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aus RVGreport 2005, 401

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Sind die Befriedungsgebühren Nr. 4114 VV RVG bzw. Nr. 5115 VV RVG Festgebühren?

von Detlef Burhoff, Richter am OLG, Münster

I. Problemstellung

Nach Nr. 4114 VV RVG bzw. Nr. 5115 VV RVG steht dem Rechtsanwalt, der dabei mitwirkt, dass eine Hauptverhandlung im Straf- oder im OWi-Verfahren entbehrlich wird, eine zusätzliche Gebühr - sog. Befriedungsgebühr - in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zu (wegen der Einzelheiten vgl. Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4114 VV RVG Rn. 1 ff; Nr. 5115 VV RVG Rn. 1 ff.). Nach Abs. 3 Satz 2 der jeweiligen Anmerkungen zu den Gebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG bemisst sich die Gebühr für den Wahlanwalt nach der Rahmenmitte. In der Rechtsprechung sind nun die ersten Entscheidungen bekannt geworden, die diese Regelung nicht dahin verstehen, dass es ich bei den Gebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG um Festgebühren handeln soll (vgl. AG Viechtach und LG Deggendorf RVGreport 2005, 431 [in diesem Heft]). Sie sind der Auffassung, die zusätzliche Gebühr für die Mitwirkung des Verteidigers an der Einstellung des Verfahrens sei unter Berücksichtigung der in § 14 RVG aufgeführten Kriterien zu bemessen, es handle sich somit um eine Rahmengebühr (vgl. AG Viechtach und LG Deggendorf, a.a.O., für Nr. 5115 VV RVG).

II. Lösung

Diese Auffassung ist falsch und muss mit der Bemerkung kommentiert werden: "Man sollte die Gesetzesbegründung lesen".

1. Wortlaut

Die Auffassung steht zunächst eindeutig im Gegensatz zum Wortlaut der Anmerkungen zu den Nr. 4114, 5151 VV RVG. Danach "bemisst" sich die Gebühr nach der Rahmenmitte. Deutlicher als durch diese Formulierung, die keinerlei Einschränkungen enthält, lässt sich nicht herausstellen, dass die Gebühr (immer) i.H.d. Rahmenmitte entstehen soll.

2. Gesetzessystematik

Die Auffassung steht auch im Gegensatz zur Gesetzessystematik. Danach ist der Hinweis in der rechten Gebührenspalte zu den Nr. 4141 VV RVG bzw. 5115 VV RVG - "in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr (ohne Zuschlag)" - von der Regelung in Abs. 3 Satz 2 der jeweiligen Anmerkung zu trennen und zu unterscheiden. Die Gesetzessystematik ist so gewählt, dass der Hinweis in der rechten Gebührenspalte, wonach die Befriedigungsgebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr ohne Zuschlag entsteht, nur darauf hinweist, dass sich die Befriedungsgebühr nach der Verfahrensgebühr der Instanz bzw. dem Verfahrensabschnitt bestimmt, in dem die Hauptverhandlung entbehrlich geworden ist. Dieser Hinweis hat nicht (auch) die Bedeutung, dass eine Bemessung der Befriedungsgebühr nach § 14 RVG vorzunehmen ist. Vielmehr ist die Höhe der Gebühr für den Wahlanwalt in Abs. 3 Satz 2 der Anmerkungen geregelt. Danach "bemisst" sich seine Gebühr nach der Rahmenmitte. Diese Regelung wäre im Übrigen überflüssig, wenn der Hinweis in der rechten Gebührenspalte auch die Bedeutung hätte, dass dort wegen der Bemessung der Verfahrensgebühr auf die Kriterien des § 14 RVG verwiesen würde.

3. Gesetzesbegründung in der BT-Drucksache 15/1971

Die vom AG Viechtach und dem LG Deggendorf vorgenommene Auslegung widerspricht den vom Gesetzgeber mit der Reform des anwaltlichen Gebührenrechts verfolgten Zielen. Eins dieser Ziele war die gebührenrechtliche Verfahrensvereinfachung (BT-Drucksache 15/1971, S. 144 ff.; Burhoff, a.a.O., A. Einführung, Rn. 31 ff.). Im Hinblick auf dieses erklärte Ziel des Gesetzgebers sollte gerade die Befriedungsgebühr immer als Mittelgebühr anfallen, weil eine Bemessung der Gebühr nach § 14 RVG nur schwer möglich ist (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 228 und 230). Mit der Einführung der Festgebühr sollten die nach altem Recht häufig aufgetretenen Schwierigkeiten, die bei einer einzelfallbezogenen Bemessung anfallen, im Hinblick auf Ververfahrensvereinfachung und -beschleunigung vermieden werden (vgl. Burhoff, a.a.O., Nr. 5115 Rn. 38 und Nr. 4141 VV RVG Rn. 41; vgl. auch AG Aschaffenburg AGS 2003, 403 zu den Schwierigkeiten bei einer einzelfallbezogenen Bemessung der Befriedungsgebühr). Dabei ist dem Gesetzgeber allerdings in der Gesetzesbegründung insofern ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen, als es dort heißt, dass die Mittelgebühr "grundsätzlich" maßgebend sein soll (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 228). Dem widerspricht aber der eindeutige Wortlaut der Anmerkung, der Ausnahmen nicht zulässt, und der vom Gesetzgeber selbst dargestellte Zweck der Regelung (so auch Burhoff, a.a.O.; Nr. 4141 Rn. 41). Dieser Formulierung kann also keine Bedeutung zukommen.

Die Auslegung der Anmerkungen in dem Sinne, dass dort eine "Festgebühr" eingeführt worden ist, ist auch - entgegen der Ansicht des AG Viechtach und des LG Deggendorf - nicht systemwidrig. Sie führt vielmehr gerade zu der vom Gesetzgeber gewünschten Vereinfachung der Gebührenfestsetzungsverfahren, indem Streit über die Höhe der Gebühren Nr. 5115, 4114 VV RVG vermieden wird. Die beiden anders lautenden Entscheidungen zeigen anschaulich, wohin die andere Auslegung führt.

4. Systembrüche bei den Gebühren des Pflichtverteidigers und des Wahlanwalts

Die Ansicht von AG Viechtach und LG Deggendorf führt zu Systembrüchen im Gefüge der Gebühren des Wahlanwalts und des Pflichtverteidigers.

Zunächst ist die Frage zu stellen, in welcher Höhe nun eigentlich dem Pflichtverteidiger Gebühren zustehen. Richtet sich die Höhe nach der "jeweiligen Verfahrensgebühr", die dem Pflichtverteidiger z.B. nach Nr. 4104 VV RVG oder Nr. 5109 VV RVG zustehen würde? Oder ist das eine Verfahrensgebühr, deren Höhe sich auf der Grundlage einer zunächst für den Wahlanwalt als angemessenen Verfahrensgebühr errechneten Gebühr berechnet, wovon der Pflichtverteidiger dann 80% erhalten würde. Das wäre an sich aus Gründen der Gleichbehandlung der richtige Weg, dem aber dann wohl die Formulierung des Absatz 3 Satz 2 der jeweiligen Anmerkung entgegensteht. Denn die gilt eben nur "für den Wahlanwalt".

Ein Systembruch liegt sicherlich darin, dass in dem ein oder anderen Fall die Festsetzung der "jeweiligen Verfahrensgebühr" für den Pflichtverteidiger dazu führen könnte, dass er ggf. gebührenmäßig besser gestellt wäre als der Wahlanwalt. Das wären nämlich die Fälle, in denen dem Wahlanwalt noch nicht einmal 80% der Mittelgebühr zugebilligt würden und er damit eine Gebühr erhalten würde, die der Höhe nach unter der für Pflichtverteidiger geltenden Berechnungsgrundlage erhalten würde. Das wäre mit Sicherheit systemwidrig und in Fällen, in denen Wahlanwalt und Pflichtverteidiger gemeinsam denselben Beschuldigten vertreten haben, nicht zu erklären.

5. Herrschende Meinung in der Literatur

Schließlich ist auch der Hinweis in der Entscheidung des LG Deggendorf, dass die Kommentarliteratur zur Bemessung der Gebühr Nr. 5115 VV RVG uneinheitlich sei, nicht nachvollziehbar. Soweit ersichtlich, vertritt nur der vom LG Deggendorf zitierte Kommentar von Hartmann diese falsche Auffassung. Die übrige Kommentarliteratur geht von der Anwendung von Abs. 2 Satz 3 der Anm. zu Nr. 5115 VV RVG und dem Entstehen einer Mittelgebühr aus (vgl. u.a. Burhoff, a.a.O.; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., 5115 VV Rn. 53 und 4141 Rn. 31; AnwKomm/N.Schneider, RVG, 2. Aufl., VV 5115 Rn. 54; Schneider in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Teil 15 Bußgeldsachen Rn. 233; Riedel/Sußbauer/Schmahl, RVG, 9. Aufl., Teil 5 VV RVG Rn. 63).

6. Auswirkungen auf die Praxis

Es ist zu hoffen, dass die Entscheidungen des AG Viechtach und des LG Deggendorf vereinzelt bleiben. Die Verteidiger, die mit diesen Gebührenfragen befasst sind, sollten die entsprechenden Rechtsmittel einlegen, um für die richtige Gesetzesanwendung zu sorgen. Das gilt auch für die Bußgeldverfahren in Bayern soweit die Verfahren noch im Verfahrensabschnitt "Verfahren vor der Verwaltungsbehörde" eingestellt worden sind und damit zunächst nur die zentrale Bußgeldstelle, die ihren Sitz im Bezirk des AG Viechtach hat, beteiligt ist. Weder das AG Viechtach noch das LG Deggendorf sind gegen bessere, nämlich richtige Einsicht gefeit.


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