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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Sicherungsverwahrung, EGMR-Rechtsprechung, Anwendung, Altfälle

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 03.03.2011 – 2 Ws 642/10

Fundstellen:

Leitsatz: Das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 – 19359/04 – gibt Anlaß, die mehr als zehn Jahre dauernde (erste) Sicherungsverwahrung in allen "Altfällen“ für erledigt zu erklären.

So zu entscheiden sind die Oberlandesgerichte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und mehrerer Oberlandesgerichte gehindert.

Gleichwohl wären eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig und eine Vorlage an den BGH derzeit untunlich.

So lange müssen die vom 5. Strafsenat des BGH in seinen Entscheidungen vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 – (BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 4 = NJW 2010, 3315) und vom 9. November 2010 (Anfragebeschluß, NJW 2011, 240) aufgestellten Maßstäbe berücksichtigt werden, bis der letztere durch einen Vorlagebeschluß bestätigt worden ist und der Große Senat für Strafsachen darüber entschieden hat, oder – wenn dies früher geschieht - das Bundesverfassungsgericht über die ihm vorliegenden und am 8. Februar 2011 in mündlicher Verhandlung beratenen Verfassungsbeschwerden befunden hat.

Das führt in den Fällen, in denen von dem Untergebrachten infolge seines Hanges aktuell erhebliche Straftaten mit schwerer körperlicher oder seelischer Schädigung der Opfer zu erwarten sind und auch eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nicht in Betracht kommt, dazu, daß über die sofortige Beschwerde derzeit nicht entschieden werden kann.


KAMMERGERICHT

Beschluß


Geschäftsnummer:
2 Ws 642/101 AR 1075/10
C 12 / 56 Js 769/87 VRs - 598 StVK 300/10


In der Strafsache gegen


G. J.,
derzeit in Sicherungsverwahrung in der JVA Tegel,


wegen Vergewaltigung pp.,

hier: Zulässigkeit der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung und deren Erledigung,


hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 3. März 2011 beschlossen:

Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin
– Strafvollstreckungskammer – vom 12. Oktober 2010 wird zurückgestellt bis zur Entscheidung

a) entweder über den Anfragebeschluß des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2010 – 5 StR 394/10, 440/10, 474/10

b) oder die vor dem Bundesverfassungsgericht geführten Verfahren 2 BvR 2365/09 und 2 BvR 740/10.


G r ü n d e:

I.
Das Landgericht Berlin verurteilte den vielfach vorbestraften Beschwerdeführer am 11. November 1987 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit Vergewaltigung, sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und ordnete die anschließende Sicherungsverwahrung an.

Seine Freiheit ist ihm seit 1987 durchgängig entzogen. Seit dem 24. Juli 1997 wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen; zehn Jahre der Sicherungsverwahrung waren am 23. Juli 2007 vollstreckt. Seitdem haben die Strafkammern – Strafvollstreckungskammern - 41 (am 20. Juni 2007) und 87 (am 22. Februar 2010) des Landgerichts Berlin jeweils die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet.

Mit Schriftsatz vom 04. Juni 2010 hat der Verteidiger des Beschwerdeführers unter Hinweis auf das am 10. Mai 2010 rechtskräftig gewordene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) – mittlerweile bestätigt durch die am 13. Januar 2011 ergangenen übereinstimmenden weiteren, aber noch nicht rechtskräftigen, Entscheidungen des EGMR (Individualbeschwerden 6587/04, 17792/07, 20008/07, 27360/04 und 42225/07) - beantragt, die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären und den Verurteilten aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entlassen. Mit Beschluß vom 12. Oktober 2010 hat die Strafkammer 98 – Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Berlin die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und sich dabei, im wesentlichen unter Anwendung der vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in dem Beschluß vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 – (BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 4 = NJW 2010, 3315) aufgestellten Kriterien, auf die bestehende hohe akute Gefährlichkeit des Beschwerdeführers gestützt. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingegangene (§ 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) des Verurteilten, deren Begründung sich auf die Frage der Bindungswirkung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 beschränkt. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ist dem Antrag entgegengetreten, weil das genannte Urteil (und die darauf folgenden) keine Bindungswirkung entfalteten.

II.

Über die sofortige Beschwerde des Verurteilten kann zur Zeit nicht entschieden werden.

Der Senat möchte dem Rechtsmittel des Untergebrachten stattgeben und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 67 Abs. 4 StGB für erledigt erklären, weil die Höchstfrist der vom erkennenden Gericht im Jahre 1987 gegen den Beschwerdeführer rechtskräftig verhängten zeitigen Maßregel seit dem 23. Juli 2007 erreicht ist.

In erster Linie erachtet er die mit der durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 mit Wirkung vom 31. Januar 1998 in das Strafgesetzbuch eingeführten Neufassung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB (damals noch in Verbindung mit Art. 1a Abs. 3 EGStGB) eingeführte rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung als verfassungswidrig. Dabei leiten ihn weniger die in der juristischen Diskussion im Vordergrund stehende Einordnung der Sicherungsverwahrung als strafähnliche Maßregel und die damit verbundenen Probleme des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) und seiner Anwendung auf § 2 Abs. 6 StGB (so schon früh: Ullenbruch NStZ 1998, 326, 328 ff.), sondern die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) in Form des Vertrauenschutzgebots und der Gewaltenteilung, die er durch den nachträglichen Eingriff in ein rechtskräftiges Urteil verwirklicht sieht. So zu entscheiden (siehe unten 1.) ist er durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 – (BVerfGE 109, 133 = NJW 2004, 739) gehindert.

Die Sache kann gleichwohl nicht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden, weil eine Vorlage unzulässig wäre (unten 2.).

Art. 5 und 7 MRK in der Auslegung des EGMR ist nach Meinung des Senats eine „andere Vorschrift“ im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB (unten 3).

Auch diese Entscheidung ist dem Senat nicht möglich (unten 4.). Die Sache kann derzeit auch dem Bundesgerichtshof nicht vorgelegt werden, weil dieser nicht darüber entscheiden würde (unten 5.).

Vielmehr müssen so lange die vom 5. Strafsenat des BGH in seinen Entscheidungen vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 – (BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 4 = NJW 2010, 3315) und vom 9. November 2010 (Anfragebeschluß, NJW 2011, 240) aufgestellten Maßstäbe berücksichtigt werden, bis der letztere durch einen Vorlagebeschluß bestätigt worden ist und der Große Senat für Strafsachen darüber entschieden hat, oder – wenn dies früher geschieht - das Bundesverfassungsgericht über die ihm vorliegenden und am 8. Februar 2011 in mündlicher Verhandlung beratenen Verfassungsbeschwerden befunden hat (unten 6.). Auf dieser Grundlage kann die Entscheidung nicht zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen (unten III.).

1. a) Nach Auffassung des Senats verstößt die in § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB angeordnete Fortdauer der Sicherungsverwahrung in „Altfällen“ gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 GG) in Form des Vertrauensschutzgebots und der Gewaltenteilung, weil der Gesetzgeber nicht nachträglich mit Rückwirkung zum Nachteil des Verurteilten in die Rechtskraft des der Vollstreckung zugrundeliegenden Urteils eingreifen darf. Dem Beschwerdeführer wird aufgrund eines Urteils die Freiheit entzogen, in dem eine zeitige Strafe und eine zeitige Maßregel angeordnet waren, die beide abgelaufen sind, so daß es an einem Vollstreckungsgegenstand fehlt. Die Anordnung der Fortdauer durch den Gesetzgeber revidiert die im Urteil rechtskräftig festgesetzten Rechtsfolgen. Um es mit den Worten der früheren Richterin am Bundesverfassungsgericht und Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Renate Jaeger auszudrücken: In Deutschland wurden Menschen länger in Haft gehalten als im Strafurteil stand (zitiert nach „Die Tageszeitung“, 8. Februar 2010).

b) Der Senat (damals noch unter der Bezeichnung 5. Strafsenat) hat schon früh seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der seinerzeit noch in Art. 1a Abs. 3 EGStGB angeordneten Rückwirkung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB auf Täter, die nach altem Recht zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurden und damit auf die zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs geltende Höchstdauer der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren vertrauten, geäußert (vgl. Senat StV 2003, 31; so auch Müller-Metz NJW 2003, 3173, 3174 zur nachträglichen Sicherungsverwahrung). Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (aaO) hat er sich wegen dessen Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1, § 13 Nr. 8a BVerfGG) gezwungenermaßen daran gehalten, obwohl er in jenem umfänglichen Urteil - einzig - die unter C. IV. 2 niedergelegte, aber für das Endergebnis ganz entscheidende Auslegung des Vollstreckungstitels (§ 458 Abs. 1 StPO) für falsch hält, das erkennende Gericht habe wegen der damals wie heute nur auf „Unterbringung in der Sicherungsverwahrung“ lautenden Fassung der Urteilsformel eine unbefristete Maßregel angeordnet. Die Rechtsüberzeugung des Senats hat durch das Urteil des EGMR lediglich ihre Bestätigung gefunden. Es bietet mit seinen Ausführungen zu Art. 5 MRK den aktuellen Anlaß, sie erneut aufzugreifen und darzustellen.

c) Eingangs des Abschnitts C. IV., des einzigen, der nur mit einem Stimmenverhältnis von 6:2 anstatt einstimmig ergangen ist, erklärt das Bundesverfassungsgericht die Verläßlichkeit der Rechtsordnung zu einer Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Der Staatsbürger muß die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe grundsätzlich voraussehen und sich dementsprechend einrichten können. Es bedarf deshalb einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert (BVerfGE 109, 133 = NJW 2004, 739, 747). Es fährt dann mit der Darstellung der in seiner Rechtsprechung entwickelten Unterschiede zwischen der Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte“ Rückwirkung) und der tatbestandlichen Rückanknüpfung („unechte“ Rückwirkung) fort, um dann (C. IV. 2.) die Vollstreckbarkeit der ersten Anordnung einer Sicherungsverwahrung dem Anwendungsbereich der „unechten“ Rückwirkung zuzuweisen, der – anders als derjenige der „echten“ Rückwirkung - eine Abwägung des Vertrauens des Verwahrten in die Unverbrüchlichkeit des gegen ihn ergangenen Urteils mit seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zuläßt (NJW 2004, 739, 748 linke Spalte). Diese Einordnung ist nur mit einem Kunstgriff möglich, der dem Inhalt des die Verwahrung anordnenden Urteils nicht gerecht wird.

aa) Diese Passage (NJW 2004, 739, 748 rechte Spalte), lautet:
"Ebenso wenig revidiert die Gesetzesänderung die im Straferkenntnis rechtskräftig festgesetzten Rechtsfolgen zum Nachteil des Betroffenen. Denn die gesetzliche Höchstfrist des § 67d Abs. 1 StGB a.F. war nicht Bestandteil des unter alter Rechtslage ergangenen Strafurteils, erwuchs also nicht in Rechtskraft. Der Urteilstenor lautete früher wie heute lediglich auf "Unterbringung in der Sicherungsverwahrung". Die Unterbringung wurde auch nach früherer Rechtslage nicht befristet angeordnet (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl., § 66 Rdnr. 67; Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 66 Rdnr. 22; Hanack, in: LK, StGB, 11. Aufl., § 66 Rdnr. 183). Darauf, ob und wie lange (vgl. §§ 67c, 67d Abs. 2 StGB) die angeordnete Sicherungsverwahrung nach Strafende tatsächlich vollzogen wird, hatte und hat das Tatgericht keinen Einfluss. Insbesondere steht die Beantwortung der Frage, wie lange ihr Vollzug angesichts der prognostizierten Gefährlichkeit als verhältnismäßig anzusehen ist, nicht in seiner Entscheidungskompetenz. Hierüber befindet vielmehr allein die Strafvollstreckungskammer (§§ 67c, 67d StGB, § 463 Abs. 3, §§ 454, 462a Abs. 1 StPO). Dem Tatgericht war und ist es selbst dann verwehrt, eine Sicherungsverwahrung mit einer bestimmten Höchstfrist anzuordnen, wenn es einen länger dauernden Vollzug angesichts der Anlasstat oder sonstiger Umstände für unverhältnismäßig hält."

bb) Den ihm auf diese Weise unterlegten Inhalt, die Anordnung einer potentiell lebenslangen Maßregel zu enthalten, kann das zu vollstreckende Urteil nicht gehabt haben. Denn das erkennende Gericht hätte zum Urteilszeitpunkt bei einem nicht zuvor schon einmal zur Sicherungsverwahrung verurteilten Angeklagten von Gesetzes wegen eine solche Maßregel auf keinen Fall anordnen dürfen. Die Auslegung des auf Sicherungsverwahrung lautenden Urteils als potentiell lebenslang verkehrt bei einem „Altfall“ das vom Gericht Gewollte und Erklärte – und ihm anders auch nicht Mögliche - in sein Gegenteil. Das Gesetz selbst aber ist Maßstab der Rechtskraft des Urteils. "Unbestimmt" lange Sicherungsverwahrung ist materiell etwas anderes als "unbestimmte Sicherungsverwahrung, höchstens die gesetzliche Höchstfrist“ (vgl. Müller in Beck-blog http://blog.beck.de/trackback/28685, wo er die Argumentation des BVerfG als ergebnisorientiertes „darüber hinwegrechteln" bezeichnet).

cc) Den Grund dafür, daß die konkrete Dauer der Unterbringungsdauer im Urteilstenor fehlte, bildete allein der Umstand, daß bei einer Maßregel nicht nach eine nach dem Strafrahmen und den Zumessungsregeln des §§ 46 ff. zu bemessende bestimmte Strafe festzulegen ist. Eine Strafe ist für einen von vornherein auf den Tag genau errechenbaren Zeitraum zu vollstrecken; eine frühere Entlassung kann zu bestimmten, ebenfalls errechenbaren Zeitpunkten (Halbstrafe, Zwei-Drittel, 15 Jahre etc.) nach den Regeln der §§ 57 ff. StGB (evtl. § 88 JGG) erfolgen. Die Maßregel hingegen wird zunächst nur angeordnet; ob sie überhaupt vollzogen wird, ist einer späteren Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB überantwortet; spätestens alle zwei Jahre, bei Bedarf auch häufiger, hat das Vollstreckungsgericht zu prüfen, ob der Vollzug der Maßregel noch geboten ist (§ 67e Abs. 2 StGB).

Eines war beim Ausspruch der Anordnung der Sicherungsverwahrung – die gesetzliche Regelung zur Höchstfrist vor Augen – allen Verfahrensbeteiligten klar: Das Gericht entschied über eine Sanktion, die – anders als die Maßregel nach § 63 StGB – nicht potentiell lebenslang ausgestaltet war, sondern nach zehn Jahren ihr Ende finden mußte, so daß sich der Verurteilte den Tag seiner spätest möglichen Entlassung zuzüglich der Haftzeit auf den Tag genau ausrechnen und sein Vollzugsverhalten darauf einrichten konnte. Alle Beteiligten gründeten ihre Entscheidungen und ihr Verhalten darauf. Das die Sicherungsverwahrung anordnende Gericht ebenso wie der mit der Revision eventuell angerufene Bundesgerichtshof bemaßen ihre Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht an einer potentiell lebenslangen Maßnahme, sondern an einer zeitlich begrenzten. Angeklagter, Verteidiger und Staatsanwaltschaft erwogen auf dieser Grundlage ihre Anträge, Plädoyers oder die Einlegung von Rechtsmitteln. Ihren Überlegungen wurde durch die Rückwirkung der Neuregelung der Sicherungsverwahrung nachträglich jede Grundlage genommen.

Das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung in der Urteilsformel kann auch aus einem anderen Grunde nicht bedeuten, daß die Maßregel zeitlich unbegrenzt verhängt worden ist. Derselben, nur scheinbar unbestimmten Fassung des Tenors unterliegt nämlich auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Ihre Höchstfrist beträgt zwei Jahre (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB). Es erscheint gänzlich ausgeschlossen anzunehmen, diese Maßregel, die vom Amtsgericht angeordnet werden kann (§ 24 GVG), werde nach oben hin offen verhängt und könne nachträglich verlängert werden.

dd) Lautete nun das zu vollstreckende Urteil auf eine zeitlich begrenzte Maßregel, so gilt: Die Anordnung der Sicherungsverwahrung knüpft an eine konkrete Anlaßtat an. Sie ist einerseits Legitimationsgrundlage für die Unterbringung und hat andererseits dabei ebenso eine begrenzende Wirkung. Hat der Betroffene seine Freiheitsstrafe verbüßt und ist auch die zum Zeitpunkt der Verurteilung geltende Höchstdauer für die freiheitsentziehende Maßregel abgelaufen, so ist der durch die Anlaßtat gesetzte Sachverhalt abgeschlossen und kann nicht erneut Anknüpfungspunkt von Rechtsfolgen sein. Daran ändert auch die weiterhin bestehende Gefährlichkeit des Verurteilten nichts. Durch das Rechtsstaatsprinzip ist dieser Eingriff verboten, weil eine „echte“ Rückwirkung vorliegt, die eine Abwägung mit seiner Gefährlichkeit (die „Relativierung des Absoluten“, RiBVerfG Udo diFabio, zitiert nach „Der Tagesspiegel“ vom 9. Februar 2011) ausschließt. Die durch das Strafurteil vorgenommene Begrenzung der Freiheitsentziehung begründet für die verurteilten Straftäter die verbindliche Erwartung, nach dem Verbüßen der Strafe und der Erledigung der freiheitsentziehenden Maßregel wieder ein Leben in Freiheit führen zu können.

Etwaige Einschränkungen des Rechtsstaatsprinzips untergraben die Verläßlichkeit der Rechtsordnung nachhaltig nicht nur für den Verurteilten. Kein Staatsbürger könnte sich mehr bei seinen Entscheidungen und Erwartungen auf verbürgte Rechtspositionen, die geltenden Gesetze und die Rechtskraft eines Urteils verlassen. Werden der objektive Inhalt eines Urteils und die berechtigte Erwartung eines Verwahrten in den Bestand seines rechtskräftigen Urteils der Abwägung mit seiner potentiellen Gefährlichkeit preisgegeben, so bedeutet dies einen tiefen, übermäßigen Eingriff in seine Freiheitsrechte und damit auch für jedermann einen Eingriff in die Unverbrüchlichkeit des Rechtsstaats, der für jeden Bürger Rechtsunsicherheit schafft (vgl. zur Doppeldeutigkeit des Begriffs „Sicherheit“ Ullen-bruch NStZ 1998, 326, 330).

d) Der in § 2 Abs. 6 StGB festgelegte Unterschied zwischen Strafen und Maßregeln kann im Zusammenhang mit der Rechtskraft des Urteils nicht gegen diese in die Waagschale geworfen werden. Denn es handelt sich um eine dem materiellen Strafrecht angehörige Vorschrift, welche die Rückwirkung für den Fall anordnet, daß die schärfere Maßregel zur Tatzeit noch nicht galt. Mit der nachträglichen Veränderung eines rechtskräftigen Urteils hat sie nichts zu tun.

Die Höchstfrist des § 67d Abs. 1 und 3 StGB alter Fassung begründete mithin für den Verurteilten nicht nur die Erwartung, nach Ablauf von zehn Jahren entlassen zu werden und ein darauf fußendes abwägungsfähiges Vertrauen, sondern einen durch die Rechtskraft des Urteils begründeten Anspruch.

2. Seiner Rechtsüberzeugung folgend kann der Senat jedoch nicht entscheiden (§ 31 Abs. 2 Satz 1, § 13 Nr. 8a BVerfGG).

Gleichwohl kommt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht in Betracht. Sie wäre unzulässig, weil die aufgeworfene verfassungsrechtliche Frage zwar logisch vorrangig, im Endeffekt aber nicht entscheidungserheblich wäre. Denn der Senat ist auch einfach-rechtlich der Auffassung, daß das Urteil des EGMR im Rahmen des geltenden Rechts umgesetzt werden kann und muß.

3. Durch Art. 7 Abs. 1 MRK ist im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB „gesetzlich etwas anderes bestimmt“, als nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Der Senat folgt damit den Beschlüssen des 4. Strafsenats des BGH vom 18. November 2010 – 4 ARs 27/10 – juris - und vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 – (NStZ 2010, 567), des 3. Strafsenats des BGH vom 17. Februar 2011 – 3 ARs 35/10 – juris und der Oberlandesgerichte Frankfurt am Main (u.a. NStZ 2010, 573; NStZ-RR 321; Hamm (u. a. Beschluß vom 29. Juli 2010 – III-4 Ws 193/10 -juris); Karlsruhe (u.a. NStZ-RR 2010, 322) und Schleswig (SchlHA 2010, 296)(so auch Grabenwarter JZ 2010, 857). Auch der Senat erachtet die Überlegung für überzeugend, daß dem Gesetzgeber nicht ein entgegenstehender Wille unterstellt werden könne, sich unter Verletzung der völkerrechtlichen Pflichten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Völkergemeinschaft Europas (Mitglieder des Europarates sind sämtliche europäischen Staaten mit Ausnahme Weißrußlands) die Rechtsprechung des EGMR, einer Institution des Europarates (nicht der Europäischen Union, wie vielfach zu lesen war), nicht umzusetzen (vgl. BGH aaO).

Diese Pflicht gilt auch für die Gerichte (vgl. BVerfGE 111, 307 – Görgülü = NJW 2004, 3407; drängend: Pollähne R + P 2001, 2). Daß die Einbeziehung „im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung“ möglich ist, ist in den oben zitierten Entscheidungen nachgewiesen. Diese – einzige - vom Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Berücksichtigung der MRK im Gefüge der Gesetze postulierte Einschränkung sollte auch nicht – wie von den Gegnern argumentativ verwendet - der Einschränkung der Grundrechte deutscher Staatsbürger, namentlich ihres Freiheitsrechts, dienen, sondern vielmehr der Aufrechterhaltung der deutschen Souveränität und der Letztverbindlichkeit des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, 3407, 3408 rechte Spalte – juris Rdnrn. 33-36; zur „Völkerrechtsfreundlichkeit“ vgl. auch BVerfG NJW 2011, 207).

4. Der Senat ist auch an dieser Entscheidung durch die Beschlüsse des 5. Strafsenats des BGH vom 9. November 2010 - 5 StR 394/10, 5 StR 440/10, 5 StR 474/10 – (NJW 2011, 240) und vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 – (BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 4 = NJW 2010, 3315), des 2. Strafsenats des BGH vom 22. Dezember 2010 – 2 ARs 456/10 - sowie der Oberlandesgerichte Stuttgart (Justiz 2010, 401; 2010, 346); Celle (NStZ-RR 2010, 322); Hamburg (Beschluß vom 24. Januar 2011 – 3 Ws 8/11 - juris); Koblenz (JR 2010, 306) und Nürnberg (NStZ 2010, 574) gehindert, was nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG grundsätzlich die Vorlagepflicht auslöst.

5. Eine Vorlage ist aber nicht möglich. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Verfahren nur deshalb ausgesetzt werden und eine Vorlage allein aus prozeßökonomischen Gründen unterbleiben kann, weil ein anderes Oberlandesgericht die Vorlage bereits bewirkt hat (so OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 19. August 2010 – 3 Ws 688 + 689/10 – und OLG Stuttgart StV 2004, 142; Franke in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., 121 GVG Rdn. 85; a. A. HansOLG Hamburg, Beschluß vom 24. Januar 2011 – 3 Ws 8/11 – juris). Im Streitfall erachtet der Senat die Vorlage nicht als möglich, weil der dafür allein zuständige 5. Strafsenat des BGH sie auf keinen Fall bearbeiten würde. Denn er hat nach seinem Anfragebeschluß vom 9. November 2010 (NJW 2011, 240) die Verfahren bezüglich sämtlicher anderen vergleichbaren Vorlagen mit einer Serie von Beschlüssen vom 10. November 2010 (juris) ruhend gestellt und die Akten an die Oberlandesgerichte zurückgegeben.

6. In der Zwischenzeit haben die Gerichte die in dem Beschluß vom 9. November 2010 aufgestellten Maßstäbe anzuwenden.

Der Senat hat hierzu in seinem Beschluß vom 24. Februar 2011 – 2 Ws 19/11 – ausgeführt:

„Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der eine rückwirkende Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB für zulässig hält, hat in drei sogenannten Altfällen wegen einer von seiner Auffassung divergierenden Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zu einer identischen Rechtsfrage bei der Auslegung des § 66b StGB (vgl. BGH NStZ 2010, 567) und wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser Rechtsfrage das Verfahren nach § 132 GVG eingeleitet (vgl. BGH NJW 2011, 240). In einer Vielzahl weiterer Verfahren hat er das Ruhen der Verfahren bis zu Erledigung des Anfragebeschlusses vom 9. November 2010 angeordnet. Der 5. Strafsenat hat dabei in dem genannten Anfragebeschluß vom 9. November 2010 (BGH NJW 2011, 240) sowie in mehreren anderen Beschlüssen (vgl. z.B. BGH, Beschluß vom 10. November 2010 - 5 StR 390/10 – juris) darauf hingewiesen, daß während des laufenden Vorlageverfahrens gem. § 132 GVG die mit der Sache befaßten Gerichte bereits vor Klärung der Vorlegungsfrage zu überprüfen haben, ob die Freiheitsentziehung in den sogenannten Altfällen für erledigt zu erklären oder die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung auszusetzen ist. Dabei haben die Gerichte bei der Prüfung wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG einstweilen den Maßstäben zu folgen, die dieser Senat in seinem Anfragebeschluß vom 9. November 2010 zugrunde gelegt hat (vgl. BGH NJW 2011, 240; BGH, Beschluß vom 10. November 2010 - 5 StR 390/10 – juris), und zwar auch dann wenn sie sie - wie der Senat, der die Auffassung des 4. Strafsenats des BGH und der Oberlandesgerichte Frankfurt am Main NStZ 2010, 573; Hamm StRR 2010, 352; Karlsruhe OLGSt StGB § 2 Nr. 8 = Justiz 2010, 350; Justiz 2010, 352 = NStZ-RR 2010, 322 und Schleswig SchlHA 2010, 296; (vgl. auch OLG Rostock, Beschluß vom 20. Januar 2011 – 1 Ws 6/11 -; Grabenwarter JZ 2010, 857) teilt - nicht für richtig und wenig praktikabel halten. ...
.
Nach den Maßstäben des 5. Strafsenats ist die Vorschrift des
§ 67d Abs. 3 Satz 1 StGB im Lichte der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch einschränkender auszulegen, als dies bereits vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) verlangt wurde.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Entscheidung hervorgehoben, daß das Gesetz grundsätzlich davon ausgehe, die Gefährlichkeit des Untergebrachten habe sich nach Ablauf von zehn Jahren erledigt, weshalb sich die Fortschreibung unwiderlegter Gefährlichkeitsprognosen verbiete. Vielmehr müßten konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, daß die Gefährlichkeit entgegen der gesetzlichen Vermutung fortbestehe. Eine Fortsetzung der Maßregel jenseits der Zehnjahresgrenze komme nur bei denjenigen in Betracht, deren nunmehr vermutete Ungefährlichkeit widerlegt sei (BVerfG a.a.O. Rdn. 106).

Die nunmehr erforderliche noch einschränkendere Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB führt nach Auffassung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs dazu, daß in den sogenannten Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären ist, sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. Daneben kann die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nur dann angeordnet werden, wenn der Verurteilte – etwa mit hoher Rückfallgeschwindigkeit, während gewährter Lockerungen oder bereits im Vollzug geplant – mehrere Vortaten im genannten Sinn begangen hat und sich im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung keine positiven Anhaltspunkte ergeben haben, die eine Reduzierung der im Vorleben des Verurteilten dokumentierten massiven Gefährlichkeit nahelegen.
Nur unter sehr eng zu handhabenden Voraussetzungen erscheine es vertretbar, den Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines „auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderlichkeit der zur Tatzeit bestimmten Rechtsfolge – auch in ihrer Dauer -“ und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit eine Entscheidung zu seinen Lasten getroffen werde dürfe (vgl. BGH NJW 2011, 240, 244). So soll gewährleistet werden, daß die rückwirkende Anwendung der Sicherungsverwahrung auf die Fälle begrenzt wird, in denen das tangierte Freiheitsrecht des Verurteilten mit im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten wichtigen Rechten Dritter kollidiert.

Angesichts dieser erhöhten Anforderungen an die Gefahrprognose kommt – so der 5. Strafsenat - eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB nur selten in Betracht. Sie ist allerdings in Erwägung zu ziehen, wenn eine hochgradige Gefahr im dargelegten Sinne zwar prognostiziert wird, diese aber durch den Widerrufsdruck und die mit einer Aussetzung zur Bewährung zu verbindenden Weisungen so weit reduziert werden kann, daß angenommen werden kann, der Verurteilte könne von der Begehung schwerster Gewalttaten oder Sexualverbrechen abgehalten werden.“



III.
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann der Beschwerdeführer nicht aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden.

1. Der Senat teilt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluß, wonach die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wegen fortbestehender hoher Gefährlichkeit des Beschwerdeführers weder gemäß § 67d Abs. 3 StGB für erledigt erklärt noch entsprechend § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Von ihm sind infolge seines Hanges weiterhin aktuell erhebliche Straftaten mit schwerer körperlicher oder seelischer Schädigung der Opfer zu erwarten.

a) Die strafrechtliche Vergangenheit des Beschwerdeführers hat folgenden Verlauf genommen: Nachdem im Jahre 1968 vom Amtsgericht Tiergarten die vorläufige Fürsorgeerziehung angeordnet worden war, wurde der Beschwerdeführer in den Jahren 1970 bis 1974 wegen verschiedener Diebstahlsdelikte, Vortäuschung einer Straftat sowie schweren Raubes verurteilt. Die gegen ihn durch das Amtsgericht Tiergarten in Berlin im März 1974 verhängte Jugendstrafe von insgesamt drei Jahren und zehn Monaten verbüßte er bis zum 21. August 1974. Im Februar 1975 verurteilte ihn das Amtsgericht Tiergarten wegen Diebstahls im besonders schweren Fall zu sieben Monaten Freiheitsstrafe, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt, aber nach Bewährungswiderruf vollstreckt wurden. Bereits wenige Wochen nach Beginn der Bewährungszeit folgte ein gemeinschaftlicher schwerer Diebstahl im Rückfall, der vom Amtsgericht Tiergarten im August 1975 mit einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe geahndet wurde. Im Februar 1976 verurteilte das Landgericht Berlin den Beschwerdeführer zudem wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl in elf Fällen zu sechs Jahren Freiheitsstrafe. Hinzu trat eine weitere Verurteilung wegen schweren Raubes im Mai 1976 zu drei Jahren Freiheitsstrafe, die zu einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung von sieben Jahren Freiheitsstrafe führte. Diese wurde bis zum Mai 1987 vollstreckt. Während der Haftzeit kam es in den Jahren 1979 bis 1984 zu weiteren, geringeren Verurteilungen wegen Beleidigung und Gefangenenmeuterei. Nur wenige Monate nach der Haftentlassung beging der Beschwerdeführer die schwerwiegende Anlaßtat, die zur Anordnung der Sicherungsverwahrung führte.

b) Nach den Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. November 1987 zeichnete sich die Anlaßtat durch ganz besondere Brutalität und sadistische Komponenten aus: Der Verurteilte hatte kurz nach seiner Entlassung aus langjähriger Haft zusammen mit einem ihm aus der JVA Tegel bekannten Mittäter nach Konsum von Alkohol und Haschisch beschlossen, die frühere Ehefrau eines Mitinhaftierten in ihrer Wohnung zu überfallen und auszurauben. Während des Tatgeschehens wurde die Frau ins Gesicht geschlagen, gefesselt und geknebelt. Mit dem Überziehen einer Plastiktüte über ihren Kopf wurde sie konkreter Erstickungsgefahr ausgesetzt und zugleich mit einem Messer bedroht. Das anfängliche Raubgeschehen artete sodann in Vergewaltigung und Mißhandlungen aus. Mit Schlägen und Mißhandlungen wurde die Geschädigte gefügig gemacht und von beiden Tätern mehrfach sexuell mißbraucht. Der Verurteilte urinierte auf der Geschädigten, versetzte ihr Schnitte an Brust und Gesäß und würgte sie heftig. Über ihre Todesangst machten sich beide lustig. Mit einem Strumpf um den Hals wurde die Geschädigte stranguliert. Der Verurteilte stieß seinem Opfer Gegenstände in Scheide und After hinein, wodurch die Geschädigte heftige Schmerzen erlitt und die Gegenstände später zum Teil nur noch operativ entfernt werden konnten. Aufgrund der erlittenen Schmerzen und der Strangulation verlor die Geschädigte das Bewußtsein. Den um den Hals gebundenen Strumpf zerschnitt der Mittäter, als beide die Wohnung verließen.

Das Landgericht Berlin nahm an, daß bei dem Verurteilten im Zeitpunkt der Tatbegehung die „Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“ infolge des Alkohol- und Drogenkonsums im Zusammenwirken mit einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung erheblich eingeschränkt gewesen sei.

c) Die zum gegenwärtigen Zeitpunkt anzustellende Prognose
ist u.a. auf die Ausführungen des der Kammer als besonders zuverlässig und kompetent bekannten Sachverständigen Prof. Dr. Kröber in seinem kriminalprognostischen Gutachten vom 19. Mai 2010 und im Rahmen der Anhörung vom 02. September 2010. Als Grundlage für die Gefährlichkeitsprognose dienten die bereits vorliegenden Gutachten, der Akteninhalt sowie alle sonstigen zugänglichen Informationen. Eine Exploration und eine Teilnahme an der Anhörung hatte der Beschwerdeführer zuvor abgelehnt.

Die Strafvollstreckungskammer hat zu dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Kröber, das mit Ergebnissen der Sachverständigen Dr. Luther von Ende 2009 übereinstimmt, im einzelnen ausgeführt:

„Danach ergibt sich folgendes Bild: Die Gefahr, daß der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, ist demnach nach wie vor akut vorhanden. Der Sachverständige hat die plausible und nachvollziehbare Einschätzung abgegeben, dass der Untergebrachte schon nach kurzer Zeit wieder massiv straffällig werden wird, insbesondere auch Raub und ähnliche Gewalttaten zu erwarten sind, infolge fortschreitenden Alters aber wohl nicht mehr mit solcher Brutalität wie die Anlasstat.

Grund hierfür ist, dass der Untergebrachte in markanter Form die Kriterien einer antisozialen Persönlichkeitsstörung des DSM IV erfüllt, also zusätzlich zu den Kriterien einer „dissozialen Persönlichkeitsstörung“ im Sinne des ICD 10 auch die Kriterien eines frühen Beginns und einer ausgeprägten Symptomatik bereits vor dem 16. Lebensjahr. Kompliziert wurde die seit Jugendbeginn ausgeprägte dissoziale Entwicklung durch früh beginnenden Drogenkonsum. Von früheren Zeugen wurde der Untergebrachte als „Schlägertyp“ bezeichnet, der rasch geneigt ist, sich gewaltsam durchzusetzen, und dem ein anscheinend auch ein grobes Auftreten ein Bedürfnis ist. Dies beförderte die Begehung heftiger Raubdelikte, in denen er Stärke und Durchsetzungsfähigkeit beweisen konnte. Der Sachverständige charakterisiert den Untergebrachten nachvollziehbar als dissozialen, rücksichtslosen und brutal gewalttätigen Mann, bei dessen Anlasstat eine deutliche sadistische Reaktionsbereitschaft und eine hohe Bereitschaft zu massiv destruktivem, bis an die Grenze der Tötung gehendem Ausagieren sichtbar werde.

In der Haft hat sich der Untergebrachte absolut einzelgängerisch verhalten und jegliche Auseinandersetzung mit seiner Delinquenz verweigert. Es ist bei ihm keinerlei Tataufbereitung erkennbar, obwohl die leicht überdurchschnittliche Intelligenz ihm dies ermöglichen würde. Zwar hat sich der Untergebrachte in der Haft nach vielen Jahren des Strafvollzuges letztlich auch angepasst verhalten und sediert sich durch Einnahme von Methadon und THC. Andererseits lehnt der Untergebrachte den Staat und seine Einrichtungen vollständig ab und ist zu keinerlei Kooperation bereit, sofern sie nicht zu seinen Bedingungen erfolgt. […]

Altersbedingte Veränderungen im Sinne einer erheblichen Abschwächung antisozialer oder aggressiver Anteile sind (noch) nicht zu konstatieren. Hierauf zu warten ist bei weiterer Totalverweigerung durch den Untergebrachten letztlich das einzige, was die in den bisherigen Taten zu tage tretende Gefährlichkeit erheblich mindern kann.

[…] In der mündlichen Anhörung am 02. September 2010 hat der Sachverständige Prof. Dr. Kröber […] das Bild eines seit früher Jugend antisozialen Untergebrachten gezeichnet, dem die Regeln des Staates und die Rechtsgüter anderer egal sind und von dem weiterhin akute Gefahren für hochrangige Rechtsgüter anderer ausgehen, dem also im Fall einer Entlassung angesichts der Verweigerung jedweder Kooperation die Gefährlichkeit gleichsam „auf die Stirn geschrieben steht“.

d) Zudem ist der Strafvollstreckungskammer noch vor ihrer Entscheidung bekannt geworden, daß bei einer Durchsuchung des Haftraumes des Beschwerdeführers am 22. September 2010 in einem nachträglich angefertigten Hohlraum des Schreibtisches des Beschwerdeführers ein manipulierter Laptop (ohne Bildschirm) mit Netzkabel und PC-Maus, vier USB-Sticks (auf denen sich pornographisches Bildmaterial befand), ein „Medion Mobil“ Web-Stick mit eingelegter „e-plus-medion mobil“ SIM-Karte und eingelegter 8 GB-Mini-SD-Karte sowie PC-Lüfter, mehrere ungesiegelte Original-CD’s mit Computerprogrammen, ein spitz zulaufendes, scharf geschliffenes Messer und diverses Werkzeug aufgefunden und sichergestellt worden ist. Nach Aussage des Beschwerdeführers habe er diese Gegenstände für andere Verwahrte und Strafgefangene aufbewahrt.

e) Nach alledem ist der Senat überzeugt, daß aktuell ein weit höheres als das vertretbare Restrisiko besteht, daß der Beschwerdeführer auf freiem Fuß erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, so daß er nach den vom 5. Strafsenat des BGH aufgestellten Maßstäben in die höchste Gefährlichkeitsgruppe eingeordnet werden muß. Den Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose der Strafvollstreckungskammer hat die Beschwerde nichts entgegengesetzt.

2. Der unter III. 1. ausgeführte Befund kann aber wegen der insgesamt oberstgerichtlich ungeklärten Rechtsfragen nicht zur Verwerfung des Rechtsmittels führen, so daß der Senat die Entscheidung im Umfang der Beschlußformel aussetzt.

Er weist die Vollzugsbehörde darauf hin, daß über Lockerungen zugunsten des Beschwerdeführers nicht nach §§ 130, 11 Abs. 2 StVollzG, sondern gemäß § 134 StVollzG (Entlassungsvorbereitung) zu befinden ist (vgl. OLG Koblenz, Beschluß vom 17. Januar 2011 – 2 Ws 586/10 (Vollz) – juris).

Einer Entscheidung über die Kosten und Auslagen bedarf es in dieser Zwischenentscheidung nicht.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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