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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 217/08 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Aufhebung eins Haftbefehls während laufender Hauptverhandlung wegen Unverhältnismäßigkeit


Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbefehl; Aufhebung; Unverhältnismäßigkeit; Hauptverhandlung;

Normen: StPO 120

Beschluss:

Strafsache
gegen XX.
wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung u.a.,
(hier: Haftbeschwerde des Angeklagten)

Auf die Haftbeschwerde des Angeklagten vom 27. Juni 2008 gegen den Beschluss der 12. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 26. Juni 2008, durch den der Antrag des Angeklagten auf Aufhebung des Haftbefehls vom 14. März 2008 zurück-gewiesen worden ist, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 31. 07. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Ober-landesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht beschlossen:

Der Haftbefehl des Landgerichts Bochum vom 14. März 2008 wird aufgehoben.

Zur Klarstellung wird der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 26. Juni 2008 ebenfalls aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten im Be-schwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:
I.
Gegen den Angeklagten ist seit 2006 ein umfangreichen Strafverfahrens anhängig, in dem dem Angeklagten und mehreren Mitangeklagten die Bildung einer kriminellen Vereinigung und betrügerisches Verhalten zu Lasten verschiedener Mobilfunkanbie-ter vorgeworfen wird. In diesem Verfahren befindet sich der Angeklagte seit dem 29. November 2006 in Untersuchungshaft. Diese ist wurde zunächst aufgrund des Haft-befehls des Amtsgerichts Bochum vom 14. November 2006 vollzogen. Inzwischen besteht gegen den Angeklagten der Haftbefehl der Strafkammer vom 14. März 2008, der dem Angeklagten am selben Tage verkündet worden ist. Der Senat hat im Ver-fahren nach den §§ 121, 122 StPO durch Beschlüsse vom 18. Juni 2006 (2 OBL 41/07 OLG Hamm bzw. 2 Ws 149/07 OLG Hamm) und vom 4. Oktober 2007 (2 OBL 99/07 OLG bzw. 2 Ws 285/07 OLG Hamm) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs bzw. neun Monate hinaus angeordnet. Danach hatte der Angeklagte ge-gen den Haftbefehl der Strafkammer vom 14. März 2008 Haftbeschwerde eingelegt, die der Senat durch Beschluss vom 8. Mai 2008 ( 2 Ws 124/08 OLG Hamm) verwor-fen hat. In diesem Beschluss hat der Senat u.a. ausgeführt, dass der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch noch verhältnismäßig sei, wobei der Senat allerdings davon ausgehe, „dass das Verfahren weiterhin zügig betrieben und entsprechend der derzeitigen Terminplanung im August 2008 abgeschlossen werden wird.“

Inzwischen hatte nämlich die Hauptverhandlung am 3. Januar 2008 begonnen. Sie hatte bis zum Beschluss des Senats vom 8. Mai 2008 an etwa 20 Hauptverhand-lungstagen stattgefunden. Danach haben weitere 10 Hauptverhandlungstermine stattgefunden. Im der Hauptverhandlung vom 3. Juli 2008 ist das Verfahren gegen den Angeklagten abgetrennt worden. Zugleich hat die Strafkammer weitere 15 Hauptverhandlungstermine gegen den Angeklagten für die Zeit bis einschließlich Ok-tober 2008 bestimmt, die jeweils nachmittags um 13.30 beginnen sollen. Darüber hinaus sind fünf weitere Termine bestimmt worden, an denen ganztägig gegen den Angeklagten verhandelt werden soll.

Der Angeklagte hat am 16. Juni 2008 beantragt, den Haftbefehl der Strafkammer vom 14. März 2008 aufzuheben. Diesen Antrag hat die Strafkammer mit dem ange-fochtenen Beschluss vom 26. Juni 2008 zurückgewiesen. Gegen diesen hat der An-geklagte am 27. Juni 2008 Haftbeschwerde eingelegt, der die Strafkammer nicht ab-geholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel zu ver-werfen.

II.
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Haftbefehl der Strafkammer war aufzuheben, da der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig ist.

Dahinstehen kann die Frage, ob dringender Tatverdacht i.S. des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO gegen den Angeklagten besteht (vgl. dazu aber Senat im Beschluss vom 8. Mai 2008, a.a.O.). Der Senat braucht sich auch nicht mehr zu der Frage zu äußern, ob (noch) Fluchtgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO angenommen werden kann. Jedenfalls ist nämlich der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht mehr verhält-nismäßig.

Jeder Haftbefehl steht nach § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO unter dem Gebot der Beach-tung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der besonders nochmals in § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO erwähnt ist. Danach darf die Untersuchungshaft nur angeordnet wer-den, wenn sie zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßre-gel der Besserung und Sicherung nicht außer Verhältnis steht. Entsprechendes gilt für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Bei der insoweit erforderlichen Ab-wägung müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden, wie z. B. die Schwere des Eingriffs in den Lebensbereich des Beschuldigten, die Bedeutung der Strafsache und die zu erwartenden Rechtsfolgen (wegen der Einzelheiten siehe Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., 2008, § 112 Rn. 11 mit weiteren Nachweisen; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., 2006, Rn. 1712 ff:, Herrmann, Untersuchungshaft, 2007, Rn. 837 ff.). Von Bedeutung sind in dem Zusammenhang vor allem aber auch die bisherige und die noch zu erwartende Verfahrensdauer, die insbesondere über die Berücksichtigung des für Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatz des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK, von Belang ist (vgl. dazu EGMR StV 2005, 136 sowie u.a. BVerfG NJW 2006, 668; 2006, 672; OLG Hamm StV 2006, 191; OLG Frankfurt StV 2006, 195). Auf dieser Grundla-ge gilt allgemein, dass die Untersuchungshaft unverhältnismäßig ist, die zur Bedeu-tung der Sache und den zu erwartenden Rechtsfolgen außer Verhältnis steht (vgl. z.B. OLG Dresden StV 2004, 495; siehe auch Meyer-Goßner, a.a.O., § 120 Rn. 3 ff.). Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind die Schwere des Tatvorwurfs und die Höhe einer ggf. zu erwartenden Strafe von Belang (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 250). Bei der Beurteilung der zu erwartenden Strafe ist auch zu berücksichti-gen, ob ein Strafrest ggf. nach § 57 StGB ausgesetzt wird (OLG Hamm NStZ-RR 2004, 152; Meyer-Goßner, a.a.O., § 120 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen; Burhoff, a.a.O., Rn. 1712 a; Herrmann, a.a.O.; Rn. 847 ff.).

Danach steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft inzwischen zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis, so dass der Haftbefehl der Strafkammer aufzuheben war. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 8. Mai 2008 darauf hingewiesen, dass der Angeklagte nach seiner Auffassung allen-falls mit einer Freiheitsstrafe in Höhe von fünf Jahren zu rechnen habe. Darauf ist die bereits seit November 2006 vollzogene Untersuchungshaft anzurechnen und zudem zu berücksichtigen, dass nach der derzeitigen Terminsplanung der Strafkammer, wie sie sich aus den mitgeteilten Terminen ergibt, zumindest noch weitere rund drei Mo-nate Untersuchungshaft zu erwarten sind. Damit dürften im Fall der Verurteilung des Angeklagten gemäß § 51 StGB etwa 23 Monate Untersuchungshaft anzurechnen sein. Berücksichtigt man dann noch, dass der Angeklagte - im Fall der Verurteilung - im Zweifel eine Zwei-Drittel-Aussetzung nach § 57 StGB zu erwarten haben wird, liegt die Annahme der Unverhältnismäßigkeit auf der Hand. Dabei kann die Frage, ob die Strafkammer die Hauptverhandlung ausreichend beschleunigt durchgeführt hat (vgl. die o.a. angeführte Rechtsprechung des BVerfG), dahinstehen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 465 Abs. 1 StPO.



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