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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 269/15 OLG Hamm

Leitsatz: Bei dem Vorwurf des Veruntreuens von Arbeitsentgelt wird die Umgrenzungsfunktion der Anklage nur dadurch gewahrt, dass die einzelnen verfahrensgegenständlichen Taten, nämlich das jeweils einen konkreten Zeitraum betreffende Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Personen an konkret benannte Sozialversicherungsträger trotz bestehender Pflicht, bezeichnet werden.



Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Vorenthalten, Arbeitsentgelt, Umgrenzungsfunktion, Anklage, Einstellung; Hauptverhandlung

Normen: StGB 266a; StPO 206a

Beschluss:

In pp.
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgericht Hamm am
18.08.2015 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt, als unbegründet verworfen.

Gründe:
I.
Der Angeklagten wurde mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 24. April 2013 vorgeworfen, in der Zeit vom 1. September 2002 bis zum 31. Juli 2008 in I, F und anderen Orten in 23 Fällen Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt sowie in weiteren 48 Fällen Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in Tateinheit mit Nichtabführung von Arbeitgeberbeträgen (§ 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB) begangen zu haben. Im Anklagesatz werden dazu die einzelnen Fälle in einer von 1 bis 71 durchnummerierten Tabelle dargestellt. Unter der Überschrift „Arbeitnehmer“ findet sich in sämtlichen Fällen jeweils der Eintrag „diverse Arbeitnehmer“. Diesen „diversen Arbeitnehmern“ werden dann jeweils der Monat der Tatzeit, der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmeranteil für diesen Monat sowie die addierte Gesamtsumme aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zugeordnet.

Durch Beschluss vom 22. Januar 2014 hat das Amtsgericht – Schöffengericht – Minden die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Durch Urteil vom 30. Oktober 2014 wurde die Angeklagte durch das Amtsgericht unter Zugrundelegung der Vorwürfe aus der Anklageschrift zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Gegen dieses Urteil haben sowohl die Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Bielefeld jeweils Berufung eingelegt.

Durch Beschluss der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 23. April 2015 ist das Verfahren sodann gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt worden. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, die von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung der allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen habe ergeben, dass der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts in Verbindung mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft mit Mängeln behaftet sei. Die Anklage erfülle ihre Funktion, den Verfahrensgegenstand zu umgrenzen nicht, da sie an keiner Stelle eine Individualisierung der betroffenen Arbeitnehmer mit konkreter Zuordnung der jeweils zuständigen Einzugsstelle und des Abrechnungszeitraums enthalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen Beschluss vom 23. April 2015 (Bl. 1074 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen den Einstellungsbeschluss des Landgerichts Bielefeld wendet sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit ihrer fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, das Landgericht hätte, selbst wenn es die Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht für ausreichend halten sollte, nicht durch Beschluss nach § 206a StPO entscheiden dürfen, sondern hätte durch Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO entscheiden müssen. Im Übrigen sei die Anklageschrift nicht mit Mängeln behaftet und erfülle die vorgeschriebene Umgrenzungsfunktion in ausreichendem Maße. Die genaue Auflistung der einzelnen Angestellten und deren Zuordnung zu bestimmten Tatzeiten sei nicht erforderlich gewesen, zumal in der Anklageschrift der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung als Beweismittel genannt worden sei, der diese Angaben enthalte. Es bestehe allenfalls ein Mangel hinsichtlich der Informationsfunktion der Anklageschrift, der problemlos im Rahmen des § 265 StPO durch einen Hinweis des Gerichts hätte geheilt werden können.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der sofortigen Beschwerde beigetreten und hat beantragt, den angefochtenen Beschluss des Landgerichts aufzuheben und die Fortsetzung des (Haupt-)Verfahrens anzuordnen.

Die Angeklagte ist zu der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld angehört worden.

II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.

1. Es begegnet zunächst rechtlich keinen Bedenken, dass das Landgericht die Einstellung des Verfahrens im Beschlusswege außerhalb der Hauptverhandlung nach § 206a StPO und nicht durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO vorgenommen hat. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 16. September 1971 - 1 StR 284/71, BGHSt 24, 208, 212; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Februar 1983 - 3 StR 396/83, BGHSt 32, 275, 290; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Mai 1991 – 1 Ss 43/91 –, juris ), der den Rechtsmittelgerichten diesbezüglich ein Wahlrecht einräumt (a. A.: OLG Celle, Beschluss vom 22. Februar 2007 – 32 Ss 20/07 –, juris).

2. Das Landgericht Bielefeld hat das Verfahren zu Recht eingestellt. Dem Verfahren liegt kein wirksamer Eröffnungsbeschluss zu Grunde, da die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 24. April 2013 mit durchgreifenden Mängeln behaftet ist. Mängel der Anklageschrift sind, sofern diese - wie hier - unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, zugleich Mängel des Eröffnungsbeschlusses (OLG Hamm, Beschluss vom 11. April 2007 – 4 Ss 70/07 –, juris).

Gemäß § 200 StPO unterrichtet die Anklageschrift den Angeschuldigten über den gegen ihn erhobenen Vorwurf (Informationsfunktion) und bezeichnet in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand, über den das Gericht im Eröffnungsverfahren zu entscheiden hat (Umgrenzungsfunktion; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 200 StPO Rdnr. 2 m. w. N.). Insoweit auftretende Mängel führen zu einer Unwirksamkeit der Anklage, wenn diese ihre Umgrenzungsfunktion betreffen. Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153 (156); BGH, Urteil vom 02. März 2011 – 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183). Um ihrer Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, muss die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche Tat gemeint ist. Sie muss sich von anderen gleichartig gelagerten strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden (BGH, Beschluss vom 29. November 1994 – 4 StR 648/94 –, juris =NStZ 1995, 245; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Juli 2009 – 3 Ss 250/09 –, juris; OLG Zweibrücken Beschl. v. 13.06.2008 – 1 Ss 70/08 – juris; vgl. auch OLG Düsseldorf Beschluss vom 21.01.1998 – 5 SsOWi 372/97 – juris). Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (BGH a. a. O.; BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93 –, juris = BGHSt 40, 44). Bei einer Vielzahl gleichartig begangener Betrugsdelikte müssen etwa zu deren Konkretisierung grundsätzlich auch die Geschädigten der einzelnen Fälle benannt und diese so dargestellt werden, dass sie von etwaigen weiteren Fällen durch nähere Einzelheiten oder Begleitumstände unterscheidbar sind (BGH a. a. O.; BGH, Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05 –, juris).

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld wird den zuvor dargelegten Anforderungen nicht gerecht, da ihre Mängel die Umgrenzungs- und nicht die Informationsfunktion betreffen.

Bei dem Vorwurf des Veruntreuens von Arbeitsentgelt wird die Umgrenzungsfunktion der Anklage nur dadurch gewahrt, dass die einzelnen verfahrensgegenständlichen Taten, nämlich das jeweils einen konkreten Zeitraum betreffende Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Personen an konkret benannte Sozialversicherungsträger trotz bestehender Pflicht, bezeichnet werden (OLG Celle, Beschluss vom 03. Juli 2013 – 1 Ws 123/13 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 19. Juli 2011 – 1 Ws 271-274/11 -, juris). Eine solche Darlegung eines konkreten Tatzeitraums, dem bestimmte Personen zugeordnet werden, stellt die in der Anklageschrift vorgenommene Zuordnung von „diversen Arbeitnehmern“ zu den jeweiligen Tatzeiträumen jedoch nicht dar. Vor dem Hintergrund der zuvor dargelegten Anforderungen wäre insoweit jeweils erforderlich gewesen, dass der Tatzeitpunkt, der jeweilige Arbeitnehmer und der jeweilige Sozialversicherungsträger konkret benannt werden, was indes nicht erfolgt ist. Das Landgericht hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass die erforderliche Individualisierung der Arbeitnehmer - um die angeklagten Taten von anderen, vergleichbaren Taten abgrenzen zu können - nicht erfolgt ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 23. April 2015 Bezug genommen.

Ergänzend wird daneben darauf hingewiesen, dass der Senat die Ansicht des Landgerichts teilt, dass es fernliegend erscheint, dass allein die C die allein zuständige Einzugsstelle gewesen ist. Auch insoweit dürfte die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht gerecht werden, da die korrekte Zuordnung zu konkret benannten Sozialversicherungsträgern demnach zumindest zweifelhaft erscheint.

Der Mangel der Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift kann schließlich auch nicht dadurch geheilt werden, dass in der Anklageschrift der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung als Beweismittel benannt worden ist. Denn die für eine Wahrung der Umgrenzungsfunktion maßgeblichen Einzelheiten dieses Bescheids werden weder in der Anklage noch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Unabhängig davon wäre eine Auslagerung von Details in das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ohnehin bereits nicht zulässig (Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl., § 200 Rdnr. 9a m. w. N.). Dementsprechend vermag die bloße Anführung dieses Bescheids als Beweismittel, die aufgezeigten Mängel der Umgrenzungsfunktion nicht zu beseitigen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.


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