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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ws 168/04 OLG Hamm

Leitsatz: Im Rahmen der Prognoseentscheidung des § 57 StGB kann zum Nachteil des Verurteilte verwertet werden, dass ein anderes Strafverfahren gegen ihn anhängig ist. Dem steht nicht die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK entgegen.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Unschuldsvermutung; Prognoseentscheidung; Berücksichtigung

Normen: StGB 57; MRK 6

Beschluss: Strafsache
gegen R.O.,
wegen unerlaubten Erwerbes von BtM (hier: Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Anordnung der bedingten Entlassung nach Verbüßung von 2/3 der erkannten Strafe).

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster vom 26. Mai 2004 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 24. Mai 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 07. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Verurteilten beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Ahaus vom 17. Januar 1992 wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden. Auf die Berufung des Verurteilten ist diese Strafe dann durch Urteil des Landgerichts Münster vom 19. März 1992 zur Bewährung ausgesetzt worden. Nachdem die Bewährung wegen einer neuen Straftat des Verurteilten widerrufen worden ist, wurde am 26. September 2003 die Vollstreckung eingeleitet. 2/3 der Strafe waren am 23. Mai 2004 verbüßt. Die Strafvollstreckungskammer hat im angefochtenen Beschluss nun die bedingte Entlassung des Verurteilten nach Verbüßung von 2/3 der erkannten Strafe angeordnet. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Münster mit ihrer sofortigen Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel beigetreten.

II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an die Strafvollstreckungskammer Bochum.

Nach § 57 Abs. 1 StGB kann nach Verbüßung von 2/3 der erkannten Strafe die Vollstreckung des Restes zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn eine günstige Sozialprognose gegeben ist und die Strafaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei dieser Prognoseentscheidung sind u.a. die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

Zutreffend weisen Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer ihre Erwartung, der Verurteilte werde außerhalb des Vollzuges keine Straftaten mehr begehen, lediglich (formelhaft) damit begründet hat, dass sich der Verurteilte während des Vollzuges stabilisiert habe. Es fehlt schon eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der Verurteilte die ihm durch das Urteil des Landgerichts Münster vom 19. März 1992 gewährte Bewährungschance nicht genutzt hat. Hinzu kommt, dass sich die Strafvollstreckungskammer auch nicht damit auseinandersetzt, dass gegen den Verurteilten inzwischen bei der Staatsanwaltschaft Bochum unter 7 Js 311/04 ein weiteres Strafverfahren anhängig ist. In diesem wird dem Verurteilten, der insoweit geständig ist, vorgeworfen, im Juni 2003 seinem Bruder in der Türkei dessen Pass entwendet und diesen durch das Austauschen eines Lichtbildes verfälscht zu haben und in der Folge mit diesem Pass unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein.

Der Senat weist darauf hin, dass die Berücksichtigung dieses Verhaltens im Rahmen der Prognoseentscheidung des § 57 StGB zum Nachteil des Verurteilte möglich und zulässig ist. Dem steht nicht die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK entgegen. Zwar hat in jüngster Zeit der EGMR (vgl. StV 2003, 82 ff.) ausgeführt, dass eine Verletzung der Unschuldsvermutung vorliege, wenn der Bewährungswiderruf auf die in einem Verfahren ohne die Förmlichkeit einer Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung, dass der Verurteilte eine neue Straftat begangen habe, gestützt werde, obwohl gleichzeitig bei einem anderen Gericht das Hauptverfahren wegen dieses Geschehens noch anhängig ist (so im Anschluss an den EGMR auch OLG Jena StV 2003, 574, 575; OLG Celle StV 2003, 575 und auch Senat in StV 2004, 83 = VRS 106, 48). Aus dieser Rechtsprechung lässt sich für den vorliegenden Fall indes nichts für den Verurteilten Günstiges herleiten.

Die Nachtragsentscheidung im Rahmen des § 56 f. StGB ist nämlich an andere Voraussetzungen geknüpft als die Entscheidung über eine bedingte Reststrafenaussetzung im Rahme des § 57 Abs. 1 StGB (so schon OLG Düsseldorf StV 1992, 287; siehe auch Senat in NStZ 1992, 350). Mangels Vergleichbarkeit der Rechtslage sind die von der angeführten Rechtsprechung zu Reichweite der Unschuldsvermutung entwickelten Grundsätze nicht übertragbar (OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Für einen Bewährungswiderruf nach § 56 f StGB ist nämlich grundsätzlich die Feststellung einer neuen Straftat erforderlich. Im Gegensatz dazu ist eine bedingte Reststrafenaussetzung (nur) an das Vorliegen einer günstigen Sozialprognose geknüpft. Zwar ist die positive Erwartung künftigen straffreien Verhaltens insbesondere dann nicht gerechtfertigt, wenn der Verurteilte aus dem Vollzug heraus weitere erhebliche Straftaten begangen hat. Insoweit wirkt sich also das Vollzugsverhalten zumindest mittelbar auf die vom Gericht vorzunehmende Beurteilung aus, indessen hat die StVK daneben aber auch Tat und Persönlichkeit des Verurteilten unter Berücksichtigung sonstiger bekannter Umstände und Gesichtspunkte zu würdigen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung gehen Zweifel über das Prognoseurteil zu Lasten des Verurteilten (vgl. Tröndle/Fischer, 52. Aufl., § 56 StGB Rn. 5 m.w.N.; § 56 f. StGB Rn.6 a). Dies bedeutet, dass bei verbleibenden Unsicherheiten bei der Beantwortung der Frage, ob eine begründete und reale Chance auf Resozialisierung und eine gewisse Wahrscheinlichkeit straffreien Verhaltens besteht, eine bedingte Entlassung abzulehnen ist. Insofern besteht ein gravierender Unterschied zu § 56 f. StGB, da im Rahmen der nach dieser Vorschrift zu treffenden Entscheidung verbleibende Zweifel an der Begehung neuer Straftaten einen Widerruf zwingend verbieten.

Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK ist im Übrigen, worauf das OLG Düsseldorf (a.a.O.) ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, auch deshalb nicht berührt, weil es im Verfahren nach § 57 StGB nicht um die Rechtsfolgen aus den neuerlichen Straftaten geht, sondern allein um die Frage der Fortsetzung der Vollstreckung einer bereits rechtskräftig erkannten Strafe wegen ungünstiger Prognosebeurteilung.

Diese Umstände hat die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung nicht bzw. nicht erkennbar berücksichtigt. Die angefochtene Entscheidung war deshalb aufzuheben. Entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen. Diese hat den Verurteilten nicht mündlich angehört (§ 454 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine mündliche Anhörung erscheint dem Senat vorliegend aber aufgrund der Gesamtumstände unerlässlich. Diese ist auch von der Strafvollstreckungskammer und nicht etwa vom Senat vorzunehmen, da anderenfalls der Verurteilte ggf. in Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, beschränkt würde.


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