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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 411/14 OLG Hamm

Leitsatz: Eine Fesselung im Rahmen einer Vorführung, allein aus allgemeinen Sicherheitserwägungen oder zur Vorbeugung einer möglich erscheinenden Flucht, ist bei nach § 63 StGB untergebrachten Maßregelpatienten mangels Vorhandenseins einer entsprechenden Gesetzesgrundlage unzulässig.


Senat: 1

Gegenstand: Revision Rechtsbeschwerde Beschwerde Haftprüfung durch das OLG Pauschgebühr Justizverwaltungssache Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Stichworte: Maßregelvollzug, psychiatrisches Krankenhaus, Fesselung, Vorführung, Anhörungstermin

Normen: MRVG NW 5; 17; 21; StGB § 63

Beschluss:

Strafvollzugssache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 23.09.2014 beschlossen:

1.Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird als unzulässig verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, soweit der Betroffene sich gegen die Zurückweisung seines Antrages auf gerichtliche Entscheidung betreffend die Zulässigkeit seiner Fesselung im Rahmen der Vorführung am 04.12.2013 zum Landgericht Kleve richtet. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.
3. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit darin der Antrag auf gerichtliche Entscheidung betreffend die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fesselung des Betroffenen im Rahmen seiner Vorführung zurückgewiesen worden ist. Insoweit wird festgestellt, dass die Fesselung des Antragstellers im Rahmen der Vorführung am 04.12.2013 zum Landgericht Kleve rechtswidrig war.
4. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die dem Betroffenen darin erwachsenen notwendigen Auslagen tragen je zur Hälfte die Landeskasse und der Betroffene.

Gründe
I.
Der Betroffene befindet sich im Maßregelvollzug nach § 63 StGB. Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses wurde er anlässlich einer auf den 04.12.2013 terminierten Anhörung im Rahmen der Überprüfung der Fortdauer der Maßregel mittels eines Transportfahrzeugs der JVA Kleve – getrennt von Untersuchungs-bzw. Strafgefangenen – auf ein Transportersuchen der Maßregelvollzugseinrichtung zum Anhörungstermin vorgeführt. Bereits im Vorfeld hatte er sich an den Vorsitzenden der großen Strafvollstreckungskammer gewandt und beantragt, nicht mittels eines Fahrzeugs der Justizvollzugsanstalt vorgeführt zu werden. Der Vorsitzende wies dies Ansinnen jedoch zurück. Eine gegen die „Art und Weise der Vorführung“ eingelegte Beschwerde vom 09.12.2013 des Betroffenen blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hielt diese für unzulässig, weil nicht der Weg nach §§ 304 ff. StPO sondern der nach den §§ 109 ff. StVollzG einschlägig sei (Beschluss vom 06.02.2014 – III – 2 Ws 68/14). Die Bitte des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer an die Maßregelvollzugseinrichtung, den Betroffenen durch die JVA Kleve vorführen zu lassen, sei nur eine Anregung. Über die Art und Weise Vorführung würde aber nach § 29 Abs. 5 MRVG die therapeutische Leitung entscheiden.

Daraufhin hat der Betroffene mit Anwaltsschriftsatz vom 12.02.2014 gerichtliche Entscheidung nach den §§ 109 ff. StVollzG beantragt, mit dem er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Vorführung begehrte, und gleichzeitig um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gebeten. Er hat gemeint, der Einsatz von Bediensteten und eines Fahrzeuges der JVA Kleve widerspräche dem Trennungsgrundsatz. Die Zuführung unter Fesselung an Händen und Füßen sei therapeutisch kontraindiziert und unverhältnismäßig gewesen.

Diese Anträge hat die (kleine) Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Sie meint, dass die Wahl des Anhörungsortes im Ermessen des Gerichts stehe. Über die Art und Weise der Vorführung entscheide der therapeutische Leiter der Maßregelvollzugsklinik, wobei er einen Beurteilungsspielraum habe. Da die Klinik keinen eigenen Fahrdienst zum Patiententransport habe, sei es sachdienlich gewesen, sich des Fahrdienstes der JVA Kleve zu bedienen, der in Bezug auf Sicherheit besonders geschult sei. Eine Trennung von Strafgefangenen sei gewährleistet gewesen. Die Uniformierung der JVA-Mitarbeiter sei keine besondere Belastung für den Betroffenen gewesen, da diese identisch sei mit der der Gerichtswachtmeister, die im Rahmen der Anhörung den Sitzungsdienst versehen hätten. Die Fesselung sei wegen der Gefährlichkeit des Betroffenen, die näher dargestellt wird, erforderlich gewesen.

Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde vom 24.07.2014, mit der er auch Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe eingelegt hat.

Der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug hält die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes für unzulässig.

II.
Das Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unzulässig, da hiergegen ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (OLG Hamm, Beschl. v. 04.12.2012 – 1 Vollz(Ws) 672/12 – juris).

III.
Die Rechtsbeschwerde ist insoweit unzulässig, als sie die Frage der Vorführung des Betroffenen über den Transportdienst der JVA Kleve betrifft, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG). Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 11.10.2011 (III – 1 Vollz(Ws) 459/11 – juris) die Rechtsfrage der Zulässigkeit einer Vorführung eines Untergebrachten über Transportdienste des Strafvollzuges dahingehend geklärt, dass diese grds. zulässig ist, selbst wenn damit eine mehrtägige Verschubung und zeitweilige Unterbringung in Strafvollzugsanstalten verbunden ist.

Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf gerichtliche Entscheidung betreffend die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fesselung richtet, ist sie zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da – soweit ersichtlich – zu dieser Frage noch keine obergerichtlichen Entscheidungen im Hinblick auf Maßregelpatienten existieren.

In dem Umfang der Zulassung ist die Rechtsbeschwerde auch im Übrigen zulässig. Insbesondere scheitert sie nicht am Fehlen eines zulässigen Antrages auf gerichtliche Entscheidung. Da die Anordnung der Maßregelvollzugseinrichtung über die Art und Weise der Vorführung dem Betroffenen offenbar nicht schriftlich bekannt gegeben worden ist, konnte der Feststellungsantrag noch binnen Jahresfrist gestellt werden (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843), was hier geschehen ist.

IV.
Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet und führt insoweit zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme (§ 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG). Für die Fesselung eines im Maßregelvollzug Untergebrachen im Rahmen einer Vorführung aus Gründen der Sicherheit bzw. zur Vermeidung eines Entweichens gibt es keine gesetzliche Grundlage.

1. Die Fesselung ist im MRVG NW nur in § 17 Abs. 3 geregelt. Danach darf sie nur aus „zwingenden Behandlungsgründen“ ärztlich angeordnet werden. Dass hier solche Gründe vorlagen, ist nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer nicht ersichtlich. Vielmehr war – so die Strafvollstreckungskammer – die Fesselung aufgrund der Gefährlichkeit des Betroffenen erforderlich. Die Strafvollstreckungskammer hat insoweit entgegen § 115 Abs. 5 StVollzG bei der Überprüfung der Ermessensvorschrift des § 17 Abs. 3 MRVG NW ihr eigenes Ermessen an die Stelle der Maßregelvollzugseinrichtung gesetzt, anstatt sich auf eine Überprüfung nach § 115 Abs. 5 StVollzG zu beschränken. Zu den Erwägungen der Maßregelvollzugseinrichtung hinsichtlich der erfolgten Fesselung enthält der angefochtene Beschluss demgegenüber keine Feststellungen.

Allein schon aus diesem Grund war der angefochtene Beschluss insoweit aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 StVollzG).

2. Eine Fesselung im Rahmen einer Vorführung, allein aus allgemeinen Sicherheitserwägungen oder zur Vorbeugung einer möglich erscheinenden Flucht, ist bei nach § 63 StGB untergebrachten Maßregelpatienten aber auch ohnehin unzulässig.

Wie bereits ausgeführt, ist eine Fesselung im geltenden Recht nur nach § 17 Abs. 3 MRVG NW aus „zwingenden Behandlungsgründen“ vorgesehen. Hingegen ist sie als besondere Sicherungsmaßnahme in § 21 MRVG NW nicht aufgeführt. Sie kann auch nicht auf die Generalklausel des § 5 S. 2 MRVG NW gestützt werden. Diese Regelung greift nur ein, „soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält“. Der Umstand, dass das Gesetz die Fesselung nur für den Sonderfall des § 17 Abs. 3 MRVG NW vorsieht und sie als besondere Sicherungsmaßnahme gerade nicht zulässt, zeigt aber schon, dass es mit § 17 Abs. 3 MRVG NW eine abschließende Sonderregelung getroffen hat (vgl. auch schon: LG Paderborn StV 2009, 544). Die Fesselung ist danach nur zulässig, wenn es um Behandlungsfragen geht (Prütting, MRVG NW, 2004, § 17 Rdn. 25). Dieser Sonderregelungscharakter würde aber unterlaufen, wenn die Fesselung auch aus anderen Gründen angeordnet werden dürfte. Auch wurde die Fesselung auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens als besondere Sicherungsmaßnahme gestrichen (LT-Drs. 9/3860 S. 17, 42).

Zwar wird vertreten, dass die Fesselung als besondere Sicherungsmaßnahme zulässig sei, weil die in § 21 Abs. 1 MRVG NW aufgezählten Maßnahmen nur Beispielscharakter hätten (Prütting, a.a.O., § 21 Rdnr. 9). Ob § 21 Abs. 1 MRVG NW tatsächlich nur Beispiele für besondere Sicherungsmaßnahmen nennt, erscheint schon zweifelhaft. Der Wortlaut enthält keine Hinweise hierauf (wie z. B. „insbesondere“ o.ä.). Jedenfalls wird man, wenn die Fesselung ausdrücklich aus dem Katalog gestrichen wurde, diese Sicherungsmaßnahme über die Argumentation, dass wegen des Beispielscharakters auch andere besondere Sicherungsmaßnahmen zulässig seien, nicht wieder einführen können.

Für das obige Auslegungsergebnis spricht auch, dass in anderen Gesetzen des Landes Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit der Fesselung im Rahmen einer Vorführung im Falle eines erhöhten Sicherungsbedürfnisses spezialgesetzlich geregelt ist (vgl. z.B. § 69 Abs. 6 SVVollzG NW oder § 62 S. 2 PolG NW). Wenn derselbe Landes- gesetzgeber dann aber eine derartige spezielle Regelung im MRVG NW gerade nicht vorsieht, sondern eine solche nur für den Fall der Fesselung aus medizinischen Gründen vorhält, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er sonstige Fälle der Fesselung, insbesondere solche wegen eines erhöhten allgemeinen Sicherungsbedürfnisses, über die Generalklausel des § 5 S. 2 MRVG NW erfasst wissen wollte.

Ein Fall, dass eine Fesselung als Auflage nach § 18 Abs. 3 MRVG NW zur Ermöglichung (einer sonst abzulehnenden) Ausführung angeordnet wird (vgl. dazu OLG Hamm, Beschl. v. 31.07.2012 – III – 1 Vollz(Ws) 278/12 = BeckRS 2012, 18687) liegt hier ebenfalls nicht vor, da nach den getroffenen Feststellungen nicht von einer Ausführung ausgegangen werden kann. Auch ist nicht ersichtlich, dass die Fesselung im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Vorführung notwendig gewesen wäre.

V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 StVollzG.



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