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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ws 638/99 OLG Hamm

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO, Nebenkläger, Beschwerdebefugnis des Nebenklägers

Normen: StPO 153; StPO 400 Abs. 2 Satz 2

Beschluss: Strafsache gegen V.T.
(hier: Beschwerde der Nebenklägerin gegen die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO durch das Landgericht Essen).

Auf die Beschwerde der Nebenklägerin vom 23.06.1999 gegen den Beschluss der III. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Essen vom 17.12.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.11.1999 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin fallen dem Angeklagten zur Last.

Gründe: I. Dem Angeklagten ist durch die mit Beschluss des Landgerichts Essen vom 02.10.1998 zugelassene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 24.09.1997 zur Last gelegt worden, am 01.12.1996 gegen 04.30 Uhr in Bottrop vorsätzlich einen Menschen getötet zu haben, ohne Mörder zu sein, sowie tateinheitlich dazu sich an einer Schlägerei und dem Angriff beteiligt zu haben, durch den der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Verbrechen und Vergehen gemäß §§ 212, 231, 52 StGB. Die Anklage hat ihm folgendes zur Last gelegt:
"In der Tatnacht gegen 04.00 Uhr trafen die Angeschuldigten T., S., B. und C. in der Fußgängerzone der Bottroper Innenstadt auf der Hochstraße auf M. Sch., die Angeschuldigten B., D. und A. und die Zeugin B. Zwischen M. Sch. und dem Angeschuldigten S. kam es zu einem Streitgespräch, bei dem es um die Zeugin B. ging. Schließlich kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen M. Sch. und dem Angeschuldigten. In diese Auseinandersetzung schalteten sich die anderen Angeschuldigten ein, so daß es zu einer Schlägerei kam.
Dem Angeschuldigten S. gelang es, sich von M. Sch. zu lösen und in die nahegelegene Döner-Bude "Abbas Döner-Paradies" zu flüchten. M. Sch. folgte dem Angeschuldigten S. in die Döner-Bude und auch die anderen Angeschuldigten drangen in diese ein, in deren Verlauf sich die. Angeschuldigten wechselseitig schlugen und traten. Während es dem Angeschuldigten S. gelang, sich in den separaten Küchenraum zurückzuziehen und die Tür zu verschließen, übernahm der Angeschuldigte T. von dem Angeschuldigten B. ein Klappmesser, welches er im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung zwischen ihm und M. Sch. einsetzte, indem er diesem zwei Messerstiche beibrachte. M. Sch. erlitt eine Stichverletzung oberhalb des linken Rippenbogens, die zur Eröffnung Brustraumes führte und eine Stichkanallänge von ca. 12 cm aufweis. Eine weitere Stichverletzung in der rechten Brustseite neben dem Brustbein. Dieser Stich führte zur Durchtrennung der Ansätze des Rippenknorpels fünf und sechs und zur Eröffnung des Herzbeutels und der rechten Herzvorderwand. Diese Stichverletzungen führten aufgrund des Blutverlustes mit einer Herzbeuteltamponade sowie einer Luft- und Blutbrust beidseits zum Tode.
Der Angeschuldigte T. nahm bei dem Einsatz des. Messers den Tod seines Opfers zumindest billigend in Kauf."
Mit dem Eröffnungsbeschluss vom 02.10.1998 hat die Jugendkammer die Eltern E. und H. Sch. sowie die Schwester M.Sch. des Getöteten als Nebenkläger zugelassen, soweit sich die Anklage gegen den Angeklagten T. richtet.
Die Jugendkammer hat die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und seine Mitangeklagten ab dem 11.12.1998 durchgeführt. In der Hauptverhandlung vom 16.12.1998 stellte die Strafkammer das Verfahren gegen den Angeklagten T. mit dessen Zustimmung nach § 153 Abs. 2 StPO ein. Die Vertreterin der Nebenkläger hatte dieser Verfahrensweise zuvor widersprochen. Der Einstellung war folgender Vermerk in der Sitzungsniederschrift vom 16.12.1998 vorangegangen:
"Zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft bestand Übereinstimmung dahingehend, dass bei dem Angeklagten T. eine Verurteilung wegen Totschlags ausscheidet, weil eine Notwehrhandlung nicht ausgeschlossen werden kann.
Der Angeklagte T. wurde darauf hingewiesen, dass er weiterhin wegen Beteiligung an einer Schlägerei bestraft werden kann."
Gegen diesen Beschluss hat die Nebenklägerin M. Sch. mit Schriftsatz ihrer Anwälte vom 23.06.1999 Beschwerde eingelegt.
Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27.07.1999 nicht abgeholfen. Zur Begründung hat die Kammer folgendes ausgeführt:
"Nach durchgeführter Beweisaufnahme ist die (Kammer) zu der Überzeugung gekommen, daß bei dem Angeklagten T. eine Verurteilung wegen Totschlags ausschied, weil eine Notwehrhandlung nicht ausgeschlossen werden konnte, vgl. Bl. 681.
Falls es für erforderlich gehalten werden sollte, kann dies noch weiter ausgeführt werden. Es kam nur noch eine Bestrafung wegen des tateinheitlichen angeklagten Vorwurfs der Beteiligung an einer Schlägerei in Betracht. Bei dieser Sach- und Rechtslage hat die Kammer von der prozessualen Möglichkeit, das Verfahren wegen des verbleibenden Vergehens nach § 153 Abs. 2 StPO einzustellen (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 153 Rd.-Nr. 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 153 Rd.-Nr. 1) Gebrauch gemacht.
Bei einem Vergleich der Tatbeiträge aller Angeklagten an der Beteiligung der Schlägerei lag der des Angeklagten T. im unteren Bereich; die eigentliche Tötungshandlung durfte dem Angeklagten T. im Rahmen des Schuldvorwurfs des § 231 StGB nicht angelastet werden.
Da bei den übrigen Angeklagten das Verfahren eingestellt bzw. vorläufig eingestellt worden ist, wäre es nicht sachgerecht gewesen, den Angeklagten T. als einzigen der Täter wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu verurteilen."
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu vorwerfen. Der Einstellungsbeschluss nach § 153 Abs. 2 S. 1 StPO sei gemäß § 153 Abs. 2 S. 4 StPO nicht anfechtbar. Selbst wenn eine Ausnahme dann anerkannt werde, wenn die prozessualen Voraussetzungen des § 153 StPO nicht vorgelegen hätten, gelte eine solche Ausnahme nicht für den Nebenkläger; zudem sei ein solcher Fall hier auch nicht gegeben. Gegenstand des Verfahrens sei nämlich kein Verbrechenstatbestand mehr gewesen, nachdem sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht in der Hauptverhandlung der Auffassung gewesen seien, dass nach durchgeführter Beweisaufnahme der Tatvorwurf des Totschlags nicht mehr aufrecht zu erhalten sei.
II. 1. Die Beschwerde der Nebenklägerin ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Danach ist die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.
a) Der Einstellungsbeschluss der Strafkammer war für die Nebenklägerin zunächst nicht gemäß § 153 Abs. 2 S. 4 StPO der Anfechtung entzogen. Nach dieser Bestimmung ist der Beschluss, mit dem das Gericht das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO wegen Geringfügigkeit einstellt, nicht anfechtbar. Die Bestimmung ist aber seit jeher dahin einschränkend ausgelegt worden, dass die Unanfechtbarkeit sich lediglich auf die Ermessensentscheidung über die Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO bezieht, die Beschwerde jedoch dann gegeben ist, wenn eine prozessuale Voraussetzung für die Einstellung fehlte etwa dann, wenn das Verfahren ein Verbrechen zum Gegenstand hat oder wenn eine erforderliche Zustimmung nicht oder nicht wirksam erklärt worden ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 153 Rdnr. 34; KK-Schoreit, StPO, 4. Aufl., § 153 Rdnr. 57; Heidelberger Kommentar-Krehl, 2. Aufl., § 153 Rdnr. 25; KMR-Müller, § 153 Rdnr. 19; Löwe-Rosenberg-Rieß, StPO, 24. Aufl., § 153 Rdnr. 79; LG Mönchengladbach, StV 1987, 335; OLG-Hamm NStE Nr. 1 zu § 153 a StPO; OLG Hamm, MDR 1971, 1027, 1028; OLG Celle NJW 1966 1329, 1330; OLG Saarbrücken, VRS 25, 205, 206).
b) Der Einstellungsbeschluss der Strafkammer gemäß § 153 Abs. 2 StPO ist für die Nebenklägerin auch nicht nach der für die Nebenklage geltenden Sonderbestimmung des § 400 Abs. 2 S. 2 StPO der Anfechtung entzogen.
Danach ist der Beschluss, durch den das Verfahren eingestellt wird, "für den Nebenkläger unanfechtbar, es sei denn, es handelt sich um einen Beschluss, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206 a und 206 b StPO eingestellt wird, und zwar im Hinblick auf die Anschlusstat, § 400 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 400 Abs. 2 S. 1 StPO.
Der ganz herrschenden Meinung, nach der die Anfechtungsrechte des Nebenklägers wegen der für ihn geltenden Sonderbestimmung des § 400 Abs. 2 S. 2 StPO noch weitergehend eingeschränkt sind als die Anfechtungsrechte der Staatsanwaltschaft gegen einen Einstellungsbeschluss nach § 153 Abs. 2 StPO, vermag der Senat jedenfalls für den hier vorliegenden Fall, dass die eingestellte Tat ein Verbrechen betrifft, nicht zu folgen (vgl. zur h.M.: BVerfG, NJW 1995, 317, 318; LG Mönchengladbach, StV 1987, 335; OLG Hamm, NStE Nr. 1 zu § 153 a StPO; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 400 Rdnr. 9; KK-Senge, a.a.O., § 400 Rdnr. 2, Heidelberger Kommentar-Krehl, a.a.O., § 153 Rdnr. 25; KMR-Stöckel, a.a.O., § 400 Rdnr. 10 und KMR-Müller, a.a.O., § 153 Rdnr. 19; Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 400 Rdnr. 25; Löwe-Rosenberg-Rieß, StPO, 24. Aufl., § 153 Rdnr. 80; a.A. nur KK-Schoreit, 4. A., § 153 Rn. 58).
Dieser Fall - Einstellung des Verfahrens gem. § 153 Abs. 2 StPO, obwohl das Verfahren nach wie vor ein Verbrechen zum Gegenstand hat - ist, bislang unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht entschieden worden. Sämtliche vorliegenden Entscheidungen, auf die sich die h.M. stützt, betrafen vielmehr Fallgestaltungen, bei denen jeweils die Zustimmung der Staatsanwaltschaft vorlag und entweder die verfahrensgegenständliche Tat ein Vergehen war, jedoch das rechtliche Gehör des Nebenklägers aufgrund verfahrensfehlerhafter Vorgehensweise des Tatrichters vor der Einstellungsentscheidung verletzt wurde (BVerfG, a.a.O.; LG Mönchengladbach, a.a.O.), oder der ursprüngliche Verbrechensvorwurf nach durchgeführter Hauptverhandlung entfallen war (OLG Hamm, a.a.O.). Für diese Fallgestaltungen mag die Argumentation der h.M. zutreffen; sie überzeugt aber jedenfalls dann nicht mehr, wenn das eingestellte Verfahren nach wie vor ein Verbrechen zum Gegenstand hat:
Die herrschende Meinung argumentiert damit, dass § 400 Abs. 2 S. 2 StPO bzw. § 397 Abs. 2 StPO a.F., der bis zum Inkrafttreten des Opferschutzgesetzes vom 18.12.1986 die Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers regelte, als lex specialis der Unanfechtbarkeitsbestimmung des § 153 Abs. 2 S. 4 bzw. des § 153 a Abs. 2 S. 4 StPO vorgehe. Insoweit hatte der 4. Senat des Oberlandesgerichts Hamm in seinem Beschluss vom 14.01.1996 (NStE Nr. 1 zu § 153 a StPO) zu dem damaligen § 397 Abs. 2 StPO argumentiert, dass diese Bestimmung keinen anderen Zweck haben könne, als den, den Nebenkläger auch dann von der Anfechtungsmöglichkeit auszuschließen, wenn der Staatsanwaltschaft ausnahmsweise ein Beschwerderecht gegen die Einstellungsentscheidung des Gerichts zustehen würde; anderenfalls wäre § 397 Abs. 2 StPO in Anbetracht der ohnehin schon bestehenden Unanfechtbarkeitsbestimmungen der § 153 Abs. 2 S. 3 und § 153 a Abs. 2 S. 4 StPO (jeweils a.F.) sinnlos. Diese sicher weitreichende Wirkung des § 397 Abs. 2 StPO, die das Prinzip der grundsätzlichen Rechtsmittelgleichheit von Anklagebehörde, Privat- und Nebenkläger durchbreche, entspreche aber durchaus den dem Nebenkläger zugewiesenen Befugnissen, nach denen er nicht zur Wahrung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung berufen sei, insoweit also auch kein "Mitverfügungsrecht" am Legalitätsprinzip der Staatsanwaltschaft besitze, sondern nur neben dieser sein persönliches Interesse auf Genugtuung vertrete (OLG Hamm, a.a.O.).
Ähnlich argumentiert das Landgericht Mönchengladbach (a.a.O.) damit, dass der Nebenkläger im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft eine Parteirolle habe und nicht zur Objektivität verpflichtet sei. Mit dieser Parteirolle wäre es nicht zu vereinbaren, dem Nebenkläger bei einer fehlerhaften Einstellungsentscheidung dieselben Anfechtungsbefugnisse zu eröffnen wie der Staatsanwaltschaft. Zudem genieße das Vertrauen des Angeklagten auf den Bestand der Entscheidung Vorrang vor den Interessen des Nebenklägers, was sich insbesondere auch daraus ergebe, dass die Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO nicht von der Zustimmung des Nebenklägers abhängig sei. Schon dieser für die Abwägung der Interessen von Nebenkläger und Angeklagtem außerordentlich bedeutsam Umstand verbiete es, die Einstellungsentscheidung aufgrund einer Beschwerde des Nebenklägers aufzuheben und für den Angeklagten damit das Risiko einer Verurteilung zu schaffen.
Das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) argumentiert mit dem Willen des Gesetzgebers. Dieser habe sich für eine Beschränkung der grundsätzlich selbständigen Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers entschieden, die sich nicht auf den Rechtsfolgenausspruch oder die Ermessenseinstellung erstrecke, da ein legitimes rechtliches Bedürfnis dafür nicht erkannt worden sei, wenn sich sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft mit der gerichtlichen Entscheidung zufriedengegeben hätten. Diese gesetzgeberische Entscheidung über die Stellung der Nebenklage im Strafverfahren bewege sich im verfassungsrechtlich unangreifbaren Rahmen. Denn das Grundgesetz kenne keinen grundrechtlichen Anspruch auf Strafverfolgung eines Dritten durch den Staat (BVerfG, NJW 1995, 318; BVerfGE 51, 176, 187) Demgegenüber bewertet Rieß (Löwe-Rosenberg-Rieß, StPO, 24. Aufl., § 153 Rdnr. 80) die Entstehungsgeschichte des damaligen § 397 Abs. 2 StPO differenzierter. Er weist darauf hin, dass das gesetzgeberische Motiv für die Neufassung des damaligen § 397 Abs. 2 StPO wohl darin gelegen habe, dem Nebenkläger keine weitergehenden Anfechtungsrechte als der Staatsanwaltschaft gegenüber Einstellungsbeschlüssen nach § 153 StPO einzuräumen. Dieses gesetzgeberische Motiv habe in dem weiterreichenden Wortlaut des § 397 Abs. 2 StPO aber keinen Ausdruck gefunden, so dass es näherliege, diese Bestimmung dahin auszulegen, dass dem Nebenkläger die Beschwerde auch in den Fällen verschlossen sei, in denen sie der Staatsanwaltschaft ausnahmsweise zustehe.
Der Senat kommt dagegen im Anschluss an die zuletzt zitierten Ausführungen von Rieß zu dem Ergebnis, dass § 397 Abs. 2 StPO a.F. und daran anschließend § 400 Abs. 2 S. 2 StPO jetziger Fassung weder nach ihrem Sinn und Zweck noch nach dem in den jeweiligen Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers dazu dienen sollten, dem Nebenkläger gegenüber einen Verbrechensvorwurf betreffenden Einstellungsbeschlüssen nach § 153 ff. StPO geringere Anfechtungsrechte als der Staatsanwaltschaft einzuräumen.
§ 397 Abs. 2 StPO a.F. ist durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09.12.1974 (BT-Drucks. 7/551) eingeführt worden. In der Begründung zu dem entsprechenden Gesetzentwurf heißt es hierzu:
"Der neu eingefügte Absatz 2 entscheidet die in neuerer Zeit in Rechtsprechung und Schrifttum streitig gewordene Frage, ob dem Nebenkläger gegen einen Einstellungsbeschluss nach § 153 Abs. 3 des geltenden Rechts das Rechtsmittel der Beschwerde zusteht, im negativen Sinn. Der Verletzte ist nicht befugt, schon gegen eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 2 des geltenden Rechts das Klageerzwingungsverfahren zu betreiben oder sonst eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Es besteht ebensowenig ein Grund, dem Verletzten, der sich als Nebenkläger dem gerichtlichen Verfahren angeschlossen hat, ein Rechtsmittel gegen einen mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ergangenen richterlichen Einstellungsbeschluss nach den §§ 153, 153 a und 153 b in der Fassung des Entwurfs zu geben." (BT-Drucks. 7/551, S. 93)."
Wie Rieß (Löwe-Rosenberg-Rieß, a.a.O.) zutreffend feststellt, bezog sich der von dem damaligen Gesetzgeber angeführte Streit aber allein auf die Frage, ob dem Nebenkläger weitergehende Anfechtungsbefugnisse gegenüber Einstellungsbeschlüssen nach §§ 153, 153 a StPO zustehen sollten als der Staatsanwaltschaft. Seinerzeit wurde nämlich aus § 383 Abs. 2 S. 3 StPO damaliger Fassung, wonach der Privatkläger die Einstellung des Verfahrens gegen den Angeklagten wegen geringer Schuld mit der sofortigen Beschwerde anfechten konnte, i.V.m. § 397 Abs. 1 damaliger Fassung, wonach der Nebenkläger nach erfolgtem Anschluss die Rechte des Privatklägers hatte, teilweise gefolgert, dass der Nebenkläger Einstellungsbeschlüsse nach §§ 153, 153 a StPO über die Anfechtungsrechte der Staatsanwaltschaft hinaus insgesamt - also auch hinsichtlich der Ermessensentscheidung - mit der sofortigen Beschwerde anfechten könne (so Löwe/Rosenberg-Kunert, StPO, 22. Aufl., § 397 Anm. 1. a mit Übersicht über den damaligen Meinungsstand; OLG Saarbrücken, a.a.O.; a.A. etwa LG Mainz, MDR 1974, S. 949, ebenfalls mit umfangreichen Nachweisen zum damaligen Meinungsstand). Völlig unbestritten war dagegen, dass der Nebenkläger, nach damaligem Recht jedenfalls die gleichen Anfechtungsrechte wie die Staatsanwaltschaft besitzen sollte, ihm mithin die Anfechtung von Einstellungsentscheidungen nach §§ 153, 153 a StPO dann zustand, wenn die prozessualen Voraussetzungen für eine solche Einstellungsentscheidung des Gerichts (Zustimmung jedenfalls der Staatsanwaltschaft, kein Verbrechenstatbestand) fehlten (vgl. KMR-StPO, 6. Aufl. 1966, § 153 Anm. 7. ee); Löwe-Rosenberg/Meyer-Goßner, StPO, 23. Aufl., § 153 Rdnr. 80 - bereits für den Rechtszustand nach der Neufassung des § 397 Abs. 2 StPO a.F. - ; OLG Saarbrücken, VRS 25, 205, 206; LG Mainz, MDR 1974, S. 949).
Auch die durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 eingeführte Neufassung des § 400 Abs. 2 S. 2 StPO wollte hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeiten des Nebenklägers gegenüber Einstellungsbeschlüssen nach §§ 153, 153 a StPO keine Änderung des bisherigen Rechtszustandes herbeiführen. Die amtliche Begründung führt insoweit aus (BT-Drucks. 10/5305, S. 15):
"Der Verletzte hat in erster Linie ein legitimes Interesse daran, dass der Angeschuldigte wegen der Tat, aus der sich die Befugnis zum Anschluss ergibt, überhaupt verurteilt wird. Deshalb räumt ihm der neue § 400 die Rechtsmittelbefugnis ein, wenn das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt, den Angeklagten freispricht oder das Verfahren gegen ihn wegen eines Verfahrenshindernisses (§§ 206 a, 260 Abs. 3) oder wegen einer nachträglichen Gesetzesänderung (§ 206 b) einstellt. Dagegen ist ein legitimes Interesse des Verletzten an der Höhe der den Angeklagten treffenden Strafe regelmäßig zu verneinen. Wenn in solchen Fällen sich sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft mit dem Urteil zufriedengeben, besteht kein dringendes Bedürfnis, dem Verletzten die Möglichkeit zu eröffnen, allein ein Rechtsmittel einzulegen. Dass ihm bei Ermessenseinstellung durch das Gericht keine Rechtsmittelbefugnis zusteht, entspricht bereits dem geltenden Recht (vgl. § 397 Abs. 2 in der bisherigen Fassung)."
Insbesondere aus dem letzten Satz der amtlichen Begründung ergibt sich eindeutig, dass hinsichtlich der Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers gegenüber Ermessenseinstellungen durch das Gericht keine Änderung des bisherigen Rechtszustandes beabsichtigt war.
Die historische und die teleologische Auslegung der Bestimmungen des § 397 Abs. 2 StPO a.F. und des § 400 Abs. 2 S. 2 StPO n.F. ergeben damit eindeutig, dass durch diese Bestimmungen das bereits vor der Neufassung des § 397 Abs. 2 StPO durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09.12.1974 unbestrittene Anfechtungsrecht des Nebenklägers gegen Einstellungsbeschlüsse gemäß §§ 153 Abs. 2, 153 a Abs. 2 StPO, die entgegen den insoweit zwingenden prozessualen Voraussetzungen ergangen waren, nicht beseitigt werden sollte. Diese Auslegung entspricht auch im besonderen Maße der Intention des Opferschutzgesetzes vom 18.12.1986, die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren zu verbessern und nicht etwa einzuschränken (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 8 f). Darüber hinaus hatte bereits der Gesetzgeber des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09.12.1974 die Nebenklagebefugnis der Angehörigen eines durch eine Straftat Getöteten mit folgenden Erwägungen hervorgehoben:
"Diese Befugnis ist mit der ganz besonderen Lage zu rechtfertigen, die dadurch gegeben ist, dass der unmittelbar Verletzte nicht mehr lebt. Dies wirkt sich dahingehend aus, dass er sich gegenüber Vorwürfen nicht mehr persönlich verteidigen kann, während der nicht getötete Verletzte in aller Regel schon als Tatzeuge im Mittelpunkt des Verfahrens steht und deshalb auch ohne Befugnis zur Nebenklage das Verfahren beeinflussen kann. Gerade in den Fällen eines Tötungsdelikts ist aber der Angeklagte häufig bemüht, eine Mitschuld oder gar die Alleinschuld des Getöteten als gegeben oder möglich hinzustellen. Dies gilt sowohl in Fällen der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr als auch in denen der vorsätzlichen Tötung, bei der die vom Opfer mitverschuldete Konfliktslage bei der Verteidigung des Angeklagten für die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag und bei der Strafzumessung nicht selten eine entscheidende Rolle spielt. Allein die nahen Angehörigen des Getöteten können hier das erforderliche Gleichgewicht herstellen, denn sie besitzen aufgrund ihrer menschlichen und familienrechtlichen Bindungen das dazu erforderliche Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Getöteten. Diese Verbundenheit durch die Zubilligung einer gesicherten verfahrensrechtlichen Stellung zu schützen, entspricht letztlich Grundgedanken unserer Rechtsordnung, wie sie beispielsweise in Artikel 6 des Grundgesetzes zum Ausdruck gekommen sind." (BT-Drucks. 7/551, S. 45 f).
Die so vom Gesetzgeber zutreffend gewichteten Interessen der Hinterbliebenen eines durch eine vorsätzliche Straftat Getöteten und die daraus insbesondere auch im Hinblick auf Art. 6 des Grundgesetzes gezogene Schlussfolgerung des damaligen Gesetzgebers, diesen Hinterbliebenen eine gesicherte verfahrensrechtliche Stellung zu verschaffen, lassen sich kaum mit der Erwägung in Einklang bringen, ihnen auch dann das der Staatsanwaltschaft zustehende Beschwerderecht gegen Einstellungsbeschlüsse nach § 153 Abs. 2; § 153 a Abs. 2 StPO zu versagen, wenn die Einstellung ungeachtet des Umstandes erfolgt, dass Verfahrensgegenstand nach wie vor ein vorsätzliches Tötungsdelikt und damit ein Verbrechen ist.
Diese Einschätzung des Gesetzgebers aus dem Jahre 1974 hat auch der Gesetzgeber des Opferschutzgesetzes aus dem Jahre 1986 übernommen. Insoweit heisst es in der Begründung ausdrücklich, dass die Anschlussbefugnis der Angehörigen eines Getöteten weiterhin sachgerecht erscheint und sachlich unverändert beibehalten bleiben kann (BT-Drucks. 10/5305, S. 11).
Endlich erfordert auch der Vertrauensschutz des Angeklagten (vgl. LG Mönchengladbach, a.a.O.) keine andere Bewertung. Dieser hat nämlich durch die Verfahrenseinstellung gemäß § 153 Abs. 2, § 153 a Abs. 2 StPO jedenfalls in den Fällen, in denen Gegenstand des Verfahrens tatsächlich nach wie vor ein Verbrechensvorwurf ist, keinerlei geschützte Rechtsposition erhalten. Der gerichtliche Einstellungsbeschluss gemäß § 153 Abs. 2 StPO hat nämlich nur eine beschränkte Rechtskraftwirkung. Die erneute Strafverfolgung wegen der Tat, die Gegenstand richterlicher Einstellung gemäß § 153 Abs. 2. StPO war, ist nach ersichtlich einhelliger Meinung u.a. dann zulässig, wenn die Tat nicht wie angenommen ein Vergehen, sondern tatsächlich ein Verbrechen darstellt (KK-Schoreit, StPO, 4. Aufl., § 153 Rdnr. 63, 64; KMR-Müller, StPO, § 153 Rdnr. 37; Löwe-Rosenberg-Rieß, StPO, 24. Aufl., § 153 Rdnr. 87; Pfeiffer/Fischer, StPO, § 153 Rdnr. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 153 Rdnr. 38; OLG Hamm, GA 1993, 231). In diesem Fall wäre die Staatsanwaltschaft von Amts wegen gehalten, die Ermittlungen wieder aufzunehmen, den Angehörigen des Verletzten stünde anderenfalls das Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 StPO offen (OLG Hamm, GA 1993, 231; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 153 Rdnr. 38). Dagegen würde der Nebenkläger, wollte man ihm mit der ganz herrschenden Meinung auch gegen die Einstellung eines Strafverfahrens, das einen Verbrechensvorwurf zum Gegenstand hat, wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 Abs. 2 StPO die Beschwerdemöglichkeit nehmen, ohne sachlichen Grund zumindest in dem anhängigen Verfahren rechtlos gestellt (so auch KK-Schoreit, a.a.O., § 153 Rdnr. 58) und im Ergebnis jeweils auf das Klageerzwingungsverfahren verwiesen.
2. Die zulässige Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Das Landgericht durfte das Verfahren gegen den Angeklagten T. nicht gemäß § 153 Abs. 2 StPO einstellen, da das Verfahren auch zum Zeitpunkt der Einstellung noch ein Verbrechen zum Gegenstand hatte. Die Einstellung nach § 153 StPO ist hingegen gemäß § 153 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann zulässig, wenn Verfahrensgegenstand ein Vergehen ist.
Die Strafkammer und die örtliche Staatsanwaltschaft sind zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Verfahren nur deshalb kein Verbrechen (mehr) zum Gegenstand hatte, weil sie nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen waren, dass die Tötung des M. Sch. durch den Angeklagten in nicht zu widerlegender Weise durch Notwehr gerechtfertigt war. Das mögliche Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ändert nämlich nichts an der Charakterisierung der verfahrensgegenständlichen Tat als Verbrechen. Verbrechen sind nach § 12 Abs. 1 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind, Vergehen dagegen solche rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind. Diese Zweiteilung der Straftaten drückt den grundsätzlichen Schweregrad der Tat nach Unrecht und Schuld aus, die aber allein an die abstrakt für den Regelfall (§ 12 Abs. 3 StGB) angedrohte Mindeststrafe und nicht etwa an die Beweisbarkeit des Vorwurfs oder aber an die Nichtwiderlegbarkeit des Bestehens möglicher Rechtfertigungsgründe anknüpft. Die Rechtswidrigkeit der Tat wird vielmehr in § 12 Abs. 1 StGB sowohl für das Verbrechen als auch für das Vergehen vorausgesetzt und ist deshalb kein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen beiden. Die Richtigkeit dieser Betrachtungsweise wird dann besonders deutlich, wenn im vorliegenden Fall der tateinheitliche Vorwurf der Beteiligung an einer Schlägerei hinweggedacht wird. Wäre Verfahrensgegenstand allein der Vorwurf des Totschlages gewesen, so wäre eine Einstellung gemäß § 153 StPO ersichtlich auch dann ausgeschieden, wenn die Kammer die Notwehreinlassung des Angeklagten nicht hätte widerlegen können. Sie wäre dann nicht umhingekommen, den Angeklagten freizusprechen, wobei der Nebenklägerin die Möglichkeit geblieben wäre, diesen Freispruch zur Überprüfung durch das Revisionsgericht zu stellen. Den Angeklagten hier aber gerade deshalb hinsichtlich der Einstellungsmöglichkeit nach § 153 StPO besserzustellen, weil er zusätzlich zum Vorwurf des Verbrechens noch dem Vorwurf eines tateinheitlich dazu begangenen Vergehens ausgesetzt ist, erscheint nicht sachgerecht. Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall, in dem der Beitrag des Angeklagten an der Schlägerei sich möglicherweise in der Tötung des M. Sch. erschöpfte, das Vergehen gemäß § 231 StGB hinter der vorsätzlichen Tötung gemäß § 212 StGB zutücktreten kann (vgl. Schönke/Schröder/Stree, StGB, 25. Aufl., § 227 Rdnr. 17; zum Verhältnis von durch Notwehr gerechtfertigtem Totschlag und Beteiligung an einer Schlägerei s. auch BGHR StGB, § 227 Beteiligung 2, 3).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1; 472 Abs. 1 Satz 1 StPO analog (vgl. KK-Franke, a.a.O., § 473 Rn. 9, 12).


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