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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl. 131/15 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Zulässigkeit der Auslieferung nach Ungarn zur Strafvollstreckung aufgrund einer belastbaren und ausreichenden Zusicherung des Ungarischen Justizministeriums hinsichtlich menschenrechtskonformer Haftbedingungen.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungsverfahren

Stichworte: Auslieferung, Ungarn, Haftbedingungen

Normen: IRG 29, IRG 32, MRK 6

Beschluss:

Auslieferungsverfahren
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 01.12.2015 beschlossen:

Die Auslieferung des Verfolgten nach Ungarn zum Zwecke der Strafvollstreckung wegen der ihm im Europäischen Haftbefehl des Landgerichts Miskolc vom 13.05.2015 (Az. Szv. 3570/2012 und Szv. 1922/2014) zur Last gelegten Straftaten ist zulässig.

Gründe:
I.
Die ungarischen Behörden ersuchen auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Landgerichts Miskolc/Ungarn vom 13.05.2015 (Az. Szv. 3570/2012 und Szv. 1922/2014) um die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung.

Das Auslieferungsersuchen und der Europäische Haftbefehl stützen sich dabei auf vier Urteile, die gegen den Verfolgten in Ungarn ergangen sind:

1. Urteil des Stadtgerichts Miskolc vom 07.05.2012, rechtskräftig seit dem 10.12.2012 (Aktenzeichen: 21.B2228/2011/60 und 7.Bf.1652/2012/9): Der Verfolgte wurde wegen Beihilfe zum Diebstahl, gemeinschaftlichen Diebstahls und Begünstigung zu 2 Jahren und 5 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, von denen noch 2 Jahre 4 Monate und 29 Tage zu verbüßen sind. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung, in der das Urteil ergangen ist, persönlich anwesend.

In dem genannten Urteil werden dem Verfolgten drei Taten, die er im Oktober 2009 gemeinschaftlich begangen haben soll, vorgeworfen. In der Zeit zwischen dem 02.10.2009 und 05.10.2009 habe der Verfolgte im ersten Fall seine Komplizen auf deren Wunsch zu einem Miethaus in Miskolc, Futó u. 5 gefahren. Der Verurteilte sei weggefahren und die Komplizen hätten mit mitgebrachtem Werkzeug das Zylinderschloss an der Wohnungstür der Wohnung Nr. III/3, Futó u. 5 aufgebrochen, um in die Wohnung einzudringen. Dort hätten sie technische Geräte, Kabel, Mobiltelefone, Modeschmuck, Münzen und ein Feuerzeug im Wert von 200.000,00 HUF entwendet. Der Verfolgte habe die Komplizen mit seinem Fahrzeug, in dem die Beute transportiert worden sei, abgeholt und gemeinsam seien sie in die Wohnung des Verfolgten gefahren. Während einer der Komplizen die technischen Geräte habe verkaufen wollen, die aber später in der Wohnung seiner Freundin sichergestellt worden seien, seien in der Wohnung des Verfolgten ein Mobiltelefon, Modeschmuck, Feuerzeug, Münzen und eine Kamera sichergestellt worden. Die Sachen seien dem Geschädigten ebenso wie die sichergestellten technischen Geräte zurückgegeben worden. Nach Rückgabe sei noch ein Diebstahlschaden in Höhe von 16.000,00 HUF verblieben sowie ein Sachschaden in Höhe von 60.770,00 HUF, der ebenfalls nicht erstattet worden sei.

Im zweiten Fall sei ein Komplize des Verfolgten am 14.10.2009 in die Wohnung Nr. IV/4. Miskolc, Vàszonfehérítö u. 62 durch Aufbrechen des Zylinderschlosses eingebrochen und haben dort 105.000,00 HUF Bargeld und eine nicht echte Breitling – Armbanduhr im Wert von 25.000,00 HUF entwendet. Die gestohlene Uhr habe er anschließend in der Wohnung des Verfolgten mit der Bitte gelassen, dieser möge sie verstecken, bis er sie verkaufe. Der Verfolgte habe die Uhr in dem Bewusstsein aufbewahrt, dass es eine gestohlene Uhr sei, die aus einer Straftat stamme. Die Uhr sei in der Wohnung des Verfolgten beschlagnahmt und an den Geschädigten zurückgegeben worden.

Bei der dritten Tat habe der Verfolgte zwischen dem 24.Oktober 2009, 18:00 Uhr und dem 25.Oktober 2009, 07:00 Uhr Komplizen mit seinem Fahrzeug zum Haus des Geschädigten in Alsózsolca, Nagy u.2 gefahren, um dort einzubrechen. Der Verfolgte habe in der Nähe mit dem Fahrzeug gewartet, während sich die anderen durch Aufschneiden des Drahtzaunes Zutritt zum Grundstück verschafft hätten und durch Aufbrechen mit einem Meißel in die Wohnung des Geschädigten gelangt seien. Es seien verschiedene Sachen im Wert von 1.070.550,00 HUF gestohlen worden, die der Verfolgte mit zwei Fahrten in seinem Fahrzeug in die Wohnung eines Komplizen verbracht hätten. Es sei ein Sachschaden in Höhe von 26.750,00 HUF verursacht worden. Am 28. Oktober 2009 seien der Verfolgte und ein Komplize losgefahren, um den Großteil des Diebesgutes zu verkaufen. Um 06:50 Uhr seien sie auf der Strecke Miskolc – Martintelep – Szirma von der Polizei kontrolliert und der Großteil der gestohlenen technischen Geräte sei im Fahrzeug des Verfolgten aufgefunden und beschlagnahmt worden. Im Anschluss sei die Wohnung des Komplizen durchsucht und weitere Sachen aus dem Diebstahl sichergestellt worden. In Höhe von 544.000,00 HUF sei der Diebstahlschaden erstattet worden.

2. Urteil des Stadtgerichts Miskolc vom 11.03.2009, rechtskräftig seit dem 29.09.2009 (Aktenzeichen: 33.B.807/2009-2 und 2.Bf.605/2009/3): Der Verfolgte wurde wegen Verletzung der Sittlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die noch voll zu verbüßen ist. Der Verfolgte dürfte zu 3 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden sein. Soweit in der Übersetzung des Europäischen Haftbefehls von einer Freiheitsstrafe von 3 „Jahren“ die Rede ist, dürfte es sich um einen Übersetzungsfehler handeln. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung, in der das Urteil ergangen ist, persönlich anwesend.

Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Verfolgte stand am 06.März 2009 vor 13 Uhr mit einem Fahrzeug Ford Escort auf der Straße vor der „Fáy András“ Fachmittelschule in Miskolc, Jászai O. u.1. Der Verfolgte öffnete die Fahrertür, streckte sein linkes Bein hinaus, machte seinen Hosenschlitz auf, masturbierte und sah, wie mehrere Schüler in der Schulpause ihm dabei zuschauten. Die von Lehrern herbeigerufene Polizei nahm den Verfolgten 100 bis 150 Meter entfernt vom Tatort fest.

3. Urteil des Amtsgerichts Szerencs vom 28.05.2014, rechtskräftig seit dem 01.06.2014, (Aktenzeichen: 10.B.126/2011/49): Der Verfolgte wurde wegen Pfandbruchs in zwei Fällen zu 1 Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, die noch voll zu verbüßen ist. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung, in der das Urteil ergangen ist, nicht persönlich anwesend. Die ungarischen Behörden haben mitgeteilt, dass der Verfolgte das Urteil unverzüglich nach seiner Übergabe persönlich zugestellt erhalten wird und er bei Zustellung ausdrücklich von seinem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden wird, an dem er teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 19. Januar 2009 wurde aufgrund eines Beschlusses der Regionalverwaltung Nord – Ungarn des früheren Steuer- und Finanzamts die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Gesellschaftsvermögen der Firma N, (N Industrie-, Handels- und Dienstleistungsgesellschaft mbH), deren Geschäftsführer der Verfolgte war, angeordnet und am Standort der Firma bewegliches Vermögen im Wert von 8.250.000,00 HUF beschlagnahmt. Zugunsten und auf Antrag einer weiteren Gläubigerin, dem Geldinstitut CIB Bank Zrt., wurden durch einen selbstständigen Gerichtsvollzieher am 19. Juni 2009 weitere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt und bewegliches Vermögen im Wert von 50.385.000,00 HUF sichergestellt. Der Verfolgte war bei beiden Vollstreckungsmaßnahmen während der gesamten Zeit persönlich anwesend und wurde darüber belehrt, dass die sichergestellten Sachgüter aufzubewahren seien und er strafrechtlich für den Gebrauch, die Verpfändung, Veräußerung, Vernichtung oder Entziehung der Vollstreckung auf andere Weise verantwortlich sei. Am 22. November 2010 hatte der Gerichtvollzieher am Sitz der Fima einen Versteigerungstermin anberaumt und bemerkte vor Ort, dass das Gebäude geöffnet und die sichergestellten Sachen beschädigt und unvollständig waren. Der Verfolgte hatte am 21. November 2010 und Mitte Januar 2010 mit einem Lastwagen und Komplizen beide Male die im Betrieb sichergestellten Einrichtungen und Sachgüter auf einen Lastwagen gebracht und zu einem unbekannten Ort verbracht.

4. Urteil des Stadtgerichts Szerencs vom 06.05.2009, rechtskräftig seit dem 26.01.2010 (Aktenzeichen: 9.B.246/2007/27 und 2.Bf.1119/2009/5): Der Verfolgte wurde wegen gemeinschaftlichen Versuchs der Selbstjustiz zu 8 Monaten (Anm.: soweit es in der Übersetzung „Jahre“ heißt, liegt ein offenkundiger Übersetzungsfehler vor) Freiheitsstrafe verurteilt, die noch voll zu verbüßen ist. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung, in der das Urteil ergangen ist, persönlich anwesend.

Diesem Urteil lagen folgende Feststellungen zugrunde: Der Verfolgte und weitere Komplizen führten Bauarbeiten für die Firma des Geschädigten, die B aus, für die ihnen nicht der volle Arbeitslohn gezahlt worden war. Der Geschädigte war dem Verfolgten noch ein Betrag in Höhe von 400.000,00 HUF und dessen Kollegen noch insgesamt einen Betrag in Höhe von 229.000,00 HUF schuldig. Am 11. März 2007 wollte der Geschädigte gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Sachen bei dem Verfolgten abholen. Dort hielten sich zwei weitere Kollegen auf, von denen einer den Geschädigten fragte, wann er denn die Schulden bezahlen wolle. Es entstand eine Diskussion, in deren Verlauf einer der Kollegen mit der Faust gegen die Kehle des Geschädigten schlug. Die zur Hilfe eilende Lebensgefährtin wurde am Arm getroffen und weggeschubst. Der Geschädigte flüchtete und wurde von dem Verfolgten und den zwei Kollegen mit Messerstichen bedroht, wenn er nicht zahle, und sie drohten für diesen Fall, dass Köpfe abgeschnitten würden. Sie verfolgten den Geschädigten und schlugen ihm das Mobiltelefon aus der Hand. Ein Kollege des Verfolgten fuhr das Fahrzeug des Geschädigten gegen einen Baum und verlangte es als Sicherheit bis zur Tilgung der Schulden. Das Geschehen wurde durch die von der Lebensgefährtin herbeigerufene Polizei beendet.

Aufgrund dieser Urteile hat der Verfolgte noch Freiheitsstrafen von insgesamt 4 Jahren 3 Monaten und 29 Tagen zu verbüßen.

Seit der Festnahme am 26. August 2015 befindet sich der Verfolgte - zunächst aufgrund der Festhalteanordnung des Ermittlungsrichters beim Amtsgericht Bochum vom 27. August 2015 (64 Gs 3427/15) - und seit dem 08. September 2015 aufgrund des förmlichen Auslieferungshaftbefehls des Senates, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen im Weiteren Bezug genommen wird, in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt C.

Der Verfolgte ist am 30. September 2015 vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bochum – nach Verkündung des förmlichen Auslieferungshaftbefehls – gemäß § 28 IRG zum Auslieferungsersuchen gehört worden. Er – und auch seine Ehefrau mit Schreiben vom 02. Oktober 2015 – haben darauf hingewiesen, dass sie neben zwei weiteren Kindern einen an Autismus erkrankten siebenjährigen Sohn haben, der wegen der Förderungs- und Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland bleiben solle. Die gesamte Familie sehe ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland, in Ungarn habe man nichts mehr. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 05. November 2015, mit dem die Haftfortdauer beschlossen worden ist, Bezug genommen.

Aufgrund der Einwendungen des Beistands, dass unzumutbare Haftbedingungen, die den Verfolgten im Falle der Auslieferung in Ungarn erwarten würden, ein Auslieferungshindernis im Sinne des § 73 IRG begründeten, hat die Generalstaatsanwaltschaft die ungarischen Justizbehörden um dementsprechende Auskünfte gebeten, die durch das ungarische Justizministerium mit Schreiben vom 09. November 2015 unter konkreter Darstellungen der zukünftigen Haftbedingungen beantwortet worden sind.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 13.11.2015 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die ungarischen Behörden in ausreichendem Maße die Einhaltung der notwendigen Mindeststandards bei den Haftbedingungen zugesichert hätten.

Der Beistand des Verfolgten hält die Einwendungen gegen die Auslieferung weiterhin aufrecht und vertritt in den Schriftsätzen vom 23. und 30. November 2015 die Auffassung, dass weder eine ausreichende noch belastbare Zusicherung der ungarischen Justizbehörden hinsichtlich der Haftbedingungen vorläge und das Gericht, das für die Vollstreckung der Urteile zuständig sei, an die Vorgaben des Justizministeriums als unabhängiges Organ zudem nicht gebunden sei. Es sei daher zu befürchten, dass es sich um reine „Lippenbekenntnisse“ handelte, die mit der späteren Realität nicht in Einklang stehen müssten.

II.
Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten nach Ungarn gemäß § 29 Abs. 1 IRG ist veranlasst, da sich der Verfolgte nicht mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat.

Die Auslieferung ist zulässig. Der Verfolgte ist ausschließlich ungarischer Staatsangehöriger. Der Europäische Haftbefehl entspricht den Voraussetzungen des § 83a Abs. 1 Nr. 1 - 6 IRG. Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten zur Last gelegten Straftaten ergibt sich aus den §§ 79 Abs. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2, 4, 81 Nr. 2 IRG. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten sind sowohl nach Strafvorschriften des ungarischen Strafgesetzbuches als auch nach deutschem Recht jedenfalls als Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl in zwei Fällen, Hehlerei, exhibitionistische Handlungen, Pfandkehr und versuchte Nötigung gemäß §§ 183, 240, 242, 244, 289, 22, 23, 25, 27 StGB strafbar und mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht. Das Maß der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafen beträgt zudem mindestens vier Monate (§ 81 Nr. 2 IRG). Soweit der Verfolgte durch das Urteil des Stadtgerichts Miskolc vom 11.03.2009 (Aktenzeichen: 33.B.807/2009-2 und 2.Bf.605/2009/3) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilte worden ist, steht § 81 Nr. 2 IRG der Auslieferung dennoch nicht entgegen, da sie jedenfalls im Wege der akzessorischen Auslieferung gemäß § 4 Nr. 1 IRG zulässig ist. Die Strafvollstreckungsverjährung tritt außerdem nicht vor dem 12.03.2020 ein.

Auslieferungshindernisse im Sinne des § 83 IRG bestehen ebenfalls nicht. Soweit der Verfolgte bei der Verkündung des Urteils des Amtsgerichts Szerencs vom 28.05.2014 nicht persönlich anwesend war, genügt die Zusicherung der ungarischen Behörden, dass der Verfolgte ein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren habe, den Anforderungen des § 83 Abs. 4 IRG.

Der Auslieferung steht auch kein Zulässigkeitshindernis gemäß § 73 IRG in Verbindung mit Art. 6 EMRK wegen in Ungarn drohender unzumutbarer Haftbedingungen entgegen.

Ein Verstoß gegen Grundrechte und rechtsstaatliche Garantien kann wegen der grundsätzlichen, im vertraglichen Bereich bestehenden Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Auslieferung und der Achtung und dem Respekt vor fremden Rechtsordnungen zwar nur beschränkt, nämlich nur bei Verletzung ihres Kernbereichs zu einem Auslieferungshindernis führen, wobei hierfür maßgeblich ist, ob die Auslieferung und ihr zugrundeliegende Akte gegen den nach Art. 25 GG völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard sowie gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze der öffentlichen Ordnung verstoßen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 25.08.2015 – 2 Ausl. 107/15; Senatsbeschluss vom 10.09.2013 - 2 Ausl 95/11 -, zit. nach OLG Celle, Beschluss vom 16.12.2014 - 1 Ausl 33/14 -, zit. nach juris). Damit ist eine Auslieferung (nur) unzulässig, wenn diese fundamentalen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung oder dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard auf dem Gebiet der Menschenrechte widerspricht (zu vgl. OLG Celle a.a.O. m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn der ersuchte Staat mit einer Rechtshilfehandlung dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Diese Mindestvoraussetzungen gehören inzwischen zum festen Bestandteil des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (zu vgl. OLG Celle a.a.O. m.w.N.).

Entsprechend dieses Maßstabes wäre die Auslieferung nach Ungarn unzulässig, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu befürchten wäre, dass die Haftbedingungen, die dem Verfolgten in Ungarn drohen, den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards nicht genügen. Solche Anhaltspunkte sind insbesondere aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 10. März 2015 in Sachen Varga u.a. gegen Ungarn gegeben, da darin in den Fällen der Kläger u.a. festgestellt worden ist, dass die Haftbedingungen menschenunwürdig waren und nicht den notwendigen Mindeststandards entsprachen. Der EGMR hat insbesondere darauf hingewiesen, dass jeder Häftling eine individuellen Schlafpatz, mindestens drei Quadratmeter Bodenfläche und freie Bewegungsmöglichkeiten zwischen den Möbelstücken in der Zelle haben müsse. Außerdem müssten der unbeschränkte und ein Mindestmaß an Intimität wahrende Zugang zu hygienischen Einrichtungen, ausreichende Bewegung und Frischluftversorgung der Häftlinge sowie die Beheizung und Beleuchtung der Zellen gewährleistet sein.

Aufgrund der im vorliegenden Fall eingeholten Zusicherung des ungarischen Justizministeriums vom 09.11.2015 ist aber davon auszugehen, dass diese Mindeststandards nach den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 bei Auslieferung des Verfolgten gewahrt werden. Denn es wird zugesichert, dass der Verfolgte in einem Haftraum mit mindestens drei Quadratmetern pro Person und einer Bodenfläche von 11,2; 15,2 oder 27 Quadratmeter bei Ein-, Zwei- oder Fünfpersonenbelegung in der Justizvollzugsanstalt Szombathely untergebraucht werde. Es stünden den Häftlingen in den Hafträumen separate Duschkabinen, eine Toilette und Waschbecken zur Verfügung. Die Hafträume verfügten über Heizung, Beleuchtung (Tageslicht und künstliches Licht) und Belüftung. Außerdem sei durch ein Gesundheitszentrum die ärztliche Versorgung der Häftlinge gewährleistet. Zudem hat das Justizministerium Ungarn nochmals ausdrücklich zugesichert, dass das Verfolgte in einer solchen Haftanstalt untergebracht wird, die sowohl der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 04. November 1950 als auch den Grundsätzen des Europäischen Strafvollzug sowie den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen vom 12. Februar 1978 entspricht.

Aufgrund dieser konkreten fallbezogenen Zusicherung steht nicht zu befürchten, dass dem Verfolgten eine mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbare unmenschliche Behandlung droht. Die Justizvollzugsanstalt, die in der Zusicherung zumindest „nach derzeitigem Stand“ benannt wurde (JVA Szombathely), gehört auch nicht zu den Anstalten, deren Haftbedingungen in der Entscheidung vom 10.03.2015 durch den EGMR bemängelt wurden. Die von dem EGMR auch nochmals ausdrücklich geforderten Mindestanforderungen an die Unterbringung und Behandlung der Häftlinge werden nach der Zusicherung auch ausdrücklich eingehalten.

Soweit der Beistand des Verfolgten meint, es liege weder eine ausreichend belastbare noch eine Zusicherung von der zuständigen Stelle vor, teilt der Senat diese Bedenken nicht. Das Justizministerium hat als die für Rechtshilfeersuchen zuständige oberste Behörde eine Zusicherung über die Haftbedingungen abgegeben, nachdem der in Ungarn für den Strafvollzug (und nicht für die Strafvollstreckung) zuständige Kommandant des Nationalen Strafvollzugs die notwendigen Auskünfte und Zusicherungen erteilt hat. Der Strafvollzug ist aber für die Ausgestaltung der Haftbedingungen zuständig. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass sich Ungarn - und seine ausführenden Organe - als Mitgliedsstaat der EU nicht an die abgegebenen Zusicherungen halten, zumal ein Verstoß gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen das gegenseitige Vertrauen als unabdingbare Grundlage des Auslieferungsverkehrs nachhaltig enttäuschen würde (vgl. auch OLG Dresden, Beschluss vom 13.07.2015 – OLG Aul 98/15-, juris).

Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, ein Bewilligungshindernis gemäß § 83b Abs. 2 IRG nicht geltend zu machen, ist wie im Beschluss des Senats vom 08. September 2015 bereits ausgeführt, nicht rechts- oder ermessensfehlerhaft. Insbesondere steht der Auslieferung des Verfolgten kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland im Sinne von § 83 b Abs. 2 Nr. 2 IRG entgegen. Ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an einer Vollstreckung in Deutschland ergibt sich nicht bereits aus dem Umstand, dass der Verfolgte seit 2012 mit seiner Familie in Deutschland lebt. Die Auslieferung wird von dem Heimatstaat des Verfolgten begehrt, so dass seiner Resozialisierung durch den dortigen Vollzug weder sprachliche noch kulturelle Schwierigkeiten entgegenstehen. Auch wenn sich die Ehefrau und zwei der drei Kinder mit dem Verfolgten in Deutschland aufhalten und bei der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft auch Berücksichtigung gefunden hat, dass der Sohn der Eheleute an Autismus erkrankt ist und in Deutschland zum Kindergarten geht, ist nicht von einem überwiegenden schutzwürdigen Interesse an der Vollstreckung im Inland und damit verbundenen höheren Resozialisierungschancen auszugehen. Wie der Bericht des Gesundheitszentrums für Kinder vom 18.05.2015 aus Miskolc belegt, befindet sich der Sohn offensichtlich auch im Heimatort des Verfolgten seit dem Jahr 2012 und auch aktuell noch im Jahr 2015 in Behandlung. Dies belegt, dass die Familie des Verfolgten neben dem dort noch zur Schule gehenden dritten Kind noch gute Kontakte zum Heimatland unterhält und auch aus diesem Grunde keine schutzwürdigen Interessen an der Vollstreckung in Deutschland überwiegen.




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