Aktenzeichen: 1 Ws 520 - 521/10 OLG Hamm |
Leitsatz: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei einem Widerruf der Strafaussetzung zu beachten. Liegen die Taten, derentwegen ein Widerruf erfolgt, inzwischen mehr als fünf Jahre zurück und ist zwischen der Ankündigung, dass ein Widerruf in Betracht kommt, und dem tatsächlichen Widerruf erneut ein Zeitraum von zwei Jahren vergangen, so ist in der Gesamtschau der Umstände ein Widerruf der Strafaussetzung unverhältnismäßig und nicht mehr gerechtfertigt. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Beschwerde |
Stichworte: Widerruf, Strafaussetzung, Verhältnsimäßigkeit |
Normen: StGB 56f |
Beschluss: In pp. hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 14. 10. 2010 beschlossen: Der Beschluss der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts E bei dem Amtsgericht D vom 11.08.2010 wird aufgehoben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts C vom 02.05.2001 (20 Js 11/01 StA Münster) widerrufen worden ist. Die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts C vom 02.05.2001 wird nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen. Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten auferlegt, § 473 Abs. 1, Abs. 4 StPO. Gründe I. 1. Der Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts C vom 02.05.2001 (18 Ls 20 Js 11/01- 12/01) wegen Betruges unter Einbeziehung der Urteile der Amtsgerichte X vom 04.12.1998, F vom 23.03.2000 und C vom 12.01.2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die zunächst mit Beschluss des Amtsgerichts C vom 02.05.2001 auf 4 Jahre bestimmte Verjährungszeit verlängerte die -aufgrund Strafhaft des Verurteilten in anderer Sache zuständige- Strafvollstreckungskammer des Landgerichts E beim Amtsgericht D aufgrund der nachfolgend aufgeführten erneuten Verurteilung mit Beschluss vom 28.02.2005 um 6 Monate. Aufgrund mehrerer Strafverfahren gegen den Verurteilten während und nach Ende der Bewährungszeit ist ein Straferlass bislang nicht erfolgt. 2. Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts C vom 09.02.2005 (18 Ls 20 Js 1072/04-54/04) wurde der Verurteilte wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht C vom 07.07.2004 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts N, Strafkammer C, vom 25.11.2004 -10 Ns 18 Ls 20 Js 313/03-12/04-48/04II- unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde mit Beschluss des Amtsgerichts C vom 15.02.2005 auf 3 Jahre festgesetzt. 3. Mit Urteil des Amtsgerichts E1 vom 22.01.2008, rechtskräftig seit dem 31.05.2010 wurde der Verurteilte wegen Betruges in 30 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ausweislich der Urteilsfeststellungen beging der Verurteilte die Taten während laufender Bewährungszeit der Verurteilungen zu 1. und 2. im Zeitraum Februar bis Mai 2005. Mit Schreiben vom 28.01.2008 wies die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts E den Verurteilten darauf hin, dass aufgrund des Urteils des Amtsgerichts E1 ein Reststrafenerlass hinsichtlich der Verurteilungen zu 1. und 2. nicht erfolge und mit einem Widerruf der Bewährung zu rechnen sei. 4. Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts E auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Anhörung des Verurteilten die Strafaussetzung aus den Urteilen zu 1. und 2. widerrufen. Zur Begründung hat sie auf die einschlägige Rückfälligkeit, welche der Verurteilung durch das Amtsgerichts E1 zugrundelag, verwiesen. 5. Gegen diesen, dem Verurteilten am 18.08.2010 zugestellten Beschluss richtet sich dessen Schreiben vom 22.08.2010, eingegangen beim Amtsgericht D am 24.08.2010, mit welchem er die Überprüfung der Entscheidung begehrt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt, soweit sie sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung bezüglich der Verurteilung zu 2. richtet. Soweit sie sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung bezüglich der Verurteilung zu 1. richtet, hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, der Beschwerde stattzugeben und die Reststrafe zu erlassen. II. Das Schreiben des Verurteilten vom 22.10.2010 war gem. § 300 StPO als sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss vom 11.08.2010 zu werten, da die Strafvollstreckungskammer zu der vom Verurteilten begehrten Abänderung der Entscheidung nicht befugt ist (§ 311 Abs. 3 S. 1 StPO). Diese ist gemäß §§ 453 Abs. 1, Abs. 2 S. 3, 311, 43 StPO zulässig, insbesondere form- und fristgemäß eingelegt. 1. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg, soweit sie sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung aus dem Urteil des Amtsgerichts C vom 02.05.2001 wendet. Zwar liegt der Widerrufsgrund gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB unzweifelhaft vor, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat. Insbesondere hat der Verurteilte während laufender Bewährungszeit erhebliche einschlägige Straftaten begangen. Auch der Ablauf der Bewährungszeit stünde dem Widerruf vorliegend nicht entgegen, da die Entscheidung über die Strafaussetzung wegen der gegen den Verurteilten anhängigen Strafverfahren zulässigerweise zurückgestellt worden ist (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 56g Rdnr 1). Eine Verlängerung der Bewährungszeit oder die Erteilung von Auflagen gem. § 56f Abs. 2 StGB kamen schon deshalb nicht in Betracht, da die Höchstfrist der Bewährungsdauer von 7 ½ Jahren (§§ 56a Abs. 1, 56f Abs. 2 Nr. 2 StGB) längst abgelaufen ist. Der Widerruf der Strafaussetzung verstößt vorliegend aber gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist zwar nicht unumstritten, aber in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass über § 56f Abs. 2 StGB hinaus, welcher Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist, in besonderen Fällen der Widerruf der Strafaussetzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen sein kann (Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl.-Stree/Kinzig § 56 Rdnr 9; OLG Stuttgart B. v. 10.11.2006, 2 Ws 214/06, RPfleger 2007, 224, JURIS Rdnr 26, jew. m.w.N.). So liegt der Fall hier: Dem Urteil vom 05.02.2001 lag eine Betrugstat zum Nachteil eines Zahnarztes aus dem Jahr 1998 zugrunde. Die einbezogenen Strafen betrafen die Reststrafe einer weiteren Betrugstat aus dem Jahr 1998, eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Jahr 2000 sowie eine Straftat nach dem BtMG aus dem Jahr 1999. Die abgeurteilten Strafen liegen daher 9-12 Jahre zurück, die einschlägigen Taten 12 Jahre. Seit der Verurteilung sind mehr als 9 Jahre vergangen. Die höchstmögliche Bewährungszeit ist, wie dargelegt, damit längst abgelaufen. Auch die Taten, derentwegen der Widerruf erfolgt, liegen inzwischen mehr als 5 Jahre zurück. Hinzu kommt, dass zwischen der Ankündigung, dass ein Widerruf in Betracht kommt, und dem tatsächlichen Widerruf wieder ein Zeitraum von über 2 Jahren liegt. Dies liegt zwar in dem Umstand begründet, dass das Urteil des AG E1 erst im Mai 2010 durch Rücknahme der Berufung des Verurteilten rechtskräftig geworden ist. In der Gesamtschau der Umstände erscheint der Widerruf der Strafaussetzung indes als unverhältnismäßig und nicht mehr gerechtfertigt. Da die Höchstdauer der Bewährungszeit abgelaufen und der Widerruf nach dem Ausgeführten nicht in Betracht kommt, war zugleich gemäß § 56g Abs. 1 S.1 StGB der Erlass der Strafe aus dem Urteil vom 02.05.2001 auszusprechen. 2. Soweit sich die Beschwerde gegen den Widerruf der Strafaussetzung aus dem Urteil des Amtsgerichts C vom 09.02.2005 wendet, hat sie hingegen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung keinen Erfolg. Besondere Umstände, die den Widerruf als unverhältnismäßig erscheinen lassen würden, sind insoweit nicht gegeben. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1, Abs. 4 StPO. Der Senat erachtet es nicht vorliegend nicht für unbillig, dem Verurteilten die gesamten Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. |
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