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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 VAs 29/06 OLG Hamm

Leitsatz: Die Zurückstellung der Strafvollstreckung erfolgt im Hinblick auf eine bestimmte der Rehabilitation des Verurteilten dienenden Behandlung. Ob die Behandlung diesen Zweck erfüllen kann, muss die Vollstreckungsbehörde, ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen, prüfen und entscheiden.



Senat: 1

Gegenstand: Justizverwaltungssache

Stichworte: Zurückstellung der Strafvollstreckung; Ablehnung; Ermessensfehlgebrauch; Gründe; Betäubungsmittelabhängigkeit

Normen: BtmG 35

Beschluss:


Justizverwaltungssache

betreffend M.W.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 30. März 2006 auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach vom 9. Januar 2006 und 7. Februar 2006 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 14. März 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 06. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und
den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:
Der Betroffene verbüßt zurzeit die in dem Verfahren 702 Js 1410/03 StA Mönchengladbach durch Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 12. Mai 2004 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen fünffachen Diebstahls, einer davon in einem besonders schweren Fall, wegen Diebstahls oder Unterschlagung oder wegen Computerbetruges verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. 2/3 der Strafe werden am 16. November 2006 verbüßt sein, das Strafende ist auf den 27. Dezember 2007 notiert.

Unter dem 23. Juli 2005 hat der Betroffene die Zurückstellung der Vollstreckung gemäß § 35 BtMG zur Durchführung einer therapeutischen Maßnahme bei "Synanon/Berlin" beantragt. Nach der beigefügten Bescheinigung von "Synanon" war die Einrichtung bereit, den Antragsteller am 28. Dezember 2005 und jederzeit aufzunehmen. Das Amtsgericht Mönchengladbach hat mit Beschluss vom 12. August 2005 der Zurückstellung zugestimmt. Mit Schreiben vom 29. August 2005 hat der Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach dem Betroffenen mitgeteilt, dass es sich bei der Therapieeinrichtung "Stiftung Synanon" um eine Institution handele, die besondere Anforderungen an die Persönlichkeit des Abhängigen stelle. Aus diesem Grunde müsse geprüft werden, ob der Betroffene für diese Therapieform geeignet sei. Hierfür sei erforderlich, dass er sich mit der Drogenberatung in der Justizvollzugsanstalt in Verbindung setze, um mit deren Hilfe festzustellen, ob für ihn das Konzept von "Synanon" sinnvoll sei. Der Betroffene erwiderte hierauf mit Schreiben vom 4. September 2005. Er ist der Auffassung, die Entscheidung, wo er eine Therapie mache, sei seine Entscheidung. Er habe bereits einmal bei "Synanon/Hof Fleckenbühl" gelebt. Es habe ihm dort sehr gut gefallen. Warum er "Hof Fleckenbühl" verlassen habe, könne er nicht sagen. Unter dem 28. September 2005 reichte er ein Schreiben der Diplom-Sozialarbeiterin X. von der Drogenberatung Mönchengladbach e.V. ein. Die Diplom-Sozialarbeiterin, die inzwischen jedoch nicht mehr bei der Drogenberatung Mönchengladbach e.V. beschäftigt ist, hat ausgeführt, da der Betroffene therapeutische Maßnahmen ablehne, biete "Synanon" aus ihrer Sicht eine gangbare Alternative.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Köln hat in seiner Stellungnahme vom 18. November 2005 eine Therapie in der Selbsthilfeeinrichtung "Synanon Berlin" nicht befürwortet. Eine qualifizierte Drogentherapie durch hierfür ausgebildete Therapeuten finde dort nicht statt. Im Übrigen falle es dem suchtkranken Gefangenen auch schwer, die besonderen Therapiebedingungen in "Synanon" anzunehmen (z.B. nicht Rauchen, kein Kaffee oder Tee, kein Zucker etc.). Die Vermittlung in eine Selbsthilfegemeinschaft könne nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen und müsse das Ergebnis eines längerfristigen Betreuungsprozesses sein. Dies sei bei dem Antragsteller nicht der Fall. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Willich I, in die der Betroffene zwischenzeitlich verlegt worden war, hat sich in seiner Stellungnahme vom 30. Dezember 2005 den Ausführungen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Köln angeschlossen. Darüber hinaus ist ausgeführt, der Betroffene könne sich wie alle Inhaftierten um die Vorbereitung einer Therapie in einer qualifizierten Einrichtung mit Fachpersonal bemühen und sich zu diesem Zweck um Aufnahme auf die hiesige Abteilung für Drogenaussteiger bewerben.

Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hat daraufhin mit Verfügung vom 9. Januar 2006 die Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zur Durchführung einer Therapie in Synanon abgelehnt. Gegen diesen Bescheid hat der Betroffene am 23. Januar 2006 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, das Amtsgericht Mönchengladbach habe ausdrücklich der Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Therapie in "Synanon" zugestimmt. Darüber hinaus sei diese Einrichtung nach der Auffassung der Suchtberatung Mönchengladbach eine geeignete Therapieeinrichtung. Gleichzeitig hat er am 26. Januar 2006 Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach erhoben, da es nicht dessen Aufgabe sei, eine Therapieeinrichtung zu bestimmen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2006 hat die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach dem Antragsteller mitgeteilt, dass es bei dem Bescheid vom 9. Januar 2006 sein Bewenden habe.

Mit Bescheid vom 14. März 2006 hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf die Beschwerde des Antragstellers verworfen. Zur Begründung ist ausgeführt:

"Der ablehnenden Entscheidung der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach liegt die Auffassung zugrunde, im Hinblick auf die negativen Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt Köln vom 18. November 2005 und der Justizvollzugsanstalt Willich I vom 30. Dezember 2005 seien begründete Zweifel an ihrer Geeignetheit für eine Therapie in der Einrichtung Synanon zu erheben und daher sei eine erneute stationäre Therapie bei Synanon von vornherein aussichtslos.

Wie Sie selber mit Schreiben vom 4. September 2005 mitgeteilt haben, hatten Sie bereits in der Vergangenheit eine Therapie bei Synanon/Hof Fleckenbühl ohne erklärbaren Grund abgebrochen. Schon dieses Verhalten legt nahe und diese Annahme wird durch die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalten Köln und Willich I gestützt, dass es sich bei der Selbsthilfeeinrichtung Synanon/Berlin nicht um eine für Sie geeignete Therapiemaßnahme handelt. Zwar ist die Vollstreckungsbehörde nicht befugt, einem Verurteilten eine Therapiebereitschaft für eine bestimmte Behandlungsart vorzuschreiben oder eine bestimmte Behandlungsart zu verweigern, wenn eine anerkannte Therapieeinrichtung bereit ist, den Probanden erfolgversprechend zu behandeln. Andererseits sind Sie nach den Stellungnahmen der Suchtberater der oben genannten Justizvollzugsanstalten für eine Therapie bei Synanon völlig ungeeignet. Etwas Gegenteiliges lässt sich auch nicht der Stellungnahme der früheren Mitarbeiterin der Drogenberatung Mönchengladbach e.V., Frau Diplomsozialarbeiterin X., entnehmen, die lediglich ausgeführt hat, dass Synanon für Sie eine gangbare Alternative darstelle, weil Sie eine klassische, das heisst schwerpunktmäßig therapeutische Maßnahme ablehnten. Eine ergänzende Stellungnahme der Diplom-Sozialarbeiterin X. konnte nicht eingeholt werden, weil diese nicht mehr bei der Drogenberatung Mönchengladbach e.V. tätig ist. Die Drogenberatung Mönchengladbach e.V. hat statt dessen mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 mitgeteilt, dass Sie Ihnen nahegelegt habe, sich mit der zuständigen Drogenberatung in der JVA Willich in Verbindung zu setzen.

Da Sie bereits eine Therapie bei Synanon abgebrochen haben und nicht ersichtlich ist, weshalb eine erneute Therapie ebenfalls bei Synanon nunmehr Erfolg haben könnte, erscheint mangels Geeignetheit der Einrichtung Synanon für Sie der Therapieantritt nicht gerade wahrscheinlich, zumal schon die Anreise nach Berlin nicht sichergestellt ist."

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen vom 30. März 2006 auf gerichtliche Entscheidung. Er beruft sich erneut auf die zustimmende Entscheidung des Amtsgerichts Mönchengladbach und die positive Stellungnahme der Drogenberatung Mönchengladbach e.V.

Der in zulässiger Weise angebrachte Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß
§§ 23 ff. EGGVG hat keinen Erfolg. Die Verweigerung der Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Therapie bei "Synanon/Berlin" durch die Staatsanwaltschaften ist nicht zu beanstanden.

Die angefochtenen staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen sind für den Senat nur eingeschränkt nachprüfbar. Denn bei der Frage, ob einem Verurteilten Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zum Zwecke einer stationären Entzugstherapie zu bewilligen ist, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Eine solche Ermessensentscheidung ist gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG rechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die Staatsanwaltschaft die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder ob von dem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist und ob die Vollstreckungsbehörde den Sachverhalt in dem gebotenen Umfang unter Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat (OLG Hamm NStZ 1982, 483, 484).

Derartige Rechtsfehler liegen hier nicht vor.

Ziel der Regelung des § 35 BtMG ist es, den drogenabhängigen Straftäter unter Mitwirkung der Justiz einer wirksamen Therapie zuzuführen. Vor der Zurückstellung der Strafvollstreckung und dem Beginn der Therapie ist grundsätzlich abzuwägen, welche Therapieform am ehesten Erfolg verspricht. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung erfolgt im Hinblick auf eine bestimmte der Rehabilitation des Verurteilten dienenden Behandlung. Ob die Behandlung diesen Zweck erfüllen kann, muss die Vollstreckungsbehörde, ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen, prüfen und entscheiden. Die Methoden und Organisationsformen der Drogentherapie sind so vielfältig und unterschiedlich, dass die Frage, ob die von dem Verurteilten vorgeschlagene Drogentherapieeinrichtung den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG entspricht, nur aufgrund einer besonders sorgsamen Prüfung zu entscheiden ist (vgl. OLG Koblenz, NStZ 1995, 294). Allerdings lässt sich durch die Justizbehörden nur schwer beurteilen, ob die geplante Behandlung für die Rehabilitation des konkreten Verurteilten wirklich geeignet ist. Justizbehörden sollen sich daher nicht als "Therapieexperten" oder "Therapiedetektive" betätigen und bei der Beurteilung der Eignung den Fachleuten den Vortritt lassen (Weber, BtMG, § 35 Rdnr. 96).

Nach diesen Maßstäben sind vorliegend die Vollstreckungsbehörden zu Recht davon ausgegangen, dass es dem Antragsteller an der Eignung für eine Therapiemaßnahme in "Synanon/Berlin" mangelt. Bei der Therapieeinrichtung "Stiftung Synanon" handelt es um eine Institution, die besondere Anforderungen an die Persönlichkeit des Abhängigen stellt. Dies auch deshalb, weil dort keine ausgebildeten Psychologen oder Psychotherapeuten beschäftigt sind und eine professionelle Aufarbeitung der Drogenabhängigkeit unter psychologischen und psychotherapeutischen Gesichtspunkten nicht stattfindet. Die Einrichtung verlangt die Einhaltung eines strengen Verhaltenskodex und legt sehr großen Wert auf Disziplin und Einhaltung der Regeln. Dagegen ist der Antragsteller, wie sich aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Köln ergibt, während des Vollzuges wegen verschiedener Regelverstöße negativ aufgefallen. Dies zeigt, dass er nur über eine sehr geringe Frustrationstoleranz verfügt. Bereits unter diesem Gesichtspunkt ist "Synanon" für den Antragsteller keine geeignete Therapieeinrichtung. Dies hat sich auch bereits in der Vergangenheit gezeigt, indem er, ohne einen Grund dafür benennen zu können, "Synanon/Hof Fleckenbühl" verlassen hat. Von daher ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Strafvollstreckungsbehörden nach Einholung von Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalten Köln und Willich I die Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zur Durchführung einer Maßnahme in dieser Therapieeinrichtung abgelehnt haben.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme der Diplom-Sozialarbeiterin X. von der Drogenberatung Mönchengladbach. Frau X. hat "Synanon" nur deshalb als gangbare Alternative angesehen, weil der Antragsteller therapeutische Maßnahmen ablehnt. Aus der Stellungnahme ergibt sich aber nicht, ob nicht gerade therapeutische Maßnahmen für den Betroffenen erforderlich sind.

Es besteht auch kein Grund, die Frage der Eignung allein durch den Verurteilten entscheiden zu lassen (Weber, a.a.O., § 35 Rdnr. 97). Obgleich dem Antragsteller die negativen Stellungnahmen bekannt waren, hat er keine Bereitschaft gezeigt, sich Gedanken über eine andere Therapieeinrichtung zu machen. Er beharrt auf seinem Wunsch, in die Einrichtung "Synanon" entlassen zu werden. Es kann aber grundsätzlich nicht dem Verurteilten überlassen werden, sich nach Gutdünken irgendeine Behandlung auszusuchen (OLG Koblenz, a.a.O.), insbesondere wenn von allen Facheinrichtungen seine Eignung insoweit verneint wird.

Die Staatsanwaltschaften haben demgemäß zu Recht eine Zurückstellung der Strafvollstreckung abgelehnt, so dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen war.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.



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