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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III 5 Ws 364/10 OLG Hamm

Leitsatz: Die Verfahrensabtrennung eines Erwachsenen aus einem Verfahren, das ansonsten gegen Jugendliche und Heranwachsende vor einer Jugendkammer eröffnet worden ist, ist rechtsfehlerhaft, wenn sich aus Art und Umfang der vorgeworfenen Taten und dem voraussichtlichen Beweisaufwand in der Hauptverhandlung ergibt, dass eine solche Abtrennung nicht sachdienlich ist.


Senat: 5

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Abtrennung, Erwachsenenverfahren, Heranwachsender

Normen: StPO 212; JGG 112; JGG 103

Beschluss:

In pp.
hat der 5. Strafsenat des OLG Hamm am 02.11.2010 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit das Verfahren gegen den Angeklagten zu 6) abgetrennt und vor der XVI. großen Strafkammer des Landgerichts Essen eröffnet worden ist.
Das Verfahren gegen den Angeklagten zu 6) wird ebenfalls vor der III. großen Strafkammer – Jugendkammer – des Landgerichts Essen eröffnet.
Gründe:
I.
Unter dem 30. August 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Essen Anklage gegen die Angeklagten zu 1) und 2) als Jugendliche, die Angeklagten zu 3), 4) und 5) als Heranwachsende sowie den Angeklagten zu 6) als Erwachsenen vor der Jugendkammer des Landgerichts Essen. Den sechs Angeklagten wird vorgeworfen, in jeweils wechselnder Zusammensetzung und Tatbeteiligung in insgesamt 43 Fällen sich des schweren Bandendiebstahls schuldig gemacht zu haben.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Jugendkammer die Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 30. August 2010 gegen die Angeklagten zu 2) bis 6) – das Verfahren gegen den Angeklagten zu 1) war wegen dessen Flucht abgetrennt und nach § 205 StPO eingestellt worden –, zur Hauptverhandlung zugelassen, das Verfahren gegen den Angeklagten zu 6) abgetrennt und sodann das Verfahren gegen die Angeklagten zu 2) bis 5) vor der Jugendkammer selbst, das Verfahren gegen den Angeklagten zu 6) jedoch vor einer allgemeinen großen Strafkammer des Landgerichts Essen eröffnet.
Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Essen sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten zu 6) sowie die Eröffnung des ihn betreffenden Verfahrens vor der allgemeinen großen Strafkammer wendet.
II.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Essen ist nach §§ 210 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO statthaft und zulässig.
Mit der Teileröffnung des Hauptverfahrens gegen den erwachsenen Angeklagten zu 6) vor einer allgemeinen großen Strafkammer hat die Jugendstrafkammer die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen (§§ 210 Abs. 2, 209a Nr. 2a StPO).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Essen ist insgesamt zur Hauptverhandlung vor der Jugendkammer zuzulassen.
Soweit die Jugendkammer das Verfahren gegen den erwachsenen Angeklagten zu 6) mit der Entscheidung über die Eröffnung von dem bisher einheitlich geführten Verfahren abgetrennt hat, widerspricht dies der Bestimmung des § 103 Abs. 1 JGG, nach der Strafsachen gegen Jugendliche und Erwachsene nach den Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts verbunden werden können, wenn dies zur Erforschung der Wahrheit oder aus anderen wichtigen Gründen geboten ist. Nach § 112 S. 1 JGG gilt dies entsprechend für Verfahren gegen Heranwachsende.
Die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 JGG sind vorliegend erfüllt. Zwar soll eine Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche/Heranwachsende und Erwachsene nur ausnahmsweise erfolgen (vgl. nur Eisenberg, JGG, 14. Aufl., § 103 Rdnr. 7, 9 m.w.N.). Sie soll nur dann in Betracht kommen, wenn im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung die besseren Gründe für eine Verbindung sprechen (vgl. KG Berlin, NStZ 2006, 521; OLG Köln, NStZ-RR 2000, 313). Dies ist hier jedoch der Fall.
Es liegen gewichtige Gründe vor, nach denen die weitere gemeinsame Verhandlung und Entscheidung der Strafsachen geboten ist. Bereits nach allgemeinem Verfahrensrecht (§§ 2, 3 StPO) sind die Voraussetzungen für eine Verfahrensverbindung gegeben. Bei den den Angeklagten zur Last gelegten Taten besteht ein sachlicher und auch persönlicher Zusammenhang i.S.d. § 3 StPO. Ihnen wird vorgeworfen, jeweils als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung entsprechender Taten zusammengeschlossen hatte, in einer Vielzahl von Fällen in Wohnungen eingebrochen und dort Diebstähle begangen zu haben.
Die weitere einheitliche Verfahrensdurchführung dient auch der Erforschung der Wahrheit im Sinne des § 103 Abs. 1 JGG.
Eine einheitliche Verhandlung vor dem Jugendgericht liegt vor allem dann im Interesse einer geordneten Rechtspflege, wenn dem jugendlichen/heranwachsenden sowie dem erwachsenen Angeklagten gemeinschaftlich begangene Straftaten zur Last gelegt werden und voraussichtlich eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich wird. Denn bei einer gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten kann man den Angeklagten sowohl bei der Aufklärung ihrer Rolle im Gesamtgeschehen als auch bei der Strafzumessung regelmäßig nur in einer gemeinsamen Hauptverhandlung gerecht werden. Zudem lassen sich hierdurch divergierende Entscheidungen vermeiden (vgl. KG Berlin, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; OLG Celle, NdsRPfl. 2008, 194; OLG Karlsruhe, MDR 1981, 693).
Vorliegend hat sich lediglich ein Angeklagter in ganz geringem Umfang zur Sache eingelassen und auch nur eine ihm zur Last gelegte Tat eingeräumt. Im Übrigen haben sich sämtliche fünf Angeklagte, gegen die das Hauptverfahren eröffnet worden ist, nicht zu den ihnen gegenüber erhobenen zahlreichen Tatvorwürfen geäußert. Angesichts der Vielzahl der angeklagten Einzeltaten sowie auch der Komplexität des Tatvorwurfs insgesamt ist daher voraussichtlich eine äußerst umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich, die neben der Vernehmung von Zeugen auch die Einführung von groß angelegten Telefonüberwachungs- und sonstigen Observierungsmaßnahmen umfasst. Erst hierdurch können die Tatanteile der einzelnen Angeklagten sowie das Ausmaß der Einflussnahme des als Chef der Bande verdächtigen Angeklagten zu 6) auf die Jugendlichen/Heranwachsenden letztlich geklärt werden. Allein zur Feststellung der jeweiligen Tatbeiträge sowie der Position innerhalb der Bandenhierarchie liegt eine einheitliche Hauptverhandlung gerade im Interesse der minderjährigen/heranwachsenden Angeklagten.
Entgegen der Auffassung der Jugendkammer ist bezüglich der jugendlichen/heranwachsenden sowie dem erwachsenen Angeklagten zu 6) nicht von einer jeweils anders gelagerten Beweissituation und damit einem unterschiedlichen Umfang der Beweisaufnahme auszugehen. Der Senat teilt vielmehr die Ansicht der Staatsanwaltschaft, dass angesichts des derzeitigen Aussageverhaltens sämtlicher Angeklagter eine umfängliche Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel erforderlich sein wird, um die jeweils erhobenen Tatvorwürfe sowie die Bandenstruktur zu klären. Neben prozessökonomischen Gründen kann dies schon allein zur Sicherstellung der Ermittlung eines einheitlichen Sachverhalts und letztlich der Festsetzung gerechter Rechtsfolgen, gerade auch im Verhältnis der Angeklagten untereinander, nur durch eine weitere gemeinsame Durchführung des Verfahrens gegen sämtliche Angeklagte erfolgen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die weitere Verbindung der Strafsachen eine jugendgemäße Verhandlung beeinträchtigt. Insoweit fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten. Die Staatsanwaltschaft weist zutreffend darauf hin, dass die Hauptverhandlung nur gegen den – mittlerweile volljährig gewordenen – Angeklagten zu 2) als Jugendlichen zu führen ist, während die Angeklagten zu 3) bis 5) Heranwachsende sind, gegenüber denen eine zwingende Anwendung der Bestimmung des Jugendstrafrechts nicht geboten ist.
Zwar sollte grundsätzlich zur Sicherstellung einer möglichst unbeeinflussten Erforschung der Persönlichkeit der Jugendlichen/Heranwachsenden eine gemeinsame Verhandlung mit ihren mitangeklagten Eltern vermieden werden (vgl. Eisenberg, a.a.O., § 103 Rdnr. 10). Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass sämtliche Angeklagten Mitglieder eines einer ethnischen Minderheit zugehörigen größeren Familienverbandes sind. In diesen sind sie, insbesondere die jüngeren Angeklagten zu 2) bis 5), streng eingebunden. Die Angeklagten zu 2), 4) und 5) sind zudem Brüder. Bereits von daher steht nicht zu erwarten, dass eine Abtrennung des Verfahrens gegen den erwachsenen Angeklagten zu 6) als Vater der Angeklagten zu 2), 4) und 5), der zudem einer leitenden Funktion innerhalb des gesamten Tatgeschehens verdächtig ist, zu einer Änderung des Aussageverhaltens bzw. einer anderen unbeeinflussteren Selbstdarstellung der Jugendlichen/Heranwachsenden führt. Vielmehr ist weiterhin von einer Prägung ihres Verhaltens sowohl durch die im Familienverband bestehende Hierarchie als auch derjenigen unter den Brüdern selbst auszugehen.
Festzuhalten bleibt, dass vorliegend gerade zur Ermittlung der Wahrheit und – sofern die Angeklagten sich strafbar gemacht haben sollten – der Festsetzung eines jedem einzelnen Angeklagten jeweils gerecht werdenden Strafmaßes die Anklage gegen sämtliche Angeklagte einheitlich vor der Jugendkammer zu verhandeln ist. Das Verfahren ist auch gegen den Angeklagten zu 6) und damit insgesamt vor der Jugendkammer zu eröffnen.
Der Senat weist vorsorglich angesichts der Zahl der beteiligten Verteidiger sowie dem in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgebot darauf hin, dass die Bestimmung der Termine zur Hauptverhandlung Sache des Vorsitzenden des Gerichts ist, wobei es ihm freisteht, den Prozessbeteiligten insoweit rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 213 Rdnr. 6 ff. m.w.N.). Aus dem Beschleunigungsgebot folgt dabei, dass bei terminlichen Verhinderungen von gewählten Verteidigern deren bereits erfolgte Beiordnung als Pflichtverteidiger aufzuheben bzw. bei Beabsichtigung einer Beiordnung diese abzulehnen ist. Dem jeweiligen Angeklagten ist dann ein anderer Verteidiger zu bestellen, der die vorgegebenen Termine wahrnehmen kann. Aus dem dem Angeklagten grundsätzlich zustehenden Recht, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden, folgt nicht, dass ggf. eine Hauptverhandlung nicht zeitnah durchgeführt werden kann und möglicherweise die Untersuchungshaft zu beenden ist, weil Verteidiger an den vorgegebenen Terminen verhindert sind (vgl. insoweit OLG Hamm, Beschluss vom 4. Mai 2006 in 2 Ws 111/06, NJW 2006, 2788 = StV 2006, 482 m.w.N.).





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