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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss OWi 296/07 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Absehen vom Fahrverbot.

Senat: 4

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch, Rechtsbeschwerde der StA, Absehen vom Regelfahrverbot, keine hinreichende Überprüfung, Behauptung einer besonderen Härte

Normen: StVG 25 Abs. 1 S. 1, BKatV 4 Abs. 4

Beschluss:

Bußgeldsache gegen A. F. D.,
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen das Urteil des Amtsgerichts Meschede vom 14. Dezember 2006 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. April 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht Duhme als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Meschede zurückverwiesen.

Gründe: I. Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 60 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 450,00 Euro verurteilt worden. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das Amtsgericht gemäß § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg, die die Verletzung des materiellen Rechts rügt. Ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung und der ausdrücklichen Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft ist das Rechtsmittel auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt.
Aufgrund der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs steht fest, daß der Betroffene am 20. März 2006 gegen 8.57 Uhr als Führer des Pkw Ford mit dem amtlichen Kennzeichen HSK - xxxxx die BAB 46 bei Bestwig in Fahrtrichtung Brilon mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 120 km/h befahren hat, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit an dieser Stelle auf 60 km/h beschränkt war. Das Amtsgericht hat weiter - für das Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung bindend - festgestellt, Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten des Betroffenen seien nicht gegeben. Der Senat weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, daß angesichts der Einlassung des Betroffenen im Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. November 2006 dies materiell wohl kaum zu halten gewesen wäre, wenn diese Einlassung in das Urteil eingeflossen wäre, vielmehr der Betroffene tatsächlich vorsätzlich gehandelt hatte.
II. Die Rechtsbeschwerde hat jedenfalls vorläufig Erfolg. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs auf der Grundlage der erhobenen Rüge der Verletzung sachlichen Rechts führt insoweit zur Aufhebung des Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Meschede.
Im Zusammenhang mit der Rechtsfolgenbemessung hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen bzw. Erwägungen angestellt:
"Der Betroffene ist körperbehindert mit einem Grad der Behinderung von 30. Er leidet unter anderem unter einem rezidivierenden Lendenwirbelsyndrom nach traumatischer Lendenwirbelkörper 1-Fraktur. Aufgrund dessen ist der Betroffene nicht in der Lage, längere Strecken von mehr als 200 m zu gehen oder etwa Rad zu fahren. Der Betroffene ist als Betriebselektriker der Firma Thyssen angestellt. Als solcher verfügt er über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.700,- Euro. Unterhaltsverpflichtungen bestehen keine. Der Arbeitsbereich des Betroffenen bei seiner Arbeitgeberin befindet sich ca. 5 km von dem mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Tor 1 des Betriebsgeländes entfernt. Der Arbeitsbereich ist für den Betroffenen deshalb nur unter zu Hilfenahme eines PKW erreichbar. Das Führen eines KFZ ist auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin des Betroffenen nur Personen erlaubt, die im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis sind. Der Betroffene ist wirtschaftlich nicht in der Lage, für die Dauer eines Monats einen Fahrer einzustellen. Ein von dem Betroffenen eingestellter Fahrer hätte aber auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin keinen Zutritt, da dort nur bei der Arbeitgeberin des Betroffenen beschäftigte Personen Zutritt haben. Auch kann der Betroffene für die Dauer eines Monats aus betrieblichen Gründen keinen Urlaub nehmen.
Ausweislich einer Auskunft aus dem Verkehrszentralregister in Flensburg sind für den Betroffenen keine Voreintragungen erfasst.
.....
Da der Betroffene im Verkehrszentralregister bisher nicht verzeichnet war, wäre gegen ihn nach § 4 I BKatV ein einmonatiges Fahrverbot und eine Regelgeldbuße von 150,- Euro zu verhängen gewesen. Da der Betroffene bisher im Verkehrszentralregister nicht verzeichnet war, geständig ist und aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen auf seine Fahrerlaubnis zwingend angewiesen ist, sieht das Gericht unter Verdreifachung der Geldbuße gem. § 4 IV BKatV von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes ab. Die Tatsache, dass der Betroffene auch beruflich zwingend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist steht fest aufgrund der glaubhaften Einlassung des Betroffenen, des Bescheides des Versorgungsamtes Duisburg vom 14.6.2006 (BI. 40 f.) und der Bedingungen für den Fremdfirmeneinsatz der Firma Thyssen Krupp Steel (BI. 42 f. d.A.). Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten sind zwar grundsätzlich als Folge des Fahrverbotes hinzunehmen. Vorliegend sieht das Gericht aber die Verhängung eines Fahrverbotes dennoch als unangemessen an, da den Betroffenen als Körperbehinderten die Folgen eines Fahrverbotes sowohl in seinem Privatleben (Erledigung von Einkäufen etc.) als auch beruflich ungleich schwerer treffen, als einen gesunden Menschen. Die mit dem Regelfahrverbot einhergehende Besinnungsfunktion kann nach Ansicht des Gerichts bei dem geständigen Betroffenen auch durch die Verdreifachung der Regelgeldbuße erreicht werden.
Die Ausführungen des Amtsgerichts dazu, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, halten der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Vorliegend ist der Betroffene schuldig, die offenbar durch Zeichen 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 60 km/h überschritten zu haben. Eine solche Ordnungswidrigkeit zieht nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 BKatV und Nr. 11.3.8 der Tabelle 1 als grober Pflichtenverstoß regelmäßig ein einmonatiges Fahrverbot nach sich. Die Angemessenheit des Regelfahrverbotes ist durch die Gerichte nicht näher zu begründen, wenn keine Anhaltspunkte für ein Abweichen ersichtlich sind (vgl. BGH, NZV 1992, 286 (288)).
Die bisherigen Feststellungen und Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen ein Absehen vom Fahrverbot nicht.
Zwar unterliegt es in erster Linie tatrichterlicher Würdigung, ob Gründe vorliegen, die ausnahmsweise Anlaß geben könnten, von der Rechtsfolge des § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. § 4 BKatV abzusehen (vgl. BGHSt 38, 231, 237; OLG Hamm, NZV 1997, 185; OLG Karlsruhe, VRS 1988, 476). Dem Tatrichter steht aber kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen zu (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). § 4 BKatV konkretisiert im Sinne der Ermächtigungsnorm des § 26 a Abs. 2 StVG die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbotes nach § 25 StVG als Regelmaßnahme (vgl. BGHSt 38, 125, 132) und gewährleistet damit die Gleichbehandlung der Betroffenen, wodurch auch ein Gebot der Gerechtigkeit erfüllt wird (vgl. BGH, NStZ 1992, 286, 288). Der Richter muß deshalb nach übereinstimmender Rechtsprechung aller Obergerichte die Grundentscheidung des Verordnungsgebers für Verkehrsverstöße der vorliegenden Art respektieren und für seine abweichende Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben. Diese darf sich insbesondere nicht in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen (vgl. z.B. OLG Hamm, 2. Senat, ZAP EN-Nr. 200/98 = MDR 1998, 593 = VRS 95, 138; OLG Hamm, 3. Senat, Beschluß vom 24. Mai 1998 - 3 Ss OWi 160/98 - sowie Beschluß vom 11. August 1998 - 3 Ss OWi 697/98 -; OLG Hamm, 4. Senat, Beschlüsse vom 7. Mai 1998 - 4 Ss OWi 426/98 -, vom 28. November 2000 - 4 Ss OWi 969/00 -, vom 22. Januar 2002 - 4 Ss OWi 1179/01 -; vom 6. Mai 2003 - 4 Ss OWi 331/03 -; vom 23. September 2003 - 4 Ss OWi 630/03 -; vom 12. August 2003 - 4 Ss OWi 525/03 -, vom 22. Juli 2003 - 4 Ss OWi 502/03 - und vom 10. Februar 2004 - 4 Ss OWi 8/04 -).
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluß letztlich nicht gerecht. Das Amtsgericht hat die Angaben des Betroffenen nahezu ungeprüft hingenommen, ohne sie kritisch zu hinterfragen.
Im einzelnen ist folgendes anzumerken:
1. Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung maßgeblich auf die Körperbehinderung des Betroffenen abgestellt. Tatsächlich ist bei dem Betroffenen jedoch nur ein Grad der Behinderung von insgesamt 30 Prozent anerkannt, wobei sich dieser Behinderungsgrad außerdem offenbar aus mehreren gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergibt, was der Formulierung zu entnehmen ist, der Betroffene leide unter anderem unter einem rezidivierenden Lendenwirbelsäulensyndrom nach traumatischer Lendenwirbelkörper 1-Fraktur. Hier hätte das Amtsgericht näher feststellen müssen, welche gesundheitliche Beeinträchtigungen im einzelnen zu dem Gesamtgrad der Behinderung geführt haben. Bereits auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen rechtfertigt das Lendenwirbelsäulensyndrom allein zwar mindestens einen Grad der Behinderung von 10 Prozent, nicht jedoch einen von 30 Prozent, da ersichtlich weitere Beeinträchtigungen bei der Festsetzung des Gesamtgrades der Behinderung berücksichtigt worden sind, deren Art und Schwere nicht mitgeteilt worden sind. Die gerichtliche Feststellung, hieraus ergebe sich, daß der Betroffene längere Strecken als 200 Meter nicht gehen oder Fahrrad fahren könne, beruht auf der unkritischen Übernahme der Einlassung des Betroffenen. Eine derart schwere Behinderung, wie vom Betroffenen behauptet, hätte nicht nur einen ganz erheblich höheren Grad der Behinderung zur Folge, sondern auch die Zuerkennung der Merkmale "G" für gehbehindert, wenn nicht sogar "aG" für außergewöhnlich gehbehindert in einem Schwerbehindertenausweis.
2. Ebenfalls ungeprüft übernommen worden ist die Einlassung des Betroffenen, sein Arbeitsplatz befinde sich ca. 5 km hinter dem Werkstor 1 und sei von dort nur mit dem eigenen Pkw zu erreichen. Auch die dazu erforderliche Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Der Senat weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, daß es eher unwahrscheinlich erscheint, daß es auf einem so großen Betriebsgelände keinen betrieblichen Zubringerverkehr geben soll. Das würde bedeuten, daß wahrscheinlich zahlreiche Betriebsangehörige ohne eigenen Pkw nicht in der Lage wären, ihren Arbeitsplatz zu erreichen.
3. Auch die Feststellung, der Betroffene könne aus betrieblichen Gründen für die Dauer eines Monats keinen zusammenhängenden Urlaub nehmen, ist nicht überprüft worden. Nach § 7 Abs. 2 BUrlG ist Urlaub ist grundsätzlich zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, daß dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Bei einem so großen Unternehmen wie der Arbeitgeberin des Betroffenen erscheint es eher unwahrscheinlich, daß die Gewährung zusammenhängenden Urlaubs nicht möglich sein soll.
4. Der Umstand, daß ein Betroffener bisher straßenverkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, ist nach § 3 Abs. 1 BKatV bei den Regelrechtsfolgen der Bußgeldkatalogverordnung bereits berücksichtigt und stellt daher keinen berücksichtigungsfähigen Milderungsgrund dar. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, warum das Geständnis allein angesichts der klaren Beweislage ein Umstand sein soll, der ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können soll.
Der Rechtsfolgenausspruch bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Gründe, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Meschede zurückzuverweisen, bestehen nicht. Das Amtsgericht wird auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu befinden haben, da der Erfolg des Rechtsmittels noch nicht feststeht.



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