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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ws 272/16 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Sind von einem in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Straftäter (auch) zukünftig (mindes-tens) Missbrauchstaten wie etwa der Schenkelverkehr mit vorpubertären Kindern mit hoher Wahrscheinlich-keit im Falle einer Entlassung zu erwarten, so kann dies die Voraussetzungen für eine weitere Fortdauer der Maßregel über zehn Jahre hinaus (konkret: rund 32 Jahre der Unterbringung) nach § 67d Abs. 6 S. 3, Abs. 3 StGB erfüllen.
2. Die allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 67d Abs. 6 S. 1 StGB ist durch die Neuregelungen in § 67d Abs. 6 S. 2 und 3 StGB nicht obsolet geworden. Kommt das Vollstreckungsgericht zu dem Ergebnis, dass nicht schon eine Erledigung der Maßregel nach § 67d Abs. 6 S. 3, Abs. 3 StGB bzw. § 67d Abs. 6 S. 2 StGB auszusprechen ist, ist eine Erledigung nach der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsregelung des § 67d Abs. 6 S. 1 StGB zu prüfen.

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Unterbringung; erhebliche Straftaten; Verhältnismäßigkeit

Normen: StGB 67d; StGB § 63

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 4. Strafsenat des OLG Hamm am 07.02.2017 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Untergebrachte zu tragen.

Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wurde am 19.2.1985 durch das Landgericht Bielefeld wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gleichzeitig ordnete die Strafkammer die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Verurteilung lag zum einen der bis zum Samenerguss durchgeführte Schenkelverkehr mit seiner zur Tatzeit dreijährigen Nichte zu Grunde. Zum anderen hatte der Untergebrachte zwei siebenjährige Mädchen in den Wald gelockt, sie die Hosen herunterziehen lassen und sodann bei einer den Schenkelverkehr durchgeführt. Als das andere Mädchen zu weinen angefangen hatte, hatte er von den Kindern abgelassen und war weggelaufen. Die Strafkammer gelangte sachverständig beraten zu der Feststellung, dass der Untergebrachte mit einem IQ von 72 debil sei. Infolge seines Schwachsinns sei er nicht in der Lage, seinem Triebverlangen, dass er bisher durch normale heterosexuelle Beziehung nicht habe befriedigen können, die erforderlichen rationalen Hemmungen entgegenzusetzen. Deshalb sei seine Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten erheblich vermindert gewesen. Die Strafkammer war davon überzeugt, dass aufgrund dessen mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin mit sexuellen Übergriffen des Untergebrachten auf Kinder zu rechnen sei.

Der Untergebrachte befindet sich seit Februar 1985 – nur unterbrochen von einem viermonatigen Aufenthalt in der Klinik für gerichtliche Psychiatrie in I – im Maßregelvollzug in dem LWL-Zentrum für forensische Psychiatrie in M. Die seitdem mindestens jährlich erfolgten gerichtlichen Überprüfungen gemäß §§ 67e, 67d StGB führten jeweils zur Anordnung der Fortdauer der Unterbringung.

Zuletzt ordnete das Landgericht Paderborn mit Beschluss vom 8.7.2016 die Fortdauer der Unterbringung an, da die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr für kleine Mädchen nicht hinreichend verringert sei. Die Diagnose einer Pädophilie sei unverändert vorhanden, zumal der Untergebrachte nicht bereit sei, sich in der Therapie zu seinen sexuellen Impulsen und Gedanken zu äußern. Aufgrund der fortbestehenden Gefährlichkeit des Untergebrachten sei auch die Fortdauer der Unterbringung trotz ihrer langen Dauer nicht unverhältnismäßig. Ohne feste Strukturen gehe von dem Untergebrachten weiterhin ein unkalkulierbares Risiko neuer einschlägiger pädophiler Taten aus. Es müsse zunächst abgewartet werden, inwieweit die Bereitschaft des Untergebrachten, nunmehr in ein Wohnheim zu ziehen, was er bislang noch abgelehnt habe, dazu führe, dass für ihn eine Rehabilitationsperspektive erarbeitet werden könne.

Gegen diesen Beschluss, der dem Untergebrachten am 28.7.2016 zugestellt worden ist, hat er durch Schreiben seines Verteidigers vom 28.7.2016, eingegangen beim Landgericht Paderborn am 29.7.2016, sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, die Unterbringung für erledigt zu erklären. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die weitere Unterbringung unverhältnismäßig sei. Die Unverhältnismäßigkeit ergebe sich aus der ununterbrochenen Freiheitsentziehung seit inzwischen mehr als 32 Jahren bei einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der Senat hat für die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung ein Prognosegutachten des externen Sachverständigen Dipl.-Psychologe Dr. F eingeholt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 8.12.2016 hingewiesen. Der Untergebrachte und die Generalstaatsanwaltschaft haben auf eine persönliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet.

II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Sie ist aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses sowie den nachfolgenden ergänzenden Erwägungen unbegründet.

Bei der Erheblichkeitsprüfung, der Wahrscheinlichkeitsprüfung und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, ergibt sich, dass die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen ist.

1. Das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung ist erfüllt, da eine ausreichend ermittelte und aktuelle Tatsachengrundlage vorliegt. Der Strafvollstreckungskammer lag eine aktuelle Stellungnahme des LWL-Zentrums für Forensische Psychiatrie M vom 2.6.2016 vor. Auch wurde der Untergebrachte persönlich am 8.7.2016 angehört. Inzwischen liegen die weitere Stellungnahme des LWL-Zentrums für Forensische Psychiatrie M vom 17.8.2016 sowie das Prognosegutachten des Sachverständigen Dr. F vom 8.12.2016 vor. Das Gutachten erfüllt alle an ein Prognosegutachten zu stellenden Anforderungen. Der Sachverständige hat sein Gutachten ebenfalls auf einer vollständigen Tatsachengrundlage erstattet. Er hat die vorliegenden Vollstreckungsakten, die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Bielefeld (45 Js 708/84) mit dem psychiatrischen Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit, sämtliche Vorgutachten zur Legalprognose, die Krankenakten der LWL-Kliniken und die Erkenntnisse aus seiner eigenen Exploration des Untergebrachten umfassend ausgewertet, im Gutachten zur prädeliktischen Entwicklung des Untergebrachten, zum Tatgeschehen, zur postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere zu seinem Verhalten im Vollzug und zu den Möglichkeiten der Gestaltung eines geeigneten sozialen Empfangsraums Stellung genommen, im Gutachten die angewandten Prognoseinstrumente nachvollziehbar dargestellt und darauf aufbauend eine auf den Untergebrachten abgestimmte individuelle Prognose vorgenommen.

2. Bei dem Untergebrachten besteht eine leichte Intelligenzminderung (ICD-10: F70.0) sowie eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie (ICD-10: F65.4).

Ohne die ihn unterstützenden und begrenzenden Strukturen einer Unterbringung würde der Untergebrachte wieder Kontakt zu Kindern aufnehmen. Im Rahmen dieser Kontakte käme es dann zu sexuellen Übergriffen, wie er sie vor der Unterbringung begangen hat. Er wird voraussichtlich Taten vergleichbar mit den Anlasstaten durchführen. Es handelte sich um Schenkelverkehr bis zum Samenerguss mit vorpubertären Mädchen, die unbekleidet waren. Insgesamt besteht ein moderat-hohes Rückfallrisiko und die Legalprognose ist ungünstig.

Das vorliegende Gutachten und die Stellungnahmen der LWL-Klinken bieten für diese Prognose eine belastbare Grundlage.

a) Die genannten Straftaten, die der Untergebrachte in Freiheit erneut auf Grund seiner psychischen Störung voraussichtlich begehen wird, überschreiten die erforderliche Erheblichkeitsschwelle des § 67d Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 StGB. Diese Schwelle ist erreicht, wenn die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Erfasst werden hiervon regelmäßig Verbrechen und im Übrigen Straftaten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören. Dies ergibt sich in systematischer Hinsicht aus dem Verweis auf § 67d Abs. 3 StGB, dessen Formulierung wiederum der des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB entspricht, insbesondere aber aus dem gesetzgeberischen Willen (BT-Drs. 18/7244 S. 33). Es bedarf mithin - anders als bei Altfällen der Sicherungsverwahrung (dort wegen Art. 316f Abs. 2 EGStGB) - nicht der Gefahr der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten (missverständlich bzgl. des Umstands, ob sich die Kommentierung nur auf Altfälle oder auch nach dem 31.05.2013 angeordnete Unterbringungen in der Sicherungsverwahrung bezieht: Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 67d Rn. 15a; Leipold/Tsambikakis/Zöller, AnwKomm, 2. Auflage 2015, § 67d Rdn. 20). In den Gesetzesmaterialien heißt es bzgl. des sexuellen Missbrauchs von Kindern:

„Bei zu erwartenden Taten nach § 176 StGB bedarf zwar die Frage, ob schwere Schädigungen der körperlichen oder seelischen Integrität der Opfer zu erwarten sind, näherer Erörterung. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Gefährlichkeit von Taten gemäß den §§ 176, 176a StGB in der Beeinträchtigung der ungestörten Entwicklung von Kindern liegt (BGH, Urteil vom 24.3.2010, 2 StR 10/10, bei juris Rn.10; vgl. auch Urteil vom 14.8.2007, 1 StR 201/07, bei juris Rn. 36) und davon auszugehen ist, dass fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität geeignet sind, diese Entwicklung erheblich zu stören (vgl. Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 176 Rn. 2). Daher lassen Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern – auch ohne Gewaltanwendung – regelmäßig und typischerweise eine schwerwiegende Beeinträchtigung von deren sexueller Entwicklung besorgen (BGH, Beschluss vom 10.1.2013, 1 StR 93/11, bei juris Rn. 16; Urteil vom 24.3.2010, 2 StR 10/10, bei juris Rn. 10; Urteil vom 28.8.2007, 1 StR 268/07, bei juris Rn. 24). Schwere seelische Schäden können somit selbst dann drohen, wenn sich zu erwartende Taten nach § 176 Abs. 1 bis 3 StGB eher im unteren Bereich der denkbaren Deliktsskala bewegen, insbesondere, wenn mit einer hohen Rückfallfrequenz und -häufigkeit zu rechnen ist“ (BT-Drs. 18/7244 S. 34).

Gemessen daran sind die von dem Untergebrachten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Straftaten des Schenkelverkehrs mit vorpubertären Kindern wegen deren altersbedingt besonderen sexuellen Unerfahrenheit und Wehrlosigkeit zweifelsohne zur Fortdauer der Unterbringung geeignet.

b) Allerdings nähert sich die Unterbringung der Unverhältnismäßigkeit nach der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsregelung in § 67d Abs. 6 S. 1 StGB. Diese Regelung ist durch die Schaffung der Regelunverhältnismäßigkeit nach § 67d Abs. 6 S. 2 StGB nach sechs Jahren bzw. den strengeren Fortdauervoraussetzungen ab zehn Jahren der Maßregelvollstreckung nach § 67d Abs. 6 S. 3, Abs. 3 StGB nicht obsolet geworden. Vielmehr zeigen die gesetzliche Systematik und auch die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/7244 S. 31), dass Abs. 3 S. 2 und S. 3 nur näher konkretisierte Unterfälle der Erledigung wegen Unverhältnismäßigkeit darstellen. Die Gesetzesmaterialien zeigen an keiner Stelle auf, dass der Gesetzgeber die Verhältnismäßigkeitsprüfung insoweit allein auf die Kriterien der Sechs- bzw. Zehnjahresprüfung nach Abs. 6 S. 3 oder 3 beschränken wollte. Damit gilt aber der schon zur vor dem 1.8.2016 geltenden Rechtslage bestehende Grundsatz fort, dass die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs umso strenger sind, je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, weil das Freiheitsgrundrecht wegen des sich verschärfenden Eingriffs immer stärkeres Gewicht gewinnt. Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten müssen als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden; daher müssen auch bei Fortdauerentscheidungen die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis gesetzt werden (BVerfG NJW 1986, 767, 769 f.; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2012 – 2 BvR 193/12; vgl. dazu auch: BT-Drs. 18/7244 S. 31).

Daran gemessen nähert sich die nunmehr rund zweiundreißigjährige Unterbringung des Beschwerdeführers der Unverhältnismäßigkeit. Bei den begangenen Straftaten des Schenkelverkehrs handelt es sich zwar um nicht unerhebliche Sexualdelikte zu Lasten besonders verletzlicher Opfer. Ihre Schwere liegen in der Bandbreite denkbarer Sexualdelikte bereits in einem mittleren, aber nicht im oberen oder gar obersten Bereich. Außerdem ist zu sehen, dass dem Untergebrachten nun bereits mehr als doppelt so lange die Freiheit entzogen wird, wie dies unter Zugrundelegung von § 54 Abs. 2 StGB bei einem voll schuldfähigen Täter im Höchstfalle möglich gewesen wäre und der Untergebrachte rund die Hälfte seines bisherigen, bereits fortgeschrittenen Lebens im Freiheitsentzug verbracht hat.

Den Senat hindert allerdings der Umstand, dass der Untergebrachte im Falle einer jetzigen, unvorbereiteten Entlassung nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen mit hoher Wahrscheinlichkeit Sexualdelikte vergleichbar mit den Anlasstaten begehen könnte, an einer sofortigen Erledigungserklärung wegen Unverhältnismäßigkeit. Gerade für den Fall einer unvorbereiteten Entlassung des Untergebrachten steigt die Gefahr der Begehung neuer Sexualdelikte.

Tragfähige soziale Bindungen außerhalb der Maßregel, die dem Untergebrachten zukünftig emotionale Zuwendung und soziale Unterstützung bieten und damit als protektive Faktoren eine stabilisierende Funktion haben könnte, sind nicht vorhanden. Seine sozialen Kompetenzen sind nicht nur durch die kognitiven Einschränkungen begrenzt, sondern inzwischen auch durch Hospitalisierungsfolgen ganz erheblich beeinträchtigt. Eine unvorbereitete Verlegung in eine geschlossene Einrichtung würde den Untergebrachten nicht nur destabilisieren, sondern auch die Rückfallgefahr für neue sexuelle Missbrauchsdelikte erhöhen. Je besser eine Beurlaubung aus der Maßregel umsichtig organisiert wird, desto geringer wird die Rückfallgefahr einzuschätzen sein.

Damit ist derzeit jedenfalls eine unvorbereitete Entlassung des Untergebrachten nicht zu verantworten, da sie die erhöhte Gefahr erheblicher Straftaten birgt. Drohen nämlich Sexualdelikte mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die schon oben beschriebene Opfergruppe, sieht der Senat nach Abwägung von Dauer und Belastung des Freiheitsentzuges und von dem Untergebrachten drohender Gefahr noch keine Unverhältnismäßigkeit gegeben. Die Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit führt für den Fall einer unvorbereiteten Entlassung des Untergebrachten zu einem Vorrang des Sicherheitsbedürfnisses aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung neuer Straftaten.

Als milderes Mittel kam nicht in Betracht, die Unterbringung bereits jetzt mit einer Frist von weiteren drei oder sechs Monaten für erledigt zu erklären. Denn sodann könnte der Untergebrachte die Mitwirkung bei den Vorbereitungsmaßnahmen für seine Entlassung verweigern, so dass dann letztlich in drei oder sechs Monaten faktisch eine unvorbereitete Entlassung erfolgen würde. Dann wiederum bestünde weiterhin die hohe Gefahr der Begehung von erheblichen Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

3. Der Senat sieht sich aufgrund der sich abzeichnenden Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Unterbringung zu folgenden Hinweisen veranlasst (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 4.11.2008 – 4 Ws 316/08StV 2009, 147):

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwingt dazu, dem Untergebrachten nunmehr unverzüglich weitere Lockerungen (vorübergehende Beurlaubung in ein geschlossenes Heim) zu gewähren und bei erfolgreicher Erprobung alsbald weitere Lockerungen zu gewähren. Denn dem Staat obliegt es, die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten durch den Untergebrachten mit Hilfe eines Überleitungsprozesses zu verringern. Ansonsten muss der Untergebrachte demnächst aus Verhältnismäßigkeitsgründen in die Freiheit oder zur Verbüßung der Restfreiheitsstrafe (§ 67 Abs. 4 StGB) aus der Maßregel entlassen werden. Seit längerer Zeit halten die behandelnde Klinik unter bestimmten Bedingungen und insbesondere die Sachverständigen, zuletzt der Sachverständige Dr. F, die Beurlaubung in ein geschlossenes Heim grundsätzlich für vertretbar, weil das Rückfallrisiko durch flankierende Maßnahmen ausreichend reduziert werden kann. Der bislang entgegenstehende Gesichtspunkt, dass der Untergebrachte sich mit der Unterbringung in einem geschlossenen Heim nicht bedingungslos einverstanden erklären konnte, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Denn der Untergebrachte ist aufgrund seiner eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten nicht in der Lage, zukünftige Lebensperspektiven angemessen zu antizipieren und sein Handeln danach ausrichten; er vermag die Situation in einem geschlossenen Heim nicht ausreichend einzuschätzen, um seine diesbezügliche Bereitschaft zu erklären. Aufgrund seiner Biografie, nach der er bereits in seiner Kindheit viele Jahre in Kinderheimen verbracht hat, ist seine Einstellung insoweit ambivalent. Dem Untergebrachten muss die Möglichkeit gegeben werden, durch ein kurzfristiges Probewohnen seine negativen Vorstellungen und Befürchtungen durch konkrete Erfahrungen in seinem potentiellen neuen Lebensumfeld zumindest ansatzweise zu korrigieren. Sollte nicht kurzfristig ein adäquates geschlossenes Heim für den Untergebrachten gefunden werden, könnte er seine Verlegung in dem dafür vorgesehenen Verfahren notfalls mit gerichtlicher Hilfe erzwingen.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.



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