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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-1 Vollz (Ws) 695/12 OLG Hamm

Leitsatz: Im Regelfall ist eine Sicherungsmaßnahme der Anstaltsleitung (hier: Zuweisung einer anderen Arbeitsstätte) gegen den Gefangenen zu verhängen, der als Störer in Erscheinung tritt, und nicht gegen den, der Nichtstörer ist. Nur wenn es keine andere Möglichkeit zur Gefahrenabwehr gibt, kann auch ausnahmsweise der Nichtstörer Adressat einer solchen Sicherungsmaßnahme sein.


Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Sicherungsmaßnahme, Nichtstörer

Normen: StVollzG 4

Beschluss:

Strafvollzugssache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 10.01.2013 beschlossen:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Krefeld zurückverwiesen.

Gründe
I.
Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer verbüßt der Betroffene derzeit eine Freiheitsstrafe. Endstrafe ist notiert auf den 27.06.2019. Seit dem 08.05.2012 wurde er zur Arbeit in der anstaltsinternen Druckerei eingesetzt. Am 21.08.2012 wurde er von dieser Arbeit abgelöst, was ihm am gleichen Tag eröffnet wurde. Ihm wurde stattdessen eine andere Tätigkeit zugewiesen. Hintergrund war, dass der Betroffene von einem anderen Mitgefangenen ernstzunehmend mit dem Tode bedroht worden war und deshalb geschützt werden sollte.

Soweit dies dem angefochtenen Beschluss entnommen werden kann, begehrt der Betroffene mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung offenbar die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme. Ferner begehrt er Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts.

Die Strafvollstreckungskammer hat seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nebst Prozesskostenhilfe- und Beiordnungsgesuch zurückgewiesen. Die Maßnahme sei nicht rechtswidrig. Es handele sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme sondern um eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Anstalt. Diese sei nur in Anwendung der Grundsätze des § 115 StVollzG zu überprüfen. Daran gemessen halte die Ablösung von der alten Arbeit und Zuweisung einer neuen Arbeitsstelle rechtlicher Überprüfung stand. Wegen der ernstzunehmenden Bedrohung habe der Betroffene entsprechend umgesetzt werden dürfen. Es sei zweifelhaft, ob der gleiche Erfolg erreicht worden wäre, wenn nur der Mitgefangene, der andere zu Körperverletzungen zum Nachteil des Betroffenen anzustiften versuchte, umgesetzt worden wäre. Der Betroffene habe keinen Anspruch auf eine bestimmte Arbeit. Soweit er Verdienstausfälle reklamiere, sei hierüber im Wege einer Amtshaftungsklage von einer Zivilkammer zu entscheiden.

Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht insbesondere geltend, dass er zur Aufnahme der neuen Arbeit durch Androhung disziplinarischer Maßnahmen genötigt worden sei, obwohl ihn keinerlei Fehlverhalten treffe.

II.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zu (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Der Einzelfall gibt dem Senat Anlass dazu, Leitsätze für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften aufzustellen. Es ist hier zu den Voraussetzungen von auf § 4 Abs. 2 StVollzG gestützten Maßnahmen gegen Nichtstörer Stellung zu nehmen.

III.
Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer (§ 119 Abs. 4 StVollzG).

Die Ablösung von der alten und Zuweisung einer neuen Arbeitsstelle erfolgte hier nicht aus Gründen der Disziplinierung, sondern aus Gründen der Gefahrenabwehr. Einschlägige Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahmen wäre daher § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG. Die Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss lassen das Vorliegen dieser Voraussetzungen indes nicht hinreichend erkennen. Voraussetzungen sind (1) die Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Anstaltsordnung und (2) Unerlässlichkeit der Beschränkung. Durch die zu überprüfende Maßnahme wurde die Sicherheit der Anstalt aufrechterhalten und eine schwerwiegende Störung der Anstaltsordnung, nämlich durch Verhinderung weiteren Aufwiegelns von Mitgefangenen gegen den Betroffenen mit der Gefahr tätlicher Angriffe gegen ihn, verhindert. Indes ist nicht erkennbar, dass die Maßnahme unerlässlich war. In Betracht kommt hier zumindest die Alternative, Maßnahmen gegen den Mitgefangenen, von dem die Bedrohung ausgeht, bzw. gegen weitere Mitgefangene, die sich von ihm haben aufwiegeln lassen, zu ergreifen (also z.B. diese von der Arbeit abzulösen oder durch disziplinarische Maßnahmen zu einem regelkonformen Verhalten anzuhalten). Warum dies nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich nicht.

Bei der Frage, gegen wen die Justizvollzugsanstalt eine gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme richtet, steht ihr grundsätzlich ein Ermessen zu, dass nur im Rahmen des § 115 Abs. 5 StVollzG gerichtlich überprüfbar ist. Danach ist zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender Weise Gebrauch gemacht wurde. Richtet die Vollzugsbehörde ihre Gefahrenabwehrmaßnahme gegen den Nichtstörer, obwohl - nach derzeitigem Stand - eine erfolgversprechende Maßnahme gegen den bzw. die Störer ebenfalls in Betracht kommt, überschreitet sie die Grenzen ihres Ermessens. Es ist mit den Grundsätzen rechtsstaatlicher Zurechnung nicht vereinbar, wenn die Gefahr, dass bestimmte Personen sich in rechtswidriger Weise verhalten, nicht im Regelfall vorrangig diesen Personen zugerechnet und nach Möglichkeit durch ihnen gegenüber zu ergreifende Maßnahmen abgewehrt wird, sondern ohne weiteres Dritte oder gar die potentiellen Opfer des drohenden rechtswidrigen Verhaltens zum Objekt eingreifender Maßnahmen der Gefahrenabwehr gemacht werden. Rechtsstaatliche Zurechnung muss darauf ausgerichtet sein, nicht rechtswidriges, sondern rechtmäßiges Verhalten zu begünstigen. Dem läuft es grundsätzlich zuwider, wenn Maßnahmen zur Abwehr drohenden rechtswidrigen Verhaltens nicht vorrangig gegen den oder die Störer, sondern ohne weiteres - und in Grundrechte eingreifend - gegen den von solchem rechtswidrigen Verhalten potentiell Betroffenen ergriffen werden (BVerfG, Beschl. v. 22.07.2010 - 2 BvR 1528/10 = BeckRS 2010, 51320;OLG Celle NStZ 2011, 704; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a. - [...]). Es ist auch unter Berücksichtigung des in § 2 StVollzG normierten Vollzugszieles nicht förderlich, wenn in dem Strafgefangenen, von dem eine Auseinandersetzung mit den von ihm begangenen Straftaten verlangt wird, durch solche - nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht nachvollziehbaren - allein gegen das Opfer gerichteten Maßnahmen, der Eindruck erweckt wird, das Opfer trage die Verantwortung für gegen seine Person gerichtete verbale oder tätliche Übergriffe.

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass (auch) Maßnahmen gegen den Betroffenen gerichtet werden können, wenn dies das einzige Mittel ("unerlässlich") ist, ihn hinreichend schützen zu können. Bloße Zweifel der Strafvollstreckungskammer an gegen den bzw. die Störer gerichtete Maßnahmen reichen aber nicht, um dies anzunehmen.

Die Strafvollstreckungskammer wird daher unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats die Auswahl des Adressaten für die gefahrenabwehrende Maßnahme näher aufzuklären und zu bewerten haben.

IV.

Da der Betroffene ausdrücklich "Rechtsbeschwerde" eingelegt hat, ist davon auszugehen, dass er gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung keine Beschwerde einlegt, zumal eine solche Beschwerde unzulässig wäre (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 04.12.2012 - 1 Vollz(Ws) 672, 680/12). Bei einer erneuten Antragstellung wird das Landgericht aber die Rechtsauffassung des Senats zu berücksichtigen haben.


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