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Entscheidungen

Sonstiges

JGG-Verfahren, Auslagenentscheidung, Kostenentscheidung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.02.2011 - III 4 Ws 59/11

Fundstellen:

Leitsatz: Zur Anwendung des § 74 JGG und zur Auferlegung der notwendigen Auslagen bei einem Teilerfolg der Revision.


Oberlandesgericht DÜSSELDORF
BESCHLUSS
III 4 Ws 59/11 134 Js 65/08 StA Duisburg
In der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am Ober-landesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht am 14. Februar 2011 auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kostenentscheidung im Urteil der 4. großen Strafkammer - Jugendkammer als Schwurgericht - des Landgerichts Duisburg vom 30. November 2010 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die angefochtene Kostenentscheidung wird teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Von einer Auferlegung der Verfahrenskosten wird abgesehen.
Die dem Angeklagten im Verfahren 2. Instanz erwachsenen notwendigen Auslagen fallen zu einem Drittel der Staatskasse zur Last, im Übrigen trägt der Angeklagte die ihm selbst und dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
Durch Urteil der 3. großen Strafkammer — Jugendkammer — des Landgerichts Duisburg vom 29. Juli 2009 ist der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Sein Verteidiger hatte — nachdem der Angeklagte im Rahmen der Hauptverhandlung bestritten hatte, bei Ausführung der zusammenwirkend mit dem ehemals Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzungshandlungen zum Nachteil des Geschädigten K. auch mit Tötungsvorsatz gehandelt zu haben — im Schlussvortrag die Verhängung einer Jugendstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung beantragt.

Auf die Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 2. Februar 2010 das angefochtene Urteil (soweit es ihn betrifft) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Mit Urteil der 4. großen Strafkammer — Jugendkammer als Schwurgericht — des Landgerichts Duisburg vom 30. November 2010 ist nunmehr rechtskräftig gegen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden. Die Kosten seines Verfahrens und seiner Revision einschließlich der dem Neben-kläger entstandenen notwendigen Auslagen hat das Landgericht dem Angeklagten auferlegt.

Gegen diese Kostenentscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er die Freistellung von den gerichtlichen Kosten und Auslagen nach § 74 JGG sowie mit Blick auf den Teilerfolg seiner Revision eine teilweise Erstattung der ihm insoweit entstandenen notwendigen Auslagen begehrt.

II.
Die formgerecht (§ 306 Abs. 1 StPO) angebrachte sofortige Beschwerde ist statthaft gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden. Sie führt auch in der Sache nach dem vom Beschwerdeführer angestrebten Ziel in vollem Umfange zum Erfolg.

1.)
Die Entscheidung des Landgerichts, von der nach §§ 109 Abs. 2 S. 1, 74 JGG bestehenden Möglichkeit, den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten von den gerichtlichen Kosten und Auslagen freizustellen, keinen Gebrauch zu machen, sondern dem Angeklagten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat das ihm insoweit eingeräumte Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt, denn es hat erzieherische Gesichtspunkte, die gegen eine Auferlegung der Kosten sprechen, nicht hinreichend berücksichtigt.

Während der verurteilte Erwachsene gemäß § 465 StPO im Urteil stets zur Tragung der Kosten des Verfahrens verpflichtet wird, erlaubt § 74 JGG bei Jugendlichen und bei Heranwachsenden, auf die Jugendstrafrecht angewandt wird (§ 109 Abs. 2 S. 1 JGG), von der Auferlegung der Kosten und Auslagen abzusehen. Die Vorschrift verfolgt den Zweck, den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden aus erzieherischen Gründen von Kosten und gerichtlichen Auslagen des Verfahrens zu entlasten, um ihn vor einer zusätzlichen und oftmals besonders schädlichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung zu schützen. Ausschlaggebend ist hierbei eine zukunftsorientierte Betrachtungsweise (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ- RR 1996, 24; Eisenberg, JGG, 14. Auflage, § 74 Rn. 8 ff.). Daher empfiehlt die Richtlinie Nr. 1 S. 1 zu § 74 JGG, dem Jugendlichen oder Heranwachsenden die Kosten und Auslagen des Verfahrens nur dann aufzuerlegen, wenn er sie aus eigenen Mitteln bezahlen kann und wenn ihre Auferlegung aus erzieherischen Gründen angebracht ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 2.10.2001, 5 Ws 642/01, zitiert nach juris).

Diesen Grundsätzen wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.

Die Jugendkammer hält die Auferlegung der Verfahrenskosten insbesondere deshalb für erzieherisch geboten, weil den Angeklagten bei straffreiem Verhalten während der Bewährungszeit sonst keine weiteren unmittelbaren Sanktionen aus dem Urteil treffen. Dabei bezieht die Kammer zwar auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten in ihre Überlegungen ein, die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen sind jedoch nicht nachvollziehbar.

Nach den im Urteil zur Person des Angeklagten getroffenen Feststellungen verfügt dieser nach zwei nicht zum Abschluss gebrachten Ausbildungen nunmehr seit August 2010 über eine Lehrstelle als Kfz-Mechatroniker, lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner nicht berufstätigen Lebensgefährtin, deren Sohn aus einer vorangegangenen Beziehung sowie einem gemeinsamen Kind und bestreitet den Familienunterhalt aus seiner Ausbildungsvergütung von 438,00 € netto zuzüglicher staatlicher Unterstützungsleistungen und Kindergeld, wovon der Familie monatlich zur Lebensführung ein Betrag von 600,00 verbleibt.

Angesichts dieser Umstände ist nicht nur davon auszugehen, dass der Angeklagte derzeit außerstande ist, die Kosten des Verfahrens zu tragen, sondern es erscheint auch gänzlich ungewiss, ob er hierzu in absehbarer Zeit in der Lage sein wird.

Die Kammer hat insoweit nicht ausreichend bedacht, dass der Angeklagte nach zwei gescheiterten Versuchen nunmehr bereits seine dritte Ausbildung begonnen hat und sich gerade im ersten Lehrjahr befindet, also eine prognostische Einschätzung, ob er überhaupt zu einem erfolgreichen Abschluss gelangen und anschließend in eine Festanstellung mit ausreichenden Einkünften übernommen werden wird, noch kaum möglich ist.

Überdies hat die Kammer nicht berücksichtigt, dass die Überbürdung der gerichtlichen Kosten und Auslagen, die hier schon durch die Hinzuziehung mehrerer Sachverständiger eine ganz erhebliche Höhe erreicht haben, dem Angeklagten längerfristig jede Perspektive nimmt, die beengten Lebensverhältnisse seiner Familie durch die Erzielung eigener Einkünfte verbessern zu können. Dies lässt gerade auch im Hinblick auf den bisher nicht gradlinig verlaufenen beruflichen Werdegang des Angeklagten besorgen, dass seine Motivation zur Weiterführung der Ausbildung beeinträchtigt werden könnte, was unter erzieherischen Gesichtspunkten ebenso kontraproduktiv wäre wie die hier nicht fernliegende Möglichkeit einer Abwälzung der Leistungserbringung auf die Eltern.

Keinen Eingang in die Überlegungen der Jugendkammer hat daneben auch der Umstand gefunden, dass der Angeklagte im Laufe des Verfahrens an den Geschädigten freiwillig eine Wiedergutmachungszahlung in Höhe von 15.000,00 € geleistet und sich schon dadurch einer großen finanziellen Belastung ausgesetzt hat. Auch mit Blick darauf sind erzieherische Gründe für eine Auferlegung der Verfahrenskosten hier nicht ersichtlich, zumal die Kostenentscheidung nicht der Unterstützung von Strafzwecken dienen soll (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 224).

Dass Straftaten auch Kostenfolgen haben wird dem Angeklagten, der seit Einlegung der Revision auch durch einen Wahlverteidiger vertreten wird, im Übrigen dadurch vor Augen geführt, dass er seine eigenen notwendigen Auslagen, die mangels entsprechender Rechtsgrundlage nicht nach § 74 JGG der Staatskasse auferlegt werden können (vgl. BGH a.a.O.), selbst tragen muss, soweit sich nicht - wie nachstehend weiter ausgeführt - aus § 473 Abs. 4 StPO etwas anderes ergibt.

2.)
Die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten in voller Höhe selbst mit den ihm im Rechts-mittelverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu belasten, ist ebenfalls nicht frei von Rechts-fehlern.
Zwar lassen die Ausführungen des Landgerichts trotz der offenbar auf einem Versehen beruhenden Angabe des § 473 Abs. 5 StPO erkennen, dass die Kammer zutreffend einen Teilerfolg der Revision angenommen und die Auslagenentscheidung auf § 473 Abs. 4 StPO gestützt hat. Zu Unrecht meint das Landgericht jedoch, eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Angeklagten komme schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht hinreichend feststellbar sei, dass der Angeklagte kein Rechtsmittel eingelegt hätte, wenn schon das erste landgerichtliche Urteil ebenso gelautet hätte wie das zweite.

Zum einen liegt es hier nach den Umständen nahe, dass der Angeklagte eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung nicht angefochten hätte. Denn dieses Strafmaß entsprach dem Antrag seines Verteidigers im Schlussvortrag und auch der Inhalt des Beweisantrages vom 30. Juni 2009, ausweislich dessen der Angeklagte den Kausalzusammenhang zwischen den Fußtritten und einem Teil der vom Geschädigten behaupteten Spätfolgen bestritten hat, kann entgegen der Auffassung der Kammer angesichts der im Übrigen geständigen Einlassung hinsichtlich der Körperverletzung nicht so verstanden werden, dass er einen Freispruch erreichen wollte.

Zum anderen hängt die Beantwortung der Frage, ob der Staatskasse aus Gründen der Billigkeit ein Teil der Auslagen des teilweise erfolgreichen Rechtsmittelführers aufzuerlegen ist, nicht allein davon ab, ob er sich den Umständen nach mit einem Urteil zufrieden gegeben hätte, wenn dieses von Anfang an der im zweiten Durchgang getroffenen Entscheidung entsprochen hätte. Es kommt vielmehr wesentlich auch auf den Umfang des erzielten Teilerfolges an (vgl. BGH StV 1989, 401; OLG Düsseldorf StV 996, 613, 614; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 473 Rn. 26).

Hier hat der Angeklagte mit seiner Revision gegen das erste tatrichterliche Urteil sowohl eine für ihn günstige Veränderung des Schuldspruchs als auch eine Herabsetzung der Strafe erreicht. Angesichts dieses erheblichen Teilerfolges hält der Senat es für unbillig, ihn uneingeschränkt mit seinen eigenen notwendigen Auslagen zu belasten. Es erscheint vielmehr sachgerecht, diese entsprechend der Anregung des Verteidigers zu einem Drittel der Staatskasse aufzuerlegen.

3.)
Die notwendigen Auslagen des Nebenklägers hat die Jugendkammer zu Recht in voller Höhe dem Angeklagten auferlegt.

Hinsichtlich der ersten Instanz ergibt sich dies aus § 472 Abs. 1 StPO, da der Angeklagte wegen einer zum Nachteil des Nebenklägers begangenen Tat verurteilt worden ist und keinerlei Gründe ersichtlich sind, die eine Belastung des Angeklagten als unbillig erscheinen ließen.
Die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Nebenklägers sind in entspre-chender Anwendung des § 473 Abs. 4 S. 2 StPO nach Billigkeitsgesichtspunkten zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger zu verteilen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 473 Rn. 29).
Dabei muss Berücksichtigung finden, dass hier einerseits der Anschluss des Geschädigten als Ne-benkläger angesichts der Umstände gerechtfertigt erscheint und andererseits der Teilerfolg des An-geklagten sich für den Nebenkläger, dessen Interesse mit Blick auf eine etwaige spätere Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen eher darauf gerichtet gewesen sein dürfte, überhaupt eine Verurteilung der Täter zu erreichen, als hinsichtlich Schuldspruch und Strafhöhe ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, nicht nachteilig auswirkt. Deshalb erscheint es aus Gründen der Billigkeit als angemessen, den Angeklagten auch mit den dem Nebenkläger im Rechtsmittelverfahren erwachsenen not wendigen Auslagen zu belasten. Dies ist im Übrigen von dem Angeklagten auch nicht beanstandet worden.

4.)
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO. Da die ausführliche Beschwerdebegründung keinerlei Vorbringen zur Entscheidung des Landgerichts über die notwendigen Auslagen des Nebenklägers enthält, geht der Senat davon aus, dass der Beschwerdeführer diese nicht angreifen will, so dass das Rechtsmittel nach seiner Zielsetzung in vollem Umfange Erfolg hat.


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