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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 660/98 OLG Hamm

Leitsatz: Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann auch durch schlüssiges Verhalten des Vorsitzenden erfolgen. Für die Begründung und den Nachweis des Verteidigerverhältnisses als Wahlverteidiger ist es ausreichend, wenn der Rechtsanwalt mit seinem Mandanten in der Hauptverhandlung erscheint und als Verteidiger fungiert.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Pflichtverteidiger, Beiordnung, schlüssiges Verhalten des Vorsitzenden, Erscheinen des Verteidigers in der Hauptverhandlung, Anwesenheit des Verteidigers, relativer oder absoluter Revisionsgrund

Normen: StPO 338 Nr. 5, StPO 140, StPO 146 a, StPO 337

Fundstelle: Rpfleger 1998, 440; JurBüro 1998, 643

Beschluss: Strafsache gegenM.H. wegen sexueller Nötigung.

Auf die Revision des Angeklagten vom 16. Februar 1998 gegen das Urteil der XVII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 12. Februar 1998 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24.06.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht gem. § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

G r ü n d e:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 StGB in der Fassung des am 5. Juli 1997 in Kraft getretenen 33. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 1. Juli 1997 (BGBl I, 1607) unter Einbeziehung von zwei Einzelstrafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Kamen vom 24. Oktober 1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II. Die Revision des Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf Rechtsfehler hat den Angeklagten belastende Rechtsfehler nicht erkennen lassen. Die vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen der am 30. Juli 1997 begangenen sexuellen Nötigung. Es ist insbesondere aus Rechtsgründen auch nichts gegen die - außergewöhnlich umfangreiche und alle festgestellten Tatsachen und Besonderheiten ausführlich wertende - Beweiswürdigung des Landgerichts zu erinnern.

2. Näherer Erörterung bedürfen nur folgende Punkte:

a) Mit seiner formellen Rüge hat der Angeklagte einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO geltend gemacht. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Für den Angeklagten hatte sich unter dem 22. August 1997 Rechtsanwalt H. gemeldet und eine auf ihn ausgestellte, vom Angeklagten am 31. Juli 1997 unterzeichnete Verteidigervollmacht vorgelegt. Rechtsanwalt H. ist dann am 8. September 1997 vom Vorsitzenden des Schöffengerichts dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens fand die Berufungshauptverhandlung am 26., 29. Januar, 5., 10. und 12. Februar 1998 statt. In der Hauptverhandlung am 5. Februar 1998 war Rechtsanwalt H. nicht erschienen, da er an der Teilnahme wegen eines Lehrgangs verhindert war. Teilgenommen hat an dieser Hauptverhandlung Rechtsanwalt He., der eine auf ihn ausgestellte Untervollmacht von Rechtsanwalt H. vorlegte. Im Beisein von Rechtsanwalt He. ist dann u.a. eine Sachverständige gehört worden.

Die auf diesen Verfahrensgang gestützte Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO führt nicht zum Erfolg.

Dahinstehen kann die von der Generalstaatsanwaltschaft aufgeworfene Frage, ob der Angeklagte mit seiner formellen Rüge einen absoluten oder nur einen relativen Revisionsgrund geltend macht. Denn unabhängig, wie diese Frage zu beantworten ist, hat die Revision keinen Erfolg.

Geht man - zusammen mit der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 4. Juni 1998 - davon aus, dass vorliegend nicht allein schon das Fehlen des Pflichtverteidigers in der Hauptverhandlung am 5. Februar 1998 den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO begründet, sondern der hier vorliegende Fall der "unzulässigen Unterbevollmächtigten" möglicherweise ebenso wie der auf die Verletzung der §§ 146, 146 a StPO gestützten Revision zu behandeln ist (vgl. insoweit zu § 146 StPO Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 146 Rn. 18; Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO, 3. Aufl., § 146 Rn. 18, jeweils m.w.N.) und es sich nur um einen relativen Revisionsgrund im Sinn von § 337 StPO handelt, ist die formelle Rüge unzulässig. Sie lässt dann nämlich zur im Sinn von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausreichenden Begründung erforderlichen Vortrag dazu vermissen, dass und warum der Angeklagte am 5. Februar 1998 durch den in Untervollmacht seiner Pflichtverteidigers erschienenen Sozius nicht ordnungsgemäß verteidigt worden ist.

Geht man hingegen davon aus, dass der oben dargestellte Verfahrensgang auf jeden Fall die Voraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO erfüllt (so Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 338 Nr. 93), ist der Vortrag des Angeklagten zur Begründung dieser Rüge im Sinn des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausreichend.

In diesem Fall ist die formelle Rüge jedoch unbegründet. Der Angeklagte war nämlich in der Hauptverhandlung am 5.Februar 1998 ordnungsgemäß verteidigt. § 338 Nr. 5 StPO ist - bei im Sinn von § 140 StPO notwendiger Verteidigung - dann zwingender Aufhebungsgrund, wenn weder ein Wahlverteidiger noch der bereits bestellte Pflichtverteidiger an der Hauptverhandlung teilgenommen haben. Vorliegend hat jedoch Rechtsanwalt He. als Pflichtverteidiger des Angeklagten an der Hauptverhandlung am 5. Februar 1998 teilgenommen. Zutreffend ist insoweit allerdings das Vorbringen der Revision, dass Rechtsanwalt He. nicht schon deshalb Pflichtverteidiger des Angeklagten war, weil er in Untervollmacht des beigeordneten Rechtsanwalts H. aufgetreten ist. Die Unterbevollmächtigung eines anderen Rechtsanwalts ist dem beigeordneten Rechtsanwalt nämlich nicht erlaubt (BGH StV 1981, 393; 1982, 213), auch der Sozius des beigeordneten Pflichtverteidigers darf die Verteidigung nicht führen (vgl. BGH NJW 1992, 1841; wegen weiterer Rechtsprechungs- und Literaturhinweise siehe Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 1997, Rn. 638; zur Vertretung des Pflichtverteidigers in der Hauptverhandlung siehe Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 2. Aufl., Rn . 1099 ff.).

Diese - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Literatur einhellige Auffassung führt vorliegend jedoch nicht zum Erfolg der Revision. Der Angeklagte übersieht nämlich, dass ihm vom Vorsitzenden der Strafkammer Rechtsanwalt He. - zumindest für den 5. Februar 1998 - (ebenfalls) als Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist. Mit der wohl weit überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur geht der Senat davon aus, dass, da § 141 StPO eine bestimmte Form für die Bestellung des Pflichtverteidigers nicht vorsieht, diese auch durch schlüssiges Verhalten des Vorsitzenden erfolgen kann (vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 141 StPO Rn. 6; aus neuerer Zeit siehe OLG Koblenz StraFo 1997, 256 = NStZ-RR 1997, 384). Erforderlich ist dazu, dass das Verhalten des Vorsitzenden unter Beachtung der sonst maßgeblichen Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertigt (OLG Koblenz, a.a.O.). Demgemäss hat die Rechtsprechung in der gesetzlich gebotenen Inanspruchnahme eines Verteidigers, der nicht Wahlverteidiger war, die stillschweigende Bestellung als Pflichtverteidiger gesehen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1994, 43; OLG Hamburg MDR 1974, 1039; OLG Hamm Rpfleger 1960, 224; a.A. insoweit Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.). Ob das in allen Fällen zutreffend ist, kann hier angesichts der Besonderheiten des Falles dahinstehen. Denn vorliegend war Rechtsanwalt He. ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung "in Untervollmacht" des beigeordneten Rechtsanwalts erschienen. Er war, da durch die Pflichtverteidigerbestellung die Rechtsanwalt H. am 31. Juli 1997 erteilte Vollmacht erloschen war (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 142 Rn. 7 mit weiteren Nachweisen), nicht (unterbevollmächtigter) Wahlverteidiger. Für die Inanspruchnahme von Rechtsanwalt He. als Pflichtverteidiger bestand auch wegen der Verhinderung des beigeordneten Pflichtverteidigers Veranlassung. Demgemäss kann die im - vom Vorsitzenden der Strafkammer unterschriebenen - Protokoll der Hauptverhandlung enthaltene Formulierung: "Als Pflichtverteidiger erschien Herr Rechtsanwalt He. als Unterbevollmächtigter für den Pflichtverteidiger Herrn Rechtsanwalt H.." nach Auffassung des Senats nur als (weiterer) Beleg dafür gewertet werden, dass der Vorsitzende dem Angeklagten Rechtsanwalt He. - zumindest konkludent für den 5. Februar 1998 - als (weiteren) Pflichtverteidiger beigeordnet hat.

Die formelle Rüge ist im übrigen selbst dann unbegründet, wenn man sich dieser Auffassung des Senats nicht anschließen würde. Denn dann ist von einer durch den Angeklagten selbst vorgenommenen Beauftragung des Rechtsanwalts He. als Wahlverteidiger auszugehen. Eine besondere Form ist für die Beauftragung des Wahlverteidigers nicht vorgesehen. Deshalb hat es die Rechtsprechung in der Vergangenheit für den Nachweis und die Begründung des Verteidigerverhältnisses ausreichend sein lassen, wenn der Rechtsanwalt mit seinem Mandanten in der Hauptverhandlung erscheint und als Verteidiger fungiert (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 137 StPO Rn. 4, 9 mit weiteren Nachweisen). Etwas anderes folgt nicht aus der Entscheidung des BGH vom 24. Oktober 1995 (1 StR 474/95 - BGHSt 41, 303), da diese ausdrücklich nur die - vom BGH verneinte - Frage behandelt, ob allein durch das Auftreten des Verteidigers in der Hauptverhandlung diesem die besondere Zustellungsvollmacht des § 145 a StPO erteilt ist. Für die hier entscheidende Frage der Erteilung der allgemeinen Vollmacht folgt daraus nichts. Demgemäss kann nach Auffassung des Senats in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Rechtsanwalt in der Hauptverhandlung, in der Beweise erhoben werden, für den Angeklagten tätig wird, ohne dass dieser dagegen Widerspruch erhebt, von der Begründung eines Verteidigerverhältnisses ausgegangen werden (so auch RGSt 25, 152 f.).

Nach allem liegen somit die Voraussetzungen des § 338 Nr. 5 StPO in keinem Fall vor.

b) Entgegen der Annahme der Revision sind auch die Ausführungen des Landgerichts zur Ablehnung eines minder schweren Falls im Sinn von § 177 Abs. 2 StGB nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat alle von ihm festgestellten Umstände zutreffend gewürdigt. Es ist insbesondere nichts dagegen zu erinnern, dass es bei der Prüfung der Frage, ob ein minder schwerer Fall gegeben ist, auch die vom Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin ausgesprochenen Drohungen (mit-)herangezogen hat. Darin liegt keine unzulässige Doppelverwertung, sondern nur die zulässige Verwertung des Maßes und der Intensität der ausgesprochenen Drohungen. Diese haben sich im übrigen, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, nicht im unteren Bereich befunden. Denn immerhin hat der Angeklagte dem Opfer nicht "nur" mit Leibesgefahren, sondern auch mit Lebensgefahr gedroht.

III. Nach allem war somit - wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt - die Revision als unbegründet zu verwerfen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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