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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 148/99 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Annahme von Fluchtgefahr bei Verhängung einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren, wenn das Gericht sich an eine angeblich mit allen Beteiligten getroffene Absprache, nur eine Freiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten zu verhängen, nicht gehalten hat und der Angeklagte nun Revision einlegt.

Senat: 2

Gegenstand: Haftbeschwerde

Stichworte: Fluchtgefahr, hohe Freiheitsstrafe, nicht eingehaltene Absprache

Normen: StPO 112

Fundstelle: StraFo 1999, 248

Beschluss: Strafsache gegen D.P.,
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, (hier: Haftbeschwerde des Angeklagten)

Auf die Haftbeschwerde des Angeklagten vom 22. April 1999 gegen den Haftbefehl der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 19. April 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.05.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der Haftbefehl vom 19. April 1999 wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:
Dem Angeklagten ist mit der durch Beschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 23. Oktober 1998 sexueller Missbrauch von Kindern in 238 Fällen, begangen in der Zeit von Herbst 1991 bis 1997, vorgeworfen worden.

Die Hauptverhandlung gegen den auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten fand am 6. und 7. April 1999 vor der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum statt, das den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 236 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt hat. Ausweislich der bereits vorliegenden schriftlichen Urteilsgründe hat der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten in vollem Umfange eingeräumt.

Nachdem der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. April 1999 Revision eingelegt hatte, hat die Staatsanwaltschaft unter dem 19. April 1999 den Erlass eines Haftbefehls beantragt, da nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nunmehr, nach Einlegung des Rechtsmittels, in Anbetracht der konkreten Freiheitsstrafe von fünf Jahren zu befürchten sei, der Angeklagte werde die gewonnene Zeit zur Flucht nutzen. Zuvor, am 14. April 1999, hatte der Angeklagte in Begleitung seines Verteidigers zu Protokoll der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Bochum eine Erklärung abgegeben, wonach er von seinem Verteidiger davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen ihn stellen könnte. Er stehe weiterhin zu seinem in der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis und werde im Falle des Erlasses eines Haftbefehls sich selbst stellen.

Der von der Strafkammer antragsgemäß erlassene Haftbefehl, der das Vorliegen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 1 StPO dahinstehen lässt, verhält sich zum Haftgrund der Fluchtgefahr wie folgt:

,,Die Fluchtgefahr folgt daraus, dass der Angeklagte zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe in vorgenannter Höhe verurteilt worden ist, was naturgemäß einen erheblichen Fluchtanreiz darstellt. Der berufliche und soziale Werdegang des Angeklagten, der mehrere gescheiterte Ehen hinter sich hat und seine Arbeitsstellen stets nach kurzer Zeit sei es aus eigenem Antrieb oder kündigungsbedingt - aufgegeben hat, zeigt, dass tragfähige soziale Bindungen, die den Fluchtanreiz ausschließen könnten, nicht vorhanden sind. Die nach dem Scheitern der Ehe mit der Mutter der Nebenklägerin eingegangene neue Beziehung des Angeklagten zu einer Frau mit deren minderjährigem Kind ist auch schon wieder in die Brüche gegangen. Der aufgrund der verhängten Freiheitsstrafe bestehende Fluchtanreiz wird noch dadurch erhöht, dass der Angeklagte in nicht unerheblichem Umfang (ca. 25.000,- DM) verschuldet ist, zudem rückständige Unterhaltszahlungen aufgelaufen sind und erhebliche Schadensersatzforderungen der Nebenklägerin auf ihn zukommen können, so dass die mit einer Inhaftierung zwangsläufig verbundene Schuldenlast einen besonderen zusätzlichen Anreiz geben kann, sich durch Flucht der Staatsgewalt zu entziehen."

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner zulässigen Haftbeschwerde, der das Landgericht mit näherer Begründung, auf die Bezug genommen wird, nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Das Rechtsmittel ist begründet und führt zur Aufhebung des Haftbefehls.

Die Strafkammer und die Generalstaatsanwaltschaft gehen zwar zutreffend davon aus, dass eine verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren grundsätzlich die Annahme von Fluchtgefahr nahe legt. Allein die hohe Straferwartung kann die Fluchtgefahr indes nicht begründen, wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (vgl. Beschlüsse vom 15. Oktober 1998 - 2 Ws 474/98 - StV 1999, 37 - und 27. November 1998 - 2 Ws 554/98 - StV 1999, 215; vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 112 Rdnr. 24 m.w.N.). Die Beurteilung der Fluchtgefahr erfordert, neben der Straferwartung, vielmehr die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, wozu insbesondere die Lebensverhältnisse des Angeklagten und sein bisheriges Verhalten während des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung zählen.

Auf der Grundlage dessen lässt sich im vorliegenden Fall festhalten, dass der umfassend geständige Angeklagte zu den Hauptverhandlungsterminen in Erwartung der auf ihn zukommenden Verurteilung zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe freiwillig erschienen ist und auch in Kenntnis der sodann verkündeten fünfjährigen Gesamtfreiheitsstrafe keine erkennbaren Anstalten gemacht hat, sich der drohenden Strafvollstreckung durch Flucht zu entziehen. Auch als er durch seinen Verteidiger über den drohenden Erlass eines Haftbefehls informiert worden ist, hat er sich nicht abgesetzt. Soweit im Haftbefehl im Hinblick auf den bisherigen beruflichen und sozialen Werdegang des Angeklagten ausgeführt wird, er verfüge nicht über tragfähige Bindungen, lässt sich dies mit den Urteilsfeststellungen, wonach der Angeklagte als Möbelmonteur über einen Arbeitsplatz verfügt, nur bedingt in Einklang bringen. Ausweislich der Beschwerdebegründung lebt der Angeklagte im übrigen in einer festen Beziehung mit einer Frau P.F.. Ob die Schulden des Angeklagten den Fluchtanreiz erhöhen, wie die Strafkammer meint, oder aber eher vermuten lassen könnten, der Angeklagte verfüge nicht über die für eine Flucht erforderlichen finanziellen Mittel, mag dahinstehen.

In Anbetracht aller Umstände vermag der Senat jedenfalls trotz der hohen Straferwartung keine konkrete Fluchtgefahr zu erkennen. Diese lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Angeklagte, nachdem sich die Strafkammer angeblich, so die Beschwerdebegründung, nicht an die mit allen Beteiligten getroffene Absprache, wonach eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verhängt werden sollte, gehalten hatte, nunmehr Revision eingelegt hat. Die Strafkammer hat in ihrem Nichtabhilfebeschluss die Frage, ob tatsächlich eine derartige Absprache getroffen worden ist, nicht mit der wünschenswerten Klarheit beantwortet. Geht man von der Richtigkeit des Beschwerdevorbringens aus, ist es nur schwer nachvollziehbar, dass sich der Angeklagte, der eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren zu akzeptieren bereit ist, durch zusätzliche sechs Monate zu dem so schwerwiegenden Schritt der Flucht mit den negativen Konsequenzen für eine eventuelle spätere bedingte Entlassung hinreißen lassen könnte.

Da auch weitere Haftgründe nicht vorliegen - die telefonische Mitteilung der Staatsanwaltschaft, die neue Lebensgefährtin des Angeklagten habe zwei Kinder, einen minderjährigen Jungen und ein minderjähriges Mädchen, kann jedenfalls derzeit nicht als ,,bestimmte Tatsachen" i.S.d. § 112 a Abs. 1 StPO angesehen werden, die geeignet sind, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu begründen - war der Haftbefehl mit der Kosten- und Auslagenfolge entsprechend §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 und 4 StPO aufzuheben.


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