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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-4 Ws 157/15 OLG Hamm

Leitsatz: Ist die nach §§ 463 Abs. 4 Satz 4, 454 Abs. 2 Satz. 3 StPO vorgesehene mündliche Anhörung eines Sachverständigen unterlassen worden, führt das i.d.R. zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Maßregelvollzug, Fortdauer, Aufhebung, Anhörung, Sachverständiger

Normen: StPO 463; StPO 454

Beschluss:

Maßregelvollzugssache
betreffend pp.
derzeit aus der Wilfried-Rasch-Klinik Dortmund beurlaubt in pp.
wegen schwerer räuberischer Erpressung.

Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 07. April 2015 gegen den Beschluss der Straf-vollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 23. März 2015 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Rich-ter am Amtsgericht am 06. August 2015 beschlossen:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens — an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das Landgericht Dortmund ordnete mit Urteil vom 22. Dezember 2003 die Unterbringung des Be-troffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus an, da der Untergebrachte im Zustand der Schuldunfähigkeit des § 20 StGB eine schwere räuberische Erpressung und eine versuchte schwe-re räuberische Erpressung begangen hatte. Das Landgericht stellte fest, dass der Betroffene im Zeitpunkt beider Taten an Hebephrenie gelitten habe. Diese Krankheit äußere sich in Störungen des Denkens, des Affektes und des Antriebes. Er leide teilweise an imperativen Stimmen, teilweise nehme er eigene Gedanken so deutlich wahr, als spreche ein Anderer zu ihm. Aufgrund der star-ken suggestiven Beeinflussbarkeit müsse aufgrund der Erkrankung davon ausgegangen werden, dass zu den Tatzeitpunkten die Hebephrenie massive Auswirkungen gezeigt habe. Jedenfalls die Steuerungsfähigkeit des Betroffenen sei bei Begehung der Taten jeweils sicher erheblich reduziert gewesen. Möglicherweise sei auch die Einsichtsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten aufgehoben gewe-sen.
Insgesamt wurden in dem Verfahren bislang 4 externe Gutachten eingeholt. Die Gutachterin Dr. L. kommt in ihrem Gutachten vom 02. September 2003 zu der Diagnose, dass der Betroffene an Schizophrenie und Alkoholabhängigkeit leide. Diese Diagnose wird bestätigt von dem Gutachter Dr. R. in dessen Gutachten vom 02. Dezember 2003. Im Gutachten der Dres. B. und B. und Binder vom 05. Januar 2007 wurde dann festgestellt, dass die psychotisch-schizophrene Erkrankung rückläufig sei. Prof. C. führt in seinem Gutachten vom 02. März 2010 aus, dass die hebephrene Psychose weitgehend remittierend sei.
Der Gutachter Dr. A. kommt in seinem Gutachten vom 30. April 2013 zu dem Ergebnis, dass — nach verschiedenen Dekompensationen — „die Genesung (des Untergebrachten) von seiner schi-zophrenen Erkrankung in der Langzeitbeurlaubung positiv zu beurteilen (sei), gerade seit der stabi-len Phase im Jahr 2012." Es sei erforderlich, dass der Untergebrachte längerfristig ohne Dekom-pensation in dem strukturgebenden Umfeld zu Recht komme und mit Stresssituationen adäquat umgehe. Das haltgebende Umfeld des Maßregelvollzuges helfe dem Untergebrachten dabei, den Krankheitszustand weiter zu stabilisieren. Der derzeitige gute Zustand halte noch nicht lange ge-nug an, um auf ein strukturgebendes und stabilisierendes Umfeld verzichten zu können. Unter so-zialprognostischen Gesichts-punkten solle an den unterstützenden Strukturen festgehalten werden und zunächst eine mehrjährige Zeit ohne Dekompensationen überblickt werden, bevor ein eigen-ständiges Leben realistisch werde. Wichtig sei eine konsequente medikamentöse Therapie und eine strikte Abstinenz von Alkohol. Sofern dies unterbleibe, würde, auch bedingt durch das Auftre-ten von psychotischen Symptomen, das Risiko für straffälliges Verhalten steigen.
Das Prognosegutachten des Dr. A. vom 30. April 2013 lag der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zur Fortdauerentscheidung vom 01. Juli 2013 nicht vor. Auf die nachträgli-che Übersendung seitens der Staatsanwaltschaft wurde vom Vorsitzenden der Strafvollstre-ckungskammer vermerkt, dass kein Anlass gesehen werde, von Amts wegen tätig zu werden, da es auch nach dem Gutachten sachdienlich erscheine, die haltgebenden Strukturen noch längere Zeit aufrechtzuerhalten.

Sowohl in den weiteren Fortdauerentscheidungen vom 01. Juli 2014 als auch im angefochtenen Beschluss vom 23. März 2015 wird auf das Gutachten des Dr. A. nicht eingegangen.

Gegen den Fortdauerbeschluss vom 23. März 2015 richtet sich die sofortige Beschwerde des Un-tergebrachten vom 07. April 2015. Mit Schriftsatz vom 09. Juli 2015 wird die sofortige Beschwerde dahin begründet, dass nach dem Gutachten des Dr. A. von einer Genesung von der schizophre-nen Erkrankung in der Langzeitbeurlaubung die Rede sei, so dass zumindest unklar sei, ob die Unterbringungsvoraus-setzungen überhaupt noch vorlägen. Denn sofern der Untergebrachte nicht mehr krank sei, sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklä-ren.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 28. April 2015 beantragt, die sofortige Be-schwerde als unbegründet zu verwerfen. Sie hat ausgeführt, dass es auf das Gutachten des Dr. A. nicht ankomme, weil die Strafvollstreckungskammer den angefochtenen Beschluss auf dieses Gutachten nicht gestützt habe.

II.
Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 3 StPO statthaft und auch sonst zuläs-sig da form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO).

Sie hat in der Sache zumindest einen vorläufigen Erfolg, weil die angegriffene Fortdauerentschei-dung vom 23. März 2015 nicht auf einer ausreichenden Tatsachen-grundlage beruht (1.) sowie die gemäß §§ 463 Abs. 4, 454 Abs. 2, S. 3 StPO zwingend erforderliche Anhörung eines Sachver-ständigen unterblieben ist (2.).

1. Bei ihrer Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer u. a. zu prüfen, ob noch die Voraus-setzungen der Maßregel gern. § 67 d Abs. 6 S. 1, 1. Alternative StGB vorliegen. Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn der Zustand, aufgrund dessen die Unterbringung erfolgt ist, nicht oder nicht mehr besteht oder wenn die von § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeit des Untergebrach-ten nicht mehr besteht (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vorn 26.02.2014, Az.: 1 Ws 52/14).

Die Strafvollstreckungskammer hat es unterlassen, sich mit dem Maßregelvollzugsgutachten des Dr. A. vom 30. April 2013 mit der gebotenen Begründungstiefe auseinanderzusetzen. Der Vermerk des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer vom 29. August 2013, dass kein Anlass gesehen werde, von Amts wegen tätig zu werden, weil in dem Gutachten davon ausgegangen werde, dass es sachdienlich erscheine, die haltgebenden Strukturen noch längere Zeit aufrechtzuerhalten, stellt bereits deshalb keine genügende Auseinandersetzung mit dem Gutachten dar, weil nicht klar ist, ob sich die Kammer in ihrer vollen Besetzung gemäß § 78 b Abs. 1, Nr. 1 GVG mit dem Gutachten auseinandergesetzt hat. Jedenfalls aber wäre es geboten gewesen, dass sich die Strafvollstre-ckungskammer in einer ihrer Fortdauerentscheidungen mit dem Gutachten inhaltlich auseinander-setzt, was jedoch nicht geschehen ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach Erstel-lung des Gutachtens des Dr. A. seitens der Klinik mehrfache Demkompensationen des Unterge-brachten berichtet werden. Dies hätte vielmehr Anlass gegeben, sich kritisch mit dem Gutachten des Dr. A. auseinanderzusetzen bzw. gegebenenfalls herauszuarbeiten, dass die Dekompensatio-nen als Erscheinungsform der hebephrenen Schizpphrenie gerade belegen, dass die Grunderkran-kung eben noch nicht vollständig zurückgegangen ist.
Die Nichtauseinandersetzung mit dem Gutachten stellt einen Begründungsmangel des angegriffe-nen Beschlusses dar. Denn das Gutachten, in dem von einer Genesung von der schizophrenen Erkrankung die Rede ist, stellt möglicherweise die inhaltliche Fortsetzung des externen Gutachtens des Prof. Dr. C. vom 02. März 2010 dar, der schon damals eine weitgehend remittierende hebe-phrene Psychose diagnostizierte, weshalb seinerzeit auch die Empfehlung einer bedingten Entlas-sung ausgesprochen wurde.
Bereits diese Umstände hätten die Strafvollstreckungskammer veranlassen müssen, sich inhaltlich mit dem Gutachten des Dr. A. auseinanderzusetzen. Denn es liegt auf der Hand, dass die bloße Sicherung eines strukturgebenden Umfelds nicht ausschließlich im Maßregelvollzug bereitgestellt werden kann und die Notwendigkeit eines solchen Umfeldes allein nicht schon eine Fortdauerent-scheidung zu rechtfertigen vermag.

Der aufgezeigte Verfahrensmangel kann im Beschwerdeverfahren nicht behoben werden, so dass auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten der Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstre-ckungskammer zurückzugeben war.

Der Senat weist darauf hin, dass es bereits angesichts des Zeitablaufs wenig sach-dienlich er-scheint, den Gutachter Dr. A. zu dem Gutachten aus dem Jahre 2013 anzuhören. Stattdessen erscheint die Einholung eines neuen (externen) Prognose-gutachtens und eine gegebenenfalls sich anschließende Anhörung des Sachverständigen geboten, um das aktuell bestehende Krankheits-bild des Untergebrachten festzustellen. Dabei wird es insbesondere darauf ankommen, ob zukünf-tig im Rahmen der hebephrenen Psychose Dekompensationen zu erwarten sind und ob bzw. auf welche Art und Weise derartigen Dekompensationen begegnet werden kann. Hierbei wird auch zu berücksichtigen sein, dass bei dem Betroffenen zusätzlich ein schädlicher Gebrauch von Alkohol diagnostiziert wurde. Der Gutachter mag sich daher auch mit der Frage auseinandersetzen, ob und inwiefern weiterhin ein schädlicher Gebrauch von Alkohol bei dem Untergebrachten vorliegt und wenn ja, inwiefern sich der schädliche Gebrauch von Alkohol auf die Grunderkrankung der hebephrenen Schizophrenie auswirkt bzw. umgekehrt durch diese bedingt wird.

2. Die Kammer hat es unterlassen, die in §§ 463 Abs. 4, S. 4, 454 Abs. 2, S. 3 StPO vorgesehene mündliche Anhörung eines Sachverständigen durchzuführen. Eine Begründung, warum davon ab-gesehen wurde, ist weder erfolgt noch ersichtlich. Schon aus diesem Grunde musste die Entschei-dung aufgehoben und die Sache zur Durchführung der Anhörung zurückverwiesen werden.

Anschließend wird eine Entscheidung dahin zu treffen sein, ob die Maßregel für erledigt zu erklären ist oder fortbesteht bzw. ob gemäß § 67 d Abs. 2 S. 1 StGB deren Vollzug zur Bewährung ausge-setzt werden kann.

III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Die Kostenentscheidung wird sich an dem abschließenden materiellen Ergebnis zu orientieren ha-ben (Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 473, Rdnr. 7).




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