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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 RVs 6/17 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe (§ 55 StGB) ist auch im Berufungsverfahren zwingend geboten und darf nur dann dem nachträglichen Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen werden, wenn das Tatgericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen keine sichere Entscheidung fällen kann, ohne hierzu noch weitere, mit erheblichem Zeitaufwand verbundene Ermittlungen vornehmen zu müssen, und das Fehlen ausreichender Unterlagen nicht auf ungenügender Vorbereitung der Hauptverhandlung beruht.
2. Das Unterlassen einer Gesamtstrafenbildung führt auch im Fall eines unklaren Vollstreckungsstands lediglich zur Aufhebung der gebildeten Gesamtstrafe und nicht des Rechtsfolgenausspruchs insgesamt. Denn ein Härteausgleich, weil eine frühere Strafe nicht mehr zur Gesamtstrafenbildung herangezogen werden kann, wird in der Regel nur dann durch Milderung einer Einzelstrafe erfolgen, wenn im neuen Urteil eine entsprechende Gesamtstrafenbildung nicht möglich ist.

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: nachträgliche Gesamtstrafenbildung, Härteausgleich

Normen: StGB 55

Beschluss:

Strafsache
in pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.03.2017 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht -Schöffengericht- Dortmund hat den Angeklagten am 07.06.2016 wegen Beleidigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung in einem minder schweren Fall und wegen Diebstahls in elf Fällen, davon in einem Fall im Versuch und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten, die nachträglich auf das Strafmaß beschränkt wurde, hat das Landgericht mit Urteil vom 29.09.2016 verworfen.

Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat - zumindest vorläufig - im Umfang der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe Erfolg. Im Umfang der Aufhebung war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen.

Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die aufgrund der wirksamem Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsen Feststellungen des Amtsgerichtes tragen den Schuldspruch. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand, soweit es die Zumessung der jeweiligen Einzelstrafen betrifft.

Als rechtsfehlerhaft zu beanstanden ist jedoch, dass das Landgericht nicht hinreichend geprüft hat, ob mit den im Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 14.12.2015 festgesetzten Einzelstrafen und nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe eine nachträgliche Gesamtstrafe hätte gebildet werden können. Da der Angeklagte die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Straftaten sämtlich vor dem 14.12.2015, dem Tag des Erlasses des Strafbefehls durch das Amtsgericht Hamburg begangen hat, lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB vor, falls die Gesamtgeldstrafe zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils noch nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen war. Ob dies der Fall war, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend sicher entnehmen. Es wird lediglich ausführt, eine Gesamtstrafenbildung sei nicht möglich, weil die dortige Gesamtgeldstrafe entweder bereits vollständig oder jedenfalls weitgehend vollstreckt worden sei.

Die Bestimmung des § 55 StGB ist auch im Berufungsverfahren zu beachten. Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist zwingend geboten und darf nur dann dem nachträglichen Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen werden, wenn das Tatgericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen keine sichere Entscheidung fällen kann, ohne hierzu noch weitere, mit erheblichem Zeitaufwand verbundene Ermittlungen vornehmen zu müssen, und das Fehlen ausreichender Unterlagen nicht auf ungenügender Vorbereitung der Hauptverhandlung beruht (zu vgl. BGHSt 12, S. 1 ff., 10; BGH, Urteil vom 17.02.2004 – 1 StR 369/03 –, juris m. w. N.).

Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass die Akte (der Staatsanwaltschaft Hamburg) in der Berufungsinstanz nicht vorgelegen habe. Es bleibt insbesondere offen, wann die Strafkammer von der Vorstrafe des Angeklagten Kenntnis erlangt hat, und ob es ihr möglich gewesen wäre, die Strafakte zu beschaffen. Im Rahmen der auf die Sachrüge hin vorzunehmenden Überprüfung von Amts wegen ergibt sich zudem aus Bd. Ib, Bl. 401 d. A., dass die Akten 3000 Js 267/15 der Staatsanwaltschaft Hamburg bereits am 09.09.2016 beim Landgericht Dortmund eingegangen waren. Sie befanden sich auch bei den dem Senat übersandten Akten.

Dementsprechend ist über die Bildung der Gesamtstrafe unter eventueller Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 14.12.2015 neu zu befinden. Die entsprechende Entscheidung wird angesichts der zwingenden Regelung des § 55 Abs. 1 StGB auch nicht deshalb entbehrlich, weil im angefochtenen Urteil – zumindest nach dem Inhalt der Zumessungserwägungen zur Gesamtstrafe – bereits berücksichtigt worden ist, „dass mit der Strafe aus dem Urteil vom 14.12.2015 keine Gesamtstrafe gebildet werden konnte, weil die dortige Geldstrafe bereits vollständig oder jedenfalls weitgehend vollstreckt ist“.

Falls die Bildung einer Gesamtstrafe nicht mehr möglich sein sollte, weil die einzubeziehenden Strafen bereits vollstreckt waren, müsste die Strafkammer – um dem Rechtsgedanken des § 55 Abs. 1 StGB Rechnung zu tragen – allerdings tatsächlich einen Härteausgleich vornehmen (vgl. Fischer, StGB, 64. Auflage, zu § 55 StGB, Rdnr. 21 ff. m. w. N.). Die erneut erforderliche Entscheidung über den Strafausspruch kann nicht gemäß § 354 Abs. 1 b StPO dem Beschlussverfahren gemäß der §§ 460, 462 StPO überlassen werden, da die etwaige Entscheidung über einen Härteausglich vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht erfasst ist (BGH, Beschluss vom 25.02.2016 – 2 StR 31/16 –, juris).

Das Unterlassen einer Gesamtstrafenbildung führt auch im Fall des hier vorliegenden unklaren Vollstreckungsstands lediglich zur Aufhebung der gebildeten Gesamtstrafe und nicht des Rechtsfolgenausspruchs insgesamt (BGH, Beschluss vom 25.02.2016 – 2 StR 31/16 –, juris). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wäre dann, wenn eine frühere Strafe, weil sie bereits vollstreckt ist, nicht mehr zur Gesamtstrafenbildung herangezogen werden kann (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB), die darin liegende Härte bei der Bemessung der neu zu erkennenden Strafe auszugleichen (BGHSt 12, 94, 95; BGH, Beschlüsse vom 03.091975 - 2 StR 400/75, 30.10.1975 - 4 StR 578/75, 22.02.1979 - 4 StR 706/78, 15.081979 - 3 StR 269/79 und 10.01.1980 - 4 StR 691/79, jeweils m.w.N.). Auf welche Weise der Tatrichter den Härteausgleich vornimmt, steht - wie die Gesamtstrafenbildung überhaupt (vgl. BGHSt 5, S. 57 ff., 58/59) - in seinem Ermessen. Es steht ihm deshalb frei, diesen Strafmilderungsgrund in der Weise zu berücksichtigen, dass er von einer unter Einbeziehung der bereits vollstreckten Strafe gebildeten "fiktiven Gesamtstrafe" ausgeht und diese dann um die vollstreckte Strafe mindert (vgl. OLG Zweibrücken in NJW 1980, 2265). Andererseits ist er, weil es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, nicht verpflichtet, diesen Weg zu gehen. Er kann vielmehr, wie es im Regelfall geschieht, den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe nicht mehr möglich ist, auch unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigen. Erforderlich ist nur, dass er einen angemessenen Härteausgleich vornimmt und dies den Urteilsgründen zu entnehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 03.09.1975 - 2 StR 400/75). Dies führt jedoch nicht zur Aufhebung auch der Einzelstrafen, denn die durch die Vollstreckung der früheren Strafe entstandene Härte wirkt sich gerade darin aus, dass diese Strafe nicht mehr in die Gesamtstrafe einbezogen werden kann. Würden in einem solchen Fall schon die Einzelstrafen gemildert, so hätte dies zudem die unerwünschte Folge, dass bei einem späteren Wegfall der Gesamtstrafe - etwa weil die Einzelstrafen ganz oder zum Teil in anderen, neu zu bildenden Gesamtstrafen aufgehen - auch dann von diesen gemilderten Einzelstrafen auszugehen wäre, wenn sie nicht in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen sind, in welche die frühere Strafe, wäre sie nicht bereits vollstreckt, hätte einbezogen werden müssen. Ein Härteausgleich durch Milderung einer Einzelstrafe wird deshalb in der Regel nur dann in Betracht kommen, wenn im neuen Urteil eine entsprechende Gesamtstrafenbildung nicht möglich ist (BGH, Urteil vom 29.07.1982 – 4 StR 75/82 –, BGHSt 31, 102-104, Rn. 13, juris).

Demgemäß war das angefochtene Urteil lediglich im Gesamtstrafenausspruch mit den hierzu getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache insofern zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat.

III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Der Senat geht davon aus, dass die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer unverzüglich einen neuen Hauptverhandlungstermin anberaumen wird. Von einer Aufhebung des Haftbefehls gemäß § 126 StPO hat der Senat abgesehen, weil einerseits auch nach Bewertung des Senates nicht damit zu rechnen ist, dass im Rahmen der neuen Hauptverhandlung eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgen könnte und zumindest derzeit die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht ohne weiteres als unverhältnismäßig erscheint.


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