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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ws 252/97 OLG Hamm

Gericht: OLG Hamm

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Unterbrechung des Maßregelvollzuges, Wiederaufnahmeverfahren,
Zulässigkeit des Wiederaufnahmeverfahrens, Teilrechtskraft, Rechtskraft des Schuldspruchs, neues Gutachten
Normen: StPO 360 Abs. 2

Beschluss: Strafsache gegen R.Sch.,
wegen Totschlags
(hier: Antrag des Verurteilten auf Unterbrechung der Maßregelvollstreckung gem. § 360
Abs. 2 StPO).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 16.06.1997 gegen den Beschluß
der VII. Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 11.06.1997 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.07.1997 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Dem Verurteilten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen
Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Dortmund vom 11.06.1997 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten verworfen.

Gründe: I. Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Essen vom 05.07.1996 wegen
Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt worden. Außerdem wurde die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Verurteilte Revision eingelegt. Mit Beschluß vom 28.11.1996 hat der BGH den Strafausspruch dieses Urteils aufgehoben und die Revision des Verurteilten im übrigen verworfen. Von der Aufhebung unberührt geblieben ist auch die Anordnung der Unterbringung, die zur Zeit gegen den Verurteilten vollstreckt wird. Das Schwurgericht Essen hat zur Durchführung der neuen Hauptverhandlung Termin auf den 10. und 11.09.1997 anberaumt.
Mit Antrag vom 23.04.1997 hat der Verurteilte die Wiederaufnahme des - durch das im Schuldspruch rechtskräftige Urteil - abgeschlossenen Verfahrens beim Landgericht Essen beantragt. Zur Begründung seines Wiederaufnahmeantrags hat er sich auf ein ihm vorliegendes, neues Sachverständigengutachten von Prof. Dr. B. vom 02.04.1997 bezogen. In diesem sieht er ein neues Beweismittel. Durch das Gutachten werde nämlich seine Einlassung, er habe in Notwehr gehandelt, gestützt, und dadurch die Beweiswürdigung des Schwurgerichts Essen im Urteil vom 05.07.1996, die insbesondere auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H. beruhe, widerlegt. Der Verurteilte hat zugleich beantragt, die Vollstreckung des Maßregelvollzugs gem. § 360 Abs. 2 StPO zu unterbrechen.
Diesen Antrag hat das Landgericht im angefochtenen Beschluß verworfen, da die behaupteten Tatsachen und benannten Beweise nicht einen solchen Grad innerer Wahrscheinlichkeit hätten, daß die Vollstreckung bedenklich erscheine. Gegen diesen ihm am 13.06.1997 zugestellten Beschluß wendet sich der Verurteilte mit seiner am 23.06.1997 beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde vom 16.06.1997. Diese ist ausweislich des bei den Akten befindlichen Briefumschlags vom Verteidiger am 16.06.1997 zur Postbeförderung gegeben worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II. Dem Verurteilten war gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts vom 11.06.1997 gemäß den §§ 44, 45 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat den verspäteten Eingang seiner sofortigen Beschwerde, die, nachdem ihm der angefochtene Beschluß am 13.06.1997 zugestellt worden war, gemäß § 311 Abs. 2 StPO schon am 20.06.1997 und nicht erst am 23.06.1997 beim Landgericht hätte eingehen müssen, nicht im Sinn des § 44 Abs. 1 StPO verschuldet. Vielmehr ist der verspätete Eingang der sofortigen Beschwerde auf eine vom Verurteilten nicht zu vertretende zu lange Postlaufzeit von einer Woche für die Beförderung eines normalen Briefes von Gelsenkirchen, dem Sitz des Büro seines Verteidigers, nach Dortmund zum Landgericht zurückzuführen. Da der Verurteilte die versäumte Handlung nachgeholt hat, war ihm wegen der Fristversäumung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
III. Die somit zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den Antrag des Verurteilten, die Vollstreckung des Maßregelvollzugs zu unterbrechen, abgelehnt.
Nach § 360 Abs. 2 StPO kann das Gericht, wenn ein Wiederaufnahmeantrag nach § 359 StPO gestellt ist, die Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil, gegen das Wiederaufnahme beantragt worden ist, anordnen. Das gilt nicht nur für die Vollstreckung einer Strafe, sondern auch für die Vollstreckung anderer freiheitsentziehender Maßnahmen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 360 StPO Rn. 2 mit weiteren Nachweisen), mithin also auch für die hier gegen den Verurteilten zur Zeit vollstreckte, gemäß § 64 StGB angeordnete, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
Unterbrochen wird die Vollstreckung aber nur, wenn der Wiederaufnahmeantrag Erfolgsaussichten hat (vgl. Kleinknecht, a.a.O., § 360 StPO Rn. 3 mit weiteren Nachweisen; s.a. OLG Hamm JMBl. NW 1980, 276). Nach ständiger Rechtsprechung des OLG Hamm (vgl. u.a. OLG Hamm JMBl. 1990, 140 mit weiteren Nachweisen) müssen, wovon auch Landgericht zutreffend ausgegangen ist, die behaupteten Tatsachen und die benannten Beweise einen solchen Grad innerer Wahrscheinlichkeit haben, daß die Vollstreckung bedenklich erscheint.
Das ist hier indes nicht der Fall. Insoweit hat das Landgericht zu Recht darauf abgestellt, daß es letztlich für eine im Sinn des Verurteilten günstige Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag mitentscheidend auf die Bewertung des vom Verurteilten zur Begründung seines Antrags vorgelegten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. ankommen wird. Dabei ist einmal von Bedeutung, inwieweit es sich insoweit überhaupt um ein neues Beweismittel im Sinn des § 359 Nr. 5 StPO handelt (vgl. dazu die Nachweise bei vgl. Kleinknecht, a.a.O., § 359 StPO Rn. 34 ff.). Zum anderen wird, worauf das Landgericht abgestellt hat, die Entscheidung davon abhängen, welchem der beiden - sich zum Teil widersprechenden - Sachverständigengutachten zu folgen sein wird. Da die vom Sachverständigen Prof. Dr. B. gezogenen Schlüsse nicht unbedingt zwingend sind, kann derzeit weder davon ausgegangen werden, daß der Wiederaufnahmeantrag mit einiger Sicherheit oder zumindest mit gewisser Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. dazu OLG Hamm MDR 1978, 692; JMBl. NW 1980, 276). Damit ist aber die (weitere) Vollstreckung der Unterbringung des Verurteilten nicht bedenklich und hat das Landgericht ihre Unterbrechung zur Recht abgelehnt.
IV. Für das weitere Wiederaufnahmeverfahren erscheint dem Senat folgender Hinweis angebracht:
Das Landgericht hat die Frage, ob der Wiederaufnahmeantrag überhaupt zulässig ist oder ob er, weil das Strafverfahren noch nicht vollständig rechtskräftig abgeschlossen ist, unzulässig ist, dahinstehen lassen. Dazu weist der Senat darauf hin, daß nach seiner Auffassung der Wiederaufnahmeantrag - schon jetzt, also bereits vor vollständiger Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts - zulässig ist.
Die Frage, ob bereits bei nur rechtskräftigem Schuldspruch die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist oder nicht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während insbesondere Stimmen in der Literatur (so. z.B. Kleinknecht, a.a.O., vor § 359 StPO Rn. 4 mit weiteren Nachweisen; Gössel in Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., vor § 359 Rn. 74 ff.) der Auffassung sind, daß ein nur im Schuldspruch rechtskräftiges Urteil (noch) nicht Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens sein könne, vertritt demgegenüber die obergerichtliche Rechtsprechung - soweit ersichtlich weitgehend einhellig - die gegenteilige Auffassung (vgl. u.a. OLG Celle StV 1990, 537; OLG Frankfurt NJW 1983, 2399 = NStZ 1983, 426; OLG München NJW 1981, 593; vgl. die weiteren Nachweise aus der Rechtsprechung bei vgl. Kleinknecht, a.a.O.; siehe auch Schmidt in Karlsruher Kommentar, 3. Aufl., vor § 359 StPO, Rn. 12 mit weiteren Nachweisen; a.A. in der Rechtsprechung OLG Düsseldorf JMBl. NW 1954, 229).
Der Senat schließt sich der letzteren Auffassung an. Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit gebieten es auch nach seiner Ansicht, die Wiederaufnahme bereits gegen ein Urteil zuzulassen, das erst im Schuldspruch rechtskräftig ist. Zutreffend haben das OLG Stuttgart (MDR 1980, 955) und das OLG München (a.a.O.) sowie auch Schmidt (a.a.O.) darauf hingewiesen, daß aus dem Wortlaut des § 359 StPO nichts anderes folgt. Vielmehr ist durch die Rechtskraft des Schuldspruchs die Rechtshängigkeit, die einem Wiederaufnahmeverfahren sonst vor Rechtskraft entgegensteht, insoweit beendet, so daß auf sie gegenüber einem Wiederaufnahmeverfahren nicht (mehr) verwiesen werden kann. Für den Senat ist darüber hinaus auch kein Grund ersichtlich, warum bei nur vertikaler Rechtskraft bereits die Wiederaufnahme gegen ein nur teilrechtskräftiges Urteil zulässig sein soll (vgl. dazu die Nachweise bei KK-Schmidt, a.a.O., vor § 359 Rn. 11), bei horizontaler Rechtskraft hingegen nicht (so auch OLG Celle, a.a.O.). Es kann zudem auch, was das OLG Celle (a.a.O.) überzeugend dargelegt hat, der Gefahr divergierender Entscheidungen, die der Senat nicht übersieht, durch sachgerechte Behandlung der beiden unterschiedlichen Verfahren begegnet und damit die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen erheblich verringert, wenn nicht ausgeschlossen werden.
Entscheidend für die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags bei nur im Schuldspruch rechtskräftigem Urteil ist nach Auffassung des Senats neben den bereits dargelegten Gründen aber, daß insbesondere das dem Strafverfahren immanente Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 MRK es gebietet, die Wiederaufnahme auch in diesen Fällen zuzulassen. Ist nämlich der Angeklagte unschuldig, hat er einen Anspruch darauf, so schnell wie möglich freigesprochen zu werden (so auch KK-Schmidt, a.a.O.). Dies kann er, da der Schuldspruch des gegen ihn ergangenen Urteils inzwischen rechtskräftig ist, aber nur noch mit seinem Wiederaufnahmeantrag erreichen. Wird er als unzulässig angesehen, kann das, da der Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens und damit die Rechtskraft auch des Rechtsfolgenausspruchs sich noch länger hinziehen kann, zu für den Angeklagten im Hinblick auf Art. 1, 2 GG unerträglichen Verzögerungen führen. Denen kann durch einen möglichst frühzeitig zulässigen Wiederaufnahmeantrag begegnet werden (so auch OLG Celle, a.a.O.).
Der dargelegten Auffassung des Senats, wonach der Wiederaufnahmeantrag vorliegend zulässig ist, steht der von Kleinknecht (a.a.O.) - offenbar als Beleg für die von ihm vertretene Gegenansicht - zitierte Beschluß des BGH vom 29.04.1993 (1 StR 219/93 - Rechtsprechungsübersicht von Kusch in NStZ 1993, 25 Nr. 23) nicht entgegen. Danach ist zwar ein Nebeneinander von Revision und dem zugleich gestellten Wiederaufnahmeantrag in der StPO nicht vorgesehen und ist für einen Wiederaufnahmeantrag vielmehr erst nach Rechtskraft des Urteils Raum. Diese Feststellung bezieht sich nach Auffassung des Senats ersichtlich, was insbesondere durch das im Beschluß angeführte Zitat belegt wird, auf die allgemeine - vom Gesetz grundsätzlich verneinte - Zulässigkeit des Nebeneinanders von Revision und Wiederaufnahme vor Rechtskraft des Urteils. Dem Beschlußzitat läßt sich hingegen für den hier vorliegenden Sonderfall der Frage nach der Zulässigkeit der Wiederaufnahme gegen ein zunächst nur im Schuldspruch (teilrechts-)kräftiges Urteil nichts entnehmen (zum grundsätzlich möglichen Nebeneinander von Revision und Wiederaufnahme siehe auch die Ausführungen von KK-Schmidt, a.a.O., vor § 359 StPO Rn. 13).
V. Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 473 Abs. 1, 7 StPO.


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