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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 1/99 OLG Hamm

Leitsatz: Ist ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt worden, weil der Beschuldigte gegen das ihm erteilte Verbot der Kontaktaufnahme zu bestimmten Personen verstoßen hat, kann es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten sein, den Haftbefehl erneut außer Vollzug zu setzen, wenn der weitere Vollzug der Untersuchungshaft (hier: zwei Monate) für den Beschuldigten ein deutliches Warnzeichen dahin ist, in Zukunft jede weitere Kontaktaufnahme zu Verfahrenszeugen und ggf. deren Beeinflussung zu unterlassen.

Senat: 2

Gegenstand: Haftbeschwerde

Stichworte: Haftbefehl, Außervollzugsetzung, erneuter Vollzug, Verhältnismäßigkeit

Normen: StPO 116, StPO 112

Fundstelle: StV 1999, 161 (Ls.)

Beschluss: Strafsache gegen R.T. wegen Steuerhinterziehung u.a. hier: weitere Haftbeschwerde des Beschuldigten).

Auf die weitere (Haft-)Beschwerde des Beschuldigten vom 17. Dezember 1998 gegen den Beschluss der 13. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 9. Dezember 1998 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.01.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 9. Dezember 1998 wird aufgehoben.

Die Außervollzugsetzung des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 19. März 1998 - 64 Gs 1457/98 - durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 24. November 1998 - 64 Gs 4537/98 - wird bestätigt.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

G r ü n d e:
1.Gegen den Beschuldigten wird seit 1995 wegen Steuerhinterziehung ermittelt. In dem Verfahren hat der Beschuldigte sich zunächst seit dem 9. Juni 1997 in Untersuchungshaft befunden. Grundlage dafür war u.a. ein durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 19. März 1998 neu gefasster Haftbefehl. Dieser war auch Gegenstand der sog. Neun-Monats-Prüfung gem. §§ 121, 122 StPO durch das Oberlandesgericht Hamm, das durch Beschluss vom 28. April 1998 die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet hat. Dabei ist das Oberlandesgericht ersichtlich davon ausgegangen, dass, wie von der Staatsanwaltschaft in einem Bericht vom 20. März 1998 angekündigt, nunmehr "unverzüglich" Teilanklage gegen den - inzwischen weitgehend geständigen - Beschuldigten erhoben werden würde.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 29. Mai 1998 ist der Haftbefehl vom 19. März 1998 dann außer Vollzug gesetzt werden. Nach Erfüllung der ihm gemachten Auflagen, u.a. der Stellung einer Kaution von 500.000 DM, wurde der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen.

Am 28. Oktober 1998 hat das Amtsgericht Bochum den Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt. Diese Entscheidung hat es u.a. damit begründet, dass der Beschuldigte dringend verdächtig sei, massiv auf einen Zeugen eingewirkt zu haben, um dessen Aussageverhalten zu beeinflussen. Insoweit ist gegen den Beschuldigten ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung eingeleitet und am 22. Oktober 1998 ein weiterer Haftbefehl erlassen worden, der außer Vollzug gesetzt ist.

Der Beschuldigte wurde am 24. November 1998 im Termin zur Verkündung des Invollzugsetzungsbeschlusses wieder in Untersuchungshaft genommen. Das Amtsgericht Bochum hat in diesem Termin zugleich den Haftbefehl vom 19. März 1998 - unter Beibehaltung der alten Auflagen - erneut außer Vollzug gesetzt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Bochum noch im Termin Haftbeschwerde eingelegt und beantragt, gem. § 307 Abs. 2 StPO zu verfahren. Daraufhin ist vom Amtsgericht die Aussetzung des Vollzugs des Haftverschonungsbeschlusses angeordnet worden.

Auf die Beschwerde hin hat das Landgericht im angefochtenen Beschluss den Haftverschonungsbeschluss des Amtsgerichts vom 24. November 1998 aufgehoben und die Invollzugsetzung des Haftbefehls durch Beschluss des Amtsgerichts vom 28. Oktober 1998 bestätigt. Dagegen richtet sich nun die weitere Beschwerde des Beschuldigten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

2. Entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war der angefochtene Beschluss des Landgerichts aufzuheben und die - erneute - Außervollzugsetzung des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 19. März 1998 durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 24. November 1998 zu bestätigen.

Zutreffend ist es allerdings, wenn das Landgericht im angefochtenen Beschluss den dringenden Tatverdacht im Sinn des § 112 StPO hinsichtlich der dem Beschuldigten im Haftbefehl vom 19. März 1998 zur Last gelegten Taten bejaht. Dieser ergibt sich, unabhängig vom übrigen Ermittlungsergebnis, allein schon aus den weitgehend geständigen Angaben des Beschuldigten.

Grundsätzlich zutreffend ist es auch, wenn das Landgericht davon ausgeht, dass der Beschuldigte gegen die Auflage des Außervollzugsetzungsbeschlusses des Amtsgericht vom 29. Mai 1998 verstoßen hat, so dass deshalb gemäß § 116 Abs. 4 StPO der Haftbefehl des Amtsgericht vom 19. März 1998 grundsätzlich auch wieder in Vollzug gesetzt werden konnte. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung, die durch das Beschwerdevorbringen nicht ausgeräumt werden, Bezug.

Anders als das Landgericht ist der Senat jedoch mit der Generalstaatsanwaltschaft der Auffassung, dass mit im Sinn des § 116 StPO weniger einschneidenden Maßnahmen als dem Vollzug der Untersuchungshaft den Haftgründen der Flucht- und auch der Verdunkelungsgefahr entgegengewirkt werden kann. Dabei kann vorliegend die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob durch eine Kaution auch Verdunkelungsgefahr ausgeräumt werden kann (wegen des Streitstandes vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 116 Rn. 16 mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur; bejahend aus neuerer Zeit LG Bochum StV 1998, 207), dahinstehen. Der Haftbefehl des Amtsgerichts vom 19. März 1998 ist nämlich nicht nur auf den Haftgrund der Verdunkelungs- sondern auch auf Fluchtgefahr gestützt. Außerdem sind als Auflagen nicht nur die Kaution von 500.000 DM, sondern auch das Verbot der Kontaktaufnahme mit bestimmten Personen festgesetzt. Durch die letztere Auflage kann aber Verdunkelungsgefahr ohne weiteres ausgeräumt werden.

Nach Auffassung des Senats sind die Auflagen des Außervollzugsetzungsbeschlusses vom 24. November 1998, die weitgehend denen des Beschlusses vom 29. Mai 1998 entsprechen, unter angemessener Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausreichend den Haftgründen der Flucht- und Verdunkelungsgefahr entgegenzuwirken. Der Beschuldigte hat sich jetzt insgesamt rund 13 Monate in Untersuchungshaft befunden. Davon sind nun rund 2 Monate nach den Vorfällen vom Oktober 1998, die Anlass zur Invollzugsetzung des Haftbefehls gegeben haben, vollzogen worden. Dies ist nach Auffassung des Senats für den Beschuldigten ein so deutliches Warnzeichen dahin, in Zukunft jede Kontaktaufnahme zu den im Beschluss vom 24. November 1998 genannten Personen und ggf. deren Beeinflussung zu vermeiden, dass zur Sicherung des Verfahrens der weitere Vollzog der Untersuchungshaft nicht erforderlich erscheint.

3. Der Senat weist auf folgendes hin: Bei der erforderlichen Prüfung, ob überhaupt noch grundsätzlich die Voraussetzungen für den Fortbestand des Haftbefehls vom 19. März 1998 gegeben sind, hat der Senat wegen der bereits langen Dauer des Ermittlungsverfahrens die Frage der (weiteren) Verhältnismäßigkeit mit besonderer Sorgfalt geprüft. Die Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände des Einzelfalls lässt es nach Auffassung des Senats vorliegend allerdings noch gerechtfertigt erscheinen, weiterhin die Verhältnismäßigkeit zu bejahen.

Zweifel daran ergeben sich u.a. daraus, dass das Verfahren immerhin noch aus 1995 stammt, gegen den Beschuldigten inzwischen rund 11 Monate Untersuchungshaft vollzogen worden sind und insgesamt rund 19 Monate gegen ihn ein Haftbefehl - die Untersuchungshaft begann am 9. Juni 1997 - besteht, ohne dass inzwischen - wenigstens in Teilbereichen - Anklage erhoben worden wäre. Dabei ist von Belang, dass der Beschuldigte inzwischen weitgehend geständig ist und die Staatsanwaltschaft bereits in ihrem Bericht vom 20. März 1998 im Verfahren 1 BL 71 bis 75/98 OLG Hamm die "unverzügliche" Anklageerhebung zugesagt hatte, was dann letztlich zur Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft geführt hat. Eine (Teil-)Anklage gegen den weitgehend geständigen (!) Beschuldigten liegt jedoch auch jetzt - nach mehr als neun Monaten - noch nicht vor.

Diese Zweifel greifen jedoch noch nicht durch. Es kann nämlich auch nicht übersehen werden, dass die Staatsanwaltschaft nun erneut - gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft, wie diese in ihrer Stellungnahme vom 4. Januar 1999 mitgeteilt hat - Anklageerhebung "bis Ende dieser Woche" zugesagt hat. Dies rechtfertigt die Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung noch zu bejahen. Dabei geht der Senat allerdings davon aus, dass nunmehr auch tatsächlich (Teil-)Anklage erhoben wird. Eine weitere Verzögerung über das Ende des Monats Januar 1999 hinaus wäre unter Berücksichtigung des sich aus Art. 2 GG ergebenden Freiheitsanspruch des nicht verurteilten Beschuldigten und des daraus für - auch nicht vollzogene - Haftsachen folgenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht mehr hinnehmbar.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.


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