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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 72/07 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Annahme eines minder schweren Falles des sexuellen Missbrauchs von Kindern.

Senat: 3

Gegenstand: Revision Rechtsbeschwerde Beschwerde Haftprüfung durch das OLG Pauschgebühr Justizverwaltungssache Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Stichworte: sexueller Missbrauch; midner schwerer Fall; Gesetzesänderung; milderes Gesetz;

Normen: StGB 176; StGB 46

Beschluss:

Strafsache
gegen H.T.
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 25. August 2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 03. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Gelsenkirchen-Buer vom 9. Februar 2005 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat die IV. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen durch das angefochtene Urteil vom 25. August 2006 mit der Maßgabe verworfen, dass die Freiheitsstrafe auf ein Jahr und drei Monate zurückgeführt worden ist.

Mit seiner im Revisionsverfahren auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision wendet sich der Angeklagte gegen das vorgenannte Berufungsurteil; seine Revision hat er mit näheren Ausführungen mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

II.
Zu dem Rechtsmittel des Angeklagten hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 26. Februar 2007 u.a. Folgendes ausgeführt:

„Der rechtzeitig eingelegten Revision, die mit der Sachrüge form- und fristgerecht begründet worden ist, ist - zumindest vorläufig - ein teilweiser Erfolg nicht zu versagen.

Die Überprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht lässt zum Schuldspruch keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Die Feststellungen des Landgerichts tragen eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes gem. § 176 Abs. 1 StGB.

Die Darlegungen des Landgerichts zur Strafzumessung halten hingegen einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat den Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB zu Grunde gelegt, der eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht. Wie die Revision zu Recht rügt, bestand auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen für die Strafkammer jedoch Anlass zu der Prüfung, ob für die am 20.07.2003 begangene Handlung der zum Tatzeitpunkt geltende § 176 Abs. 1 2. Hs. StGB ein milderes Gesetz i.S.d. § 2 Abs. 3 StGB gewesen wäre.

Das mildeste Gesetz ist dasjenige, das bei einem Gesamtvergleich im konkreten Einzelfall nach dessen besonderen Umständen die dem Täter günstigste Beurteilung zulässt (BGHSt 20, 22 (29 f.); 37, 320 (322)). § 176 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB sah in der bis zum 31.03.2004 geltenden Fassung einen minder schweren Fall des sexuellen Missbrauchs mit einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Durch Art. 1 Nr. 13 lit. a) des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003 (BGBI. I 3007) ist dieser 2. Halbsatz und damit der minder schwere Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern aufgehoben worden. § 176 Abs. 1 StGB sieht nunmehr einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Die aufgehobene Regelung stellt damit aufgrund ihrer milderen Strafdrohung im Verhältnis zu der Vorschrift des § 176 Abs. 1 StGB n.F. ein milderes Gesetz bei Vorliegen eines minder schweren Falles dar.

Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgebend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung dieses Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder ihr nachfolgen (BGH NStZ 2000, 254). Danach kommt die Annahme eines minder schweren Falles des sexuellen Missbrauchs von Kindern insbesondere in Betracht, wenn eine knapp über der Erheblichkeitsschwelle liegende Handlung erfolgte (BGH NStZ 1993, 225 f.; BGHR § 176 Abs. 1 StGB minder schwerer Fall 2; OLG Jena NStZ-RR 1996, 294 (295)); fehlende Folgeschäden oder fehlende Vorstrafen legen die Prüfung eines minder schweren Falles sehr nahe.

Die Strafkammer hat wesentliche strafmildernde Gesichtspunkte zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, nämlich dass die Erheblichkeitsschwelle des § 176 Abs. 1 StGB nur geringfügig überschritten wurde, die Tat keine erheblichen und andauernden Auswirkungen bei der Zeugin X. hinterlassen hat, der Angeklagte trotz seines fortgeschrittenen Alters strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist, dass angesichts seines Alters sicherlich eine erhöhte Haftempfindlichkeit gegeben ist und ferner die lange, von ihm nicht zu vertretende Verfahrensdauer. Zu Lasten des Angeklagten hat die Kammer die bei der Zeugin X. vorübergehend eingetretenen Folgen - übertriebenes Schamgefühl, das mindestens drei Gespräche mit einer Psychiaterin erforderlich machte - sowie das Ausnutzen eines bestehendes Vertrauensverhältnisses für die Tatbegehung bewertet. Angesichts dessen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer bei Prüfung des zum Tatzeitpunkt geltenden Rechts zur Annahme eines minder schweren Falles gelangt wäre und die unterlassene Prüfung die konkrete Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst hat.

Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen besonderer Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB verneint hat, begegnet ebenfalls durchgreifenden Bedenken. Zwar hat das Revisionsgericht die Entscheidung des Tatgerichts über das Vorliegen besonderer Umstände bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (BGH NJW 1976, 1413; NStZ 1981, 389 (390)). Rechtsfehler liegen indes vor, wenn das Tatgericht von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausging, weil es bei der Strafzumessung bereits verwendete Umstände als „verbraucht“ angesehen, eine Strafaussetzung nur in Ausnahmefällen für anwendbar gehalten hat oder nicht alle wesentlichen tatsächlichen Umstände in die Entscheidung einbezogen wurden (BGH StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung 1- 6, Gesamtwürdigung unzureichend 1 - 8). Die Strafkammer hat ausgeführt, dass allein der Umstand, dass der zur Tatzeit 61 Jahre alte Angeklagte strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, keine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigt (UA S. 15). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer die bei der Strafhöhenbemessung berücksichtigten Strafmilderungsgründe (nur geringfügiges Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle, keine dauerhaften Tatfolgen, erhöhte Haftempfindlichkeit und lange Verfahrensdauer) bei der Bewertung besonderer Umstände i.S.d. § 56 Abs. 2 StGB rechtsfehlerhaft außer Betracht gelassen hat und überdies unzutreffend davon ausgegangen ist, dass die Strafaussetzung auf Taten mit Ausnahmecharakter beschränkt ist, während auch Umstände, die bei einer Einzelbewertung nur durchschnittliche und einfache Milderungsgründe wären, durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen können.

Die Feststellungen werden von den aufgezeigten Rechtsfehlern, die allein die Bewertung der festgestellten Umstände betrifft, nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung. Das angefochtene Urteil war daher entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.



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