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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 RBs 61/18 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen.

Senat: 2

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: wirtschaftliche Verhältnisse, Aufklärung, Schätzung

Normen: StPO 267, StPO 261

Beschluss:

Bußgeldsache
gegen pp.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag des Betroffenen vom 25. Januar 2018 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom selben Tag gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom 11. Januar 2018 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 7. Mai 2018 durch die Richterin am Oberlandesgericht
als Einzelrichterin gem. § 80 a Abs. 1 OWiG auf Antrag und nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unzulässig verworfen.
2.Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Schwelm zurückverwiesen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Schwelm hat den Betroffenen mit Urteil vom 11. Januar 2018 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 600,00 € verurteilt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet.

Gegen dieses in Abwesenheit des Betroffenen und in Anwesenheit seines Verteidigers verkündete, dem Betroffenen am 19. Januar 2018 zugestellte Urteil, hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. Januar 2018, per Fax am selben Tag beim Amtsgericht Schwelm eingegangen, Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Er hat gleichzeitig beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. Februar 2018, per Fax beim Amtsgericht Schwelm am selben Tag eingegangen, hat er die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts näher begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 6. April 2018 beantragt wie erkannt.

II.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist mangels Fristversäumung unzulässig. Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte, rechtzeitig eingelegte und form- und fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde hat den aus dem Tenor ersichtlichen (vorläufigen) Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift hierzu Folgendes ausgeführt:

„Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Denn das Urteil ist in Abwesenheit des Betroffenen verkündet worden. Zwar hat der Verteidiger ausweislich seiner Beschwerdebegründung eine besondere Vertretungsvollmacht i.S.d. § 73 Abs. 3 OWiG vorgelegt (BI. 141 d.A.). Dies offenbar aber erst im Zusammenhang mit dem Aussetzungsantrag, mithin zu spät, denn die Vollmacht muss dem Gericht schon bei Beginn der Hauptverhandlung vorliegen (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 234 Rdnr. 5). Somit hat die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 4 OWiG erst mit Zustellung des Urteils an den Betroffenen am 19.01.2018 zu laufen begonnen. Die am 25.01.2018 eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist daher zulässig, sodass die seitens des Betroffenen beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht erforderlich ist. Der Antrag ist daher, da keine Frist versäumt worden ist, als unzulässig zurückzuweisen (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 44 Rdnr. 2).

Der Rechtsbeschwerde ist ein - zumindest vorläufiger - (Teil-)Erfolg in der Sache nicht zu versagen.
a) Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten „Verfahrensrügen" sind bereits unzulässig, da sie nicht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügen.

Nach dieser Vorschrift müssen Verfahrenstatsachen so vollständig und genau angegeben werden, dass das Beschwerdegericht allein an Hand der Beschwerdebegründung in die Lage versetzt wird, darüber - unter der Voraussetzung der Erweisbarkeit - endgültig zu entscheiden. Dabei muss der Beschwerdevortrag zutreffend und grundsätzlich aus sich heraus so verständlich sein, dass das Beschwerdegericht ohne weiteres daran anknüpfen kann. Für den Beschwerdevortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind insoweit durch wörtliche Zitate oder eingefügte Abschriften oder Ablichtungen zum Bestandteil der Beschwerdebegründung zu machen und, soweit erforderlich, zu bezeichnen. Hingegen reicht es nicht aus, weite Teile der Sitzungsniederschrift wörtlich mitzuteilen, ohne genau anzugeben, welche Verfahrensvorgänge den behaupteten Mangel ergeben sollen. So können auch umfangreiche Materialien nicht einfach dadurch in die Beschwerderechtfertigung eingeführt werden, dass der Beschwerdeführer sie als Anlagen beifügt. Denn es kann nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts sein, den Beschwerdevortrag jeweils „an passender Stelle" zu ergänzen (Gericke in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Auflage, § 344 Rdnr. 38, 39 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen der Rechtsbeschwerdebegründung .nicht. So werden insbesondere weite Teile des Verfahrensablaufs im Sinne einer „Gesamtrüge" dargestellt, wobei in „Einschüben" an einigen Stellen rechtliche Bewertungen vorgenommen werden, aber offen bleibt, ob es sich insoweit um gesonderte Rügen, etwa einen zu Unrecht abgelehnten Aussetzungsantrag oder Beweisantrag handeln soll („unter anderem wird Folgendes gerügt"). Das Beschwerdegericht wird daher gezwungen, das jeweilige Verfahrensgeschehen aus den Ausführungen der „ en bloc" dargestellten Ver-fahrenstatsachen herauszusuchen und damit den Beschwerdevortrag zu interpretieren. Dies ist unzulässig (BVerfG, Beschl. v. 19.04.2007, 2 BvR 713/07; BGH NStZ 1987, 36; BGH NStZ 2005, 463; Gericke in: Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 344 Rdnr. 39). Durch diesen „Gesamtvortrag" wird auch die jeweilige Angriffsrichtung des geltend gemachten Verfahrensverstoßes bzw. der geltend gemachten Verfahrensverstöße nicht hinreichend deutlich. Dies wäre aber erforderlich, da eine geltend gemachte Verfahrensrüge grundsätzlich nicht umgedeutet werden darf.

b) Die Rüge(n) - ihre Zulässigkeit unterstellt - wäre(n) im Übrigen aber auch unbegründet. Insbesondere liegt eine Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffs-rüge) bzw. ein Verstoß gegen das Beweisantragsrecht nicht vor.

c) Die Rechtsbeschwerde hat jedoch bezüglich der erhobenen Sachrüge einen zumindest vorläufigen (Teil-)Erfolg.
aa) Sie vermag zwar nicht mit der Begründung, das Urteil sei entgegen § 275 Abs. 2 S. 1 StPO nicht unterschrieben, durchzudringen. Denn insoweit ist zur wirksamen Unterzeichnung ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug erforderlich, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert. Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann (zu vgl. OLG Köln, Beschluss vom 19.07.2011 -III-1 RVs 166/11 -). Diesen Anforderungen wird die unter dem. Urteil befindliche Unterschrift gerecht. So können aus dieser deutlich der Anfangsbuchstabe C sowie in Kenntnis des Namens des unterzeichnenden Richters auch die nachfolgenden Buchstaben herausgelesen werden.

bb) Auch deckt die auf die Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung des Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht im Schuldspruch Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht auf.

Die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise in den Urteilsgründen wird durch die Feststellungen des Amtsgerichts, dass am Fahrbahnrand vor der Messung insgesamt drei Verkehrszeichen mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aufgestellt waren sowie den Umstand, dass auf einer Landstraße eben grundsätzlich nur eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gilt, welche der Betroffene weit überschritten hat, getragen.

Soweit das Gericht den Betroffenen ausweislich des Urteilstenors in der Urteilsabschrift wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt, in den Urteilsgründen jedoch einen vorsätzlichen Verstoß in Rede gestellt und anhand eines solchen Verstoßes die Bemessung des Bußgeldes vorgenommen hat (S. 2, 6 UA), begründet dieses ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen. So bestimmt sich der rechtswirksame Inhalt eines Entscheidungssatzes allein nach dem Inhalt der mündlich verkündeten Urteilsformel, ohne dass es insoweit auf den Wortlaut der Urkunde ankommt, die ohnehin keine unabdingbare Voraussetzung für das Existentwerden des Urteils ist (OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.1980 2 Ss 367/80 -). Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 11.01.2018 ergibt sich jedoch eindeutig, dass die verkündete Urteilsformel sich auf eine vorsätzliche Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit bezieht (BI. 86 R d.A.). Insoweit ist davon auszugehen, dass das Amtsgericht rechtswirksam einen vorsätzlichen-Verstoß abgeurteilt und dementsprechend auch rechtfehlerfrei der Festsetzung des Bußgeldes die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise zugrunde gelegt.

cc) Im Rechtsfolgenausspruch kann das Urteil jedoch keinen Bestand haben.

Denn die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils zu den Ein-kommensverhältnissen des Betroffenen unterliegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Gem. § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG ist Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeiten und der Vorwurf, der den Täter trifft. Dabei sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG). Selbst bei Vorliegen von Ahndungsrichtlinien, wie dem Bußgeldkatalog, ist eine einzelfallbezogene Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen jedenfalls bei einer Geldbuße von über 250,- Euro, die nicht den Regelsätzen der BKatV entspricht, grundsätzlich geboten (zu vgl. OLG Koblenz,-Beschluss-vom 11.08.2009 -1 SsBs 5/09 - ; OLG Celle; Beschluss vom 16.06.2008 - 311 SsBs 43/08 -). Wenn auch die Anforderungen an die Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht überspannt werden dürfen; so müssen durch das Tatgericht doch zumindest derart hinreichende Angaben zum Einkommen gemacht werden, dass dem Rechtsmittelgericht die Überprüfung möglich ist, ob die Vorschrift des § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG beachtet worden ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19.08.2004 - 1 Ss OWi 504/04 -). Dabei sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gegebenenfalls vom Gericht aufzuklären, wobei eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen nicht besteht (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.01.2015 -III-3 RBs 354/14 -). Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen hat das Amtsgericht Schwelm jedoch keine Fest-stellungen getroffen. Vielmehr begnügt sich das Urteil mit der Feststellung, dass Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene zur Begleichung der erhöhten Geldbuße nicht fähig sei, weder mitgeteilt noch sonst bekannt geworden seien (S. 6 UA). Die insoweit erforderliche nähere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse, ggf. auch durch Schätzung, ist von dem Amtsgericht Schwelm hingegen nicht vorgenommen worden.
Das Urteil ist daher schon bereits aufgrund dieses Mangels im Rechtsfolgen-ausspruch aufzuheben.

Wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot wirkt sich der Mangel in den Feststellungen der wirtschaftlichen Verhältnisse jedoch auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt aus, so dass das Urteil im Rechtsfolgenausspruch insgesamt auch mit den dazu gehörenden Feststellungen aufzuheben ist."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an.

Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundelie-genden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Schwelm zurückzuverweisen.


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