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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 403/07 Hamm

Leitsatz: Eine Ersatzzustellung ist unzulässig, wenn der Zustellungsempfänger für die Zeit seines Auslandssemesters in den USA seinen räumlichen Lebensmittelpunkt und damit seine Wohnung für die Dauer seines Studiums dorthin verlagert hatte.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Widereinsetzung in den vorigen Stand, Ersatzzustellung; Wirksamkeit; Auslandssemester;

Normen: StPO 329; StPO 37; ZPO 180;

Beschluss:

Strafsache
gegen pp.
wegen Vorsätzlicher Körperverletzung,
(her sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung).

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 29. Mai 2007 gegen den Beschluss der IX. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 16. April 2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 07. 2007 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 15.01.2007 gewährt.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 21 Abs. 1 GKG abgesehen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 23.06.2006 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt. Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner rechtzeitig durch Schriftsatz seines damaligen Verteidigers vom 26.06.2006 eingelegten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung. Der Vorsitzende der Strafkammer der Landgerichts bestimmte am 26.09.2006 einen Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 15.01.2007. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte unter der Anschrift M-Straße in #### C mittels Ersatzzustellung durch Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten am 31.10.2006 geladen.

Zu dem Termin zur Berufungshauptverhandlung erschien der Angeklagte nicht, sondern lediglich sein damaliger Verteidiger. Durch Urteil vom 15.01.2007 hat die IX. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO mit der Begründung verworfen, der Angeklagte sei ungeachtet der durch Urkunde vom 31.10.2006 nachgewiesenen Ladung zu dem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen. Nach Zustellung dieses Urteil hat der Angeklagte durch Schreiben vom 04.03.2007 privatschriftlich vorgetragen, er habe zur Berufungshauptverhandlung nicht erscheinen können, weil er ein Auslandssemester in den USA absolviert habe. Auf gerichtliche Aufforderung hat er die Kopie einer Bescheinigung der Universität aus T vom 16.01.2007 vorgelegt, wonach er vom 24.08.2006 bis 16.12.2006 dort studiert hat. Zugleich hat der Angeklagte vorgetragen, er habe sich noch einige Zeit in den USA aufgehalten, um u.a. Hausarbeiten zu korrigieren. Erst danach sei er nach Deutschland zurückgeflogen, was durch eine Kopie des Rückflugtickets eines Fluges am 01.02.2007 belegt werde.

Die Vorsitzende der IX. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen hat durch den angefochtenen Beschluss vom 16.04.2007 den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Angeklagte habe nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, zum Termin zur Hauptverhandlung zu erscheinen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner am 29.05.2007 eingegangenen sofortigen Beschwerde.

II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthaft und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) von dem Angeklagten eingelegt worden. Sie ist auch begründet.

Der Angeklagte war zu dem Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Essen am 15.01.2007 nicht ordnungsgemäß geladen. Insofern ist anerkannt, dass der nicht oder nicht ordnungsgemäß Geladene dem Säumigen i. S. v. § 44 StPO gleichzusetzen ist und ihm ohne Rücksicht auf ein Verschulden Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn das Gericht das Fehlen oder die Unwirksamkeit der Ladung nicht gesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 329 Rdnr. 41).

Die Ersatzzustellung der Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 31.10.2006 war unwirksam. Der Angeklagte hat durch die Vorlage von Kopien einer Studienbescheinigung und des Rückflugtickets hinreichend glaubhaft gemacht, dass er im Zeitpunkt der Zustellung (31.10.2006) unter der Anschrift M-Straße in #### C nicht wohnhaft war.
Die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung gemäß §§ 37 Abs. 1 StPO, 180 ZPO ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn diese durch Einlegung in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten erfolgt. Grundsätzlich gilt als Wohnung der räumliche Lebensmittelpunkt des Zustellungsempfängers, wobei maßgeblich ist, ob er hauptsächlich in den Räumen lebt und insbesondere dort schläft (BGH, NJW 78, 1858). Unerheblich ist es demgegenüber, ob der Zustellungsempfänger in dieser Wohnung polizeilich gemeldet ist (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 37 Rdnr. 8 m.w.N.). Hat der Zustellungsempfänger die Räume in dieser Weise genutzt, hebt nicht jede vorübergehende Abwesenheit, selbst wenn sie länger dauert, die Eigenschaft jener Räume als Wohnung auf (BGH a.a.O.). Insbesondere eine bloß urlaubsbedingte oder beruflich bedingte und zeitlich begrenzte Abwesenheit führt nicht zu einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. des Lebensmittelpunktes des Zustellungsempfängers. Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich während der Abwesenheit des Zustellungsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert. Einer solchen Verlagerung des Lebensmittelpunktes steht nicht entgegen, dass der Zustellungsempfänger seine persönliche Habe in der bisherigen Wohnung zurückgelassen hat und er beabsichtigt, später in die Wohnung zurückzukehren. So ist anerkannt, dass ein mehrmonatiger Aufenthalt in einer Therapieeinrichtung zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes führt und während dieser Zeit die bisherige Wohnung keine Wohnung im Sinne der Zustellvorschriften darstellt (Senat, Beschluß vom 17.06.2003, 3 Ws 243/03; OLG Hamm, 1. Strafsenat, NStZ 1982, 521). Das gleiche gilt bei längerer Straf- oder Untersuchungshaft oder einem längeren Auslandsaufenthalt zu beruflichen Zwecken (Meyer-Goßner, a.a.O., § 37 Rdnr. 9 m.w.N.).

Nach diesen Kriterien wohnte der Angeklagte zur Zeit der Zustellung am 31.10.2006 nicht unter der genannten Anschrift in C. Er hatte für die Zeit seines Auslandssemesters in den USA seinen räumlichen Lebensmittelpunkt und damit seine Wohnung für die Dauer seines Studiums dorthin verlagert hatte. Seine über fünf Monate dauernde Abwesenheit von der Wohnung in C ist weder der Art noch der Dauer nach mit einer nur vorübergehenden (z.B. Urlaubs-) Abwesenheit zu vergleichen. Unschädlich ist, daß der Angeklagte nach Beendigung seines Auslandsstudiums in seine bisherige Wohnung in C zurückgekehrt ist.

Zwar wird gelegentlich vertreten, dass die tatsächliche Benutzung einer Wohnung dann nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung ist, wenn sich der Adressat nicht nur für diese Wohnung angemeldet hat, sondern sich als dort wohnend geriert, seinen Schriftwechsel unter dieser Anschrift führt und seine Post dort abholt (vgl. in diesem Sinne der 2. Strafsenat des OLG Hamm VRS 106, 57, 58; Thüringer OLG, VRS 111, 422, 423; BayObLG VRS 106, 452, 453). Solche Umstände sind vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob für diese Fälle ausnahmsweise auch ohne eine tatsächliche Wohnnutzung die Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 ZPO wirksam sein kann.

Dass den Angeklagten das Verwerfungsurteil vom 15.01.2007 nach seiner Rückkehr in die Wohnung unter der Anschrift M-Straße in C erreicht hat, ändert nichts an dem Umstand, dass der Angeklagte während seines Auslandsaufenthalts dort nicht wohnte und der Anschrift danach nicht die Eigenschaft zukam, zustellfähige Wohnung zu sein.

Dem nicht ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladenen Angeklagten ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Rücksicht darauf zu bewilligen ist, ob ihn ein (evtl. Mit-) Verschulden an der fehlerhaften Ladung trifft. Wiedereinsetzungsgrund ist in den Fällen der Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO trotz nicht ordnungsmäßiger Ladung des Angeklagten allein das Fehlen einer rechtswirksamen Ladung zur Berufungsverhandlung; ob den Angeklagten daran - etwa mangels Vorsorge dafür, dass ihn die Ladung erreichen konnte - ein Verschulden trifft, ist in diesen Fällen - anders als bei kurzfristiger Abwesenheit aus der noch bestehenden Wohnung - für die Frage der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unerheblich und deshalb nicht zu prüfen (OLG Hamm, NStZ 1982, 521, 523; Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 Rdnr. 41 m.w.N.).

Soweit sich der Angeklagte in seinem Beschwerdeschreiben vom 04.03.2007 gegen die Kostenentscheidung des Verwerfungsurteils vom 15.01.2007 wendet, ist eine Entscheidung nicht veranlaßt, da die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum Wegfall des Verwerfungsurteils führt (Meyer-Goßner, a.a.O., § 44 Rdnr. 24).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO analog.



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