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aus ZAP-Heft 5/2011, ZAP F. 9, S. 847

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "PStR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Bußgeldrechtliche Fragen der „Winterreifenpflicht“ nach § 2 Abs. 3a StVO

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

I. Entstehungsgeschichte

Seit den Änderungen in der StVO durch die 40. Änderung-VO zur StVO v. 22. 12. 2005 (BGBl. I 2005, 3716), die am 1. 5. 2006 in Kraft getreten sind, enthielt die StVO in § 2 Abs. 3a StVO eine Vorschrift, die den Kraftfahrzeugführer verpflichtete bei „winterlichen Straßenverhältnissen“ mit geeigneter Bereifung zu fahren. Diese vielfach als sog. „Winterreifenpflicht“  bezeichnete Vorschrift ist dann vom OLG Oldenburg mit Beschl. v. 9. 7. 2010 (DAR 2010, 477, 479 = VRR 2010, 316 = VA 2010, 172) als zu unbestimmt und damit als verfassungswidrig angesehen worden (a.A. AG Velbert DAR 2010, 594). Das Bundesverkehrsministerium hat daraufhin Anfang November 2010 eine Änderung der Rechtslage vorgeschlagen (vgl. BR-Drucks. 699/10). Diese ist vom Bundesrat am 26. 11. 2010 mit Änderungen (vgl. BR-Drucks. 699/10/B) beschlossen worden. Die Neuregelung ist am 3. 12. 2010 im BGBl. verkündet worden (vgl. BGBl I, S. 17378) und damit am 4. 12. 2010 in Kraft getreten. Die Neuregelung lautet wie folgt:

„1Bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte darf ein Kraftfahrzeug nur mit Reifen gefahren werden, welche die in Anhang II Nr. 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG des Rates vom 31. März 1992 über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und über ihre Montage (ABl. L 129 vom 14.5.1992, S. 95), die zuletzt durch die Richtlinie 2005/11/EG (ABl. L 46 vom 17.2.2005, S. 42) geändert worden ist, beschriebenen Eigenschaften erfüllen (M+S-Reifen). 2Kraftfahrzeuge der Klassen M2, M3, N2 und N3 gemäß Anlage XXIX der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. September 1988, zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. April 2009 (BGBl. I S. 872) dürfen bei solchen Wetterverhältnissen auch gefahren werden, wenn an den Rädern der Antriebsachsen M+S-Reifen angebracht sind. 3Satz 1 gilt nicht für Nutzfahrzeuge der Land- und Forstwirtschaft sowie für Einsatzfahrzeuge der in § 35 Absatz 1 genannten Organisationen, soweit für diese Fahrzeuge bauartbedingt keine M+S-Reifen verfügbar sind.“

Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die neue Rechtslage (vgl. auch Deutscher VRR 2011, ; BurhofF/Eggert VA 2011, 25).

II. Inhaltliche Ausgestaltung der Neuregelung

Aus der der alten Fassung des § 2 Abs. 3a StVO a.F. zugrunde liegenden BR-Drucks. 813/05 folgte für die damalige Neuregelung das Ziel, es zu verhindern, dass Kfz mangels geeigneter Bereifung liegen bleiben und damit erhebliche Verkehrsbehinderungen verursachen (vgl. dort S. 12; s. auch BR-Drucks. 699/10, S. 4, 7). Fraglich und umstritten war, ob damit eine generelle Winterreigenpflicht eingeführt worden war (vgl. zu der Problematik Albrecht SVR 2006, 41; Burhoff VRR 2006, 168; ders., VA 2006, 88). Davon wird man jetzt für die in § 2 Abs. 3a StVO n.F. genannten besonderen winterlichen Straßenverhältnissen bejahen müssen. Während der dort genannten Witterungsverhältnisse darf nur mit den in der Vorschrift bezeichneten Reifen gefahren werden.

III. Begriff des Winterreifens

Die alte Regelung enthielt in § 2 Abs. 3a StVO a.F. keine Definition des Begriffs des Winterreifens (vgl. dazu Burhoff VRR 2006, 168; ders. VA 2006, 88; Hentschel/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., 2009, § 2 StVO Rn. 72a). Eine entsprechende konkrete Regelung enthält aber auch die Neufassung der Vorschrift nicht. In der Literatur wird allerdings vertreten, dass in § 36 Abs. 1 S. 3 StVZO eine Legaldefinition des Begriffs enthalten ist (vgl. Schubert DAR 2006, 116 zur alten Regelung).

§ 2 Abs. 3a StVO verweist wegen der erforderlichen Beschaffenheit der verwendeten Reifen nur auf den Anhang II 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG. Aber auch dort ist aber nicht definiert, was unter einem „Winterreifen“ zu verstehen ist, sondern lediglich beschrieben, was sog. „M+S Reifen“ sind. Nach derzeitigem EU-Recht gilt:

„M+S-Reifen sind Reifen, bei denen das Profil der Lauffläche und die Struktur so konzipiert sind, dass sie vor allem in Matsch und frischem oder schmelzenden Schnee bessere Fahrleistungen gewährleisten als normale Reifen. Das Profil der Laufflächen der M+S-Reifen ist im Allgemeinen durch größere Profilrillen und/oder Stollen gekennzeichnet, die voneinander durch größere Zwischenräume getrennt sind, als dies bei normalen Reifen der Fall ist.“

Auf der Grundlage können als „Winterreifen“ i.S. der Neuregelung angesehen/benutzt werden:

  • M+S-Reifen, die als solche verkauft und mit einem M+S-Symbol gekennzeichnet sind,
  • Reifen, die das sog. Bergpitkogramm mit Schneeflocke aufweisen (vgl. das Schubert DAR 2006, 112),
  • Ganzjahresreifen, die den Eigenschaften der Richtlinie 92/23/EWG entsprechen und mit einem M+S-Symbol versehen sind (vgl. BR-Drucks. 699/10, S. 5).

Tipp/Hinweis

In der BR-Drucks. 699/10, S. 5 heißt es ausdrücklich: „… als Winterreifen .. verkauft“ werden. Das bedeutet, dass auch Reifen genutzt werden können, die zwar als M+S-Reifen gekennzeichnet sind, aber dennoch keine ausreichende Wintertauglichkeit aufweisen (s. auch BurhofF/Egggert VA 2011, 25 f.; Deutscher VRR 2011, ). Dabei kann es sich z.B. auch Ostasien stammende Importe handeln.

IV. Erfasste Fahrzeuge

Die Neuregelung gilt für alle Kraftfahrzeuge (vgl. § 1 Abs. 2 StVG). Sie gilt insbesondere also auch für Motorräder und sonstige Krafträder. Zwar nimmt die in § 2 Abs. 3a StVO in Bezug genommene Richtlinie 92/93/EWG in ihrem Art. 1 für den Begriff des Fahrzeugs auf die Richtlinie 70/156/EWG vom 06.02.1970 (Abl. L 42, S.1) Bezug, in deren Art. 2 bestimmt wird, dass es sich um ein Kraftfahrzeug mit mindestens vier Rädern handeln muss. Die Neuregelung in § 2 Abs. 3a StVO bezieht sich jedoch nur für den Begriff des „M+S-Reifens“ auf die Richtlinie 92/93/EWG und nicht auch für die Definition des Kraftfahrzeugs auf die weitere Richtlinie 70/156/EWG vom 06.02.1970 (Abl. L 42, S.1). Die Begriffsbestimmung des Kraftfahrzeugs in § 1 Abs. 2 StVG, die auch Motorräder umfasst, sollte durch die Reform nicht geändert werden (Burhoff/Eggert VA 2011, 25; Deutscher VRR 2011, ).

Ausnahmen von der generellen Pflicht sind in § 2 Abs. 3a S. 2 StVO enthalten. Danach genügt es für den Betrieb folgender Fahrzeugarten, dass lediglich auf den Antriebsachsen M+S-Reifen montiert sind:

  • für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kfz mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und einer zulässigen Gesamtmasse bis zu 5 t (M2) oder darüber (M3)
  • für die Güterbeförderung ausgelegte und gebaute Kfz mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 t bis 12 t (N2) oder darüber (N3).

Ein weitere Ausnahme folgt aus § 2 Abs. 3a S. 3 StVO. Danach gilt die Winterreifenpflicht nicht für land- und forstwirtschaftliche Nutzfahrzeuge, wenn bauartbedingt keine M+S-Reifen verfügbar sind. Die Regelung erfasst außerdem Einsatzfahrzeuge von Bundeswehr, Bundespolizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Polizei und Zolldienst (vgl. zu den Gründen BR-Drucks. 699/10/B, S. 2).

V. Erfasste Straßen-/Witterungslagen

§ 2 Abs. 3a StVO a.F. stellte auf die „Wetterverhältnisse“ und damit auf die „winterlichen Wetterverhältnisse“ ab. Jetzt heißt es in der Neufassung, dass bei „Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte“ nur mit „Winterreifen“ gefahren werden darf. Entscheidend sind also nicht die generellen Wetterverhältnisse, sondern, ob sich auf der vom Betroffenen genutzten Straße Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte gebildet hat. Nicht von Bedeutung sind die allgemeinen Wetterverhältnisse unabhängig von der benutzten Straße.

Tipp/Hinweis

Die Neuregelung gilt auch nur für den fließenden und nicht auch für den ruhenden Verkehr. Das folgt ausdrücklich aus § 2 Abs. 3a StVO - „… gefahren werden“. Abgestellte Kraftfahrzeuge müssen also nicht mit Winterreifen ausgerüstet sein (vgl. auch Pressemitteilung des Bundesverkehrsministeriums Nr. 367/2010 v. 26. 11. 2010, www.bmvbs.de).

Eine gesetzliche Definition der beschriebenen Straßenverhältnisse ist allerdings nicht erfolgt. In der BR-Drucks. 699/10 (vgl. S. 6) wird auf die die angeführten Straßenverhältnisse verursachenden Niederschlagsarten verwiesen, nämlich auf „Schneefall (inkl. Schneeregen und Schneegriesel), Eiskörner, Glatteis bzw. gefrierender Regen (umgangssprachlich Eisregen), gefrierender Nebel und Schneeverwehungen (fallender bzw. abgesetzter Schnee in Verbindung mit starkem Wind). Diese Wettererscheinungen und – verhältnisse können bereits bei Lufttemperaturen einige Grad über dem Gefrierpunkt auftreten.“ Weiter heißt es, dass Kraftfahrzeugführer bei diesen Wetterverhältnisse mit Sommerreifen nicht mehr sicher am Straßenverkehr teilnehmen können.

Hat es gerade erst angefangen zu schneien, kann so lange nicht Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch (vgl. dazu BayObLG NZV 1989, 443), Eis- oder Reifglätte vorliegen, auch (noch) mit Sommerreifen gefahren werden. Entsprechendes gilt, wenn die Straßen geräumt sind, da dann die Straßenverhältnisse nicht (mehr) vorliegen.

Tipp/Hinweis

Hier bietet sich zumindest insofern ein Verteidigungsansatz, als in diesen Fällen eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG nahe liegt. Vorgetragen werden kann ggf. z.B. auch, dass der Mandant von den besonderen winterlichen Straßenverhältnissen überrascht worden ist.

Für die Anwendung der Vorschrift kann nicht auf den Begriff „Schneefall“ in §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 3a, 17 Abs. 3, 18 Abs. 11 StVO abgestellt werden. Der bezieht sich auf den Vorgang des Schneiens als solchen, während es für den Anwendung des § 2 Abs. 3a S. 1 StVO auf den Zustand der Straße als dessen Folge ankommt (Deutscher VRR 2011, ). Allerdings wird durch das Merkmal „Schneematsch“ gewährleistet, dass nicht nur eine dicht festgetretene oder –gefahrene Schneedecke (Schneeglätte) erfasst wird, sondern auch halbgetauter, schlammiger Schnee (vgl. BayObLG NZV 1989, 433 zu § 2 Abs. 3a Satz 3 StVO – Gefahrguttransport).

Tipp/Hinweis

Nach Deutscher (VRR 2011, ) genügt es für die Anwendung von § 2 Abs. 3a S. 1 StVO nicht, wenn zwar andere Fahrspuren Schneeglätte u. Ä. aufweisen, nicht aber die vom Betroffenen benutzte Fahrspur (vgl. OLG Hamm NZV 1998, 213 zu § 2 Abs. 3a Satz 3 – Gefahrguttransport). Das erscheint allerdings im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Vorschrift und den mit ihr verfolgten Sinn und Zweck als zu eng.

VI. Bußgeldrechtliche Folgen von Verstößen gegen die Winterreifenpflicht

Im Bußgeldkatalog sind die Bußgeldtatbestände in Nr. 5a und 5a.1 BKat gegenüber der alten Rechtslage geändert und an die Neuregelung angepasst worden. Außerdem wurden die Geldbußen erhöht. Bei einem Verstoß ohne Behinderung Nr. 5a BKat wird ggf. eine Geldbuße von 40 € festgesetzt. Bei einem Verstoß mit Behinderung kann eine Geldbuße von 80 € verhängt werden. In beiden Fällen wird ein Punkt im VZR in Flensburg eingetragen. Teilweise hatten die Bundesländer, wie z.B. Bayern, noch sehr viel höhere Bußgelder gefordert (vgl. BR-Drucks. 699/2/10 [neu]).

VII. Urteilsanforderungen

Ist es zu einer Verurteilung des betroffenen Kraftfahrzeugführers wegen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 3a S. 1 StVO gekommen, muss der Verteidiger anhand folgender Checkliste prüfen, ob das tatrichterliche Urteil ausreichende tatsächliche Feststellungen enthält (s. auch Burhoff/Eggert VA 2011, 28):

1.Sind die "Straßenverhältnisse“ ausreichend beschrieben?

Da § 2 Abs. 3a S. 1 StVO nicht eine generelle Winterreifenpflicht eingeführt, sondern nur die Pflicht, bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte mit „Winterreifen“ zu fahren, muss das tatrichterliche Urteil die Straßenverhältnisse beschreiben und darstellen. Dazu wird im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Neuregelung insbesondere gehören, dass mitgeteilt wird, ob die Straßenverhältnisse so waren, dass es erforderlich war, „Winterreifen“ zu benutzen. Das wird in der Regel anhand der Beschaffenheit der Fahrbahn ohne weiteres erkennbar sein, nämlich dann, wenn diese z.B. mit Schnee bedeckt ist. Hier ist die Rechtsprechung der OLG zur „Nässe“ entsprechend anwendbar sein (vgl. dazu zuletzt OLG Hamm NZV 2001, 90 = DAR 2001, 85), die für diese Fälle auch eine nähere tatsächliche Beschreibung fordert (vgl. auch Deutscher VRR 2011, ).

2.War der Pkw des Betroffenen mit ungeeigneten Reifen ausgestattet?

Aus dem Urteil muss sich ergeben, ob es sich bei den am Kraftfahrzeug angebrachten Reifen um einen „Winterreifen“ im obigen Sinn gehandelt hat.

3.Ist es durch die mangelhafte Ausstattung des Fahrzeugs mit nicht geeigneten Reifen zur Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen?

Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift (vgl. oben II) muss zwischen der mangelhaften Ausstattung und der Behinderung der anderen Verkehrsteilnehmer ein kausaler Zusammenhang bestehen. Ist der nicht gegeben, kann nicht nach Nr. 5a. 1 BKat eine Geldbuße von 80 € festgesetzt werden, sondern nur die Geldbuße von 40 € nach Nr. 5a BKat.

VIII. Ausblick

Die vorliegende Neureglung ist nicht das letzte Wort in der endlosen Geschichte um den „Winterreifen“. Der Bundesrat hat die Bundesregierung bereits gebeten/aufgefordert, rechtzeitig vor der Wintersaison 2011/2012 einen neuen Regelungsentwurf vorzulegen (BR-Drucks. 699/10/B, S. 3). Damit ist also schon im Herbst/Winter 2011 mit einer weiteren Neuregelung zu rechnen. Hintergrund ist die am 1. 1. 2011 in Kraft tretende VO 661/2009/EU, die neben die in Bezug genommene Richtlinie 92/23/EWG tritt, die zum 1. 11. 2017 aufgehoben wird.


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