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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss OWi 846/05 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Umfang der tatrichterlichen Feststellungen bei einem Rotlichtverstoß.


Senat: 2

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Roltichtverstoß; Feststellungen; Erfahrungssatz;

Normen: StVO 37

Beschluss:

2 Ss OWi 846/05 OLG Hamm
Bußgeldsache
gegen Z.B.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 9. September 2005 sowie auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 28. Juni 2005 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesge¬richts Hamm am 10. 01. 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 81 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

1. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 9. September 2005 wird aufgehoben.

2. Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsge¬richt Recklinghausen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Recklinghausen hat durch Urteil vom 28. Juni 2005 gegen den Betroffenen wegen „einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr nach §§ 1 Abs. 2, 37 Abs. 2, 49 StVO, §§ 24, 25 StVG“ eine Geldbuße von 125,00 EURO sowie ein Fahrverbot von einem Mo¬nat verhängt. Hinsichtlich des Fahrverbotes hat das Amtsgericht angeordnet, dass dieses erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Gegen das vorgenannte Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28. Juni 2005, beim Amtsgericht Recklinghausen am 29. Juni 2005 eingegangen, Rechtsbeschwerde eingelegt, die das Amtsgericht Recklinghausen durch Beschluss vom 9. September als unzulässig verworfen hat mit der Begründung, die Rechtsbeschwerdeanträge und ihre Begründung seien nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Monatsfrist nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 19. Juli 2005 angebracht worden. Gegen diesen, dem Verteidiger des Betroffenen am 15. September 2005 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. September 2005 die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, eine Zustellung des Urteils an seinen Verteidiger sei nicht erfolgt. Daraufhin ist erneut die Zustellung des Urteils an den Verteidiger veranlasst worden; das entsprechende Empfangsbekenntnis datiert vom 27. September 2005. Die Schrift zur Begründung der Rechtsbeschwerde ist am 25. Oktober 2005 bei dem Amtsgericht Recklinghausen eingegangen, in der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie erkannt.

II.
Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß §§ 46, 79 OWiG, 346 Abs. 2 StPO ist zulässig und begründet.

Der Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 9. September 2005 ist aufzuheben. Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde begann nämlich erst mit der erneuten Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 27. September 2005 zu laufen. Zwar hatte der Amtsrichter mit Verfügung vom 12. Juli 2005 die Zustellung des Urteils an den Verteidiger des Betroffenen angeordnet, jedoch wurde die Zustellung – wie sich den Akten entnehmen lässt - versehentlich an einen anderen Rechtsanwalt als den Verteidiger bewirkt. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 9. September 2005 kann somit keinen Bestand haben.

III.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und begründet. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Soweit der Betroffene die Verletzung formellen Rechts gerügt hat, genügt die erhobene formelle Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO.
2. Das angefochtene Urteil ist jedoch auf die Sachrüge hin aufzuheben.
Die Feststellungen des Urteils tragen eine Verurteilung des Betroffenen wegen Missachtung der Anordnung einer Wechsellichtzeichenanlage nicht.

Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Der Betroffene befuhr am 22. Oktober 2004 gegen 21.01 Uhr in Herten mit dem Pkw XXXXXX die Kaiserstraße mit südwestlicher Fahrtrichtung. Er benutzte dabei den linken von zwei vorhandenen Fahrstreifen für seine Fahrtrichtung. Als der vor ihm fahrende Verkehrsteilnehmer „abrupt abbremste“, wechselte der Betroffene auf den rechten Fahrstreifen über, um den Kreuzungsbereich noch zu passieren. Dabei bemerkte der Betroffene zu spät, dass der von dem Zeugen B. geführte KOM, der die Kaiserstraße in entgegengesetzter Richtung befuhr und in Fahrtrichtung B. nach links in die Feldstrasse abbiegen wollte. Im Kreuzungsbereich kam es zu einem Zusammenstoß beider Fahrzeuge, wobei beträchtlicher Schaden entstand.

Das Fahrzeug des Betroffenen hatte dabei im Kreuzungsbereich eine sichtbare Bremsspur von 7,6 m markiert.“

Im Rahmen der Beweiswürdigung heißt es dann u.a.:

„Der Betroffene hat in seiner Einlassung bestätigt, dass er nach einem vorausfahrenden Verkehrsteilnehmer auf der linken Geradeausfahrspur auf die fragliche Kreuzung zugefahren sei. Er will allerdings nicht bemerkt haben, weshalb der vorausfahrende Verkehrsteilnehmer „abrupt gebremst“ habe. Nach der Lebenserfahrung gibt das abrupte Bremsen eines Vordermannes bei der Zufahrt auf eine beampelte Kreuzung nur eine Erklärung: Signalwechsel auf gelb bzw. rot. Das Hinüberwechseln des Betroffenen auf den rechten Fahrstreifen, um den Kreuzungsbereich noch zu passieren, ist daher ein deutliches Anzeichen dafür, dass der Betroffene anders als der vorausfahrende Verkehrsteilnehmer unter Berücksichtigung von Entfernung und Geschwindigkeit zur Lichtzeichenanlage die Situation anders als diese, und zwar fehlerhaft, beurteilt hat. Auch die 3,70 m nach dem Überqueren des Fußgängerüberweges – aus Sicht des Betroffenen – einsetzende Bremsblockierspur von 7,60 m ist ein deutliches Indiz dafür, dass der Betroffene gegen § 37 StVO verstoßen hat.“

Die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und tragen den Schuldausspruch nicht (§ 267 StPO). An die Urteilsgründe in Bußgeld¬sachen sind zwar keine hohen Ansprüche zu stellen. Sie müssen aber so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der richtigen Rechtsan¬wendung ermöglicht wird.

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, da den Feststellungen nicht zu entnehmen ist, welcher Verstoß dem Betroffenen konkret zur Last gelegt wird. Es kann nur vermutet werden, dass der Tatrichter von einem Rotlichtverstoß ausgegangen ist und zwar nur deshalb, weil im Tenor von einer „fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr nach §§ 1 II, 37 II, 49 StVO, 24,25 StVG“ die Rede ist und sich in der Beweiswürdigung ergänzende Feststellungen finden. Aber selbst unter Berücksichtigung dieser ergänzenden Ausführungen ist die dem Betroffenen vorgeworfene Verkehrsordnungswidrigkeit nicht mit der hinreichenden Sicherheit erkennbar. Geregelt ist der Rotlichtverstoß in § 37 StVO. Die BußgeldkatalogVO unterscheidet hinsichtlich der Sanktionen zwischen den sog. einfachen Rotlichtverstößen, die nach Nr. 132 BKat mit einem Bußgeld von 50,00€ geahndet werden und den sog. qualifizierten Rotlichtverstößen nach Nr. 132.1 ff. BKat. Um einen solchen handelt es sich, wenn das Rotlicht länger als eine Sekunde gedauert hat oder eine Sachbeschädigung oder Gefährdung vorliegt. Vorgesehen sind dann nach Nr. 132.1 bzw. Nr. 132.2 BKat ein Bußgeld von 125,00 € und ein Fahrverbot von einem Monat. Hat die Rotlichtzeit länger als eine Sekunde gedauert und ist es zu einer Gefährdung oder einem Unfall gekommen, beträgt nach Nr. 132.2.1 BKat die Geldbuße 200,00 €. Um welchen der vorgenannten Rotlichtverstöße es sind vorliegend handelt, kann aufgrund der vom Tatrichter getroffenen Feststellungen nicht klar beantwortet werden. Dem Senat ist folglich eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung nicht möglich.

Die Rechtsbeschwerde bemängelt ferner zu Recht, dass der Tatrichter aufgrund eines nicht vorhandenen Erfahrungssatzes zu dem – nicht ausdrücklich – getroffenen Rotlichtverstoß kommt. Die Beweiswürdigung des Tatrichters ist aus Rechtsgründen zu beanstanden. Sie ist lückenhaft und weist damit Rechtsfehler auf. Aufgabe des Tatrichters ist es, in der Beweiswürdigung darzustellen, weswegen er zu den Feststel¬lungen gelangt ist, die Grundlage der Entscheidung geworden sind. Dabei muss er die in der Hauptverhandlung benutzten Beweismittel erschöpfend würdigen, soweit sich aus ihnen bestimmte Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Betroffenen herleiten las¬sen. sodass die Beweiswürdigung für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar ist. Die Be¬weiswürdigung muss sich überdies mit den wesentlichen Umständen auseinanderset¬zen, deren Erörterung sich aufdrängt (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, § 261 Rn. 6 und § 267 Rn. 12). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung vorliegend nicht gerecht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme zu der Rechtsbeschwerde des Betroffenen zutreffend darauf hingewiesen, dass es in der Tat eine Vielzahl von Erklärungsmöglichkeiten dafür gibt, dass das dem Betroffenen vorausfahrende Fahrzeug bei Annäherung an die beampelte Kreuzung abgebremst hat. Das Umschalten der Lichtzeichenanlage von Grün auf Gelb oder von Gelb auf Rot ist nur eine von vielen Erklärungsmöglichkeiten. Das Gericht hat jedoch als einzige Erklärungsmöglichkeit das Umspringen des Lichtzeichens angesehen.

Das angefochtene Urteil war nach alledem aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Recklinghausen zurückzuverweisen. Der Sachverhalt ist weiterer Aufklärung zugänglich. Möglicherweise ergibt sich aus den Zeugenaussagen in Verbindung mit der Auswertung des Ampelphasenplanes, bei welchem Lichtzeichen der Betroffenen in die Kreuzung eingefahren ist.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs auf Folgendes hin:
Grundsätzlich müssen bei der Anordnung eines Fahrverbots Feststellungen zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen werden, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung, ob die Verhängung eines Fahrverbots, etwa wegen besonderer Umstände in den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen, eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt, zu ermöglichen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Mai 2002, NZV 2002, 413). Den Ausführungen des Tatrichters muss sich grundsätzlich entnehmen lassen dass er sich der Möglichkeit bewusst gewesen ist, trotz Annahme eines Regelfalls nach der BußgeldkatalogVO von der Verhängung eines Fahrverbots allein unter Erhöhung der Geldbuße absehen zu können. Dazu sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu Senat in NZV 2002, 140 = VRS 102, 64 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Senats), entsprechende Ausführungen im tatrichterlichen Urteil erforderlich. Eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot bedarf es dann nicht, wenn der Begründung des amtsgerichtlichen Urteils im Übrigen eindeutig zu entnehmen ist, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße bei gleichzeitigem Wegfall des Fahrverbots nicht erreicht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 4. März 2003 – 2 Ss Owi 4/03 – m.w.Nachw.). Dies hat der Senat bei einem so schwerwiegenden Verkehrsverstoß, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Annahme eines Augenblickversagens in der Regel ausscheidet, angenommen und außerdem dann, wenn der Betroffene bereits straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist (vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.).



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