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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 239/09 OLG Hamm

Leitsatz: Erwägt die Strafvollstreckungskammer im Zusammenhang mit der Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auf Grund eines gutachterlichen Ergebnisses abweichend von der Stellungnahme einer Justizvollzugsanstalt zu entscheiden, so indizieren diese widerstreitenden Ausführungen, dass die Sachlage nicht einfach gelagert ist. Daher ist dem Verurteilten ein Verteidiger beizuordnen.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Pflichtverteidiger, Strafvollstreckungsverfahren, schwierige Sachlage

Normen: StPO 140

Beschluss:

Strafsache
gegen pp.
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.,
(hier: Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Beiordnung von Rechtsanwältin B. in Hagen als Pflichtverteidigerin).
Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 31. August 2009 gegen den Beschluss des Landgerichts Hagen vom 11. August 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. September 2009 durch

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Verurteilten wird Rechtsanwältin B. als Pflichtverteidigerin beigeordnet.
Gründe:
I.
Gegen den Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 09. Mai 2006 wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs in sieben Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt worden, die er seit dem 18. September 2006 verbüßt. Zwei Drittel der Strafe waren am 15. Januar 2009 verbüßt; das Strafende ist notiert auf den 17. März 2010.
Durch Beschluss vom 19. Dezember 2008 hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom 17. Februar 2009 – 2 Ws 33/09 – als unzulässig, da verspätet, verworfen.
Nachdem der Verurteilte unter dem 10. März 2009 erneut ein Reststrafengesuch gestellt hatte, holte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen mit Beschluss vom 21. April 2009 ein Sachverständigengutachten ein zu der Frage, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Als Sachverständigen hatte die Strafvollstreckungskammer Dr. med. R. aus Dortmund benannt, der das schriftliche Gutachten unter dem 24. Mai 2009 erstellt hat.
Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2009 meldete sich Frau Rechtsanwältin B. unter Vorlage einer Strafprozessvollmacht als Verteidigerin des Verurteilten. Unter dem 01. Juli 2009 beantragte sie, ihm als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden, was die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 11. August 2009 abgelehnt hat.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verurteilten vom 31. August 2009.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
II.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:
„Die Beschwerde ist zulässig.
Der Beschwerdeschrift kann entnommen werden, dass das Rechtsmittel namens und mit Vollmacht des Verurteilten und nicht in eigener Sache eingelegt ist. Aus dem Sachzusammenhang zu der zuvor mit Schriftsatz vom 15.05.2009 übersandten Vollmacht (Bl. 116, 117 VH) ist ersichtlich, dass auch der mit Schriftsatz vom 01.07.2009 (Bl. 149, 150 VH) gestellte Beiordnungsantrag namens und in Vollmacht des Verurteilten gestellt worden ist.
Die Beschwerde ist auch begründet.
In entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO muss im Vollstreckungsverfahren ein Verteidiger bestellt werden, wenn die Schwere der Tat, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebiete. Es kommt nicht auf die Schwere oder die Schwierigkeit im Erkenntnisverfahren, sondern auf die Schwere des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten oder auf besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren an (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 140 Rdnr. 33 m.w.N.).
Die Beiordnung eines Verteidigers ist hier unter beiden Aspekten geboten.
Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Schwerte hat in ihrer Stellungnahme vom 26.03.2009 (Bl. 90 f VH) eine vorzeitige Entlassung des Beschwerdeführers befürwortet. Gleichwohl hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht in der Lage gesehen, auf der Basis dieser Stellungnahme zu entscheiden, sondern den Sachverständigen Dr. med. Roggenwallner in Dortmund mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage beauftragt, ob die bei dem Beschwerdeführer durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit noch fortbesteht (Bl. 114 VH). In seinem Gutachten vom 24.05.2009 (Bl. 118 ff. VH) hat der Sachverständige – im Ergebnis abweichend von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt – festgestellt, einer Legalbewährung stehe entgegen, dass die Tat in der Zwischenzeit nicht aufgearbeitet worden und darüber hinaus unklar sei, inwiefern der Beschwerdeführer überhaupt sexuell aktiv sei. Es könne nicht sicher gesagt werden, inwieweit er seine Sexualität auf legale Art und Weise ausleben könne, ohne erneut auf Kontakte zu Kindern zurückzugreifen.
Damit könne nicht gesagt werden, dass die durch die der Verurteilung zugrundeliegenden Taten zutage getretene Gefährlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestehe.
Bereits aus der Begründung des angefochtenen Beschlusse wird ersichtlich, dass die Strafvollstreckungskammer erwägt, aufgrund dieses gutachterlichen Ergebnisses abweichend von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Schwerte zu entscheiden. Diese widerstreitenden Ausführungen indizieren, dass die Sachlage bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 57 StGB nicht einfach gelagert ist, sondern dass das Ergebnis des Gutachtens in Beziehung zu setzen ist zu den sonstigen, nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt für eine bedingte Entlassung sprechenden Umständen und zumindest zu kritischen, sich mit den einzelnen Komponenten der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt und des Gutachtens auseinandersetzenden Fragen Anlass gibt.
Vor diesem komplexen Hintergrund ist der Beschwerdeführer aufgrund seiner individuellen persönlichen Situation zu einer sachgemäßen Wahrnehmung seiner Rechte ohne den Beistand einer Verteidigerin nicht in der Lage. Ausweislich der Ausführungen im Urteil des Landgerichts Hagen vom 09.05.2006 (Bl. 2 ff VH) ist er intellektuell leicht minderbegabt. Er hat eine Schule für Behinderte besucht, ohne einen Schulabschluss gemacht zu haben. Er kann weder schreiben noch lesen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 30.03.2005 wurde für den Beschwerdeführer eine gesetzliche Betreuerin bestellt (zu vgl. Bl. 3 VH). Dies indiziert, dass er allein zu einer vollständigen Erfassung des Sachverhalts sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht nicht in der Lage ist.“
Dem tritt der Senat bei.
Mit Rücksicht darauf, dass sich Rechtsanwältin B. als Anwältin des Vertrauens für den Verurteilten gemeldet hat, hat sich das Auswahlermessen des Vorsitzenden für die Bestellung eines Pflichtverteidigers auf diese Rechtsanwältin beschränkt. Der Senat kann deshalb im Beschwerdeverfahren selbst den Pflichtverteidiger bestellen, weil eine andere Entscheidung auch durch den Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer bei dieser Sachlage nicht in Betracht kommt (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 92).




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