkeit der Auslieferung nicht entge-gen, dass der in der Beschlussformel bezeichnete Haftbefehl aufgrund der US-amerikanischen Strafprozessbestimmungen durch einen Urkundsbeamten des US-Bundesbezirksgerichts un-terzeichnet ist, obgleich Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV die Vorlage eines von einem Richter des ersuchenden Staates ausgestellten Haftbefehls verlangt.

Durch die vertragliche Bestimmung ist die Anwendung des für den ersuchenden Staates günstigeren Art. 10 Abs. 1 IRG, der lediglich ohne weitere Voraussetzungen die Vorlage eines Haftbefehls verlangt, nicht ausgeschlossen. Denn Ausliefe-rungs- und Rechtshilfeverträge begründenden völkerrechtliche Mindestrechte für den ersuchenden und Mindestpflichten für den ersuchten Staat. Soweit zwischenstaatliche Voraussetzun-gen betroffen sind, ist in der Rechtsprechung grundsätzlich die ergänzende Anwendbarkeit des IRG anerkannt. Die Bundes-republik Deutschland ist demnach nicht gehindert, ihr inner-staatliches Auslieferungsrecht dann anzuwenden, wenn und in-soweit es zu Gunsten des ausländischen Verfahrens über den Vertrag hinausgeht (OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 156 m.w.N.). Diese obergerichtliche Rechtsprechung hat verfassungsrecht-licher Überprüfung standgehalten (BVerfG NStZ 2001, 446).

b) Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten sind gemäß Art. 2 Abs. 1 US-AuslV i.V.m. dem EU-US-Abkommen auslieferungsfä-hig. Sie sind auch nach deutschem Recht jedenfalls als ge-meinschaftlicher Mord in zwei Fällen - begangen aus niedri-gen Beweggründen - gemäß §§ 211, 25 Abs. 2, 53 StGB straf-bar.

Die weitere dem Verfolgten als straferschwerend vorgeworfene Beteiligung an der Gruppierung "Blood and Honour" - in der Anklage als "Das Unternehmen" bezeichnet - steht der Zuläs-sigkeit der Auslieferung nicht entgegen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 US-AuslV ist es für die Entscheidung, ob es sich um eine auslieferungsfähige Straftat handelt, unerheblich, ob das Recht der Vertragsparteien die Strafe unter dem gleichen Begriff fast. Mit dieser Formulierung im Auslieferungsver-trag sind die Vertragsparteien von der nach alter vertragli-cher Grundlage geltenden Regelung in Art. 3 des Ausliefe-rungsvertrages vom 12. Juli 1930 und im darin enthaltenen Enummerationsprinzip abgerückt. Der im geltenden Ausliefe-rungsvertrag enthaltene völlige Verzicht auf die listenmäßi-ge Erfassung der auslieferungsfähigen Straftaten bedeutet damit eine vollständige Anpassung an das kontinental-europäische Rechtssystem (Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Aufl., Teil II V 10 Vorbem. Rdnr. 2). Für die Prüfung der Ausliefe-rungsfähigkeit einer Straftat hat ihre rechtliche Bezeich-nung deshalb keine besondere Bedeutung. Die Auslieferung er-folgt vielmehr wegen einer Tat, durch die ein Strafgesetz verletzt wird (Grützner/Pötz/Kreß, II V 10, Fußnote 5 zu Art. 2 US-AuslV; Denkschrift zum US-AuslV, BT-Drs. 8/3107, S. 21). Eine etwaige unterschiedliche tatbestandliche Zuord-nung des einheitlichen Sachverhalts lässt die Zulässigkeit der Auslieferung unberührt (vgl. OLG Karlsruhe MDR 1986, 521 m.w.N.).

Mit der Anpassung an das kontintal-europäische Rechtssystem umfasst der Begriff der Tat, deretwegen die Auslieferung be-gehrt wird, nunmehr nicht mehr die einzelnen Straftatbestän-de, sondern im Sinne des § 264 StPO den einheitlichen ge-schichtlichen Lebensvorgang, innerhalb dessen der Täter den Straftatbestand verwirklicht hat (vgl. BGHSt 27, 168 [172]). Stellt sich der im Auslieferungsersuchen geschilderte Sach-verhalt als nur eine Tat in diesem verfahrensrechtlichen Sinne dar, dann kann die Zulässigkeit der Auslieferung nur hinsichtlich des gesamten Tatgeschehens einheitlich beur-teilt werden, wenn die verschiedenen zu beurteilenden Vor-kommnisse so miteinander verknüpft sind, dass ihre Aburtei-lung in getrennten Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs angesehen würde (vgl. BGHSt 23, 141 [148]).

Vor diesem Hintergrund ist die Auslieferung des Verfolgten deshalb auch zulässig, soweit ihm straferschwerend eine Mit-gliedschaft in der amerikanischen Gruppierung "Blood and Honour" vorgeworfen wird und insoweit eine Ent-sprechung im deutschen Strafrecht zweifelhaft sein könnte. Denn selbst bei Wegfall dieses straferschwerenden Vorwurfs blieben nach deutschem Verständnis die Mordvorwürfe jeweils als Bestandteil einer Tat im prozessualen Sinne bestehen.

c) Der Auslieferung steht auch nicht entgegen, dass dem Auslieferungsersuchen keine Beweismittel gemäß Art. 14 Abs. 3 Buchst. a US-AuslV beigefügt sind. Denn im deutsch-amerikanischen Auslieferungsverkehr findet auf deutscher Seite eine Tatverdachtsprüfung grundsätzlich nicht statt (OLG Dresden, Beschluss vom 02. Dezember 2008, OLG Ausl 117/08 m.w.N. - juris).

d) Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten sind nach dem Recht beider Vertragsparteien auch mit Freiheitsentziehung im Höchstmaß von mehr als einem Jahr bedroht (Art. 1 Abs. 2 Buchst. 1 US-AuslV, Art. 4 Abs. 1 EU-US-Abkommen). Die Höchststrafe in den Vereinigten Staaten von Amerika - beträgt abgesehen von der Todesstrafe - im Höchstmaß le-benslange Freiheitsstrafe. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Mord ebenfalls mit lebenslanger Freiheitsstrafe be-droht.

e) Die Verfolgung der Taten ist nach dem gemäß Art. 9 US-AuslV allein maßgeblichen Recht des ersuchenden Staates auch nicht verjährt. Denn die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten sind gemäß Titel 18 USC, § 1959 mit der Todesstrafe bedroht. Gemäß des den Auslieferungsunterlagen beigefügten Titels 18 USC, § 3281 (Kapitalverbrechen) kann ein Strafantrag für ein jegliches mit der Todesstrafe zu ahndendes Verbrechen zu je-der Zeit ohne Einschränkung gestellt werden.

2. Die Bedrohung mit der Todesstrafe steht einer Zuläs-sigkeit der Auslieferung nicht entgegen. Denn in dem Auslie-ferungsersuchen wird mitgeteilt, dass der US-Justizminister den zuständigen US-amerikanischen Bundesanwalt angewiesen hat, die Todesstrafe nicht anzustreben. Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika hat in ihrer Verbalnote vom 30. August 2010 zugesichert, dass die Todesstrafe nicht ver-hängt wird oder, wenn verhängt, nicht ausgeführt wird.

Diese Zusicherung entspricht Art. 12 des ursprünglichen US-AuslV vom 20. Juni 1978. Durch den Zweiten Zusatzvertrag ist Art. 12 US-AuslV in Ausführung von Art. 13 EU-US-Abkommen jedoch dahin geändert worden, dass der ersuchte Staat die Auslieferung unter der Bedingung einer Nichtverhängung oder Nichtvollstreckung der Todesstrafe bewilligen kann und der ersuchende Staat diese Bedingung zu erfüllen hat, wenn er die Auslieferung akzeptiert.

Die Neufassung des Vertrages hat den Vorteil, dass nunmehr keine ausdrückliche Zusicherung eingeholt werden muss, der ersuchende Staat werde die Bedingung einhalten, auch wenn diese in der bisherigen Praxis regelmäßig erteilt wurden. Vielmehr ist der ersuchende Staat von vornherein an eine vom ersuchten Staat gestellte Bedingung gebunden, sofern er nicht mitteilt, sie nicht akzeptieren zu wollen (Denkschrift zum Zweiten Zusatzvertrag BR-Drs. 10/07, S. 62).

Mit der abgegebenen Zusicherung - an deren Verlässlichkeit keine Zweifel bestehen - ist im vorliegenden Fall aber be-reits sichergestellt, dass die Todesstrafe gegen den Ver-folgten nicht verhängt oder, falls sie verhängt wird, nicht vollstreckt wird. Im Übrigen entspricht die bereits abgege-bene Zusicherung auch der ergänzend heranzuziehenden Rege-lung des § 8 IRG. Es besteht danach keine Veranlassung, die Zulässigkeit mit der Maßgabe auszusprechen, die Ausliefe-rungsbewilligung mit der genannten Bedingung zu verknüpfen.

3. Die Auslieferung verstößt auch nicht gegen weitere unabdingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung. Eine Unzulässigkeit der Auslieferung erwächst nicht aus den durch § 73 IRG gesetzten Grenzen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungs wegen gehalten zu überprü-fen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindesstandard und den unab-dingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentli-chen Ordnung vereinbar sind. Auf der Ebene des einfachen Rechts nimmt § 73 IRG dieses verfassungsrechtliche Gebot auf, in dem dort die Leistung von Rechtshilfe und damit auch die Auslieferung für unzulässig erklärt wird, wenn sie we-sentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung wider-sprechen würde (vgl. BVerfG NVwZ 2008, 71 m.w.N. der verfas-sungsgerichtlichen Rechtsprechung).

Hierzu zählt auch der Kernbereich der Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips. Dieser ist jedoch nicht schon dann be-troffen, wenn eine Strafe, die dem Verfolgten im ersuchenden Staat erwartet, unter Anlegung der Maßstäbe der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollen Strafen als zu hart angesehen wird. Die Auslieferung wird vielmehr erst durch eine Strafe gehindert, die unerträglich hart ist und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen erscheint, oder die als solche grausam, unmenschlich oder erniedrigend ist (BVerfGE 75, 1 (16); NJW 1994, 2884).

Die Auslieferung ist hingegen dann zulässig, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzu-sehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deut-schen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht nämlich von der Einglie-derung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechts-ordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl. Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 23 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, insbesondere im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätz-lich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Soll der im gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben, so dürfen die Gerichte nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung zugrundele-gen (BVerfG NJW 2005, 3483 f.).

a) Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund begegnet es zunächst keinen Bedenken, dass die dem Verfolgten vorge-worfenen Taten in den Vereinigten Staaten von Amerika mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden können.

Diese Strafe hätte der Verfolgte auch in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Verurteilung wegen Mordes zu erwarten. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Androhung lebens-langer Freiheitsstrafe für schwerste Tötungsdelikte bestehen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Die lebenslange Freiheitsstrafe für solche schwerste Rechts-gutsverletzungen ist mit dem verfassungsrechtlichen Gebot des sinn- und maßvollen Strafen grundsätzlich vereinbar (BVerfGE 45, 187 (254 ff.); 64, 261 (271)).

b) Auch die Auslieferung bei drohender Verhängung einer le-benslangen Freiheitsstrafe ohne - wie von dem Verfolgten be-hauptet - die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewäh-rung ("lifelong imprisonment without the possibility of pa-role") und die darauf beruhenden Vollziehung der Strafe ver-stößt nicht gegen unabdingbare Grundsätze der deutschen ver-fassungsrechtlichen Ordnung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört es zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvoll-zugs, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Es wäre mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben müsste. Dies gilt auch im Falle einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheits-strafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, wobei im Einzelfall - verfassungsrechtlich unbedenklich - die lebenslange Freiheitsstrafe tatsächlich auch bis zum Le-bensende vollstreckt werden kann. Fallgestaltungen, die es auch dem innerlich gewandelten, für die Allgemeinheit unge-fährlich gewordenen Gefangenen strikt verwehrten, auch nach sehr langer Strafverbüßung, selbst im hohen Lebensalter, die Freiheit wieder zu gewinnen, und ihn damit auch von vornhe-rein zum Versterben in der Haft verurteilen, sind im Straf-vollzug unter der Herrschaft des Grundgesetzes allerdings grundsätzlich fremd (BVerfG NJW 2005, 3483 (3484)).

Vor diesem Hintergrund hat der Senat eine Erklärung der US-amerikanischen Behörden veranlasst. Der US-Bundesstaatsanwalt für den Gerichtsbezirk Florida-Mitte hat mit Schreiben vom 28. November 2010 mitgeteilt, dass der Verfolgte in einem Berufungsverfahren eine Prüfung seines Strafmaßes anstreben und er anschließend in Form einer Peti-tion um Straferlass oder Umwandlung in ein geringeres Straf-maß eine Ermäßigung seines Strafmaßes ("petition for a par-don or commutation to a lesser sentence") anstreben kann. Diese Auskunft erachtet der Senat als ausreichend, wobei er bei der Formulierung "petition for a pardon" davon ausgeht, dass für den Verfolgten die Möglichkeit besteht, ein Gnaden-gesuch zu stellen.

Zwar genügt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts für den Strafvollzug im Geltungsbereich des Grundge-setzes das Institut der Begnadigung allein nicht. Vielmehr gebietet das Rechtsstaatsprinzip für die Strafvollstreckung in Deutschland eine Entlassungspraxis, die gerichtlicher Kontrolle offensteht. Die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren sind ge-setzlich zu regeln. Verfahrensrechtliche Einzelheiten, mit denen die praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit in Deutschland verstärkt und gesichert wird, gehören indes nicht zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen Verfas-sungsordnung, die im Auslieferungsverkehr auch vom ersuchen-den Staat erfüllt werden müssen. Hier kommt es nur darauf an, dass in einem anderen Rechtssystem jedenfalls eine prak-tische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht (BVerfG NJW 2005, 3483).

So liegt der Fall hier. Mit der Mitteilung des US-Bundesstaatsanwalts, dass die Möglichkeit einer Begnadigung ("pardon") oder einer Umwandlung der lebenslangen Strafe ("commutation") eröffnet sei, besteht für den Verfolgten ei-ne - wenn auch gemessen an der deutschen Rechtslage möglich-erweise geringere - Chance darauf, eine gegen ihn verhängte lebenslange Freiheitsstrafe tatsächlich nicht bis zum Le-bensende verbüßen zu müssen.

Der Senat hat sich indes nicht - wie über den Beistand des Verfolgten angeregt - veranlasst gesehen, die nähere Ausge-staltung des Begnadigungsrechtes im konkreten Einzelfall weiter aufzuklären. Denn es lässt sich nicht allgemein fest-stellen, unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Bedin-gungen die Hoffnung des Verfolgten, seine Freiheit wieder zu erlangen, in realistischer Weise erhalten bleibt. In dem bisherigen Auslieferungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, der seit nunmehr mehr als 30 Jahren auf vertraglicher Grundlage durchgeführt wird, sind bisher keine Erkenntnisse zu Tage getreten, dass die Möglichkeit einer Begnadigung in der Rechtspraxis leerliefe. Vielmehr kann sich die Hoffnung des Verfolgten, jemals wieder ein Leben in Freiheit zu führen, auf eine in das Rechtssystem der Vereinigten Staaten von Amerika eingebettete Gnadenpraxis stützen, auch wenn es an einer nach deutschem Verfassungsrecht gebotenen Justizför-migkeit fehlt (vgl. BVerfG NJW 2005, 3483 (3485)).

An dieser Bewertung sieht sich der Senat auch nicht durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 2010, Az.: 2 BvR 2299/09 - juris, gehindert. Denn in dem dieser Entscheidung zugrundeliegende Auslieferungs-fall (Auslieferung an die Türkei) war nicht auszuschließen, dass der Ausübung des Gnadenrechts in jedem Fall ein unum-kehrbarer physischer Verfallsprozess des Verfolgten voraus-zugehen hat. Das in jenem Fall in Rede stehende Gnadenrecht eröffnete keine wenigstens vage Aussicht auf ein selbstbe-stimmtes Leben in Freiheit, die den Vollzug der lebenslangen Strafe nach dem Verständnis der Würde der Person überhaupt erst erträglich macht, mithin unabdingbaren Grundsätzen der deutschen Verfassungsordnung genügt. Eine vergleichbare Gna-denpraxis in den Vereinigten Staaten von Amerika ist bislang nicht bekannt geworden und wird auch von dem Verfolgten nicht behauptet.

c) Einer Auslieferung stehen auch nicht die von dem Ver-folgten behaupteten Haftbedingungen in den Vereinigten Staa-ten von Amerika entgegen. Denn es bestehen keine begründeten Anhaltspunkte für die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Verfolgten (vgl. BVerfGE 108, 129 m.w.N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als auch der Recht-sprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrech-te). Eine Gefahr in diesem Sinne kann nur angenommen werden, wenn stichhaltige Gründe vorgetragen sind, nach denen gerade in dem konkreten Fall eine "beachtliche Wahrscheinlichkeit" besteht, in dem ersuchenden Staat das Opfer von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Be-handlung zu werden. Auf konkrete Anhaltspunkte kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht (vgl. Art. 3 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschli-che oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (BGBl. 1990 II S. 246). Davon kann bei den Vereinigten Staaten von Amerika nicht die Rede sein.

Eine konkrete Gefahr von Folter oder anderer grausamer, un-menschlicher oder erniedrigender Behandlung droht dem Ver-folgten nicht. Zwar bezweifelt der Senat nicht die von dem Verfolgten in seiner Stellungnahme abgegebenen Behauptungen. Allerdings zeigt gerade der von dem Verfolgten in seiner Stellungnahme genannte Bericht der vom US-amerikanischen Se-nat eingesetzten "Commission on Safety and Abuse in Americas Prisons" - www.prisoncommission.org/report.asp - gerade, dass die geschilderten Zustände auf staatlicher Seite Anlass zu erhöhter Aufmerksamkeit gegeben haben. Im Übrigen lässt sich der Senat von der Erwägung leiten, dass der Ausliefe-rungsverkehr mit den Vereinigten Staaten von Amerika bereits seit Juli 1978 vertraglich geregelt ist und dieser Ausliefe-rungsvertrag durch zwei Zusatzverträge auch in jüngerer Zeit fortgeschrieben worden ist. Auch die Europäische Union hat mit dem EU-US-Abkommen den Auslieferungsverkehr mit den Ver-einigten Staaten von Amerika vertraglich geregelt, ohne dass von deutscher oder euopäischer Seite Bedenken erhoben worden sind, Auslieferungen an die Vereinigten Staaten von Amerika könnten der deutschen verfassungsmäßigen Ordnung oder den in Art. 6 des EU-Vertrages enthaltenen Grundsätzen widerspre-chen. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Auslieferungsverträge und ihre Ergänzungsverträge bei einer systematischen menschenrechtswidrigen Praxis im US-amerikanischen Strafvollzug gar nicht erst geschlossen wor-den wären. Schließlich kann auch angenommen werden, dass die Bundesregierung das weitere Verfahren in den Vereinigten Staaten von Amerika von sich aus beobachten wird, eine men-schenrechtswidrige Behandlung des Verfolgten entdeckt und damit das aus den völkerrechtlichen Verträgen erwachsene ge-genseitige Vertrauen als unabdingbare Grundlage des Auslie-ferungsverkehrs nachhaltig enttäuscht würde.

d) Die Auslieferung des Verfolgten ist auch mit Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie Art. 6 GG vereinbar.

Das Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bezie-hungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konsti-tutiv sind. Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokrati-schen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (BVerfG NVwZ 2007, 946 m.w.N.).

Art. 6 Abs. 1 GG schützt hingegen nicht davor, dass ein Aus-länder als Folge der Verletzung von Strafnormen außerhalb des Bundesgebietes zur Verantwortung gezogen wird. Dabei ist der Anspruch auf Ehe- und Familienleben mit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse, für deren Durchsetzung die Bun-desrepublik Deutschland auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen ist, abzuwägen. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt das Strafverfolgungsinteresse ande-rer Staaten, um ihrerseits in einem entsprechenden Fall ebenfalls Unterstützung zu erhalten. Die internationale Of-fenheit des vom Grundgesetz verfassten Staates sowie sein Interesse an der Durchsetzung des eigenen Strafanspruchs im Ausland überwiegen angesichts der typischerweise schwerwie-genden Straftaten regelmäßig die Schutzwirkung des Art. 6 GG (vgl. BVerfG NStZ-RR 2004, 179 (180)).

Dem Verfolgten wird die Begehung erheblicher Straftaten mit schwersten Rechtsgutsverletzungen und entsprechenden Straf-androhungen vorgeworfen, die eine Auslieferung an die Verei-nigten Staaten von Amerika auch unter Berücksichtigung der in seiner Stellungnahme ausführlich beschriebenen familiären Beziehungen verhältnismäßig erscheinen lassen und mit Art. 6 GG vereinbar sind.


III.

Nachdem die Auslieferungshaft im vorliegenden Fall seit der letzten Prüfung durch den Senat mehr als zwei Monate andau-ert, ist eine Haftprüfung gemäß § 26 Abs. 1 IRG veranlasst.

Die Haftprüfung führt zur Anordnung der Fortdauer der Aus-lieferungshaft. Das Auslieferungsverfahren ist von den be-teiligten Behörden und Gerichten bisher mit der in Haftsa-chen gebotenen Beschleunigung durchgeführt worden. Die Dauer des Auslieferungsverfahrens ist dadurch gerechtfertigt, dass vor dem Hintergrund verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung eine Erklärung der US-amerikanischen Behörden einzuholen war und dem Verfolgten mit Blick auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zum Zulässigkeitsantrag der Generalstaatsanwaltschaft gegeben werden musste.

Es besteht weiterhin die Gefahr, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung des Ausliefe-rungsverfahrens entziehen wird, wenn er auf freien Fuß ge-setzt werden würde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Diese aus der erheblichen Strafandrohung erwachsene Gefahr wird nunmehr noch dadurch verstärkt, dass der Senat die Auslieferung für zulässig erklärt hat.



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