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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 618/2000 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, wann ein Hinweis nach § 265 Abs. 4 StPO dazu erforderlich ist, dass das Gericht aus eingestellten Ermittlungsverfahren auf die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen schließen will.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Hinweispflicht des Gerichts, Beweiswürdigung, Sachverständigengutachten, eigene Sachkunde des Gerichts

Normen: StPO 265, StPO 244

Beschluss: Strafsache gegen S. S. wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der
14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 16. Februar 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.07.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe :
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 30. August 1999 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Körperverletzung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden.

Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten ist durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 16. Februar 2000 verworfen worden.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte, seinerzeit Betreiber der Diskothek "Sam's", in Bochum, in der Nacht zum 2. August 1997 im Verlaufe einer Auseinandersetzung um eine verlorene Geldbörse und darauf beruhender Zahlungsunfähigkeit einen Gast, den Zeugen M.F., getreten und geschlagen, einen weiteren Gast, den Zeugen T.F., geschlagen sowie die hinzugekommene Zeugin G.K. beleidigt. Durch die Schläge und Tritte erlitt der Zeuge M.F. Schädel- und Rippenprellungen, eine Jochbeinprellung, Verletzungen des Rachenraumes, der Zunge, eine Absplitterung des oberen Vorderzahns sowie Prellungen am Ellenbogen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und im Einzelnen begründete Revision des Angeklagten, mit der die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine kleine Strafkammer eines anderen Landgerichts im OLG-Bezirk Hamm erstrebt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Der Angeklagte hat durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 27. Juni 2000 zu den Ausführungen der Staatsanwaltschaft Stellung genommen.

II.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.

1.
Die Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 4 StPO, Art. 103 Abs. 1 GG greift nicht durch.

Die Revision hat dazu - zusammengefasst - folgendes ausgeführt:

Die Strafkammer habe, gestützt auf zwei auszugsweise Beiakten, deren Gegenstand zwei gegen den Angeklagten geführte, später eingestellte Ermittlungsverfahren jeweils wegen des Vorwurfs der Körperverletzung, in einem Falle zum Nachteil eines Gastes der Diskothek "Sam's", gewesen sei, sowie die Aussage eines
als Zeugen vernommenen Polizeibeamten der Entlastungszeugin K., einer Mitarbeiterin des Angeklagten, keinen Glauben geschenkt. Entgegen Art. 6 Abs. 3 a MRK, Art. 103 Abs. 1 GG und § 265 Abs. 4 StPO habe das Gericht den Angeklagten und seinen Verteidiger auf die beabsichtigte Verwertung der eingestellten Ermittlungsverfahren nicht hingewiesen.

Das angefochtene Urteil verhält sich zu der Aussage der Zeugin K. und deren Glaubwürdigkeit wie folgt:

"Auch die Zeugin K. hat zur Überzeugung der Kammer eine vorsätzliche Falschaussage gemacht. Auf die Frage, ob es über das vorliegende Geschehen hinaus in anderen Fällen Auseinandersetzungen zwischen einem Gast und dem Personal der Diskothek Sam's gegeben habe, hat sie angegeben: Verbale Auseinandersetzungen wegen Zahlungsproblemen gebe es ab und zu. Sie sei jetzt 3 1/2 Jahre in der Diskothek tätig. Eine körperliche Auseinandersetzung zwischen einem Gast und dem Personal habe sie nie miterlebt, auch nicht von einer solchen gehört. Dabei ist sie auf Rückfrage geblieben. Ihr ist sodann das Geschehen vom 18.01.1998 vorgehalten worden, das Gegenstand des unter I. a. genannten Verfahrens 65 Js 300/98 StA Bochum ist. Nach den Bekundungen des Zeugen PK R., an deren Richtigkeit zu zweifeln sich keinerlei Anlas ergeben hat, ist damals von den eingesetzten Polizeibeamten folgendes ermittelt worden, was R. in einer Strafanzeige niedergelegt hat: Nachdem es zu Unstimmigkeiten wegen der Bezahlung einer Verzehrkarte gekommen war, die sodann jedoch von dem Gast bezahlt worden war, wie der Gast und der Angeklagte damals übereinstimmend angegeben haben, kam es zwischen dem Angeklagten und dem Gast zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Nach Angaben des Gastes hatte zunächst der Angeklagte den Gast von hinten angefasst, worauf der Gast dem Angeklagten einen Schlag ins Gesicht versetzte und anschließend der Angeklagte auf den Gast einschlug und ihm im Gesicht traf. Nach Angaben des Angeklagten hatte als erster der Gast ihm ins Gesicht geschlagen, worauf eine Schlägerei folgte. Nach dem Eintreffen der Polizei fanden weitere verbale Attacken zwischen dem Angeklagten und dem Gast statt, so dass sie räumlich getrennt werden mussten, um eine Abklärung des Sachverhalts zu ermöglichen. Alle befragten Zeugen bestätigten, dass zwischen dem Angeklagten und dem Gast eine Schlägerei stattgefunden habe. Unter den in der Anzeige aufgeführten Zeugen befindet sich auch die Zeugin K., die - ebenso wie die anderen Zeugen- mit ihren vollen Personalien aufgeführt ist. Der Angeklagte wurde auf eigenen Wunsch mit einem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Auf Vorhalt dieses von R. geschilderten Geschehens hat die Zeugin K. erklärt: Daran habe sie keinerlei Erinnerung. Vielleicht sei sie nur deshalb als Zeugin aufgeführt, weil es um die Nichtbezahlung einer Verzehrkarte gegangen sei, wozu sie als Kassiererin habe Angaben machen können. Wenn es bei ihrer Befragung nur darum gegangen sei, sei es möglich, dass sie das nicht in Erinnerung behalten habe. Sie habe keine Erinnerung daran, dass sie jemals von der Polizei nach einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Personal der Diskothek Sam's und einem Gast gefragt worden sei. Dabei, sich an ein solches Geschehen nicht erinnern zu können, ist K. bei ihrer erneuten Vernehmung in der Berufungshauptverhandlung am 07.02.2000 geblieben. Diese Angaben der Zeugin K. sind zur sicheren Überzeugung der Kammer vorsätzlich falsch. Zwar hat R. insoweit erklärt: Er habe keine Erinnerung mehr daran, wie es zu der Aufnahme der Zeugin K. in die Zeugenliste gekommen sei und welcher Beamte mit ihr gesprochen habe. Dass sie in die Liste der befragten Zeugen aufgenommen worden sei, bedeute jedoch, dass sie auch befragt worden sei. Wenn nur von einem anderen angegeben werde, eine bestimmte Person habe das Geschehen auch mitbekommen, diese Person jedoch nicht befragt werde, so werde das in der Anzeige entsprechend deutlich gemacht mit dem Hinweis, diese Person müsse noch befragt werden. Der Inhalt der Anzeige ergebe, dass nach seinen damaligen Informationen auch K. angaben zu der Schlägerei gemacht habe. Denn sonst hätte er nicht in die Anzeige aufgenommen, dass "nach Angaben aller Zeugen" eine Schlägerei stattgefunden habe, vielmehr wenn etwa K. nur etwas zu den Unstimmigkeiten in Bezug auf das Bezahlen der Verzehrkarte hätte sagen können, das in dem Anzeigentext deutlich gemacht. Er könne allerdings - für den Fall, dass er K. nicht selbst befragt habe- nicht ausschließen, dass es insoweit zu einem Missverständnis zwischen ihm und dem Kollegen, der in von der Befragung von K. unterrichtet habe, gekommen sei. Damit ist schon wenig wahrscheinlich, dass K. damals gesagt haben könnte, sie habe die tätliche Auseinandersetzung nicht selbst wahrgenommen. Aufgrund der Gesamtumstände ohne weiteres auszuschließen ist zur sicheren Überzeugung der Kammer, dass K. von der tätlichen Auseinandersetzung nichts gehört hat. Denn diese hatte sich vor der Diskothek und damit in ihrer unmittelbaren Nähe abgespielt. Die eingesetzten Polizeibeamten hatten auch in der Diskothek ermittelt, dabei auch K. befragt, wie ihre Aufnahme in die Zeugenliste zeigt. Dass K. nur nach den Problemen bei der Bezahlung der Verzehrkarte gefragt worden sein könnte, ist angesichts ihrer Nähe zum Tatgeschehen mehr als fernliegend, wobei noch hinzu kommt, dass es um die Verzehrkarte gar nicht mehr ging, weil diese bezahlt war, wie die Beamten übereinstimmend von dem Angeklagten und dem Gast gehört hatten. Als außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit liegend auszuschließen ist, dass nach dem Geschehen nicht zwischen den Bediensteten der Diskothek, damit auch mit der Zeugin K. darüber gesprochen worden ist, zumal der Angeklagte, ihr Chef, mit einem Krankenwagen abtransportiert worden war. Dass das vorstehend angesprochene Geschehen in der Zwischenzeit - die rund ein halbes Jahr kürzer ist als die Zeit seit dem Geschehen, das Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, wobei K. durch die Art ihrer Angaben deutlich gemacht hat, dass sie sich an das vorliegende Geschehen noch sehr gut erinnern könne- vergessen haben könnte, ist ohne weiteres auszuschließen, zumal sie auch selbst erklärt hat, es nur für möglich zu halten, Unstimmigkeiten beim Bezahlen einer Verzehrkarte aus der Erinnerung verloren zu haben. Nach alledem steht zur sicheren Überzeugung der Kammer fest, dass K. in dem vorstehend angesprochenen Punkt eine vorsätzliche Falschaussage gemacht hat. Das Motiv dafür lag ersichtlich darin, dass sie glaubte, es spreche nicht für den Angeklagten, wenn dem vorliegenden Geschehen ähnliche Vorfälle mit Tätlichkeiten unter seiner Beteiligung dem Gericht bekannt würden, wobei sie ersichtlich keine Kenntnis davon hatte, dass die diesbezügliche Ermittlungsakte dem Gericht vorlag. Auch wenn die vorsätzliche Falschaussage der Zeugin K. mit dem Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nicht unmittelbar etwas zu tun hat, so erschüttert sie jedoch die Glaubwürdigkeit der Zeugin K. in einer solchen Weise, dass auch ihren übrigen Angaben ein Beweiswert nicht zugemessen werden kann. ..."

Eine unmittelbar auf § 265 StPO oder dem Rechtsgedanken dieser Vorschrift beruhende Verpflichtung der Strafkammer, den Angeklagten und seinen Verteidiger auf die Verwertung der Beiakten hinzuweisen, ist nicht ersichtlich.

§ 265 StPO dient der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Angeklagten und seinem Schutz vor Überraschungen im Falle der Veränderung rechtlicher oder tatsächlicher Gesichtspunkte (vgl. BGHSt 23, 95, 96; 25, 287, 289; 29, 274, 278; OLG Hamm NJW 1980, 1587). Der Angeklagte darf nicht mit der Feststellung einer erheblichen Tatsache überrascht werden, auf die er weder durch die Anklage noch durch den Eröffnungsbeschluss so vorbereitet ist, dass er sich äußern konnten (vgl. BGHSt 11, 88, 91; NStZ 94, 422). Dies gilt insbesondere im Falle der Änderung eines für die Verurteilung wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunktes (so in den von der Revision zitierten Entscheidungen des BGH in StV 1991, 149 - veränderte Tatzeit - und BGHSt 28, 196 - Änderung der tatsächlichen Grundlage des Schuldvorwurfs).

Im vorliegenden Falle kann jedoch weder von einer Änderung eines für die Verurteilung eines für die Verurteilung wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunktes noch von einer darauf beruhenden Überraschung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers die Rede sein. Die Strafkammer hat lediglich aufgrund der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise die Glaubwürdigkeit der vom vormaligen Verteidiger des Angeklagten benannten Zeugin K. umfassend und nachvollziehbar gewürdigt. Sämtliche Gesichtspunkte, auf die die Strafkammer ihre Überzeugung von der Unglaubwürdigkeit der Zeugin gestützt hat, konnten der Angeklagte und sein Verteidiger ohne weiteres dem Gang der Hauptverhandlung entnehmen. Für einen Hinweis nach § 265 StPO war daher kein Raum.

2.
Soweit die Revision mit weiteren Rügen im Ergebnis geltend macht, die Strafkammer hätte sich, ohne ausreichende Darlegung eigener Sachkunde, bezüglich der von dem Zeugen M.F. erlittenen Verletzungen nicht auf die Verlesung ärztlicher Atteste beschränken dürfen, vielmehr sei, wie beantragt, die Erstattung eines chirurgischen Sachverständigengutachtens unerlässlich gewesen, gilt Folgendes:

Ärztliche Atteste über Körperverletzungen, die, wie hier, nicht zu den schweren gehören, können gemäss § 256 Abs. 1 StPO verlesen werden. Bei den von der Strafkammer festgestellten einfachen Verletzungen, die nach allgemeiner Lebenserfahrung, ohne dass es der Darlegung besonderer medizinischer Sachkunde bedarf (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 244 Rdnr. 73 m.w.N.), ohne weiteres durch Tritte und Schläge entstehen können, bedarf es zur Frage der Kausalität keines ärztlichen Gutachtens, zumal die Strafkammer die Wucht und Härte der Körperverletzungshandlungen nicht festgestellt hat, so dass die für die von der Verteidigung beantragte Beweiserhebung erforderlichen Anknüpfungstatsachen nicht vorlagen.

Nach alledem hat die Strafkammer, indem sie sich auf die Verlesung der ärztlichen Atteste beschränkt hat, weder ihre Aufklärungspflicht verletzt noch den Beweisantrag auf Einholung eines chirurgischen Sachverständigengutachtens rechtsfehlerhaft abgelehnt.

Der Senat sieht, eben weil die Strafkammer die Wucht und Härte der Körperverletzungshandlungen nicht festzustellen vermochte, auch nicht die mit der Revision gerügten Widersprüche im angefochtenen Urteil. Dass die Strafkammer die für ein Sachverständigengutachten erforderlichen Anknüpfungstatsachen nicht für gegeben erachtet hat, lässt nicht den Schluss auf fehlende Sachkunde zu.

3.
Die auf die Sachrüge im Übrigen vorzunehmende Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt ebenfalls keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Die in sich widerspruchsfreien, nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßenden und vollständigen Feststellungen tragen die Verurteilung. Entgegen der Auffassung der Revision hat sich die Strafkammer auch in ausreichendem Maße mit der Frage, aus welchen Gründen sich die Zeugen M.F. und Briese zweieinhalb Jahre nach der tätlichen Auseinandersetzung absolut sicher sind, dass es sich bei dem damaligen Türsteher nicht um G. und der zur Tatzeit tätigen Kassiererin nicht um K. gehandelt hat, auseinandergesetzt. Insoweit handelt es sich bei den diesbezüglichen Ausführungen der Revision, die im Übrigen die entsprechende Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil um wesentliche Passagen verkürzt wiedergibt, um unzulässige Angriffe gegen die tatrichterlichen Feststellungen und die darauf beruhende Beweiswürdigung.

Die nach Auffassung der Revision ermessensfehlerhaften Strafzumessungserwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung ebenfalls stand.

III.
Die Revision war daher nach alledem mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.


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