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aus ZAP Heft 23/2006, F. 22 R, S. 463

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger (III/2006)

von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm

Inhaltsverzeichnis

I. Ermittlungsverfahren
  1. Weitergabe von Wissen durch den Rechtsanwalt
  2. Durchsuchungsfragen
    a) Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei
    b) Anordnungsvoraussetzungen
    c) Richterlicher Eildienst
II. Hauptverhandlung
  1. Beweisantrag
    a) Zeitpunkt der Antragstellung
    b) Inhalt des Beweisantrages
  2. Verwertung von Erkenntnissen aus einer TÜ
III. Rechtsmittelverfahren/ Begründung der Verfahrensrüge
IV. OWi-Verfahren/Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen
V. Gebührenfragen
  1. Anwendung der Kriterien des § 14 RVG im Straf-/Bußgeldverfahren
    a) Allgemeines
    b) Gebührenbemessung im OWi-Verfahren
  2. Abrechnung der Tätigkeit als Zeugenbeistand

Inhaltsverzeichnis

I. Ermittlungsverfahren

1. Weitergabe von Wissen durch den Rechtsanwalt

Die Frage, ob und in welchem Umfang der Verteidiger aus einer Akteneinsicht erlangtes Wissen an seinen Mandanten weitergeben darf, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht unstreitig (vgl. wegen der Einzelh. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., 2006, Rn. 2049) bzw. zu Unterrichtung des Mandanten nach erfolgter Akteneinsicht Rn. 177 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]; grundlegend u.a. BGHSt 29, 99). Zu der Frage hat sich jetzt auch das BVerfG zu Wort gemeldet (vgl. Beschl. v. 17. 6. 2006, 2 BvR 1085/05 u. 2 BvR 1189/05, NJW 2006, 3197 = StV 2006, 522). Nach dem Sachverhalt hatte der Rechtsanwalt durch Täuschung der Ermittlungsbehörden, und zwar durch einen fingierten Telefonanruf, erfahren, dass diese gegen seinen Mandanten den Erlass eines Haftbefehls planten. Dieses Wissen hat er an seinen Mandanten weitergegeben. Gegen den Rechtsanwalt wurde ein Verfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung (§ 258 StGB) eingeleitet. In dem wurde gegen den Rechtsanwalt eine Maßnahme nach §§ 100g, 100h StPO erlassen (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 231 ff.).

Die dagegen eingelegten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung (vgl. BVerfG, a.a.O.) die Annahme der Fachgerichte, wonach der Tatbestand des § 258 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen sei, nicht beanstandet. Während prozessual zulässige Handlungen dem Verteidiger nicht als tatbestandsmäßig zugerechnet werden können, könne ein nicht mehr vom Verteidigungszweck getragenes verteidigungsfremdes Verhalten, sofern die weiteren Voraussetzungen hierfür vorliegen, eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung begründen (vgl. BGHSt 29, 99, 102 f.; Laufhütte, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., 2003, § 147 Rn. 12 [im Folgenden kurz: KK-Bearbeiter]; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., 2006, § 258 Rn. 20; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., 2006, § 258 Rn. 12). Bei der Beurteilung von strafverhindernden oder strafverzögernden Handlungen im Rahmen der Strafverteidigung bestehe weitgehend Einigkeit darin, dass der Verteidiger als verteidigungsfremdes Verhalten nicht von den Ermittlungsbehörden geheim gehaltene Maßnahmen, insbesondere wie hier einer bevorstehenden Verhaftung, an seinen Mandanten übermitteln dürfe (vgl. z.B. OLG Hamburg, Beschl. v. 17. 2. 1987, (33) 28/86 Ns 51 Js 85/84). Etwas anderes ergebe sich auch dann nicht, wenn danach differenziert werd, ob der Verteidiger die weiter übermittelte Kenntnis des Bestehens eines von den Ermittlungsbehörden geheim gehaltenen Haftbefehls in zulässiger, zufälliger oder unzulässiger Weise erlangt habe (zur Differenzierung nach Art der Kenntniserlangung vgl. Krekeler, NStZ 1989, 146, 149; Mehle in der Anm. zum Beschl. des KG vom 5. 7. 1982, NStZ 1983, 556, 558). Jedenfalls für den Fall der unzulässigen, z.B. der wie hier täuschungsbedingten Kenntniserlangung, könne von Verfassungs wegen auch unter besonderer Berücksichtigung der durch das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gesicherten Institution der Strafverteidigung von einem tatbestandstauglichen Verhalten des Verteidigers ausgegangen werden und sei die Annahme des Verdachts einer (versuchten) Strafvereitelung nicht zu beanstanden.

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Tipp/Hinweis:

Das BVerfG hat auch i.Ü. die gegen den Rechtsanwalt angeordnete Maßnahme nach den §§ 100g, 100 h StPO abgesegnet. Es hat in dem Zusammenhang die in der Lit. umstrittene Fragen, ob § 100 h Abs. 2 Satz 2 StPO bei Strafverteidigern verfassungskonform einschränkend ausgelegt werden muss, offen gelassen (für eine teleologische Reduktion des § 100 h Abs. 2 Satz 2 StPO Welp GA 02, 535, 552 f.; KK-Nack, § 100h Rn. 9, § 100c Rn. 26, § 100 a Rn. 29; unentschieden Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. § 100 h Rn. 10 [im folgenden kurz: Meyer-Goßner]; a.A. Bär MMR 2002, 358, 363; vgl. dazu auch Burhoff, EV, Rn. 238a). Denn hier bestand die Besonderheit, das der Rechtsanwalt von der Maßnahme nicht in der hierfür vorausgesetzten Rolle als Zeugen betroffen war, sondern die Maßnahme gegen ihn angeordnet worden wurde , weil er selbst als Beschuldigter die Voraussetzungen für die strafprozessuale Maßnahme erfüllt haben sollte. Für diese Konstellation kommt aber eine Privilegierung des Verteidigers nicht in Betracht.

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2. Durchsuchungsfragen

a) Durchsuchung eines Rechtsanwaltskanzlei

Das BVerfG hat in der letzten Zeit häufiger zur Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei Stellung nehmen müssen (vgl. dazu die Grundsatzentscheidung in NJW 2005, 1917 = StraFo 2005, 286; sowie BVerfG NJW 2005, 3414; NJW-RR 2005, 1289). Sein Beschl. v. 7. 9. 2006 (2 BvR 1141/05, StraFo 2006, 449) hatte nun erneut eine solche Durchsuchung zum Gegenstand. In diesem Verfahren waren in der Vergangenheit gegen den Rechtsanwalt dreizehn gleich gelagerte Verfahren wegen unberechtigten Parkens auf einem Sonderfahrstreifen vor dem Justizgebäude in Aachen geführt worden. In neun Fällen waren die Verfahren im Hinblick auf die gleich lautenden Einlassungen des Rechtsanwalts ("Be- und Entladen") eingestellt worden. Gegen den Rechtsanwalt waren nun erneut zwei Bußgeldbescheide über jeweils 15 € ergangen. Hiergegen erhob er Einspruch, ebenfalls mit der Einlassung, in beiden Fällen das Fahrzeug auf dem Parkstreifen nur kurzfristig zum Entladen von Aktenpaketen abgestellt zu haben. Um aufzuklären, ob der Rechtsanwalt an den Tagen der erneut vorgeworfenen Parkverstöße gerichtliche Termine wahrgenommen hatte, erließ das AG einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für die Kanzleiräume des Rechtsanwalts. Auf dessen Grundlage beschlagnahmte die Polizei das Deckblatt des anwaltlichen Terminkalenders des betreffenden Jahres sowie die Kalendereinträge für die bezeichneten Tage.

Die gegen die Durchsuchungsanordnung erhobene Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts hatte beim BVerfG Erfolg. Das BVerfG hat erneut darauf hingewiesen (vgl. i.Ü. die o.a. Entscheidungen), dass die Durchsuchung der Kanzleiräume eines Rechtsanwalts in einem gegen ihn gerichteten Verfahren einen erheblichen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) darstellt und daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss. Zudem werden die Grundrechte der Mandanten berührt, da die Gefahr bestehe, dass ihre Daten zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liege auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme. Diese besondere Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hatten hier die mit dem Verfahren die befassten Gerichte nicht geleistet. Es erscheine - so das BVerfG - evident sachfremd und daher grob unverhältnismäßig und willkürlich, wegen einiger Verkehrsordnungswidrigkeiten, für die Geldbußen von je 15 € festgesetzt wurden, die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts zu durchsuchen.

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Tipp/Hinweis:

In seinen Entscheidungen zur Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei betont das BVerfG immer wieder (vgl. z.B. NJW 2005 1917 zur Beschlagnahme von Datenträgern in einem Rechtsanwaltsbüro), dass dann, wenn sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger richtet, diese regelmäßig die Gefahr mit sich bringt, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch würden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liege vielmehr auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen nach Auffassung des BVerfG eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme (vgl. dazu a. Burhoff, EV, Rn. 298 ff.).

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b) Anordnungsvoraussetzungen

Auch die Frage der ausreichenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusse steht immer wieder beim BVerfG auf dem Prüfstein. Insoweit müssen die Fachgerichte die Anforderungen des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts aus Art. 13 Abs. 2 GG beachten. Nach der Rspr. des BVerfG ist zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei, erforderlich. Das Gewicht des Eingriffs verlange Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen.

Tipp/Hinweis:

Das gilt vor allem, wenn es um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei geht. Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfG NJW 2004, 1305) gebiete bei der Anordnung der Durchsuchung von Kanzleiräumen (vgl. BVerfGE 44, 353, 371) die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt nach Auffassung des BVerfG vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 44, 353, 371 f.; 59, 95, 97; grundsätzlich zur Durchsuchung in Anwaltskanzleien auch Burhoff ZAP F. 22, S. 413 ff.).

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Zudem muss der Ermittlungsrichter diese Eingriffsvoraussetzung selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat (vgl. BVerfGE NJW 2001, 1121). Das kommt i.d.R. dadurch zum Ausdruck, dass im Beschluss ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das - wenn es wirklich begangen worden sein sollte - den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die Schilderung braucht aber nicht so vollständig zu sein wie die Formulierung eines Anklagesatzes (vgl. § 200 Abs. 1 S. 1 StPO) oder gar die tatsächlichen Feststellungen eines Urteils (vgl. § 267 Abs. 1 S. 1 StPO). Aber die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen berücksichtigt werden. Es müssen ein Verhalten oder sonstige Umstände geschildert werden, die - wenn sie erwiesen sein sollten - diese zentralen Tatbestandsmerkmale erfüllen. Das bedeutet z.B. bei einem dem Beschuldigten zur Last gelegten versuchten Nötigung nach § 240 StGB, das sich aus der Sachverhaltschilderung - in Abgrenzung zur straflosen Vorbereitungshandlung - ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes ergibt. Der Täter muss mit der Anwendung der Nötigungsmittel begonnen haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7. 9. 06, 2 BvR 1219/05; StraFo 2006, 450).

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Tipp/Hinweis:

Schließlich weist das BVerfG in letzter Zeit vermehrt darauf hin, dass eine Durchsuchung rechtswidrig ist, wenn andere mildere Maßnahmen zur Verfügung stehen. Eine Durchsuchung sei vielmehr nur dann zulässig, wenn gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der in Frage stehenden Straftat erforderlich sei. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Dann sei der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung unverhältnismäßig ((vgl. BVerfGE 96, 44, 51; vgl. u.a. Beschl. v. 3. 7. 2006, 2 BvR 2030/04, HRRS 2006 Nr. 613 für Steuerstrafverfahren).

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c) Richterlicher Eildienst

Seit der Entscheidung des BVerfG zum "Richtervorbehalt (vgl. NJW 2001, 1121) darf die Annahme von Gefahr im Verzug nicht (mehr) allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei am späten Nachmittag oder frühen Abend nicht zu erlangen. Vielmehr sind die Gerichte nach der Rechtsprechung des BVerfG verpflichtet, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu sichern (vgl. BVerfG, a.a.O.; vgl. dazu auch Burhoff, EV, Rn. 538 ff.). Dabei geht das BVerfG davon aus, dass bei Tage (vgl. § 104 Abs. 3 StPO) die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters uneingeschränkt gewährleistet sein muss, was vor allem in einer Großstadt gilt. Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen. Zu Nachtzeiten muss ein Richter allerdings nur erreichbar sein, wenn dafür ein praktischer Bedarf besteht, es also überhaupt zu nächtlichen Durchsuchungen kommt (BVerfG NJW 2004, 1441). Das ist in einer Großstadt, wie z.B. München sicherlich zu bejahen, für das "flache Land" hingegen i.d.R. zu verneinen.

Auf diese Grundsätze hat das BVerfG jetzt noch einmal hingewiesen (vgl. Beschl. v. 28. 9. 2006, 2 BvR 876/06, StraFo 2006, 451). Nach dem Sachverhalt war der Beschuldigte an einer Messerstecherei in seiner Wohnung in München beteiligt. Der Vorfall ereignete sich an einem Werktag. Nachdem die herbeigerufenen Polizeibeamten eingetroffen waren, durchsuchten sie gegen 18.00 Uhr die Wohnung des Beschuldigten, um die Tatwaffe aufzufinden. Dabei setzten sie einen Drogenspürhund ein. Der Beschuldigte befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in seiner Wohnung. Den Antrag des Beschuldigten auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung wurde zurückgewiesen. Die Verfassungsbeschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg.

Das BVerfG hat einen Eingriff in das Grundrecht der Unverletztlichkeit der Wohnung des Beschuldigten (Art. 13 GG) festgestellt und das u.a. auf folgendes gestützt: Das Amtsgericht hatte Gefahr im Verzug angenommen, weil um 18.00 Uhr ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss nicht mehr zu erwirken gewesen sei. Das hat das BVerfG beanstandet. Es könne nicht hingenommen werden, dass in einer Stadt der Größe Münchens am frühen Abend gegen 18.00 Uhr eine Wohnung allein auf Grund der Anordnung von Polizeibeamten ohne Gefahr im Verzug und ohne den Versuch, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, durchsucht werde.

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Tipp/Hinweis:

Interessant ist zudem der Hinweis des BVerfG (a.a.O.), dass nicht nur für einen richterlichen Eildienst gesorgt werden müsse, sondern dem Richter auch die die notwendigen Hilfsmittel für eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden müssen. Das bedeutet, dass (auch) sicher zu stellen ist, dass der nichtrichterliche Dienst für den Richter erreichbar ist und gegebenenfalls zur Verfügung steht.

Auch die Art und Weise der Durchsuchung, nämlich der Einsatz eines Drogenspürhundes, verletzte i.Ü. nach Auffassung des BVerfG den Beschuldigten in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG. Die Ermittlungsbehörden haben - so das BVerfG - auch eine erlaubte Durchsuchung auf das erforderliche Maß zu begrenzen, um die Integrität der Wohnung nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen. Es sei aber kein sachlicher Grund dafür erkennbar gewesen, zur Suche nach der Tatwaffe einer Messerstecherei einen Drogenspürhund einzusetzen.

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II. Hauptverhandlung

1. Beweisantrag

a) Zeitpunkt der Antragstellung

Die mit der Stellung eines Beweisantrages in zeitlichem Zusammenhang mit der Urteilsverkündung zusammenhängenden Fragen führen in der Praxis immer wieder zu Streit mit dem Gericht (vgl. auch Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 5. Aufl., 2006, Rn. 924 [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]). Dazu hat jetzt vor kurzem auch der BGH noch einmal Stellung genommen (vgl. BGH, Urt. v. 7. 9. 06, 3 StR 277/06). Nach dem dem Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt fand die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten, dem ein Verstoß gegen das BtM-Gesetz vorgeworfen wurde, an mehreren Tagen statt. In der Sitzung am Donnerstag, den 26. 1. 2006, dem 6. HV-Tag, wurden verschiedene Beweisanträge der Verteidiger zurückgewiesen, die Beweisaufnahme geschlossen, die Schlussvorträge gehalten und dem Angeklagten das letzte Wort gewährt. Nachdem das LG nach Beratung zur Urteilsverkündung erschien, beantragte der Verteidiger des Angeklagten die Unterbrechung zur Stellung eines unaufschiebbaren Antrags. Der Vorsitzende räumte ihr eine Frist bis 9 Uhr des folgenden Freitag ein und bestimmte Termin zur Fortsetzung der Verkündung auf Montag, den 30. 1. 2006, 14 Uhr. Am Folgetag wurde lediglich ein Ablehnungsgesuch eingereicht; weitere Beweisanträge wurden nicht gestellt. Vielmehr überreichte der Verteidiger erst kurz vor dem Termin zur Fortsetzung der Urteilsverkündung insgesamt drei Beweisanträge auf der Geschäftsstelle und bat um Verständigung des Vorsitzenden. Nach Betreten des Sitzungssaals begann der Vorsitzende am 30. 1. 2006 sogleich mit der Verlesung der Entscheidungsformel, während der Verteidiger des Angeklagten ihn zur Stellung der angekündigten Beweisanträge zu unterbrechen versuchte. Er erhielt dazu erst nach Abschluss der Verkündung Gelegenheit. Das LG hat die Anträge nicht beschieden.

Die darauf gestützte Revision des Angeklagten hatte im Ergebnis zwar keinen Erfolg, der BGH hat aber zur dargestellten Verfahrensweise ausgeführt: Das Tatgericht habe § 246 Abs. 1 StPO verletzt, soweit es sich bei den zu stellenden Anträgen um Beweisanträge handelte. Nach der Rechtsprechung des BGH sei grds. nicht zulässig, einen Verteidiger, der nach Urteilsberatung, aber vor der Urteilsverkündung einen Beweisantrag stellen will, nicht zu Wort kommen zu lassen und ihn dadurch an der Stellung des Antrages zu hindern. Entsprechendes gelte, wenn nach Unterbrechung einer Verkündung mit dieser erneut und vollständig von vorne begonnen wird, nachdem dem Vorsitzenden zuvor die Stellung eines Beweisantrages angekündigt worden war (BGH NStZ 1992, 248 m.w.N.). So habe es hier gelegen. Aus den Revisionsvorträgen ergebe sich im Zusammenhang mit dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass dem Vorsitzenden bei Beginn des Fortsetzungstermins bereits bekannt gewesen sei, dass der Verteidiger Beweisanträge stellen wollte, er dies aber durch die unbeirrte Durchführung der Verkündung verhindert habe. Trotz dieses Rechtsfehlers hatte die Revision des Angeklagten aber dennoch keinen Erfolg. Nach Auffassung des BGH war die so genannte Beruhensfrage zu verneinen, da es sich bei den gestellten Anträgen nicht um Beweisanträge i.S. von § 244 StPO gehandelt hat.

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Tipp/Hinweis:

Ist mit der Urteilsverkündung noch nicht begonnen worden, muss das Gericht den Beweisantrag des Verteidigers entgegen nehmen und auch bescheiden. Mit Beginn der Urteilsverkündung hat der Verteidiger keinen Anspruch mehr darauf, dass ihm Gelegenheit zur Stellung eines Beweisantrages gegeben wird. Der Vorsitzende kann aber die Urteilsverkündung unterbrechen und wieder in die Hauptverhandlung eintreten. Dann muss ein Beweisantrag beschieden werden.

Der Verteidiger sollte, da die Rechtslage insoweit nicht vollständig geklärt ist, das Gericht anrufen und nach § 238 Abs. 2 StPO einen Gerichtsbeschluss herbeiführen (vgl. dazu einerseits BGH MDR 1992, 635; andererseits BGH NJW 1992, 3182).

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b) Inhalt des Beweisantrages

Der BGH hat in der vorgenannten Entscheidung vom 7. 9. 2006 (BGH, a.a.O.) auch noch einmal deutlich zu den inhaltlichen Anforderungen an einen Beweisantrag Stellung genommen. Nach der Rechtsprechung setzt ein auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteter Beweisantrag die Bezeichnung bestimmter Beweistatsachen voraus, die dem Zeugenbeweis zugänglich sind, wobei ein Zeuge grundsätzlich nur über seine eigenen Wahrnehmungen vernommen werden kann. Gegenstand des Zeugenbeweises können somit nur solche Umstände und Geschehnisse sein, die mit dem benannten Beweismittel unmittelbar bewiesen werden können. Soll also aus den Wahrnehmungen auf ein bestimmtes weiteres Geschehen geschlossen werden, ist nicht dieses weitere Geschehen, sondern nur die Wahrnehmung des Zeugen tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises. Die Trennung von Beweistatsache und Beweisziel ist deswegen von besonderer Bedeutung, weil allein durch sie eine sinnvolle Anwendung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO ermöglicht wird (BGHSt 39, 251, 253 f.; BGHSt 43, 321, 329 f. jew. m. w. N.; zu allem auch Burhoff, HV, Rn. 295 ff.). Das bedeutet, dass dann auch diese weiteren Wahrnehmungen als Beweistatsachen benannt, über die der Zeuge gegebenenfalls etwas aus eigenem Wissen bekunden kann, im Beweisantrag aufzuführen sind. Nur wenn sie in ihm enthalten sind, kann das Gericht prüfen, ob es dem Beweisantrag insoweit nachgeht oder ihn als bedeutungslos ablehnt, weil es selbst im Falle des Erwiesenseins der genannten Beweistatsachen nicht den von der Verteidigung erstrebten Schluss darauf ziehen würde.

Tipp/Hinweis:

Darauf muss der Verteidiger sorgfältig achten, um nicht die Möglichkeit zu schaffe, dass sein Antrag nur als Beweisermittlungsantrag angesehen wird, der dann vom Tatgericht, ohne an die Gründe des § 244 Abs. 3-4 StPO gebunden sein, abgelehnt werden kann.

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2. Verwertung von Erkenntnissen aus einer TÜ

In der Praxis spielt die Verwertung der aus einer Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse eine nicht unerhebliche Rolle. Dabei geht es meist auch um die Frage, ob und wie die Erkenntnisse im Verfahren überhaupt verwertbar sind (bgl. dazu auch Burhoff, EV, Rn. 1619 ff.; zu Beweisverwertungsverboten Burhoff, EV, Rn. 1598). Besondere Schwierigkeiten bereiten dabei sog. "Kettenüberwachungen" (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 7. 3. 2006, 1 StR 316/05, NJW 2006, 1361).

Dazu folgender Sachverhalt: Die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das BtMG, stützt sich im Wesentlichen auf Zufallserkenntnisse, die anlässlich ein Telefonüberwachung bei einem anderen Beschuldigten B in dem gegen diesen geführten Ermittlungsverfahren gewonnen wurden. Gegen diesen B hatte der Ermittlungsrichter beim AG nach §§ 100a, 100b StPO Telefonüberwachungen wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angeordnet. Der dieser Anordnung zugrunde liegende Verdacht gegen B gründete sich auf Erkenntnisse aus einer weiteren Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme bei einem gesondert Verfolgten C. Gegen diesen war ebenfalls vom AG nach §§ 100a, 100b StPO Telefonüberwachungen angeordnet worden, wobei die den Verdacht gegen C begründenden Erkenntnisse ihrerseits einer Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme beim gesondert Verfolgten D entstammten. Die Zufallserkenntnisse aus der Telefonüberwachung bei B sind gegen den rechtzeitig erhobenen Widerspruch des Verteidigers des Angeklagten im Wege des Augenscheins und durch Vernehmung eines ermittelnden Polizeibeamten nach einem entsprechenden Gerichtsbeschluss in die HV eingeführt worden. Der Angeklagte machte in der Revision mit der Verfahrensrüge geltend, dass die Erkenntnisse aus der TÜ B nicht hätten verwertet werden dürfen. Seine Revision hatte keinen Erfolg.

Der BGH hat sich zunächst mit den prozessualen Folgen eines ggf. hinsichtlich einer Telefonüberwachung bestehenden Beweisverwertungsverbotes auseinandergesetzt. Insoweit sei es ständige Rechtsprechung, dass die aus einer Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen, falls wesentliche sachliche Voraussetzungen für die Anordnung der Überwachungsmaßnahme fehlten, was auch für die Verwertbarkeit von Zufallserkenntnissen i.S.v. § 100b Abs. 5 StGB gilt (vgl. BGHSt 48, 240, 249). Ein Beweisverwertungsverbot sei jedoch für den Angeklagten disponibel. Dieser müsse selbst entscheiden können, ob er die Verwertung der Erkenntnisse aus einer solchen Maßnahme gleichwohl wünscht oder nicht. Hieraus folgt, dass der Tatrichter in der Hauptverhandlung die Rechtmäßigkeit einer Telekommunikationsmaßnahme regelmäßig nur dann zu überprüfen braucht, wenn der Angeklagte der Verwertung rechtzeitig widerspricht. Dem Vorsitzenden und dem Gericht ist es freilich nicht verwehrt, die in die Hauptverhandlung einzuführenden Beweismittel auf ihre Verwertbarkeit zu prüfen.

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Tipp/Hinweis:

Für Verwertung der Erkenntnisse aus einer Telekommunikations-Überwachung gilt:

* Gelangt der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass der sog. Kernbereich der privaten Lebensgestaltung (vgl. BVerfGE 109, 279; BGH NJW 2005, 3295 [Krankenzimmerentscheidung]) berührt ist, so muss er von der Aufnahme des Beweises ab. Wollen die Verfahrensbeteiligten - weil sie anderer Ansicht sind - gleichwohl den Beweis erheben lassen, so müssen sie einen hierauf gerichteten Antrag stellen. Auch über ein derartiges Verwertungsverbot kann der Angeklagte disponieren, soweit allein seine eigene Sphäre tangiert ist (vgl. BGH NJW 2005, 3295, 3298).

* Hat der Tatrichter im Übrigen Bedenken gegen die Verwertbarkeit, kann er darauf verzichten, dieses Beweismittel zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen.

* Ordnet der Vorsitzende die Aufnahme des Beweises an, so müssen die Verfahrensbeteiligten, wenn sie ein Verwertungsverbot geltend machen wollen, der Anordnung widersprechen und gegebenenfalls einen Gerichtsbeschluss nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen.

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Für eine Kette von Telefonüberwachungsmaßnahmen verlangt der BGH folgende Prüfungsreihenfolge:

  • Überprüft werden muss auf jeden Fall die Rechtmäßigkeit der Telefonüberwachung, aus der die (Zufalls)Erkenntnisse stammen. Grundlage für die Überprüfung ist BGHSt 48, 240 ff. Soweit angebracht, müssen insoweit die Ermittlungsakten ausgewertet und den Prozessbeteiligten zur Kenntnis gebracht werden.
  • Im Fall einer Kette von aufeinander beruhenden Überwachungsmaßnahmen ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit aber auf die Anordnung der TÜ beschränkt, der die verwerteten Erkenntnisse unmittelbar entstammen. Eine Fernwirkung durch die Rechtswidrigkeit nur einer vorgelagerten, für das Verfahren selbst nicht unmittelbar beweiserheblichen TÜ ergibt sich nach Auffassung des BGH (Beschl. v. 7. 3. 2006, 1 StR 316/05, NJW 2006, 1361) nicht. Ob Erkenntnisse aus einer TÜ, die auf der Grundlage von Erkenntnissen aus einer wegen Fehlens wesentlicher sachlicher Voraussetzungen vorangegangenen anderen rechtswidrigen Überwachungsmaßnahme angeordnet worden ist, ebenfalls unverwertbar sind, hat der BGH noch nicht entschieden. Eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten hat er jedoch grundsätzlich abgelehnt (BGH, a.a.O.). An diesem (allgemeinen) Grundsatz, dass Beweisverwertungsverboten keine Fernwirkung zukommt, sei festzuhalten. Ein Verfahrensfehler, der ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel bewirkt, dürfe nicht ohne weiteres dazu führen, dass das gesamte Strafverfahren "lahm gelegt" wird.

Tipp/Hinweis:

Der BGH bestätigt ausdrücklich seine Rechtsprechung zur Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten (vgl. u.a. BGHSt 27, 355, 357 f.; NStZ 1998, 426, 427). Diese wird von ihm abgelehnt (zur a.A. in der Lit. vgl. die Nachw. bei Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 100a Rn. 116).

Zum verfahrensmäßigen Umgang mit den Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung gibt die Entscheidung vom 7. 3. 2006 darüber hinaus wertvolle Hinweise für die Praxis. Es liegt letztlich in der Hand des Angeklagten und seines Verteidigers, ob und was an Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung in der Hauptverhandlung verwertet wird. Der Verteidiger darf insbesondere nicht übersehen, dass das auch für entlastende Erkenntnisse gilt. Sollen solche Erkenntnisse eingeführt werden, muss der Verteidiger das, wenn der Vorsitzende die Telefonüberwachung nicht zum Gegenstand der HV machen will, ausdrücklich beantragen.

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3. Unterbrechung der Hauptverhandlung

Die Unterbrechung der HV ist in § 229 StPO geregelt. Die Vorschrift hat durch das 1. JuMoG (dazu auch Burhoff ZAP F. 22, S. 389) wesentliche Änderungen erfahren. Während früher die Unterbrechungsfrist grds. nur jeweils 10 Tage betragen hat, ist sie nun auf drei Wochen verlängert worden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass dadurch die Einheitlichkeit und Unmittelbarkeit der HV (noch) nicht beeinträchtigt ist (BT-Dr. 15/1508, S. 25; krit. Sommer StraFo 2004, 297). Diese Neuregelung ist im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz nicht ganz unproblematisch (s. auch Sommer StraFo 2004, 297; Keller/Meyer-Mews StraFo 2005, 353; wohl auch Meyer-Goßner, § 229 Rn. 1). Sie führt bei "konsequenter" Anwendung nämlich dazu, dass ggf. in einem Jahr nur 17 HV-Tage stattfinden (vgl. auch Burhoff, HV, Rn. 874 m.w.N.). Deshalb wird man die Neuregelung daher im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3a MRK und vor allem in Haftsachen im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 MRK auslegen und anwenden müssen. Das OLG (Hamm StraFo 2006, 25) hat zudem darauf hingewiesen, dass die Neuregelung auch nicht zur Umgehung der §§ 121, 122 führen dürfe. Das wäre z.B. wohl dann der Fall, wenn der Beginn der HV im Hinblick auf die Haftprüfung durch das OLG noch innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 121 terminiert würde, dann aber unter Ausschöpfung der Fristen des §§ 229 Abs. 2 weiterverhandelt würde

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Tipp/Hinweis:

Einer vorsichtigen Anwendung der erweiterten Unterbrechungsmöglichkeiten scheint jetzt auch der BGH zuzuneigen. Während er in BGH NStZ 2006, 296 noch davon ausgegangen ist, dass allenfalls in außergewöhnliche gelagerten Einzelfällen die Ausschöpfung der Fristen zu einer beanstandenswerten Verfahrensverzögerung führt, hat er in seinem Beschluss vom 3. 8. 2006 (3 StR 199/06, NJW 2006, 3077 = StraFo 2006, 456) deutlich auf das Beschleunigungsgebot und auf die zur Gewährleistung des Beschleunigungsgebots erforderliche straffe Terminierung hingewiesen. Er hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass es im Einzelfall zu prüfen sein werde, ob bei der Auswahl des Pflichtverteidigers einem Rechtsanwalt, der die notwendigen Termine wahrnehmen kann, der Vorrang gegenüber dem vom Angeklagten gewünschten Verteidiger einzuräumen ist, der dazu nicht in der Lage ist (vgl. BVerfG, NStZ 2006, 460 = StV 2006, 451), oder den Verteidiger zu verpflichten, andere - weniger dringliche - Termine zu verschieben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17. 7. 2006 - 2 BvR 1190/06; vgl. zu dieser Problematik auch OLG Hamm, Beschl. v. 4. 5. 2006, 2 Ws 111/06, StraFo 2006, 323 = StV 2006, 482).

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III. Rechtsmittelverfahren/Begründung der Verfahrensrüge

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zu § 344 Abs. 2 S. 2 StPO muss der Revisionsführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und so genau angeben muss, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. dazu die Nachw. bei Meyer-Goßner, § 344 Rn. 20). Diese (strenge) Rechtsprechung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschl. v. 1. 12. 205, 2 BvR 449/05; zur Begründung der Verfahrensrüge s. jetzt auch Burhoff, HV, Rn. 760 ff. sowie die Zusammenstellung von Sander NStZ-RR 2006, 33 ff.). Zur ausreichenden Begründung genügt es nicht, wenn auf Fundstellen in den Akten Bezug genommen wird (BGH NStZ-RR 2006, 48 m.w.N. für Sachverständigengutachten). Auf folgende Rechtsprechung der letzten Zeit ist hinzuweisen:

Mit der Verfahrensrüge soll gerügt werden, dass die Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist, obwohl in der Hauptverhandlung der Angeklagte in zulässiger Weise vertreten worden ist, ist.

Es muss vorgetragen werden, dass der Verteidiger den Angeklagten auch hat vertreten wollen (OLG Hamm, Beschl. v. 10. 1. 2006, 2 Ss 509/05, NStZ-RR 2006, 212 [Ls.]).

Mit der Aufklärungsrüge soll geltend gemacht werden, dass die Anhörung eines weiteren Sachverständigen unterblieben ist, der bekundet hätte, dass auf Grund der festgestellten "massiven sexuellen Übergriffe" bei der Geschädigten hätten Verletzungen vorliegen müssen.

Zur Zulässigkeit der Rüge muss das schriftliche Gutachten der gehörten Sachverständigen vollständig mitgeteilt wurde. Die ggf. von der Revision in Bezug genommenen Urteilsstellen reichen nämlich nicht aus, um beurteilen zu können, ob sich das Landgericht hätte gedrängt sehen müssen, einen weiteren Sachverständigen anzuhören (BGH, Urt. v. 20. 4. 2006, 4 StR 604/05; vgl. dazu BGH NStZ 1999, 45; Meyer-Goßner, § 244 Rn. 81).

Mit der Revision wird gerügt, dass das Tatgericht keinen Dolmetscher beigezogen hat.

Zur die Substantiierung der Verletzung der §§ 338 Nr. 5 StPO, 185 GVG muss mitgeteilt werden, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände sich der Tatrichter zu der Hinzuziehung eines Dolmetschers gedrängt sehen musste (OLG Hamm, Beschl. v. 28. 2. 2005, 3 Ss OWi 897/05).

Es soll geltend gemacht werden, eine Personen, deren Anwesenheit notwendig ist, sei in der Hauptverhandlung nicht anwesend gewesen (schlafender Staatsanwalt).

Zur ausreichenden Begründung dieser Verfahrensrüge gehört, dass vorgetragen wird, wie lange die Abwesenheit gedauert hat und dass die Verfahrensvorgänge, die in Abwesenheit der Person durchgeführt worden sind, nicht wiederholt worden sind (OLG Hamm, Beschl. v. 2. 3. 2006, 2 Ss 47/06, NJW 2006, 1449).

Die Revision rügt, dass die Begründungen von richterlichen Anordnungen der Telefonüberwachung oder von Eilanordnungen zur Verdachtslage und zu den übrigen Eingriffsvoraussetzungen zum Zeitpunkt des Erlasses der beanstandeten Entscheidungen unzureichend waren.

Die Revisionsbegründung muss die unzureichende Begründung vortragen (BGH, Beschl. v. 7. 3. 2006, 1 StR 534/05, HRRS 2006 Nr. 473).

Es soll gerügt werden, mit der Verlesung einer polizeilichen Zeugenaussage nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO sei gegen §§ 250, 251 StPO verstoßen worden, weil der nach § 251 Abs. 4 StPO geforderte Gerichtsbeschluss nicht ergangen sei.

Zur Prüfung der Frage, ob ein Beruhen des Urteils auf dem fehlenden Gerichtsbeschluss nicht auszuschließen ist, weil das Gericht unter Beachtung von Aufklärungsgesichtspunkten anders entschieden hätte als der Vorsitzende allein, ist regelmäßig die Kenntnis des Inhalts der verlesenen Niederschrift sowie der vorangegangenen Aussage des betroffenen Zeugen erforderlich. Die Revision muss daher den Wortlaut und den wesentlichen Inhalt der verlesenen Niederschrift und den Inhalt der Zeugenaussage mitteilen (BGH, Urt. v. 20. 4. 2006, 4 StR 604/05).

Es soll eine Verletzung rechtlichen Gehörs dadurch geltend gemacht werden, dass über einen rechtzeitig gestellten Antrag, die Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Verteidigers zu verlegen, so spät entschieden worden sei, dass es dem Betroffenen unmöglich gewesen sei, sich in der Hauptverhandlung angemessen zu verteidigen.

Es muss auch dargelegt werden, aus welchem Grund der Betroffene im Hinblick auf die Bedeutung der Sache für ihn und die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht in der Lage gewesen sein soll, sich selbst angemessen zu verteidigen (OLG Hamm, Beschl. v. 27. 1. 2006, 2 Ss OWi 3/06, nJW 2006, 2199 = VA 2006, 68 [Ls.]).

Es soll mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) geltend gemacht werden, dass der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör dadurch verletzt worden sei, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des plötzlich verhinderten Verteidigers statt gefunden habe

Zur ausreichenden Begründung des Antrags ist u.a. erforderlich, dass vorgetragen wird, in welchem Umfang durch die Verspätung des Verteidigers eine Verzögerung der Hauptverhandlung eingetreten wäre und wie der Betroffene sich selbst in der Hauptverhandlung verhalten hat, ob er also z.B. einen Aussetzungsantrag gestellt hat (OLG Hamm, Beschl. v. 16. 6. 2006, 3 Ss OWi 310/06; VA 2006, 200).

Es wird gerügt, das Gericht habe die Voraussetzungen für den Erlass eines Abwesenheitsurteils verkannt.

Zur ordnungsgemäßen Begründung dieser Rüge gehört auch die Mitteilung, ob und wie ggf. das Amtsgericht auf einen Antrag des Betroffenen, ihn vom Erscheinen in der Hauptverhandlung zu befreien, reagiert hat. Der Betroffene muss auch darlegen, einen Antrag auf Befreiung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gestellt zu haben (OLG Hamm, Beschl. v. 13. 6. 2005, 2 Ss 328/05, VRS 109, 360).

Tipp/Hinweis:

Die Sachrüge muss grds. nicht begründet werden. Etwas anderes gilt wegen § 400 StPO allerdings für den Nebenkläger. Dieser muss das Ziel seines Rechtsmittels ausdrücklich angeben (BGH NStZ-RR 1999, 39; Meyer-Goßner, § 400 Rdnr. 6; OLG Hamm, Beschl. v. 9. 8. 2005, 1 Ss 332/05), und zwar innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO(BGH NStZ-RR 2001, 266). Die allgemeine Sachrüge ist dafür i.d.R. nicht ausreichend.

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IV. OWi-Verfahren/Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen

Die Frage, ob der Verteidiger des Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren den Antrag auf Entbindung seines Mandanten von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen noch in der Hauptverhandlung stellen kann oder dieser bereits vorher angebracht werden muss, ist in Rspr. und Lit. umstritten. Sie wird bejaht von OLG Brandenburg (zfs 2004, 235; OLG Naumburg zfs 2002, 595 (596); Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., § 73 Rn. 19; Stephan in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 1412 m.w.N.). Offen gelassen haben das OLG Köln (NZV 1999, 436; VRS 1997, 187; VRS 1995, 429) und das OLG Karlsruhe (VA 2005, 198), das allerdings dazu neigt, dass das zulässig ist. A.A. ist Göhler (OWiG, 14. Aufl., § 73 Rn. 4) und wohl der 4. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm (vgl. Beschl. v. 29. 4. 2004, 4 Ss OWi 195/04). Inzwischen wird die Frage auch vom 2. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm bejaht (vgl. Beschl. v. 16. 8. 2006, 2 Ss OWi 348/06, VRR 2006, 394). Zu Recht wird zur Begründung auf die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 73 OWiG verwiesen. Danach kann der Richter "in bestimmten Fällen noch in der Hauptverhandlung einen Antrag zurückweisen" (BT-Drucksache 13/3691, S. 8). Wenn aber der Amtsrichter noch in der HV eine Sachentscheidung über den Entbindungsantrag treffen kann, ist nicht nachvollziehbar, dass der bevollmächtigte Vertreter des Betroffenen einen – zulässigen – Entbindungsantrag nicht mehr nach Aufruf der Sache stellen können soll.

Tipp/Hinweis:

Hat der Tatrichter einen Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt bzw. nicht beschieden, muss dagegen mit der Verfahrensrüge vorgegangen werden. Diese unterliegt den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. eingehend OLG Hamm, a.a.O.).

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V. Gebührenfragen

1. Anwendung der Kriterien des § 14 RVG im Straf-/Bußgeldverfahren

a) Allgemeines

Auch nach den Änderungen die § 12 BRAGO durch die Neuregelung in § 14 RVG erfahren hat, obliegt bei den Rahmengebühren dem Rechtsanwalt die Bestimmung der Gebühren im Einzelfall. Er hat sie unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu treffen (AG Saabrücken DAR 2006, 176 m. Anm. Fabian = AGS 2006, 377 m. Anm. Madert ). Ist diese Gebühr von einem Dritten zu erstatten – so z.B. im Fall der Freispruchs von der Staatskasse – ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung allerdings nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Tipp/Hinweis:

Insoweit hat das KG seine und die ständige Rechtsprechung wohl aller Obergerichte zu § 12 Abs. 1 S. 2 BRAGO fortgeführt, wonach Unbilligkeit nur angenommen wurde, wenn die Gebührenbestimmung um 20% oder mehr von der Gebühr abweicht, die sich unter Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG genannten Bemessungsgrundlagen ergibt (KG StV 2006, 198; vgl. auch die Nachw. zu § 12 BRAGO bei Burhoff in Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, ABC-Teil: Rahmengebühren (§ 14 RVG), Rn. 49 [im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter; s. auch N.Schneider, AnwKomm RVG, 3. Aufl., § 14 Rn. 80 ff. m.w.N.).

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Bei der Feststellung der angemessenen Gebühr nach § 14 Abs. 1 RVG ist nach Ansicht des KG - ebenso wie früher im Rahmen des § 12 Abs. 1 BRAGO - eine Abwägung aller Umstände, d. h. der gebührenerhöhenden und - mindernden vorzunehmen (wegen der Kriterien verweise ich auf Burhoff/Burhoff, a.a.O., ABC-Teil: Rahmengebühren [§ 14] Rn. 17 ff.; s. auch Enders JurBüro 2005, 459.). Dabei sei jeweils von der Mittelgebühr auszugehen (KG, a.a.O.; vgl. auch AG Baden-Baden AGS 2006, 120). Dem Zeitaufwand, den der Rechtsanwalt erbracht hat, misst das KG - zu Recht - erhebliche Bedeutung zu (KG, a.a.O.). Diese ist vom AG Anklam in einer Strafrichtersache z.B. bei einer Terminsdauer von rund 40 Minuten als angemessen angesehen worden (AG Anklam, Beschl. v. 2. 2. 2006, 62 Ds 513 Js 957/05 [378/05]). Auch das AG Lüdinghausen geht bei einer normalen Strafsache von der "Mittelgebühr" aus, wobei es z.B. das intensive Bemühen um eine Absprache, die zu einer Abkürzung der Hauptverhandlung geführt hat, berücksichtigt, die Ordnung des Gerichts, bei dem das gerichtliche Verfahren anhängig, ist, hingegen bei der Bemessung der gerichtlichen Verfahrensgebühr nicht (AG Lüdinghausen, Beschl. v. 2. 2. 2006, 9 Ds 82 Js 5820/05). Anders das LG Koblenz: In einer einfach gelagerten Strafsache rechtfertigt eine Hauptverhandlungsdauer von 20 Minuten beim AG nicht den Ansatz der Mittelgebühr (LG Koblenz, Beschl. v. 7. 3. 2006, 4 Qs 17/06).

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Tipp/Hinweis:

Entscheidendes Kriterium für den "Umfang der anwaltlichen Tätigkeit" ist vor allem der zeitliche Aufwand, den der Verteidiger auf die Führung des Mandats verwendet hat. Dazu zählen nicht nur die Zeiten, die der Verteidiger faktisch an bzw. in der Sache gearbeitet hat, sondern auch der nutzlos erbrachte Aufwand, wie z.B. Wartezeiten (AG Anklam, a.a.O.). Dass das RVG den nutzlos erbrachten Aufwand auf jeden Fall berücksichtigen will, ergibt sich aus Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG und der dort bestimmten Terminsgebühr für einen "geplatzten Termin" (Burhoff/Burhoff, Vorbem. 4 VV Rn. 70 ff.; Vorbem. 5 VV Rn. 39.; zur Gebührenbemessung im OWi-Verfahren Burhoff RVGreport 2005, 361; s. auch Pfeiffer DAR 2006, 653 ff.).

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b) Gebührenbemessung im OWi-Verfahren

Diese Grundsätze gelten auch für das OWi-Verfahren (zur Gebührenbemessung im OWi-Verfahren vgl. Burhoff RVGreport 2005, 361). Insoweit galt schon zu § 105 BRAGO, dass die Gebühren nicht deshalb niedriger bemessen werden durften, weil es sich generell um Angelegenheiten von geringerer Bedeutung handelt vgl. N.Schneider, a.a.O., § 105 Rn. 137 ff. m.w.N.). Das gilt, nachdem durch das RVG für die anwaltliche Vergütung in Bußgeldsachen in Teil 5 VV RVG eigenständige Gebühren geschaffen worden sind und die Verknüpfung mit den Gebühren für das Strafverfahren weggefallen ist, erst Recht (vgl. auch Burhoff/Burhoff, Vorbem. 5 VV Rn. 21 ff.). Anderenfalls würde gegen ein "gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot" verstoßen (eingehend dazu Burhoff RVGreport 2005, 361 ff. m.w.N.). Im Übrigen ist auch in OWi-Sachen grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen (s. dazu auch AG Frankenthal RVGreport 2005, 271 = VRR 2005, 280, das die Mittelgebühr zumindest immer dann gewähren will, wenn es im Verfahren um die Verhängung eines Fahrverbotes geht oder dem Betroffenen Punkte im VZR drohen; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381; AG Chemnitz AGS 2005, 431; AG Saarbrücken AGS 2006, 126; AG Altenburg AGS 2006, 128; AG Saarlouis AGS 2006, 127; AG Darmstadt zfs 2006, 169; AG Viechtach AGS 2006, 239; RVGreport 2006, 341; Beschl. v. 30. 3. 2006, 7 II OWi 00447/06; Beschl. v. 27. 4. 2006, 7 II OWi 00550/06; a.A. LG Dortmund RVGreport 2005, 465; LG Deggendorf, Beschl. v. 13. 2. 2006, 1 Qs 11/06; LG Göttingen, Beschl. v. 5. 12. 2005, 17 Qs 131/05; a.A. auch Pfeiffer DAR 2006, 653 [aus Sicht der Rechtsschutzversicherer]). Das gilt vor allem dann, wenn die Verhängung eines Fahrverbotes droht bzw. ein Fahrverbot bereits verhängt ist (vgl. die zuvor zitierte Rechtsprechung der AG) und ggf. sogar auch bei einem Bußgeld von nur 40 € (AG Saarbrücken zfs 2006, 108).

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Tipp/Hinweis:

Der Rechtsanwalt muss unter Hinweis auf die vorliegende Rechtsprechung seine Gebührenrechnung begründen und dabei insbesondere die für den Mandanten aufgewendete Zeit in den Vordergrund stellen.

Die o.a. Entscheidungen stehen teilweise im Volltext auf der Homepage www.burhoff.de (vgl. auch noch die Zusammenstellung der aktuellen Rechtsprechung bei Burhoff VRR 2006, 333).

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2. Abrechnung der Tätigkeit als Zeugenbeistand

Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG gilt für den (Voll)Verteidiger, der Wahlanwalt oder Pflichtverteidiger sein kann, Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG gilt hingegen nur für die Einzeltätigkeiten des Rechtsanwaltes, der nicht Verteidiger oder Vertreter ist (zur Abgrenzung der Tätigkeiten in der Strafvollstreckung von der Einzeltätigkeit OLG Schleswig RVGreport 2005, 70 = AGS 2005, 120 = JurBüro 2005, 25 = StV 2006, 206). Diese im Grunde in der Anwendung einfache Abgrenzung macht in der Praxis insbesondere bei der Abrechnung der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand, für den nach der Neuregelung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG Teil 4 VV RVG ebenfalls gilt (zur Vergütung des Zeugenbeistandes eingehend Burhoff RVGreport 2004, 458; RVGreport 2006, 81), erhebliche Schwierigkeiten. Teilweise wird die Regelung, insbesondere von den Instanzgerichten (vgl. z.B. AG Lingen AGS 2006, 175) und den Vertretern der Staatskasse restriktiv zu Lasten des Rechtsanwalts ausgelegt und von einer Einzeltätigkeit ausgegangen (so allerdings auch OLG Oldenburg RVGreport 2006, 107 = StraFo 2006, 130 und LG Berlin, Beschl. v. 23. 10. 2006, [514] 83 Js 153/04 KLs [1/06]). Dies ist jedoch falsch und widerspricht der inzwischen wohl überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (Burhoff RVGreport 2005, 458; RVGreport 2006, 81; Burhoff/Volpert, Vorbem. 4.3 Rn. 16; siehe auch BT-Dr. 15/1971 S. 145; KG RVGreport 2005, 341 = StraFo 2005, 439 = NStZ-RR 2005, 358 = Rpfleger 2005, 694; KG AGS 2006, 329; OLG Köln NStZ 2006, 410; a.A. OLG Oldenburg StraFo 2006, 130 = AGS 2006, 332). Vielmehr ist auch auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand i.d.R. der Abschnitt 1 des Teils 4 VV RVG anzuwenden (KG, a.a.O.; OLG Koblenz RVGreport 2006, 232). Denn i.d.R. wird dem Rechtsanwalt die volle Vertretung übertragen und nur ausnahmsweise wird er bloß in einer Einzeltätigkeit beauftragt (KG NStZ-RR 2005, 327 = JurBüro 2005, 536; ähnlich OLG Schleswig zur Abgrenzung der Tätigkeiten in der Strafvollstreckung von der Einzeltätigkeit RVGreport 2005, 70 = AGS 2005, 120 = JurBüro 2005, 25 = StV 2006, 206). Das entspricht auch der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers (KG, a.a.O.; vgl. auch OLG Schleswig, a.a.O., zur ähnlichen Problematik für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB).

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Tipp/Hinweis:

Es kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass der Rechtsanwalt im Strafverfahren nur in einem Teilbereich tätig wird und es sich deshalb um eine Einzeltätigkeit i.S. von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG handelt. Entscheidend ist der Tätigkeitsbereich des Rechtsanwalts. Er ist zwar nur in einem Teilbereich des Strafverfahrens als "Zeugenbeistand" tätig. In der Angelegenheit ist er aber voller Vertreter, was zur Anwendung des Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG führt.

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Die Abrechnung erfolgt auch nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, wenn der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand beigeordnet worden ist (§ 68b StPO) (OLG Schleswig, a.a.O., für den vergleichbaren Fall der Abgrenzung der Einzeltätigkeit im Überprüfungsverfahren; s. auch KG, a.a.O. ), und zwar auch dann, wenn der Beiordnungsbeschluss nur mit dem Gesetzestext formuliert, der Rechtsanwalt also für die "Dauer der Vernehmung des Zeugen" beigeordnet wird. Auch aus dieser Formulierung lässt sich nicht entnehmen, dass es sich nur um eine Einzeltätigkeit handelt. Abgesehen davon, dass selbst diese Formulierung immer auch ein Vorgespräch mit dem Mandanten umfassen würde (Meyer-Goßner, § 68b Rn. 5 m.w.N.; zum Umfang der Beiordnung des Vernehmungsbeistandes s. auch Burhoff, EV, Rn. 1841 ff.), darf gerade beim beigeordneten Vernehmungsbeistand nicht übersehen werden, dass dessen Tätigkeit schon sui generis nur einen begrenzten Rahmen umfasst, nämlich den (bloßen) Beistand bei der Vernehmung des Zeugen. Das bedeutet aber nicht, dass der Rechtsanwalt damit etwa nur für eine Einzeltätigkeit beigeordnet worden wäre. Vielmehr ist er in diesem (begrenzten) Tätigkeitsbereich "voller Vertreter", so dass auf seine Tätigkeit gebührenrechtlich Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG anzuwenden ist (vgl. dazu auch KG, a.a.O.; s. auch Burhoff RVGreport 2006, 81).

Tipp/Hinweis:

Nach Auffassung des KG (KG RVGreport 2005, 341 StraFo 2005, 439 = AGS 2005, 439 = NStZ-RR 2005, 358) sollen dem als Zeugenbeistand tätigen Rechtsanwalt allerdings grundsätzlich der Höhe nach geringere Gebühren zustehen als dem Verteidiger (KG, a.a.O.). Das ist m.E. nicht richtig. Abgesehen davon, dass das wegen der Festbetragsregelung beim bestellten Zeugenbeistand nicht möglich wäre, erhält m.E. auch der Rechtsanwalt, der als Wahlanwalt seine Tätigkeit als Zeugenbeistand erbringt und abrechnet, nicht grundsätzlich andere/niedrigere Gebühren. Er muss sich zwar an der durchschnittlichen Tätigkeit des Verteidigers messen lassen (so auch BT-Dr. 15/1971, S. 145; Burhoff/Volpert, Vorbem. 4.3 Rn. 16). Entscheidend ist aber der konkrete Einzelfall und die richtige Anwendung des § 14 RVG. Ein Zeugenbeistand, der die gerichtliche Verfahrensgebühr geltend macht, muss allerdings wegen seines eingeschränkten Aufgabenbereichs konkret vortragen, durch welche von ihm erbrachte Tätigkeit diese entstanden sein soll KG RVGreport 2006, 107 = AGS 2006, 176; Beschl. v. 1. 2. 2006, 5 Ws 506/05).

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