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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 BL 169/99 OLG Hamm

Leitsatz: Die weitere Haftfortdauer ist nicht mehr i.S. des § 121 StPO gerechtfertigt, wenn über einen Zeitraum von fast sechs Monaten lediglich 21 Zeugen vernommen werden, wobei zwischen den einzelnen Vernehmungsterminen längere Zwischenräume gelegen haben.

Senat: 2

Gegenstand: Haftprüfung durch das OLG

Stichworte: wichtiger Grund, besonderer Umfang der Ermittlungen, beschleunigte Erledigung des Ermittlungsverfahrens, Teilanklage, Akteneinsicht im Haftprüfungsverfahren

Normen: StPO 121, GG Art. 2

Fundstelle: StV 2000, 90; StraFo 2000, 68

Beschluss: Strafsache gegen L..S., wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz u.a. (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der (Zweit-)Akten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21.10.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 4. Mai 1999 64 Gs 2457/99 wird ausgehoben.

G r ü n d e:
I. Der Beschuldigte befindet sich nach seiner vorläufigen Festnahme am 10. März 1999 seit diesem Tag in Untersuchungshaft. Grundlage des Vollzugs der Untersuchungshaft war zunächst der Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 2. März 1999 64 Gs 1324/99 -, in dem dem Beschuldigten lediglich zur Last gelegt wurde, in der Zeit von 1996 bis 1999 durch mindestens sechs selbständige Handlungen Betäubungsmittel in nicht geringer Menge eingeführt und mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Bei den Betäubungsmitteln soll es sich um Ecstasy-Pillen und Kokain gehandelt haben. Dieser Haftbefehl ist ersetzt worden durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 4. Mai 1999 64 Gs 2547/99 -, in dem dem Beschuldigten zusätzlich zu den Vorwürfen des Haftbefehls vom 2. März 1999 auch noch Förderung der Prostitution, Zuhälterei, versuchter schwerer Menschenhandel und räuberische Erpressung zur Last gelegt wird. Dieser neue Haftbefehl ist dem Beschuldigten am 6. Mai 1999 verkündet worden. Wegen der Einzelheiten, insbesondere wegen des dem Beschuldigten im einzelnen zur Last gelegten Tatgeschehens, wird auf den Inhalt des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 4. Mai 1999 Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat im Beschluss vom 1. September 1999 die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen und die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft Bochum und der Generalstaatsanwaltschaft dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Der Verteidiger hat mit eingehender Begründung, mit der u.a. auch die Rechtmäßigkeit der gegen den Beschuldigten angeordneten Telefonüberwachung bezweifelt worden ist, die Aufhebung des Haftbefehls beantragt.

II. Vorab: Der Verteidiger des Beschuldigten hat schon gegenüber dem Amtsgericht, der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft gerügt, dass ihm bislang nur Teilakteneinsicht gewährt worden sei. Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in NStZ 1994, 551 ist ihm auf Anregung des Senats dann erst während des Haftprüfungsverfahrens weitere Akteneinsicht gewährt worden, was zu einer längeren als sonst üblichen Dauer des Haftprüfungsverfahrens beim Senat geführt hat.

III. Entsprechend dem Antrag des Verteidigers war der Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 4. Mai 1999 aufzuheben. Die nach § 121 Abs. 1 StPO für die Anordnung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus erforderlichen Voraussetzungen sind nicht (mehr) gegeben.

Dahinstehen kann, ob der Beschuldigte der ihm im Haftbefehl vorgeworfenen Taten "dringend verdächtig" i.S. von § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO ist. Dahinstehen kann auch, ob die vom Amtsgericht bei seiner Haftentscheidung bejahten Haftgründe "Fluchtgefahr" (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und "Verdunkelungsgefahr" (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) gegeben sind. Denn jedenfalls ist der Haftbefehl deshalb aufzuheben, weil das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist.

Nach § 121 Abs. 1 StPO kommt - solange kein auf Freiheitsentziehung lautendes Urteil vorliegt - die Fortdauer von Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur dann in Betracht, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang oder ein anderer wichtiger Grund ein Urteil noch nicht zugelassen haben. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv der sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebende Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten entgegenzuhalten ist und das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse sich mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert (vgl. u.a. BVerfGE 53, 152, 158 f. mit weiteren Nachweisen). Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO dadurch Rechnung, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt also nur in begrenztem Umfange eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu. Bei der insoweit erforderlichen Prüfung des Verfahrens(fort)gangs sind die Ausnahmetatbestände des § 121 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch eng auszulegen (vgl. u.a. BVerfGE 36, 264, 271 mit weiteren Nachweisen; siehe auch BVerfG NJW 1980; 1448; 1992, 1749 f. = StV 1991, 565; vgl. die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 121 StPO Rn. 18 ff.). Die Fortdauer der Untersuchungshaft kommt danach u.a., dann nicht in Betracht, wenn ihre Dauer dadurch verursacht worden ist und wird, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht alle ihr möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens ergriffen haben (vgl. dazu u.a. auch OLG Düsseldorf StV 1990, 503; OLG Frankfurt StV 1995, 423).

Vorliegend wird der bisherige Verfahrensgang den von Verfassungs wegen zu stellenden Anforderungen an die beschleunigte Abwicklung des Ermittlungsverfahrens gegen einen inhaftierten Beschuldigten nicht gerecht. Dabei übersieht der Senat, worauf vorab hinzuweisen ist, nicht, dass es sich schon wegen der Vielzahl der Beteiligten um umfangreiche Ermittlungen handelt, die zudem noch durch den Umfang des bei den Durchsuchungen sichergestellten Materials, das ausgewertet werden muß, erschwert werden. Andererseits ist aber auch bei umfangreichen und schwierigen Ermittlungen der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten angemessen zu berücksichtigen. Dieses Erfordernis ist nicht ausreichend beachtet. Bislang sind nämlich seit der Inhaftierung des Beschuldigten am 10. März 1999 lediglich 21 Zeugen vernommen worden, wobei zwischen den einzelnen Vernehmungsterminen, worauf der Verteidiger des Beschuldigten zur Recht hingewiesen hat, teilweise längere Zwischenräume gelegen habe, in denen sich aus den Akten von den Strafverfolgungsbehörden durchgeführte andere Ermittlungen nicht ergeben. Im einzelnen sind in der Zeit vom 10. bis zum 24. März 1999 5 Zeugen, teilweise mehrfach, vernommen worden. Bis zum 23. April 1999 lassen sich dann den Akten keine weiteren Ermittlungen entnehmen. Ab 23. April wurden dann bis zum 30 April 1999 sechs weitere Vernehmungen von insgesamt fünf Zeugen durchgeführt. Danach sind bis zum 25. Mai 1999 nach den Akten - keine Ermittlungen geführt worden. Weitere Zeugenvernehmungen sind dann geführt worden am 25. und 31. Mai 1999, dann erst wieder in der Zeit vom 16. bis zum 25. Juni 1999, sodann am 12. Juli 1999 und schließlich noch vom 6. bis zum 18. August 1999. Dieser zeitliche Ablauf mit - zum Teil größeren - "Vernehmungspausen" ist nicht hinnehmbar. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil es sich bei den vernommenen Zeugen nicht um solche handelt, deren Zeugeneigenschaft sich ggf. erst während der Ermittlungsverfahrens, z.B. durch Vernehmung anderer Zeugen, ergeben hat. Vielmehr war die Erforderlichkeit der Vernehmung der vernommenen Zeugen durchweg von Anfang an bekannt.

Die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass die Sichtung der sichergestellten Gegenstände und Unterlage noch nicht abgeschlossen sei und außerdem in dem Ermittlungsverfahren noch (weitere) Zeugen - zum Teil erneut - zu vernehmen seien, was sich schwierig gestalte, weil sich die Zeugen teilweise anwaltlich vertreten lassen. Dem hätte nämlich, was insbesondere für die Sichtung und Auswertung der sichergestellten Unterlagen gilt, durch frühzeitigen verstärkten Personaleinsatz begegnet werden müssen und nach Auffassung des Senats auch können. Hinzu kommt, dass nach Ansicht des Senats zumindest wegen der betäubungsmittelrechtlichen Vorwürfe inzwischen Teilanklage hätte erhoben werden können. Insoweit sind die Vorgänge, die schon Gegenstand des ursprünglichen Haftbefehls vom 2. März 1999 waren, nämlich ausermittelt, so dass die Erhebung einer Teilanklage geboten gewesen wäre (vgl. dazu auch BVerfG StV 1994, 589, OLG Frankfurt, a.a.O.).

Unter diesen Umständen kann nach allem ein Grund für die Haftfortdauer im Sinn des § 121 Abs. 1 StPO nicht mehr bejaht werden. Bei Abwägung des Freiheitsanspruch des Beschuldigten, der sich nunmehr fast 8 Monate in Untersuchungshaft befindet, gegen das Bedürfnis der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung überwiegt der Freiheitsanspruch des Beschuldigten. Der Haftbefehl war daher aufzuheben.


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