Aktenzeichen: 3 Ss 68/08 OLG Hamm |
Leitsatz: 1. Nach § 55 StGB hat der Tatrichter anderweitig rechtskräftig erkannte Strafen in seinen Urteilsspruch einzubeziehen, sofern die sachlichen Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB vorliegen. 2. Hat der erstinstanzliche Tatrichter über die Bildung einer Gesamtstrafe keine Entscheidung getroffen, muss das Berufungsgericht diese nachholen, um dem aus § 55 StGB folgenden Gebot gerecht zu werden. Durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO ist es daran nicht gehindert. 3. Eine Entscheidung des erstinstanzlichen Richters über die Gesamtstrafenbildung liegt nicht vor, wenn diesem die gesamtstrafenfähig anderweitige Verurteilung zwar bekannt war, er aber die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung fehlerhaft nicht erkannt hat. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Gesamtstrafenbildung; nachträgliche; Einbeziehung; Verschlechterungsverbot; |
Normen: StGB 53; StGB 54; StGB 55; StPO 331; StPO 354 |
Beschluss: Strafsache gegen I.M. wegen Diebstahls Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 26. November 2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 03. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht ach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 15. September 2006 eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels. Gründe: I. Das Amtsgericht Strafrichter Herford hat den Angeklagten durch Urteil vom 16.05.2007 wegen eines am 14.09.2006 gegen 17.00 Uhr begangenen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Wegen eines ebenfalls am 14.09.2006 gegen 18.42 Uhr begangenen Diebstahls war der Angeklagte bereits am 15.09.2006 vom Amtsgericht Bielefeld rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 5 verurteilt worden. Das Landgericht Bielefeld hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 16.05.2007 durch Urteil vom 26.11.2007 verworfen. Es hat sich wegen des Verschlechterungsverbots (§ 331 Abs. 1 StPO) an der Bildung einer Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 15.09.2006 gehindert gesehen. Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. II. Die zulässige Revision des Angeklagten hat auf die Sachrüge einen geringfügigen Teilerfolg. 1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält was die Frage der Strafzumessung und die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung angeht rechtlicher Überprüfung stand. 2. Das angefochtene Urteil enthält lediglich insoweit einen sachrechtlichen Mangel, als das Landgericht entgegen § 55 StGB keine Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 15.09.2006 gebildet hat. Nach § 55 StGB hat der Tatrichter anderweitig rechtskräftig erkannte Strafen in seinen Urteilsspruch einzubeziehen, sofern die sachlichen Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB vorliegen. Der Angeklagte soll durch die getrennte Aburteilung seiner Taten in verschiedenen Verfahren keinen Nachteil erleiden und keinen Vorteil erlangen (BGHSt 35, 208, 211; BGHSt 33, 131, 132). Sind in den verschiedenen Verfahren nicht lediglich Freiheitsstrafen verhängt worden, bedarf es nach § 53 Abs. 2 StGB einer besonderen Entschließung darüber, ob eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden oder ob von der Einbeziehung der Geldstrafe abzusehen ist. Im Berufungsverfahren gilt allerdings § 331 Abs. 1 StPO. Danach darf das Berufungsgericht das Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil des Angeklagten abändern, wenn nur der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Berufung eingelegt hat. Die Vorschrift will sicherstellen, dass der Angeklagte bei seiner Entscheidung darüber, ob er von dem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt wird, es könne ihm durch die Einlegung des Rechtsmittels ein Nachteil in Gestalt höherer Bestrafung entstehen (BGHSt 35, 208, 211; BGHSt 7, 86, 87). Hat es der erste Richter abgelehnt, aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, hat er zu dieser Frage mithin eine Entscheidung getroffen, dann hat es bei alleiniger Berufung des Angeklagten dabei sein Bewenden. Dem Rechtsmittelgericht ist es in einem solchen Fall durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO verwehrt, die Entscheidung des ersten Richters zu korrigieren; denn da Freiheitsstrafe im Verhältnis zu Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen ist, würde der Angeklagte durch die mit einer Erhöhung der Freiheitsstrafe verbundene Einbeziehung einer Geldstrafe gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten Urteils eine Verschlechterung erfahren (BGHSt 35, 208, 212 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 4. August 1976 - 2 StR 420/76, bei Holtz MDR 1977, 109). Hat der erste Richter über die Bildung einer Gesamtstrafe keine Entscheidung getroffen, muss das Berufungsgericht diese nachholen, um dem aus § 55 StGB folgenden Gebot gerecht zu werden. Durch § 331 Abs. 1 StPO ist es daran nicht gehindert. Die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe bedeutet zwar für den Angeklagten - insgesamt gesehen - eine Verschlechterung seiner früheren Lage. Diese beruht jedoch nicht auf einer Abänderung der in den Urteilen getroffenen Rechtsfolgenentscheidungen, sondern auf einem erstmals im Berufungsurteil vorzunehmenden richterlichen Gestaltungsakt, der von § 331 Abs. 1 StPO nicht erfasst wird (BGHSt 35, 208; Fischer, StGB, 55. Auflage, § 55 Rdnr. 20; Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 331, Rdnr. 20). Das Fehlen einer Entscheidung über Gesamtstrafenbildung kann darauf zurückzuführen sein, dass dem erstinstanzlichen Tatrichter die gesamtstrafenfähige anderweitige Verurteilung unbekannt geblieben ist, oder die insoweit zu prüfenden Unterlagen trotz sachgerechter Terminsvorbereitung nicht vollständig vorgelegen haben (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73). Eine Entscheidung des erstinstanzlichen Richters über die Gesamtstrafenbildung ist aber auch dann nicht getroffen, wenn diesem die gesamtstrafenfähig anderweitige Verurteilung zwar bekannt war, er aber die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung fehlerhaft nicht erkannt hat (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke-Schröder, StGB, 27. Auflage, § 55, Rdnr. 42; Rissing-van Saan in Leipziger Kommentar, 11. Auflage, § 55, Rdnr. 46; Bringewat, JR 2001, 478). Auch in diesem Fall fehlt es an einer bewusst getroffenen Rechtsfolgenentscheidung. Die bloße Kenntnis des erstinstanzlichen Tatrichters von einer gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung allein ist kein genügender Anhaltspunkt für die Annahme einer nach §§ 53, 55 StGB zu treffenden Entscheidung (vgl. Bringewat a.a.O., a.A. OLG Düsseldorf, JR 2001, 477). Denn die Kenntnis von der Vorverurteilung ersetzt nicht die nach § 55 StGB erforderliche Prüfung, ob die Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist. Beim Absehen der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine nach § 53 Abs. 1 StGB zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe bedarf es zudem regelmäßig einer besonderen Begründung, weil § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Ausnahme von der Regel darstellt (vgl. Fischer, StGB, 55. Auflage, § 53, Rdnr. 6 m.w.N.). Ohne einen ausdrücklichen Ausspruch in der Urteilsformel bzw. ohne besondere Begründung kann trotz Kenntnis der Vorverurteilung deshalb nicht von einer konkludent getroffenen Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung ausgegangen werden (a.A. OLG Düsseldorf, a.a.O., mit insoweit kritischer Anmerkung Bringewat, a.a.O.; ). Mit dem Schweigen des Urteils zur Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung wird diese vielmehr dem Beschlussverfahren (§ 460 StPO) überlassen. Was im Nachtragsverfahren von Amts wegen und auch zu Ungunsten des Verurteilten zulässig ist, kann dem Berufungsgericht, das überdies eine bessere Gewähr für eine gerechte Strafzumessung (vgl. BGHSt 25, 384) bietet, nicht untersagt sein (BGHSt 35, 208, 215, Sternberg-Lieben in Schönke-Schröder, StGB, 27. Auflage, § 55, Rdnr. 42). Vorliegend ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass das Amtsgericht die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung ersichtlich übersehen und deshalb nicht geprüft hat, oder die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung rechtsfehlerhaft verkannt hat. Bei den Feststellungen zur Person hat das Amtsgericht zu den strafrechtlichen Vorbelastungen lediglich die Auskunft aus dem Bundeszentralregister in die Urteilsgründe hineinkopiert, was als solches wenig sachgerecht und daher untunlich ist (vgl. allgemein BGH NStZ-RR 2006, 346; großzügig BayObLG, Beschluss vom 20.12.2004, 4 StrR 204/04, NStZ-RR 2005, 114 LS; zur Darstellung von Vorstrafen vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2001 - 3 StR 202/01, bei Becker, NStZ 2002, 97, 100). Die durch das Amtsgericht Bielefeld durch Urteil vom 15.09.2006 verhängte Strafe ist darin zwar enthalten. Nähere Einzelheiten zu dem konkreten Geschehen werden nicht mitgeteilt. Der für die Beurteilung der nachträglichen Gesamtstrafenbildung wichtige Umstand der Vollstreckung der Geldstrafe wird ebenfalls nicht erörtert. Erst im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung wird der dem Urteil vom 15.09.2006 zugrunde liegende Vorfall angegeben und zur Begründung der ungünstigen Sozialprognose herangezogen. Bei Gesamtbetrachtung enthält das Urteil des Amtsgerichts keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich das Amtsgericht über die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung bewusst war. Das Amtsgericht hat daher keine Entscheidung über das Absehen der Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Urteil vom 15.09.2006 getroffen, so dass das Berufungsgericht nicht wegen des Verschlechterungsverbots an der nach § 55 StGB zu treffenden Entscheidung gehindert war. Da die Taten und die jeweiligen Einzelstrafen feststehen und nicht ersichtlich ist, dass eine neue tatrichterliche Hauptverhandlung insoweit neue, für den Angeklagten günstige Erkenntnisse ergeben könnte, bedarf die Gesamtstrafenbildung keiner Entscheidung aufgrund neuer Hauptverhandlung. Der Senat macht deshalb von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b StPO zu entscheiden. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung obliegt somit dem nach § 462 a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht. Einer Zurückverweisung an dieses Gericht durch das Revisionsgericht gemäß § 354 Abs. 2 StPO bedarf es nicht, weil diese Vorschrift nur in anderen Fällen als denjenigen des § 354 Abs. 1 und Abs. 1 b StPO gilt (vgl. BGH NJW 2004, 3788). In dem Verfahren nach § 460 StPO hat dieses Gericht über die Aussetzung der Gesamtstrafe zur Bewährung neu und - grundsätzlich ohne Bindung an die Vorentscheidung nach der Sachlage zur Zeit der Beschlussfassung zu entscheiden. Es können mithin Umstände herangezogen werden, die dem früheren Richter noch unbekannt waren oder die erst später entstanden sind (vgl. BGH NJW 03, 2841). III. Der Senat kann hinsichtlich der Kosten im Revisionsverfahren abschließend entscheiden. Denn das Rechtsmittel des Angeklagten, der seine Verurteilung umfassend angegriffen hat, hat lediglich hinsichtlich der Gesamtstrafe einen geringfügigen Erfolg. Deshalb kann der Senat die abschließende Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO sofort treffen und braucht sie nicht dem Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO vorzubehalten. |
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