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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 104/09 OLG Hamm

Leitsatz: Untersuchungshaft geht mit der Rechtskraft von Einzelfreiheitsstrafen bzw. Maßregelanordnungen (hier: nach § 64 StGB) auch dann in Strafhaft über, wenn die Gesamtfreiheitsstrafe nicht rechtskräftig geworden ist, sondern über diese vielmehr erneut zu befinden ist. Eine Haftbeschwerde ist in diesem Falle gegenstandslos.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: U-Haft, Strafhaft, Übergang

Normen: StPO 112

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 02.04.2009 durch beschlossen:
1. Die Beschwerde ist gegenstandslos, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Aufhebung des Haftbefehls richtet.
2. Die Beschwerde wird verworfen, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. pp. als Pflichtverteidiger richtet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 22.12.2006 - 9 Gs 4976/06 - seit dem 22.12.2006 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl wurde bei Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss der III. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 14.06.2007 neu gefasst.
Wegen der dem (neu gefassten) Haftbefehl zugrunde liegenden Taten sowie wegen weiterer Taten wurde der Beschwerdeführer am 07.02.2008 vom Landgericht Bielefeld wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 9 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie der Vorwegvollzug von 1 Jahr, 7 Monaten und 2 Wochen der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe.
Auf die Revision der Angeklagten (des Beschwerdeführers und eines Mitangeklagten) hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.12.2008 (4 StR 318/08) hinsichtlich des Beschwerdeführers das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er in den Fällen II.15- II.22, welche nicht Gegenstand des Haftbefehls waren, verurteilt worden ist und die Sache an die III. große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückgegeben. Im Übrigen hat es das Urteil im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte U des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen (Fälle 12 bis 14 und 23 der Urteilsgründe, wobei es sich um die Taten 1-3 und 8 des angepassten Haftbefehls handelt) schuldig ist. Es hat des weiteren das Urteil im Gesamtstrafenausspruch und im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzuges aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen. Die weitergehende Revision hat der Bundesgerichtshof verworden. Damit ist das Urteil vom 07.02.2008 hinsichtlich der Schuld- und Einzelstrafaussprüche in den Fällen 12 bis 14 und 23 (2 Jahre und 9 Monate, 2 Jahre und 9 Monate, 2 Jahre und 9 Monate sowie 3 Jahre) sowie hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB rechtskräftig.
Mit Schreiben des Verteidigers vom 04.02.2009 hat der Beschwerdeführer die Aufhebung des Haftbefehls und die Außervollzugsetzung im Rahmen einer „einstweiligen Anordnung“ beantragt. Am 05.03.2009 hat der Verteidiger unter Niederlegung seines Wahlmandates des weiteren die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Die 4. große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld hat den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls mit Beschluss vom 11.03.2009 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bl. 1287 d. A. verwiesen. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat sie auch den Beiordnungsantrag abgelehnt. Auch insoweit wird auf den Beschluss Bl. 1289 d. A. verwiesen. Mit Beschluss vom 17.03.2009 hat die Strafkammer den Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist gegenstandslos, soweit sie sich gegen die Untersuchungshaft des Beschwerdeführers richtet.
1.
Der Beschwerdeführer befindet sich nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern in Strafhaft. Denn mit der durch teilweise Verwerfung der Revision eingetretenen Teilrechtskraft des Urteils vom 07.02.2008 ist die bis dahin gegen den Angeklagten vollzogene Untersuchungshaft unmittelbar in Strafhaft übergegangen, und zwar ohne Rücksicht auf die förmliche Einleitung der Strafvollstreckung. Dies ist - soweit das Urteil vollständig rechtskräftig wird - in der Rechtsprechung einhellig anerkannt (BGH NStZ 1999, 638; OLG Hamm NStZ 2008, 682; OLG Hamm Beschl. v. 06.11.2001 - 2 Ws 271/01 - juris; OLG Düsseldorf Beschl. v. 02.03.2007 - 4 Ws 84/07 - juris; KG Berlin Beschl. v. 21.10.1997 - 5 Ws 640/97 - juris; OLG Schleswig SchlHA 1991, 124; OLG Zweibrücken Beschl v. 11.09.2003 - 1 Ws 407/03 - juris; vgl. auch Schultheis in KK-StPO 6. Aufl. § 120 Rdn. 122; Graf in Beck-OK-StPO Ed. 2 § 112 Rdn. 58).
Bei Teilrechtskraft von Einzelstrafen kann nichts anderes gelten. Hier ist weitgehend anerkannt, dass wenn einzelne von mehreren Einzelstrafen bereits rechtskräftig geworden sind, eine Teilvollstreckung grundsätzlich bis zur geringstmöglichen Gesamtstrafe möglich ist (BGH bei Dallinger MDR 1956, 528; OLG Bremen NJW 1955, 1243; OLG Celle NJW 1956, 153; Appl in KK-StPO 6. Aufl. § 449 Rdn. 16 ff. m. w. N.; Klein in Beck-OK-StPO Ed. 2 § 449 Rdn. 6 f.; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 449 Rdn. 11 m. w. N.). Die Gegenmeinung, dass nur eine Strafe, zu der ein Angeklagter ausweislich der Urteilsformel verurteilt worden ist, vollstreckt werden könne (OLG Oldenburg NJW 1960, 62; OLG Frankfurt NJW 1956, 1290), überzeugt nicht, da auch ein Teilrechtskraftzeugnis nach § 451 Abs. 1 StPO möglich ist, selbst wenn die Höhe der Einzelstrafen den Gründen entnommen werden muss (OLG Bremen NJW 1955, 1243; Appl a. a. O. § 449 Rdn. 16). Frühere Bedenken im Hinblick auf das Zusammentreffen verschiedener Arten von Freiheitsstrafen (vgl. OLG Oldenburg NJW 1960, 62, 63) greifen nach der heutigen Regelung der §§ 38 ff. StGB ebenfalls nicht mehr durch.
Es besteht vielmehr eine Verpflichtung zur alsbaldigen Vollstreckung rechtskräftiger Strafen. Deren Vollstreckung steht nur ausnahmsweise und nur bei entsprechender gesetzlicher Regelung im Ermessen der Vollstreckungsbehörde (KG Berlin NStZ-RR 2004, 286, 287). Eine solche Ausnahme ist für die (bloße Teilrechtskraft hinsichtlich von in einem Urteil ausgesprochenen Einzelstrafen) nicht gegeben. Darüber hinaus - worauf es hier allerdings nach den obigen Ausführungen nicht entscheidend ankommt - ist inzwischen sogar die Vollstreckung durch Ersuchen um Aufnahme des Beschwerdeführers an den Direktor des Landschaftsverbandes ... (LWL-Maßregelvollzugsabteilung ...) eingeleitet worden. Damit können nunmehr die ausgeurteilten Einzelstrafen bis zur Höhe der geringstmöglichen Gesamtstrafe von 3 Jahren und 1 Monate bzw. die Maßregel bis zur Höchstfrist nach § 67d Abs. 1 StGB vollstreckt werden.
Der Beschwerdeführer kann daher die Aufhebung des Haftbefehls bzw. der Haftfortdauerentscheidung nicht mehr erreichen. Seine Beschwerde ist damit prozessual überholt und gegenstandslos, weil die verbüßte Untersuchungshaft aus tatsächlichen Gründen nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann.
2.
Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Rechtsschutz nach Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzzieles zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gibt keinen Anlass zu einer anderen Entscheidung.
Ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung kann nach Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Insofern entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht, wohl aber ändert sich der Prozessgegenstand. Dies ist der Fall, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (OLG Hamm NStZ 2008, 582, 583 m. w. N.).
Weiterhin kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Hierunter fallen vornehmlich solche Maßnahmen, die schon das Grundgesetz unter Richtervorbehalt gestellt hat. Dazu gehört gemäß Art. 104 Abs. 2 und Abs. 3 GG die Freiheitsentziehung einer Person durch Anordnung von Untersuchungshaft. Das Recht auf Freiheit der Person hat unter den grundgesetzlich verbürgten Rechten einen besonders hohen Rang, so dass ein Feststellungsinteresse wegen des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht auch bei der unter Beachtung der Unschuldsvermutung vollzogenen Untersuchungshaft dann zu bejahen ist, wenn die angeordnete Maßnahme inzwischen durchgeführt und beendet ist (OLG Hamm a. a. O. m. w. N.).
Eine solches Rehabilitierungsinteresse besteht im vorliegenden Fall jedoch nicht. Die Beendigung der Untersuchungshaft beruht hier darauf, dass die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld in dem genannten Umfang verworfen und das Urteil damit teilweise rechtskräftig worden ist. Die von dem Beschwerdeführer erlittene Untersuchungshaft wird dabei kraft Gesetzes auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe angerechnet, § 51 Abs. 1 StGB, § 450 Abs. 1 StPO. Da sich die Vollstreckung von Untersuchungshaft in ihren Auswirkungen auf das Freiheitsrecht einer Person nicht von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterscheidet, besteht im Hinblick auf die rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe und die darauf anzurechnende Untersuchungshaft - anders als bei einer Aufhebung eines Haftbefehls - kein Anspruch auf nachträgliche gerichtliche Prüfung der Rechtsmäßigkeit der Haftanordnung.
II.
1.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. pp. als weiteren Pflichtverteidiger ist unbegründet. Dem Beschwerdeführer wurde bereits Rechtsanwalt I mit Beschluss vom 19.01.2007 (Bl. 346 d. A.) als Pflichtverteidiger beigeordnet. Das vorliegende Verfahren, in dem es nunmehr nur noch um die Festsetzung einer Gesamtstrafe und um die Bestimmung des Vorwegvollzuges nach § 67 StGB geht, ist nicht so schwierig, als dass es der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers bedürfte. Gründe für eine Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers und Bestellung des Rechtsanwaltes Dr. C4 als neuen Pflichtverteidiger, insbesondere eine endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und dem bisherigen Pflichtverteidiger oder eine grobe Pflichtverletzung (vgl. Meyer-Goßner a. a. O. § 143 Rdn. 3ff.), werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Dass Rechtsanwalt Dr. pp. den Beschwerdeführer noch in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das sich gegen die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes richtet, vertritt, rechtfertigt eine Umbestellung der Pflichtverteidiger nicht. Es ist nicht erkennbar, dass - bei der uneingeschränkt bestehenden Informationsmöglichkeit durch Akteneinsicht und Rücksprache mit dem Mandanten sowie dem Pflichtverteidiger - das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beeinträchtigt werden könnte. Auch ist nicht erkennbar, dass nicht umgekehrt Ergebnisse aus dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - sollten diese bereits vor Abschluss des Strafverfahrens vorliegen - in das (weitere) Strafverfahren einfließen können, auch wenn Rechtsanwalt Dr. pp. hier nicht zum Pflichtverteidiger bestellt wird.
2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.




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