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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-3 Ws 104/12 OLG Hamm

Leitsatz: Verbüßt der Verurteilte – wie im vorliegenden Falle – erstmals eine Freiheitsstrafe, spricht eine Vermutung dafür, dass der Vollzug seine Wirkung erreicht hat und dies der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Strafaussetzung, Reststrafe, Prognose

Normen: StGB 57

Beschluss:

Strafsache
In PP.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hmm am 23.04.2012 beschlossen
1.Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsge-richts X vom 11. Mai 2011 (40 Ds 28/11) wird mit Wirkung vom 6. Mai 2012 zur Bewährung ausgesetzt.
Der Verurteilte ist am 6. Mai 2012 in dieser Sache aus der Strafhaft zu entlassen.
3.Die Bewährungszeit dauert drei Jahre.
4.Der Verurteilte wird angewiesen,
a) der für die Bewährungsaufsicht zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld unverzüglich nach seiner Haftentlassung unaufgefordert seinen Wohnsitz schriftlich mitzuteilen,
b) innerhalb der Bewährungszeit jeden Wohnsitzwechsel und den jeweiligen neuen Wohnsitz unverzüglich und unaufgefordert der für die Bewährungsaufsicht zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld schriftlich mitzuteilen.
5.Die Belehrung des Verurteilten über die Aussetzung des Strafrestes wird dem Leiter der Justizvollzugsanstalt C-T übertragen.
6. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe
I.
Das Amtsgericht X verurteilte den zuvor in Deutschland nicht strafrechtlich in Erscheinung getretenen Beschwerdeführer am 11. Mai 2011 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Der damals 22 Jahre alte, in Polen wohnhafte und als Saisonarbeiter (Spargelstecher) in Deutschland aufhältige Verurteilte hatte am 8. Juni 2010 übermüdet und nach vorherigem Alkoholkonsum einen Pkw mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit geführt. Hierbei war es zu einer Kollision mit einem Motorrad gekommen, bei der der Fahrer des Kraftrades verstorben war.

Das Urteil ist seit dem 4. Juli 2011 rechtskräftig. Die Strafe wird seit dem 19. Oktober 2011 vollstreckt. Unter Berücksichtigung anzurechnender Untersuchungshaft werden zwei Drittel der Strafe am 6. Mai 2012 verbüßt sein; das Strafende ist auf den 16. August 2012 notiert.

Mit Beschluss vom 14. März 2012 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft abgelehnt. Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, die Gesamtwürdigung aller zu berücksichtigenden Gesichtspunkte ergebe, dass eine Erprobung des Verurteilten in Freiheit nicht verantwortet werden könne. Der Verurteilte habe sich bei der Begehung der Tat vom 8. Juni 2010 in ganz erhöhtem Maße und unter mehreren Gesichtspunkten fahrlässig verhalten. Es sei daher angezeigt, die Freiheitsstrafe über den Zwei-Drittel-Zeitpunkt hinaus weiter zu vollstrecken, um den Verurteilten nachhaltig zu beeindrucken.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verurteilte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die in § 57 Abs. 1 StGB aufgestellten Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln sind erfüllt.

1. Die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft kann unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB).

Bei der nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung sind nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB insbesondere die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände der Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes, das Vollzugsverhalten des Verurteilten, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von einer Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

Verbüßt der Verurteilte – wie im vorliegenden Falle – erstmals eine Freiheitsstrafe, spricht eine Vermutung dafür, dass der Vollzug seine Wirkung erreicht hat und dies der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt (Fischer, StGB, 59. Aufl. [2012], § 57 Rdnr. 14 m.w.N.). Diese Vermutung ist im vorliegenden Falle nicht widerlegt. Der in Polen wohnende Verurteilte hat sich am 19. Oktober 2011 freiwillig zum Strafantritt in Deutschland gestellt. Sein Vollzugsverhalten ist ausweislich des vorliegenden Führungsberichtes der Justizvollzugsanstalt seither beanstandungsfrei. Er ist im Rahmen des offenen Vollzuges außerhalb der Anstalt zur Arbeit eingesetzt, auch sein Arbeitsverhalten ist beanstandungsfrei. Innerhalb der ihm bislang gewährten Vollzugslockerungen (strukturierter Ausgang Stufe 1) hat er sich nach Auskunft der Justizvollzugsanstalt ebenfalls bewährt. Ausweislich des Urteils des Amtsgerichts X und der Niederschrift über seine persönliche Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer am 14. März 2012 bereut der Verurteilte seine Tat und hat bereits mehrfach versucht, mit den Angehörigen des am 8. Juni 2010 getöteten Motorradfahrers Kontakt aufzunehmen, um sich bei diesen für die Tat zu entschuldigen. Der Verurteilte verfügt nach den Angaben der Justizvollzugsanstalt über einen positiv strukturierten sozialen Empfangsraum. Er hat während der Haft den Kontakt zu seinen Eltern in Polen aufrechterhalten, bei denen er nach der Haftentlassung (wieder) wohnen kann. Nach eigenen Angaben kann der Verurteilte bei einem Bauunternehmen in seinem Heimatort als Bauarbeiter eine Anstellung finden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Verurteilte einem kriminellen Milieu entstammt oder nach der Haftentlassung in ein solches Milieu zurückkehren wird. Der im Urteil des Amtsgerichts X erwähnten Vorstrafe aus Polen (20. Juli 2007: Geldstrafe von 100 Tagessätzen wegen eines "Körperverletzungsdeliktes") kommt bei der Prognoseentscheidung keine maßgebliche Bedeutung zu: zum einen ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte zum Zeitpunkt der Verurteilung durch das polnische Gericht nach hiesigen Maßstäben noch Heranwachsender war; zum anderen dürfte es sich angesichts der Strafhöhe nicht um eine besonders schwerwiegende Straftat gehandelt haben.

Die Argumentation der Strafvollstreckungskammer vermag nicht zu überzeugen. Die Schuldschwere ist kein eigenständiger Gesichtspunkt bei der Aussetzungsentscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB (Fischer, a.a.O., Rdnr. 12b m.w.N.). Die Umstände der Tat können nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB lediglich Einzelgesichtspunkte bei der Prognoseentscheidung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB sein. Im vorliegenden Falle sind die Umstände der Tat nicht geeignet, die für den Verurteilten als Erstverbüßer sprechende Vermutung dafür, dass der Vollzug seine Wirkung erreicht hat und dies der Begehung neuer Straftaten entgegenwirkt, zu widerlegen. Es handelte sich nicht um eine geplante oder sonst vorsätzlich begangene Tat, sondern um einen fahrlässig verursachten Verkehrsunfall, wenn auch mit gravierenden Folgen. Das Amtsgericht X hat das Tatgeschehen in seinem Urteil (S. 7 UA) dahin zusammengefasst, dass das Unfallereignis auf eine "Fehleinschätzung" des Verurteilten, "begünstigt durch die übrigen Gesamtumstände der Tat" (Übermüdung, vorheriger Alkoholkonsum mit einer Tatzeit-BAK von 0,76‰, überhöhte Geschwindigkeit), zurückzuführen war und die Grenze zur Rücksichtslosigkeit nicht überschritten war. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Verurteilte angesichts dieser Tatumstände durch die Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe noch nicht in einem für die Bejahung einer positiven Legalprognose ausreichenden Maße beeindruckt ist.

Es ergeben sich auch weder aus dem Anhörungsprotokoll der Strafvollstreckungskammer vom 14. März 2012 noch aus dem angefochtenen Beschluss Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte bei seiner Anhörung durch die Kammer einen nachteiligen persönlichen Eindruck hinterlassen hat.

2. Die Entscheidungen über die Dauer der Bewährungszeit, die Erteilung von Weisungen und die Übertragung der Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes beruhen auf §§ 57 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 56a Abs. 1, 56c Abs. 2 Nr. 1 StGB, §§ 454 Abs. 4, 268a Abs. 3 StPO.

Es erscheint angesichts der Umstände der Tat (fahrlässige Straftat im Straßenverkehr) sowie der Wirkungen des Strafvollzuges auf den Verurteilten nicht erforderlich, ihn der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers zu unterstellen. Ein Fall des § 57 Abs. 3 Satz 2 StGB liegt nicht vor.

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung erfolgt in entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


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