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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 5 Ss 127/08 OLG Hamm

Leitsatz: Wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten.

Senat: 5

Gegenstand: Revision

Stichworte: Beweiswürdigung; Zweifelssatz; Anforderungen; Urteilshründe; Lücke;

Normen: StPO 261; StPO 267

Beschluss:

Verkündet am 22. April 2008
24 Ns 21 Js 298/06 (169/07) LG Essen gez., JOS’in
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle des Ober-
landesgerichts

Strafsache
gegen R.M.
wegen unerlaubten Entfernens von Unfallort u. a.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Essen gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 04. Dezember 2007 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Hauptverhandlung vom 22. 04. 2008, an der teilgenommen haben

Richter am Oberlandesgericht
als Vorsitzender,
Richterin am Oberlandesgericht und
Richterin am Oberlandesgericht
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für R e c h t erkannt:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten durch Urteil vom 02. Juli 2007 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt und „ihm für die Dauer von 12 Monaten verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen“.

Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen mit dem angefochtenen Berufungsurteil das Urteil des Amtsgerichts Essen „abgeändert“ und den Angeklagten freigesprochen.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Essen mit ihrer am 06. Dezember 2007 eingegangenen Revision vom 05. Dezember 2007, die mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründet worden ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft Essen beigetreten und hat beantragt, zu erkennen wie geschehen.

II.
Das Landgericht Essen hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

„1. Dem Angeklagten war mit Strafbefehl vom 28.06.2006 ein vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unerlaubten Entfernens vom Unfallort vorgeworfen worden. Im Einzelnen wurde ihm zur Last gelegt:

Am 17.03.2006 befuhr er gegen 19.43 Uhr mit dem Pkw Ford Scorpio (amtliches Kennzeichen XXXXX) ohne Kenntnis der Fahrzeug-
halterin, seiner Freundin J.A., unter anderem die Straße „Auf
der Union“ in Essen, obwohl er nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war.
Beim Einparken vor dem Haus Nr. 8a beschädigte er das Fahrzeug des
Zeugen T.. Von diesem angesprochen gab er an, er müsse kurz seine
Fahrzeugpapiere holen. Anschließend verließ er den Unfallort, ohne
zurückzukehren.

2. Die Berufungsverhandlung führte zu dem Ergebnis, dass dem Angeklagten die Taten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden konnte, sodass er aus tatsächlichen Gründen freizusprechen war.....“

Wegen der Beweiswürdigung im Einzelnen wird auf die Urteilsgründe unter II) 2) a und b (S. 3, letzter Absatz der Urteilsgründe bis S. 7, zweiter Absatz) verwiesen.

III.
Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen.
Die den Feststellungen der Strafkammer zugrundeliegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Über das Beweisergebnis entscheidet der Tatrichter zwar nach seiner freien richterlichen Überzeugung (§ 261 StPO). Das Revisionsgericht darf die Beweiswürdigung nur auf rechtliche Fehler prüfen, sie aber nicht durch eine eigene ersetzen (BGHSt 10, 208, 210). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung „lebensfremd erscheinen“ mag. Es gibt im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (vgl. BGH NStZ-RR, 2007, 86, NStZ-RR 2005, 147).
Allerdings ist eine Beweiswürdigung dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, z. B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes. Beweiserwägungen sind auch dann rechtlich zu beanstanden, wenn sie besorgen lassen, dass das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt und den Zweifelssatz fehlerhaft auf einzelne Indizien angewandt hat, statt ihn bei der abschließenden Gewinnung der Überzeugung aufgrund der gesamten Beweissituation zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1999, 205, 206; BGH Urteil vom 13. März 2008 – 4 StR 511/07). Der Zweifelssatz bedeutet nicht, dass das Gericht von der dem Angeklagten günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen ( Meyer-Goßner, StPO, 50, Aufl., § 261 Rdnr. 26 m.w.N., BGH NStZ 2002, 48, NStZ-RR 2005, 147); vielmehr muss sich das Tatgericht seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme bilden (BGH NStZ-RR 2005, 45). Eine bloße gedankliche Möglichkeit, dass der Geschehensablauf auch anders gewesen sein könnte, darf die Verurteilung nicht hindern ( Meyer-Goßner, a.a.O., BGH NJW 2005, 1727 L = NStZ-RR 2005, 147).
Wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 – 5 StR 253/07 – m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Zutreffend hat die Strafkammer sogar ausgeführt, dass es hochgradig unwahrschein-lich sei, dass eine andere Person als der Angeklagte das Fahrzeug geführt und den Unfall verursacht habe. Die Ausführungen der Beweiswürdigung beziehen sich sämtlich auf den Angeklagten im Sinne der Tatvorwürfe belastende Beweisergeb-nisse. Gleichwohl hat die Strafkammer nach ihren Feststellungen die naheliegende Schlussfolgerung der Täterschaft des Angeklagten nicht gezogen, sondern ihn wegen bestehender Zweifel freigesprochen, ohne diese Zweifel in irgendeiner Form näher auszuführen. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, worauf diese Zweifel beruhen und weshalb sie die zuvor getroffenen – den Angeklagten im Sinne der Tatvorwürfe belastenden – Beweisergebnisse in Frage stellen. Konkrete Anhaltspunkte für einen berechtigten Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten lassen die Urteilsgründe vermissen, so dass die Zweifel, die letztlich zur Frei-sprechung des Angeklagten geführt haben, möglicherweise allein auf einer denktheoretischen Möglichkeit beruhen, dass der Angeklagte doch nicht der Täter gewesen sein könnte. Auch eine Abwägung der für und gegen seine Täterschaft sprechenden Umstände hat die Strafkammer nicht vorgenommen, so dass nicht ersichtlich ist, ob die Anwendung des Zweifelssatzes auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte erfolgt ist.

Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen. Da der Erfolg der Revision vom Ausgang der erneuten tatrichterlichen Entscheidung abhängt, ist die Kosten- und Auslagenentscheidung dem neuen Tatgericht zu überlassen.



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