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Entscheidungen

Gebühren

Fehlerhafte Kostengrundentscheidung, Bindung, Rechtspfleger

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Koblenz, Beschl. v. 24.09.2010 - 4 Qs 56/10

Fundstellen:

Leitsatz: Ein Rechtspfleger ist im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens an eine bestandskräftige Kostengrundentscheidung grundsätzlich gebunden, selbst wenn diese eine dem geltenden Recht unbekannte und von vornherein unzulässige Rechtsfolge ausspricht, fehlerhaft oder sogar grob gesetzeswidrig ist. Lediglich dann, wenn die Kostengrundentscheidung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nichtig ist, kann die Entscheidung unbeachtlich sein.


In pp.
Die Beschwerde des Bezirksrevisors vom 03. August 2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Betzdorf vom 21. Juli 2010 – Az.: 2070 Js 24049/09 – wird zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
Gegen den hier im Beschwerdeverfahren nicht beteiligten … wurde wegen gefährlicher Körperverletzung Anklage erhoben. Der mutmaßlich Geschädigte war Nebenkläger und wurde als solcher anwaltlich vertreten. Der Angeklagte, der Verteidiger, der Nebenklägervertreter und der Nebenkläger, vertreten durch die Erziehungsberechtigten, haben sodann einen Vergleich über die Zahlung von Schmerzensgeld geschlossen.
Sodann erging in der mündlichen Verhandlung vom 08. März 2010 folgender Beschluss:
„Im allseitigen Einverständnis mit der Staatsanwaltschaft und den sonstigen Beteiligten wird das Verfahren vorläufig gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt. Dem Angeklagten wird aufgegeben, bis zum 30. März 2010 einen Betrag von 500,00 Euro an den Vater des Nebenklägers zu zahlen. Im Falle der endgültigen Einstellung ist beabsichtigt, die notwendigen Auslagen des Nebenklägers der Staatskasse aufzugeben.“
Ein entsprechender Beschluss erging am 07. April 2010. Das Verfahren wurde endgültig eingestellt.
Mit Schreiben vom 21. April 2010, gerichtet an die Staatsanwaltschaft Koblenz, regte der Bezirksrevisor an, gegen die Entscheidung das zulässige Rechtsmittel einzulegen.
Mit Verfügung vom 30. April 2010 stellte die Staatsanwaltschaft Koblenz fest, dass die Auslagenentscheidung nicht anfechtbar ist. Es wurde angeregt, den Beschluss zu berichtigen.
Mit Vermerk 06. Mai 2010 stellte die entscheidende Richterin fest, dass die inhaltlich falsche Entscheidung offensichtlich versehentlich tatsächlich so gewollt war.
Der Bezirksrevisor nahm erneut Stellung mit Schreiben vom 09. Juni 2010.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. Juli 2010 wurden die dem Nebenkläger aus der Staatskasse zu erstattenden Auslagen antragsgemäß auf 800,92 Euro festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss legte der Bezirksrevisor mit Schreiben vom 03. August 2010 Beschwerde ein. Dieser Beschwerde wurde mit Beschluss vom 24. August 2010 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
Die Beschwerde des Bezirksrevisors ist als sofortige Beschwerde gemäß § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 Satz ZPO statthaft. Zu entscheiden ist durch die für das Strafverfahren vorgesetzte Besetzung (Meyer-Goßner StPO, 53. Aufl. 2010, § 464b Rdnr. 7).
2.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig aber nicht begründet.
Die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts ist zwar falsch: Kosten des Nebenklägers dürfen der Staatskasse in keinem Fall auferlegt werden, da § 472 StPO eine solche Regelung nicht vorsieht (Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage 2010, § 472 Rn. 3).
Der Rechtspfleger ist im Kostenfestsetzungsverfahren jedoch an die bestandskräftige Kostengrundentscheidung gebunden, auch wenn sie eine dem geltenden Recht unbekannte und von vorne herein unzulässige Rechtsfolge ausspricht, fehlerhaft oder sogar grob gesetzeswidrig ist. Lediglich dann, wenn die Kostengrundentscheidung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nichtig ist, wenn nämlich die Anerkennung der Gültigkeit wegen des Ausmaßes und des Gewichts der Fehlerhaftigkeit für alle billig und gerecht Denkenden geradezu unerträglich wäre, die Entscheidung im Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen Prinzipien unserer rechtstaatlichen Ordnung krass widerspräche, kann die Kostengrundentscheidung unbeachtlich sein (Landgericht Saarbrücken, Beschluss vom 30.05.2001 – 8 Qs 194/00 –, Meyer-Goßner a.a.O., § 464b Rdnr. 1).
Die Kostenentscheidung kann nicht als Nullum behandelt werden, denn dies widerspräche dem Grundsatz der formellen Rechtskraft. Es ist nicht Inhalt des Kostenfestsetzungsverfahrens, Grundentscheidungen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Das ist nur mit dem für die Anfechtungsentscheidung zulässigen Rechtsmittel möglich. Sieht das Gesetz eine Anfechtungsmöglichkeit nicht vor oder wird das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt, darf die Grundentscheidung nicht im Festsetzungsverfahren abgeändert werden. Mit der Bindung des Rechtspflegers an den materiellen Inhalt der Kostenentscheidung soll eine nochmalige Überprüfung und – im Extremfall – eine Korrektur der Entscheidung nach dem Ermessen des Rechtspflegers gerade verhindert werden. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen kann auch angesichts der klaren Trennung zwischen Kostengrundentscheidung und Kostenfestsetzungsverfahren auch im Falle einer eindeutig falschen Grundentscheidung nicht zugelassen werden (Landgericht Saarbrücken a.a.O.).
Es sind keine Gründe ersichtlich, warum gerade im Bereich des Kostenrechts der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz der Rechtsicherheit zurücktreten sollte. Fehlerhafte Entscheidungen im Kostenrecht haben allenfalls finanzielle Auswirkungen ohne Freiheitsrechte zu berühren. Ggf. sind entstandene Schäden auszugleichen.
Vorliegend ist nicht davon auszugehen, dass die gesetzeswidrige Kostengrundentscheidung nichtig ist. Mit § 472 StPO besteht eine gesetzliche Regelung zur Erstattungsfähigkeit der notwendigen Auslagen des Nebenklägers. Die Erstattungspflicht wurde vorliegend lediglich fehlerhaft zugeordnet.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 473 StPO.


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