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aus ZAP-Heft 22/2013, F. 22, S. 701

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Neuregelungen im Strafverfahren: (Schon wieder) Stärkung des Opferschutzes

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Inhaltsverzeichnis

I. Gesetzgebungsverfahren
II. Materiellrechtliche Änderungen im StGB und BGB
  1. Ruhen der strafrechtlichen Verjährung (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB)
  2. Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist
III. Strafverfahrensrechtliche Änderungen
  1. Allgemeines
  2. Ermittlungsverfahren
    a) Ausweitung der Video-Vernehmung im Ermittlungsverfahren (§ 58a StPO)
    b) Pflichtverteidiger (§§ 140 Abs. 1 Nr. 9, 140 Abs. 2 StPO)
    c) Nebenklage (§ 397a StPO)
    d) Gerichtliche Zuständigkeiten
    aa) Erstinstanzliche Zuständigkeit (§ 24 GVG)
    bb) Jugendschutzsachen (§ 26 GVG)
    e) Jugendstaatsanwalt (§ 36 JGG)
  3. Hauptverhandlung
    a) Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 171b GVG)
    b) Vernehmung des Zeugen zur Sache (§ 69 StPO)
    c) Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung (§ 255a StPO)
    d) Anhörung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 2 StPO)
    e) Urteilsverkündung (§ 268 StPO)
  4. Strafvollstreckung/Mitteilungspflichten (§ 406d StPO)

Die nachfolgenden Ausführungen behandeln die durch das Gesetz zur Stärkung der Rechts von Opfern im Strafverfahren (StORMG) vom 14. 3. 2013 im Strafrecht, Strafverfahren aber auch im BGB eingeführten Änderungen/Neuerungen

I. Gesetzgebungsverfahren

Im Strafverfahrensrecht ist in den vergangenen Jahren eine Entwicklung festzustellen, die das Strafverfahren durch eine immer stärkere Betonung der Opferrechte immer mehr umgestaltet. Im Strafverfahren steht an vielen Stellen nicht mehr der Angeklagte im Mittelpunkt, sondern eher das Opfer (vgl. dazu z.B. Barton JA 2009, 753; ders., StraFo 2011, 161; Caesar NJW 1998, 2313; Rieß, ZIS 2009, 466; weitere Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 3013 [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]. Ihren Ausgang hat die Entwicklung spätestens 1986 mit dem OpferschutzG vom 18.12.1986 (BGBl. I S. 2496) genommen. Sie ist dann fortgeführt worden mit dem ZeugenschutzG vom 8.5.1998 (BGBl. I S. 820), das den sog. Vernehmungsbeistand in § 68b StPO eingeführt hat und hat sich fortgesetzt mit dem OpferrechtsreformG vom 24.6.2004 (BGBl. I S. 1354) und dem 2. OpferrechtsreformG vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2280; vgl. dazu Burhoff StRR 2009, 364; Barton StRR 2009, 404). Inzwischen liegt dann noch das Gesetz zur Stärkung der Rechts von Opfern im Strafverfahren (StORMG) vom 14. 3. 2013 vor (BGBl. I, S. 1805; vgl. dazu schon Deutscher StRR 2013, 324). Dessen Änderungen gehen u.a. zurück auf die ab 2010 bekannt gewordenen und diskutierten Fälle sexuellen Missbrauchs von zur Tatzeit Minderjährigen in Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen. Die Bundesregierung hatte dazu einen sog. „Runden Tisches“ installiert, dessen Diskussionsergebnisse in das StORMG eingeflossen sind. Dies hat u.a. die Aufgabe „vereinzelt bestehende Schutzlücken“ zu schließen (BR-Drucks. 213/11, S. 7; s. auch noch BT-Drucks. 17/6261, S. 1; wegen der Einzelheiten s. unten II; zum Referentenentwurf des StORMG Eisenberg HRRS 2011, 64; zu den Stellungnahmen der Sachverständigen, http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=2401&id=1193).

Hinweis:

Das StORMG hat verschiedene Gesetze geändert. Die Änderungen sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft getreten bzw. werden in Kraft treten, und zwar

  • die Änderungen in StPO und GVG am 1. 9. 2013,
  • die Änderungen im JGG am 1. 1. 2014 und
  • die Änderungen im BGB am 30. 6. 2013.

Inhaltsverzeichnis

II. Materiellrechtliche Änderungen im StGB und BGB

Der Schwerpunkt der Änderungen und Neuerungen durch das StORMG liegt im verfahrensrechtlichen Bereich (vgl. dazu II, 2 f.). Folgende materiellrechtliche Änderungen sind jedoch von Bedeutung:

1. Ruhen der strafrechtlichen Verjährung (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB)

Die Vielzahl der in den letzten Jahren aufgedeckten Missbrauchsfälle hat den Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf den häufigen späten Entdeckungszeitpunkt und die Traumatisierung der Opfer veranlasst, für eine im ursprünglichen Gesetzesentwurf noch nicht enthaltene Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfrist in den Missbrauchsfällen zu plädieren (vgl. BR-Drucks. 213/11, S. 3). Die ist umgesetzt worden, indem § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB geändert worden ist. Danach ruht nunmehr bei Straftaten nach den §§ 174 bis 174c, 176 bis 179 und 225 StGB sowie nach den § 224 StGB und § 226 StGB, wenn mindestens ein Beteiligter durch dieselbe Tat § 225 verletzt ist, bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Opfers die Verjährung. Früher ruhte sie nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (näher BR-Drucks. 213/11/1, S. 3).

Hinweis:

Diese Änderungen führt zu einer Anpassung an das Zivilrecht, wo nach § 208 BGB die Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung jedenfalls bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers gehemmt ist.

Inhaltsverzeichnis

2. Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist

Auch im Zivilrecht ist die Verjährungsfrist verlängert worden. Nach dem neu eingefügten § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB verjähren, soweit nichts anderes bestimmt ist, Schadensersatzansprüche, die auf der vorsätzlichen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung beruhen, nun erst nach 30 Jahren. Dies trägt dem Umstand Rechnung (vgl. BR-Drucks. 213/13, S. 24 f.), dass die Opfer von Missbrauchstaten häufig sehr lange brauchen, um die Straftaten anzuzeigen und zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Vor Eintritt der Volljährigkeit können sie die zivilrechtlichen Ansprüche zudem nur mit Hilfe ihres gesetzlichen Vertreters gerichtlich durchsetzen. Eine fortbestehende Abhängigkeit vom Schädiger, Scham oder schwere seelische Erschütterungen können dazu führen, dass die Opfer und auch ihre gesetzlichen Vertreter die Taten lange nicht bei den Strafverfolgungsbehörden anzeigen oder zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend machen können oder wollen. Auch erwachsene Opfer brauchen aus denselben Gründen oft viele Jahre, bis sie eine Schadensersatzklage gegen einen Schädiger einreichen können, der sie sexuell missbraucht oder misshandelt hat. Im Übrigen droht die Gefahr der Verjährung auch, weil Opfer vielfach erst den Ausgang des entsprechenden Strafverfahrens abwarten wollen (BR-Drucks. 213/11, S. 24, 27).

Hinweis:

Die Neuregelung erfasst vertragliche wie gesetzliche Schadensersatzansprüche, ist aber auf vorsätzlich begangene Verletzungen beschränkt. Die Verlängerung der Verjährungsfrist gilt im Übrigen nicht nur für die Ansprüche, die sich gegen den Schädiger selbst richten, sondern wirkt sich auch auf die Schadensersatzansprüche gegen Dritte aus, die für das Fehlverhalten des Schädigers aus Vertrag oder Delikt haften müssen, weil es ihnen nach § 31 BGB oder § 278 BGB zuzurechnen ist (BR-Drucks. 213/13, S. 26 f.)

Es war zunächst vorgesehen, die Hemmung der Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs nach § 208 BGB entfallen zu lassen, weil diese nach Verlängerung der Bewährungszeit als nicht mehr erforderlich angesehen worden ist (vgl. BT-Drucks. 17/6261, S. 20). Man hat diese Regelung dann jedoch bestehen lassen, um die Verjährung auch in solchen Fällen auszuschließen, in denen wegen des jugendlichen Alters der Opfer zu Tatzeit auch die 30-jährige Verjährungsfrist zu kurz wäre (BT-Drucks. 17/12735, S. 24).

Inhaltsverzeichnis

III. Strafverfahrensrechtliche Änderungen

1. Allgemeines

Zur Erreichung des Ziels der gesetzlichen Neuregelungen/Änderungen – (weitere) Stärkung und weiterer Schutz von Opfern im Strafverfahren – hat das StORMG Regelungen eingeführt, mit denen Mehrfachvernehmungen durch eine Ausweitung der Bild-Ton-Aufzeichnungen besser vermieden werden können (dazu III, 2 a und 3 c). Zudem wird für volljährig gewordene Missbrauchsopfer die Bestellung eines Opferanwaltes erleichtert (vgl. dazu III, 2 c). Ferner werden die Regelungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit bei Hauptverhandlungen mit minderjährigen Opfern ergänzt (dazu III 3 a) und die Informationsrechte von Opfern erweitert (III, 4) . Schließlich hat man die Vorschriften über die Zuständigkeit der Jugendgerichte in Jugendschutzsachen präzisiert und die Qualifikationsanforderungen an Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte verbindlicher gefasst (vgl. dazu III 2 d und e) .

Inhaltsverzeichnis

2. Ermittlungsverfahren

a) Ausweitung der Video-Vernehmung im Ermittlungsverfahren (§ 58a StPO)

§ 58a StPO ist durch das ZeugenschutzG vom 8.5.1998 (BGBl. I S. 820) in die StPO eingefügt worden. Danach kann (im Ermittlungsverfahren) die Vernehmung eines Zeugen auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet werden (wegen der Einzelh. Burhoff, EV, Rn. 3217 ff.). Neu gefasst worden ist durch das StORMG § 58a Abs. 1 Satz 2 StPO.

Erweitert worden ist zunächst der Anwendungsbereich der Vorschrift auf die Personengruppe der Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und den weiteren in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren. Damit soll den Belangen von Personen Rechnung getragen werden, die als Minderjährige durch eine dieser Straftaten verletzt worden sind, zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung aber bereits das Erwachsenenalter erreicht haben (vgl. BT-Drucks. 6261, S. 2).

Außerdem sind die Voraussetzungen für die Anordnung einer Bild-Ton-Aufzeichnung neu gefasst worden. Nach dem neu gefassten Satz 2 soll eine Vernehmung „nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn – so die neu gefasste Nr. 1 - damit die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten verletzt worden sind, besser gewahrt werden können.

Hinweis:

Die Nr. 2 des Satz 2 hat man unverändert gelassen.

Der Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 17/6261, S. 10) verweist darauf, dass für die Entscheidung, ob mit einer Bild-Ton-Aufzeichnung der Vernehmung der in der Nr. 1 genannten Verletzten deren schutzbedürftige Interessen damit besser gewahrt werden können, eine sorgfältige Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. Meyer- Goßner, StPO, 56. Aufl., § 58a Rn. 4; Burhoff, EV, Rn. 3019 ff.) anzustellen ist, an die jedoch keine zu strengen Anforderungen an den opferschonenden Mehrwert einer Bild-Ton-Aufzeichnung gestellt werden dürften. Schutzwürdige Belange des Verletzten seien nicht nur dann gewahrt, wenn die Bild-Ton-Aufzeichnung eine erneute Vernehmung in der Hauptverhandlung gemäß § 255a Abs. 2 StPO vermeide (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 3447 ff.), sondern auch (schon) durch die Reduzierung der Anzahl der Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und andere mit einer Bild-Ton-Aufzeichnung möglicherweise verbundene Aspekte wie beispielsweise eine erhöhte Geständnisbereitschaft. Stets zu würdigen ist bei der Abwägung allerdings auch, inwieweit die Bild-Ton-Aufzeichnung eine besondere Belastung für den Zeugen mit sich bringen kann.

Hinweis:

Im Hinblick auf den von der Neuregelung verfolgten Zweck wird eine Bild-Ton-Aufzeichnung auf jeden Fall zu erstellen sein, wenn das Opfer bzw. sein Beistand das beantragen. Denn dieser Antrag zeigt, dass das Opfer auf ggf. entgegenstehenden schutzbedürftige Interessen verzichtet.

§ 58 Abs. 1 Satz 2 StPO ist jetzt so gefasst, dass die Bild-Ton-Aufzeichnung sowohl im Fall der (geänderten) Nr. 1 als auch im Fall der (nicht geänderten) Nr. 2 als richterliche Vernehmung erfolgen soll (vgl. BT-Drucks. 17/6261, S. 10). Das war bislang nicht vorgesehen, obwohl im Hinblick auf die Verwertungsregelung in § 255a Abs. 1 StPO viele der Vernehmungen als richterliche Vernehmungen durchgeführt worden sind. Die schließt polizeiliche Vernehmungen in Form von Bild-Ton-Aufzeichnungen nicht aus, das folgt schon aus der Formulierung - „soll“ (s. auch Deutscher StRR 2013, 324, 325, s. auch BT-Drucks 17/6261, s. 10 f.). Ggf. ist ihr sogar der Vorrang zu geben, weil sie oft unmittelbar im Zusammenhang mit der Anzeigeerstattung erfolgen kann, während eine richterliche Vernehmung schon mit Blick auf die Wahrung von Beteiligungsrechten (§ 168c Abs. 2 StPO) in der Regel nur zeitverzögert erfolgen kann und zudem wegen der größeren Anzahl der daran ggf. Beteiligten zu einer stärkeren Belastung des Zeugen führt.

Hinweis:

Bei Durchführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung ist allerdings stets auch zu bedenken, dass es sich bei der Aufzeichnung um ein den Unmittelbarkeitsgrundsatz tangierendes Surrogat handelt (Eisenberg HRRS 2011, 64, 66; Deutscher, a.a.O.).

Ggf. kann der Zeuge, wenn er nicht mit einer richterlichen Vernehmung einverstanden ist, Beschwerde einlegen (wegen der Einzelh. Burhoff, EV, Rn. 3225).  

Die Neuregelung lässt genügend Spielraum zur Berücksichtigung der o.a. Aspekte. Sie sind als maßgebliche Umstände zu würdigen und in die gesondert vorzunehmende Prüfung einzubeziehen, ob die richterliche Vernehmung neben der Bild-Ton-Aufzeichnung einen zusätzlichen Beitrag zur Wahrung der schutzwürdigen Belange des Zeugen (Nr. 1) bzw. zur Erforschung der Wahrheit (Nr. 2) zu leisten vermag. Nur wenn dies zu bejahen ist, gilt, dass die aufzuzeichnende Vernehmung als richterliche Vernehmung erfolgen soll.

Hinweis:

Von Bedeutung ist in dem Zusammenhang sicherlich auch der ab 1. 11. 2013 geltende neue § 58b StPO, der durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25.4.2013 (BGBl. I, S. 935) eingeführt worden ist (s. auch Deutscher, a.a.O.). Nach der Regelung kann die Zeugenvernehmung außerhalb der Hauptverhandlung in der Weise erfolgen, dass der Zeuge sich an einem anderen Ort aufhält als die Vernehmungsperson und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Aufenthaltsort des Zeugen und in das Vernehmungszimmer übertragen wird.

Wird die Vernehmung als richterliche Vernehmung durchgeführt, steht dem Verteidiger des Beschuldigten nach den allgemeinen Regeln ein Anwesenheitsrecht zu (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 3090 ff.).

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b) Pflichtverteidiger (§§ 140 Abs. 1 Nr. 9, 140 Abs. 2 StPO)

§ 140 Abs. 2 StPO hat bereits in der Vergangenheit die Bestellung eines Pflichtverteidigers als Regelfall vorgesehen, wenn dem Verletzten nach den §§ 397a und 406g Abs. 3 StPO seinerseits ein Rechtsanwalt als Beistand beigeordnet worden ist. Das StORMG hat das bisherige Regelbeispiel nunmehr als neue Nr. 9 in den Katalog des § 140 Abs. 1 StPO aufgenommen und zu einem zwingenden Tatbestand der notwendigen Verteidigung heraufgestuft. Damit soll sichergestellt werden, dass der Beschuldigte einem nach den §§ 397a und 406g Abs. 3 und 4 StPO beigeordneten Opferanwalt nicht alleine gegenübertreten muss, was dem Gesetzgeber unter dem Aspekt der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens problematisch erschien. Für die Änderung sollen nach Auffassung des Gesetzgebers aber auch Gesichtspunkte des Opferschutzes sprechen, da für das Opfer die Auseinandersetzung mit einem unverteidigten Angeklagten sehr viel belastender sein könne als der Umgang mit einem Pflichtverteidiger (vgl. BT-Drucks. 17/6261, S. 11).

Als Folgeänderung der neuen Nr. 9 in § 140 Abs. 1 StPO ist in § 140 Abs. 2 Satz 1 das Regelbeispiel entfallen. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/6261, S. 11) heißt es dazu: „Der Auffangtatbestand des § 140 Absatz 2 Satz 1 StPO bleibt unter Wegfall des Regelbeispiels der Beiordnung eines Opferanwalts erhalten und erfasst wie bislang beispielsweise den Fall, dass dem Verletzten zwar kein Anwalt beigeordnet wurde, jedoch ein von ihm selbst beauftragter Anwalt auftritt und dadurch im Einzelfall ein die Verteidigung beeinträchtigendes Ungleichgewicht entsteht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 25. August 1989, NStZ 1989, 542). „ Damit wird es bei dem in Rechtsprechung und Literatur bestehenden Streit bleiben, der an dieser Stelle unter dem Stichwort „Waffengleichheit“ geführt wird (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 2212). Von der wohl überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung wird auch in den Fällen i.d.R./grundsätzlich ein Pflichtverteidiger beigeordnet, u.a. das KG hat das allerdings vor kurzem abgelehnt (vgl. KG StRR 2012, 260).

Hinweis:

in § 141 Abs. 4 StPO ist eine Erweiterung der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorgenommen worden. Danach ist auch der Ermittlungsrichter zuständig ist, wenn die Staatsanwaltschaft dort eine richterliche Vernehmung nach § 162 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 StPO beantragt und sie eine Entscheidung durch Ermittlungsrichter zur Beschleunigung des Verfahrens für erforderlich hält. Damit sollen die Anberaumung richterlicher Vernehmungen im Ermittlungsverfahren erleichtert und Verzögerungen vermieden werden, die entstehen können, wenn vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung zunächst noch das für das Hauptverfahren zuständige Gericht mit der Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung befasst werden muss. Ob im Einzelfall aus Beschleunigungsgründen eine Entscheidung durch den Ermittlungsrichter erforderlich ist, hat die Staatsanwaltschaft zu beurteilen (BT-Drucks. 17/6261, S. 11 , 12).

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c) Nebenklage (§ 397a StPO)

In § 397a Abs. 1 StPO ist eine neue Nr. 4 eingefügt worden. Diese enthält die aus der früheren Nr. 4, die jetzt Nr. 5 geworden ist, ausgegliederten Taten nach den §§ 174 bis 182 und 25 StGB. Zwar hatten Kinder und Jugendliche, die durch eine dieser Taten verletzt worden sind, bereits nach früherem Recht Anspruch auf kostenlosen anwaltlichen Beistand (§§ 397a Abs. 1 Nr. 4, 406g StPO), hatte der Verletzte bei Antragstellung das 18. Lebensjahr bereits vollendet, besteht ein solcher Anspruch allerdings nur noch unter der einschränkenden Voraussetzung, dass die Tat ein Verbrechen ist oder der Verletzte seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann. Dies ist im Hinblick darauf, dass anwaltlicher Beistand auch nötig ist, wenn die entsprechende Straftat ein Vergehen ist, längere Zeit zurückliegt und der Verletzte zum Zeitpunkt des Ermittlungs- oder Strafverfahrens bereits das Erwachsenenalter erreicht hat, geändert worden. Die nach diesen Straftaten Verletzten fallen daher jetzt unter die neue Nr. 4, die auf die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Tat abstellt und damit zugleich auch die bei Antragstellung minderjährigen und in der bisherigen Nr. 4 genannten Verletzten erfasst. Für Verletzte, die die Schutzaltersgrenze von 18 Jahren zum Zeitpunkt der Tat bereits überschritten haben, sieht die neue Nr. 4 entsprechend der bisherigen Regelung einen von der fehlenden Fähigkeit zur Interessenwahrnehmung abhängigen Anspruch auf einen kostenlosen Opferbeistand vor (zum Opferanwalt s. auch Burhoff, EV, Rn. 3013).

Hinweis:

Gestrichen worden ist § 397a Abs. 3 Satz 3 StPO. Danach sind nunmehr auch die Entscheidungen über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nach Abs. 2 mit der Beschwerde anfechtbar. Es gelten die Regelungen für die Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die nach § 397a Abs. 1 StPO ergangen sind (Meyer-Goßner, StPO, 56 Aufl., 2013, § 397a, Rn. 21; Burhoff, EV, Rn. 3023).

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d) Gerichtliche Zuständigkeiten

aa) Erstinstanzliche Zuständigkeit (§ 24 GVG)

Nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG kann die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, des besonderen Umfangs oder der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim LG erheben. Durch das StORMG ist in § 24 Abs. 1 Satz 2 GVG jetzt erläutert, wann eine besondere Schutzbedürftigkeit nach Satz 1 Nr. 3 vorliegt. Das ist insbesondere der Fall, wenn zu erwarten ist, dass die Vernehmung für den Verletzten mit einer besonderen Belastung verbunden sein wird, und deshalb mehrfache Vernehmungen vermieden werden sollten. Damit ist der Aspekt der gravierenden psychischen Belastung durch Mehrfachvernehmungen nunmehr ausdrücklich als Regelbeispiel für das Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit in den Gesetzestext aufgenommen worden (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift Heghmanns DRiZ 2005, 291; von Galen StV 2013, 173).

Hinweis:

Um eine gerichtliche Überprüfung ihrer Entscheidung zu ermöglichen, muss die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung die Umstände angeben, aus denen sich die besondere Schutzbedürftigkeit ergibt, sofern diese nicht offensichtlich ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 24 GVG Rn. 5).

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bb) Jugendschutzsachen (§ 26 GVG)

Neu gefasst ist in § 26 Abs. 2 GVG die Frage der Anklageerhebung in Jugendschutzsachen bei den Jugendgerichten. Nach Satz 1 soll die Staatsanwaltschaft in diesen Fällen Anklage bei den Jugendgerichten erheben, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Kindern oder Jugendlichen, die in dem Verfahren als Zeugen benötigt werden, besser gewahrt werden können. Im Übrigen soll die Staatsanwaltschaft Anklage bei den Jugendgerichten nur erheben, wenn aus sonstigen Gründen eine Verhandlung vor dem Jugendgericht zweckmäßig erscheint. Nach der früheren Fassung sollte die Staatsanwaltschaft in Jugendschutzsachen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 GVG) Anklage bei den Jugendgerichten nur erheben, wenn in dem Verfahren Kinder oder Jugendliche als Zeugen benötigt werden oder wenn aus sonstigen Gründen eine Verhandlung vor dem Jugendgericht zweckmäßig erscheint. Die frühere zweite Alternative ist in dem neu gefassten § 26 Abs. 2 GVG als Auffangtatbestand in Satz 2 („Im Übrigen“) erhalten geblieben. Die erste Alternative ist jetzt in Satz 1 strikter formuliert: Es soll Anklage vor den Jugendgerichten erhoben werden, (vgl. dazu auch BT-Drucks. 213/11, S. 17). Das gilt im Übrigen nach dem neuen § 26 Abs. 3 GVG entsprechend für die Beantragung gerichtlicher Untersuchungshandlungen im Ermittlungsverfahren.

Hinweis:

Bei § 26 Abs. 2 GVG handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum, der Staatsanwaltschaft steht aber kein freies Wahlrecht zu, wo sie Anklage erhebt. Die Entscheidung ist für das Gericht nicht bindend und unterliegt der Überprüfung nach §§ 209, 209a Nr. 2 StPO (BT-Drucks. 213/11, S. 16, 17).

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e) Jugendstaatsanwalt (§ 36 JGG)

Nach dem neuen § 36 Abs. 1 Satz 2 JGG sollen Proberichter/-beamte im ersten Jahr ihrer Ernennung nicht zum Jugendstaatsanwalt bestellt werden sollen. Nach dem neuen Abs. 2 dürfen jugendstaatsanwaltliche Aufgaben Amtsanwälten nur übertragen werden, wenn diese die besonderen Anforderungen erfüllen, die für die Wahrnehmung jugendstaatsanwaltlicher Aufgaben an Staatsanwälte gestellt werden (Satz 1). Referendaren kann im Einzelfall die Wahrnehmung jugendstaatsanwaltlicher Aufgaben unter Aufsicht eines Jugendstaatsanwalts übertragen werden (Satz 2). Besondere Brisanz steckt in dem neuen § 36 Abs. 2 Satz 3 JGG: Danach dürfen Referendare die Sitzungsvertretung in Verfahren vor den Jugendgerichten nur unter der Aufsicht und im Beisein eines Jugendstaatsanwalts wahrnehmen.

Hinweis:

Deutscher weist darauf hin, dass, wenn es im Einzelfall gleichwohl dazu kommen sollte, dass in Sitzungen vor dem AG - Jugendrichter ein Referendar ohne Beisein eines Jugendstaatsanwalts als Sitzungsvertreter auftritt, mit Blick auf § 338 Nr. 5 StPO die Rüge eines Verstoßes gegen § 226 Abs. 1 StPO zu erwägen sei (Deutscher StRR 2013, 323, 327).

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3. Hauptverhandlung

a) Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 171b GVG)

Der Regierungsentwurf (vgl. BT-Drucks. 17/6261, S. 14) hatte zunächst nur eine unwesentliche Klarstellung hinsichtlich der Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung nach § 171b GVG – Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre – vorgesehen (allgemein zum Ausschluss der Öffentlichkeit Burhoff, HV, Rn. 374 ff.). Erst auf die Initiative des Rechtsausschusses des Bundestags ist es zu einer grundlegenden Neufassung und Umgestaltung der Vorschrift gekommen (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 22, 23). Danach gilt jetzt:

  • Nach § 171b Abs. 1 kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Neu ist die Vorgabe, dass die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, dabei zu berücksichtigen sind. Entsprechendes gilt hier wie auch bei Abs. 2 bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.
  • Die Öffentlichkeit soll nach Abs. 2 ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, oder gegen das Leben, wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des StGB) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a StGB ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Schließlich ist die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Abs. 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird.
  • Nach Abs. 3 ist die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Abs. 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
Hinweis:

Der Ausschluss der Öffentlichkeit findet nicht statt, soweit die geschützten Betroffenen dem Ausschluss widersprechen (§ 171b Abs. 4 GVG).

Die gerichtliche Entscheidung bleibt unanfechtbar (§ 171 b Abs. 5 GVG).

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b) Vernehmung des Zeugen zur Sache (§ 69 StPO)

§ 69 StPO regelt die Vernehmung des Zeugen zur Sache. Der Ablauf der Vernehmung ist durch einen neuen Abs. 2 Satz 2 erweitert worden. Danach ist Zeugen, die durch die Straftat verletzt sind, Gelegenheit zu geben, sich zu den Auswirkungen der Tat auf sie zu äußern. Der Gesetzgeber sieht diese Änderung als „Klarstellung“, die sicher stellen soll, dass die Opfer im Strafverfahren zu den Auswirkungen gehört werden und die verschuldeten Auswirkungen der Tat im Hinblick auf § 46 Abs. 2 StGB zum Gegenstand der Vernehmung des Verletzten gemacht werden (vgl. BT-Drucks. 17/6261, S. 11).

Diese Änderung/Ergänzung ist in der Literatur bereits kritisiert worden. Deutscher (StRR 2013, 324, 325) sieht sie unter Verweis auf die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO als „überflüssig“ an. Noch weiter geht Eisenberg (HRRS 2011, 64, 66), der darin einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung sieht. Die Kritik ist zutreffend. Die Regelung ist zumindest überflüssig und dient auch nicht unbedingt den Opferinteressen. Denn nicht selten wird sich in der Hauptverhandlung gerade um die Frage eine heftige Diskussion zwischen Gericht und Opferbeistand entwickeln, die der Zeuge ggf. nicht unbedingt in der Öffentlichkeit ausgetragen sehen möchte.

Hinweis:

Im Hinblick auf die von Eisenberg geäußerten Bedenken (HRRS 2011, 64, 66) muss der Verteidiger ggf. Fragen des Gerichts und/oder eines an der Hauptverhandlung teilnehmenden Opferanwaltes beanstanden (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 3649 ff.).

Der Vorsitzende muss ggf. ebenfalls zu weitgehende Fragen zurückweisen (s. auch Deutscher StRR 2013, 324, 325).  

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c) Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung (§ 255a StPO)

Die Vorführung einer nach § 58a StPO erstellten Bild-Ton-Aufzeichnung der Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren in der Hauptverhandlung ist in § 255a StPO geregelt (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 3447; s. auch oben III, 2a). Nach dessen Abs. 2 Satz 1 kann in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184g StGB) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 StGB), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a StGB die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken. Eingefügt worden ist ein neuer Satz 2, wonach das auch für Zeugen gilt, die Verletzte einer dieser Straftaten sind und zur Zeit der Tat unter 18 Jahre alt waren.

Hinweis:

Die Regelung führt dazu, dass die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung zukünftig auch bei erwachsenen Zeugen möglich ist, die als Minderjährige durch bestimmte Straftaten verletzt worden sind.

Die Ersetzung einer Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung ist damit jetzt auch dann zulässig, wenn der Zeuge Verletzter einer der in § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO genannten Straftaten ist, bereits das Erwachsenenalter erreicht hat, aber zum Zeitpunkt der Tat unter 18 Jahre alt war. Die Straftat, durch die der Zeuge als Minderjähriger verletzt worden ist, muss dabei Gegenstand des Verfahrens i.S. des Satzes 1 sein (BT-Drucks. 17/6261, S. 12). Das Gericht muss bei seiner Entscheidung über die vernehmungsersetzende Vorführung nach dem neuen Satz 2 ebenso wie bei Satz 1 andere, weniger einschneidende Möglichkeiten des Zeugenschutzes (vgl. §§ 247, 247a StPO) bedenken und insbesondere prüfen, ob die Schutzbedürftigkeit des Zeugen eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen vermag.

Eingefügt worden in § 255a Abs. 2 StPO ist außerdem ein neuer Satz 3, wonach das Gericht bei seiner Entscheidung für die vernehmungsersetzende Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung auch die schutzwürdigen Interessen des Zeugen zu berücksichtigen hat. Das soll den opferschützenden Charakter der Vorschrift verdeutlichen (BT-Drucks. 17/6261, S. 12), indem unterstrichen wird, dass das Gericht bei seiner Entscheidung auch zu prüfen hat, inwieweit die besondere Schutzbedürftigkeit eines minderjährigen Zeugen bzw. zukünftig auch eines zum Tatzeitpunkt minderjährigen Opferzeugen eine vernehmungsersetzende Vorführung der Bild-Ton-Aufnahme gebietet (vgl. zu den Kriterien und zur Abwägung Burhoff, HV, Rn. 3465 m.w.N.).

Hinweis:

Der frühere Satz 2 des Abs. 2 ist zum Satz 4 geworden. Danach ist nach wie vor eine „ergänzende Vernehmung“ des Zeugen nicht ausgeschlossen (vgl. dazu Burhoff HV, Rn. 3468

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d) Anhörung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 2 StPO)

Ebenfalls erst im Gesetzgebungsverfahren ist eine Erweiterung des § 246a StPO erfolgt (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 21). Nach dessen neuem Abs. 2 soll nach Anklageerhebung wegen einer Tat nach §§ 174 bis 174c, 176 bis 180, 181a und 182 StGB zum Nachteil eines Minderjährigen bei einer in Betracht kommenden psychiatrischen, psycho- oder sozialtherapeutischen Betreuungs- und Behandlungsweisung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung, der Verwarnung mit Strafvorbehalt oder der Führungsaufsicht sowie der Einstellung nach § 153a StPO ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

Hinweis:

Die Regelung ergänzt die allgemeine Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO und soll in einem möglichst frühen Stadium „Deliktskarrieren“ vorbeugen (vgl. BT-Drucks. 17/12735, S. 21).

Die Vorschrift gilt auch bei der Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO (vgl. auch der neue § 153a Abs. 1 Satz 3 StPO).

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e) Urteilsverkündung (§ 268 StPO)

In der früheren Fassung des § 268 Abs. 2 Satz 2 StPO, der die die Eröffnung der Urteilsgründe durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts regelt, fand sich nicht ausdrücklich ein Hinweis, dass bei der Eröffnung der Urteilsgründe ggf. auch der Schutz von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten berücksichtigt werden soll. Um dies klarzustellen, ist noch im Gesetzgebungsverfahren (vgl. 17/12735, S. 22) in Abs. 2 ein Satz 3 mit einem Hinweis darauf aufgenommen werden, dass bei der Eröffnung der Urteilsgründe auf die schutzwürdigen Interessen von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten Rücksicht genommen werden soll. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass statt der Verlesung der Urteilsbegründung nur der wesentliche Inhalt der Urteilsgründe mitgeteilt wird und bei dieser Darstellung auf solche Details aus den privaten Lebensbereichen der Betroffenen verzichtet wird, die deren schutzwürdige Interessen verletzen würden.

Hinweis:

Von besonderer Bedeutung ist diese „Klarstellung“ (vgl. BT-Drucksache 17/ 12735, a.a.O.) insbesondere in den Fällen, in denen während der Hauptverhandlung nach den §§ 171b, 172 GVG zum Schutz der Privatsphäre der Betroffenen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde. Die Neuregelung ergänzt also den Schutz der Betroffenen vor Verletzung ihrer Privatsphäre insoweit auch in Hinblick auf die Eröffnung der Urteilsgründe.

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4. Strafvollstreckung/Mitteilungspflichten (§ 406d StPO)

In § 406d Abs. 2 Nr. 2 StPO war das Recht des Verletzten, auf Antrag darüber informiert zu werden, ob dem Verurteilten Vollzugslockerung oder Urlaub gewährt wird, bislang auf erstmalig Vollzugslockerung oder Urlaub beschränkt. Das ist für die Zukunft in Nr. 3 dahin erweitert worden, dass der Verletzte nun auch darüber zu informieren ist, wenn dem Verurteilten erneut Vollzugslockerung oder Urlaub gewährt wird, sofern dafür ein berechtigtes Interesse dargelegt wird oder ersichtlich ist und kein über wiegendes schutzwürdiges Interesse des Verurteilten vorliegt, das eine solche Mitteilung ausschließt. Zwar muss der Verletzte grundsätzlich damit rechnen, dass auf die erstmalige Gewährung von Vollzugslockerungen und Urlaub weitere derartige Maßnahmen folgen und es zu einem Zusammentreffen mit dem Verurteilten kommen kann, so dass eine Mitteilung über die erstmalige Gewährung von Urlaub oder Vollzugslockerungen in den meisten Fällen als ausreichend erscheint. Die Gesetzesbegründung weit jedoch darauf hin, dass auch besondere Umstände vorliegen können, die ein berechtigtes Interesse des Verletzten an Folgemitteilungen begründen. Denkbar ist z.B., dass der Verurteilte gezielt den Kontakt zu dem Verletzten sucht, ohne dass sein Verhalten schon die Ablehnung von Lockerungen oder Urlaub rechtfertigen würde. Soweit derartige Umstände vom Verletzten dargelegt werden oder anderweitig ersichtlich sind, etwa aufgrund des Vollzugsverhaltens, soll dem Verletzten auf Antrag auch die nachfolgende Gewährung von Lockerungen und Urlaub mitgeteilt werden, es sei denn, ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Verurteilten steht dem entgegen (BT-Drucks. 17/6261, S. 12).

Hinweis:

Für erstmalige Vollzugslockerungen gilt weiterhin § 406d Abs. 2 Nr. 2 StPO.


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