aus ZAP-Heft 3/2016, F. 22, S. 861 ff.
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D. Münster/Augsburg
II. Recht des Zeugen (§ 48 StPO)
III. Benachrichtigung über Strafanzeige (§ 158 StPO)
IV. Hilfestellungen für der deutschen Sprache nicht mächtige
V. Informationsrechte/Hinweispflichten
1. Mitteilungen an den Verletzten
a) Befugnisse im Strafverfahren (§ 406i StPO)
b) Befugnisse außerhalb des Strafverfahrens (§ 406j StPO)
VI. Psychosoziale Prozessbegleitung (ab 1.1.2017)
Der Bundestag hat am 3.12.2015 u.a. das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (sog. 3. Opferrechtsreformgesetz [OpferRRG]) verabschiedet, welches teilweise bereits am 31.12.2015 in Kraft getreten ist, teilweise aber erst am 1.1.2017 in Kraft treten wird (BGBl I, S. 2525; s.u. VI.). Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die dadurch am 31.12.2015 in der StPO eingetretenen Änderungen und ihre praktischen Auswirkungen.
Die Neuregelungen haben entsprechend der erkennbaren Tendenz des Gesetzgebers aus den letzten Jahren (vgl. z.B. das 2. OpferRRG vom 29.7.2009, BGBl I, S. 2280; Burhoff ZAP F. 22, S. 483 ff.) die Rechte des Verletzten weiter ausgebaut und zu seinem weiteren Schutze sowie zum Schutz von Zeugen geführt. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (vgl. BT-Drucks 18/4621) diente dazu, die europarechtlichen Mindestvorgaben hinsichtlich der Verfahrensrechte von Verletzten im Strafverfahren in nationales Recht umzusetzen, wie sie sich aus der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl L 315 vom 14.11.2012, S. 57; sog. Opferschutzrichtlinie) ergeben. Diese hätten an sich, soweit die Vorgaben dieser Opferschutzrichtlinie nicht bereits in der Vergangenheit durch innerstaatliche Rechtsänderungen erfüllt waren (vgl. dazu z.B. das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs [StORMG] vom 26.6.2013; dazu Deutscher StRR 2013, 224 und zum Änderungsbedarf BT-Drucks 18/4621, S. 13 ff.) bis zum 16.11.2015 umgesetzt sein müssen.
Erneut geändert worden ist der bereits durch das 2. OpferRRG modifizierte § 48 StPO (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 22, S. 483 f.). Angefügt ist ein Absatz 3, nach dessen Satz 1 dann jetzt die einen Opferzeugen betreffenden Verhandlungen, Vernehmungen und sonstigen Untersuchungshandlungen verbindlich unter Berücksichtigung seiner besonderen Schutzbedürftigkeit durchzuführen sind.
Zu prüfen ist dabei nach § 48 Abs. 3 S. 2 StPO insbesondere, ob eine Vernehmung des Zeugen in Abwesenheit etwa des Angeklagten, § 168e StPO, bzw. eine audiovisuelle Vernehmung, § 247a StPO, oder ein Ausschluss der Öffentlichkeit von der Teilnahme an der Hauptverhandlung, § 171b Abs. 1 GVG, geboten sind und inwieweit auf Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen verzichtet werden kann (vgl. zu den besonderen Vernehmungsmethoden im Ermittlungsverfahren Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl. 2015, Rn 4178 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]; in der Hauptverhandlung Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl. 2016, Rn 419 ff., 1408 ff., 3307 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]).
Um eine möglichst frühzeitige Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Zeugen sicherzustellen, soll die Prüfung beim ersten hoheitlichen Auftreten der Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Verletzten erfolgen. Für den Bereich der staatsanwaltlichen und polizeilichen Ermittlungsarbeit ist dies regelmäßig die Vernehmung des Verletzten als Zeuge. Liegt bereits eine Einschätzung der besonderen Schutzbedürftigkeit durch eine Opferhilfeeinrichtung vor, so ist diese gem. § 48 Abs. 3 S. 4 StPO bei der Prüfung der staatlichen Behörden zu berücksichtigen.
Hinweis |
Da entsprechende Schutzmaßnahmen bereits ausreichend im deutschen Recht verankert waren, hat diese Neuregelung vor allem eine Klarstellungsfunktion: Die aufgeführten Mittel sollen in Verfahren mit vulnerablen Opfern die Regel und nicht die Ausnahme darstellen. Diesem Grundsatz sollen alle mit dem Verletzten hoheitlich in Kontakt tretenden Ermittlungsbehörden verpflichtet werden (vgl. BT-Drucks 18/4621, S. 23 f.). |
Der Anzeigeerstatter wurde in der Praxis bereits in der Vergangenheit schriftlich in Form einer Eingangsbestätigung über Aktenzeichen und ermittelnde Behörde betreffend eine Strafanzeige informiert. Hierzu regelt Nr. 9 RiStBV, dass der Eingang der Anzeige grundsätzlich zu bestätigen ist, sofern dies nicht nach den Umständen entbehrlich ist. Den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 der Opferschutzrichtlinie entsprechend, schreibt § 158 Abs. 1 S. 3 StPO nunmehr ausdrücklich die schriftliche Anzeigebestätigung auf Antrag des Verletzten vor. Hinsichtlich des Umfangs der Bestätigung sieht der nachfolgende Satz 4 vor, dass die vom Verletzten gemachten Angaben zu Tatzeit, Tatort und angezeigter Tat aufgenommen werden sollen. Eine detaillierte rechtliche Bewertung des geschilderten Sachverhalts kann und soll die aufnehmende Behörde zu diesem frühen Verfahrensstadium nicht vornehmen. Es genügt die in der Praxis gebräuchliche ungefähre Deliktsbezeichnung, also z.B. Diebstahl, Beleidigung oder Körperverletzung.
Hinweis |
Bei offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Anzeigen oder wenn sonst der Schutzbereich der Opferschutzrichtlinie verlassen wird, kann allerdings von einer Anzeigebestätigung abgesehen werden. Nach dem neuen Satz 5 soll es ausnahmsweise zulässig sein, eine beantragte Anzeigebestätigung nach pflichtgemäßem Ermessen bei Gefährdung des Untersuchungszwecks zu versagen. Dem Wortlaut nach orientiert sich dieser Ausnahmetatbestand an § 406e Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. dazu BT-Drucks 18/4621, S. 24; Burhoff, EV, Rn 280 ff.). |
Erweitert worden ist der Anspruch der Opfer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, auf Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen. So ist z.B. in § 158 Abs. 4 StPO Hilfestellung für sprachunkundige Antragsteller namentlich Hilfe bei der Verständigung, um die Anzeige in einer ihm verständlichen Sprache anzubringen, und die Übersetzung der schriftlichen Anzeigebestätigung in eine ihm verständliche Sprache vorgesehen. Die sprachliche Verständigungshilfe muss dabei nicht zwingend in der Hinzuziehung eines Dolmetschers bestehen. Ausreichend ist die zumindest hinlängliche Verständigung zwischen dem Verletzten und der die Anzeige aufnehmenden Person in einer gemeinsamen Fremdsprache oder die Unterstützung durch eine Begleitperson des Verletzten, die über ausreichende Kenntnisse beider Sprachen verfügt.
Hinweis |
Sprechen also z.B. sowohl der die Strafanzeige aufnehmende Polizeibeamte und der Anzeigeerstatter, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, Englisch bzw. können sich auf Englisch verständigen, dürfte das ausreichen. Ausreichend wird es auch sein, wenn der Verletzte einen Familienangehörigen mitbringt, der als Dolmetscher fungieren kann. |
Darüber hinaus ist an verschiedenen Stellen die entsprechende Anwendung des § 187 Abs. 1 bzw. des Abs. 2 GVG für den Verletzten/Nebenkläger normiert. Das ist einmal in § 171 S. 3 StPO betreffend die Bescheidung des Antragstellers durch die Staatsanwaltschaft der Fall, wenn der Verletzte nach § 395 StPO berechtigt wäre, sich der öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen.
Hinweis |
Voraussetzung ist aber ein Antrag auf Übersetzung. Den sollte der Rechtsanwalt, wenn er für den Verletzten Strafanzeige erstattet, stellen. |
Nach § 397 Abs. 3 StPO erhält der Nebenkläger, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, die in § 187 Abs. 2 GVG erwähnten Unterlagen, wie z.B. Anklage, Strafbefehl, Urteil, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist (vgl. dazu für den Beschuldigte/Angeklagten Burhoff, EV, Rn 3660 ff.).
Hinweis |
Auch hier ist ein Antrag erforderlich. |
In § 406d StPO sind die Informationsrechte des Verletzten zum Stand des Verfahrens teilweise erweitert worden. Neu ist z.B. die Regelung in § 406d Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO, wonach das Opfer jetzt über den Zeitpunkt und den Ort der Hauptverhandlung sowie über die gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen zu informieren ist. Nach der neuen § 406d Abs. 2 Nr. 3 StPO ist das Opfer nun ggf. auch zu informieren, wenn der Beschuldigte oder Verurteilte aus der Haft entflohen ist.
Hinweis |
Voraussetzung ist jeweils ein Antrag des (vermeintlichen) Opfers. |
Die Hinweispflichten sind in §§ 406i bis 406k StPO neu geordnet worden. In § 406i StPO ist die Unterrichtung des Verletzten über seine Befugnisse im Strafverfahren (s.u. V. 2. a), in § 406j StPO die Unterrichtung des Verletzten über seine Befugnisse außerhalb des Strafverfahrens geregelt (dazu s.u. V. 2. b). § 406k StPO enthält sog. weitere Informationen. Zudem sind die Regelung inhaltlich klarer gefasst worden, um das Auffinden und Verstehen der einschlägigen Normen zu erleichtern.
In der Vergangenheit enthielt § 406h StPO a.F. neben dem Verweis auf die aus den §§ 406d bis 406g StPO a.F. folgenden Befugnisse die Verpflichtung, Verletzte auf die Möglichkeit hinzuweisen, sich einem Strafverfahren oder einem Jugendgerichtsverfahren als Nebenkläger anzuschließen und dabei den Beistand eines Rechtanwalts oder Prozesskostenhilfe zu beantragen, in beiden Verfahren einen vermögensrechtlichen Anspruch im Wege des Adhäsionsverfahrens (§§ 404 ff. StPO) und einen Versorgungsanspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz (zur Opferentschädigung Lemke-Küch in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil I Rn 1 ff.) geltend zu machen. Daneben waren Verletzte auf die möglichen Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz sowie auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine Opferhilfeeinrichtung und psychosoziale Prozessbegleitung in Anspruch zu nehmen. Da sich die letztgenannten drei Belehrungspflichten auf Befugnisse außerhalb des eigentlichen Strafverfahrens beziehen, sind sie jetzt der neuen Einteilung folgend in § 406j StPO zu finden (s.u. V. 2. b).
Die in § 406i StPO verbliebenen Belehrungspflichten sind um drei neue Verpflichtungen ergänzt worden, und zwar:
Der neue § 406j StPO regelt die Belehrung des Verletzten über seine Befugnisse außerhalb des Strafverfahrens. Hier finden sich neben den früher in § 406h Nr. 3 bis 5 StPO enthaltenen Belehrungspflichten zwei neue, aufgrund der Verpflichtungen aus Artikel 4 der Opferschutzrichtlinie einzuführende Informationspflichten in den Nr. 1 und 4. Im Einzelnen:
Die weitreichendste Änderung ist m.E. ab dem 1.1.2017 in dem dann neuen § 406g Abs. 1 StPO (2017) enthalten. In der Vergangenheit musste das vermeintliche Opfer lediglich auf die Möglichkeit der sog. psychosozialen Prozessbegleitung hingewiesen werden.
Ab dem 1.1.2017 garantiert § 406g Abs. 1 StPO (2017) ein solches Recht auf Beistand für den Verletzten und ein korrespondierendes Anwesenheitsrecht des psychologischen Prozessbegleiters bei Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und während der Hauptverhandlung. Opfern schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten räumt die StPO dann sogar einen Rechtsanspruch auf die für sie kostenfreie Beiordnung eines solchen Begleiters ein, § 406g Abs. 3 S. 1, 3 StPO (2017).
Hinweis |
Das Gesetz über die psychosozial Prozessbegleitung im Strafverfahren (vgl. Art. 4 des 3. OpferRRG) und die sich daraus für die Praxis ergebenden Änderungen werden zum Zeitpunkt des Inkrafttretens am 1.1.2017 in einem eigenen Beitrag erläutert. |
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