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RVG Entscheidungen

§ 14 – Strafverfahren

Rahmengebühren; Unbilligkeit; Kostengrundentscheidung; Teilfreispruch;

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 10.09.2007, 1 Ws 191/07

Leitsatz: 1. Enthält die Kostengrundentscheidung im Falle des echten Teilfreispruchs keine Quotelung nach § 464b StPO, so kann zur Berechnung der zu erstattenden notwendigen Auslagen im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO die Differenztheorie angewandt oder nach sachgerechter Schätzung eine Quotelung vorgenommen werden. Welche Aufteilungsmethode Anwendung findet, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Rechtspflegers.

2. Es muss ausnahmsweise eine Überbürdung der gesamten durch die Inanspruchnahme eines Pflichtverteidigers entstandenen Verteidigergebühren auf die Staatskasse erfolgen, wenn sich der teilfreigesprochene Angeklagte wegen der verurteilten Tat keines zweiten Wahlverteidigers bedient hätte und ihm auch kein weiterer Verteidiger zur Verfahrenssicherung beigeordnet worden wäre.

3. Der frühere Angeklagte kann von der Staatskasse nie die Erstattung von Auslagen eines Pflichtverteidigers verlangen.

4. Es ist anerkannt, dass ein Fall der Unbilligkeit im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG erst dann vorliegt, wenn die von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die von dem Gericht für angemessen erachtete um mehr als 20 % überschreitet, und eine Überschreitung um bis zu 20 % in der Regel zu tolerieren ist.

5. Auf den Meinungsstreit, ob der Abzug der ausgezahlten Pflichtverteidigervergütung im Fall des Teilfreispruchs im vollem Umfang zu erfolgen hat oder nur in der Höhe, die prozentual auf den Freispruch entfällt, kommt es nicht an, wenn der frühere Angeklagte im Fall der Strafverfolgung nur wegen der verurteilten Tat keinen zweiten Verteidiger beauftragt hätte und ihm auch kein Pflichtverteidiger neben einem Wahlverteidiger bestellt worden wäre. Denn dann entfallen die durch die Tätigkeit des Pflichtverteidigers entstandenen Kosten in vollem Umfang auf den Freispruch.

6. Die Staatskasse hat auch die auf den Differenzbetrag zwischen Pflicht- und Wahlverteidigergebühren entfallende Mehrwertsteuer zu tragen.


Tenor
In pp.

Auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Koblenz vom 16. März 2007 abgeändert.
Die dem früheren Angeklagten aufgrund seiner Anträge vom 17. Januar 2007 und 14. März 2007 von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 870 € festgesetzt.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der frühere Angeklagte, wobei die Gebühr für das Beschwerdeverfahren um 1/9 ermäßigt wird. In diesem Umfang hat die Staatskasse auch die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 7.580,93 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Beschwerdeführer wurde am 27. September 2005 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz vom 21. September 2005 festgenommen, in dem ihm ein Verbrechen der Verabredung zum Mord (§§ 30Abs. 2, 211, 25 Abs. 2 StGB) zur Last gelegt wurde (Bl. 464 ff., 651 d.A.). Am Tag seiner Festnahme übte er in der Wohnung, in der er festgenommen wurde, die tatsächliche Gewalt über eine halbautomatische Selbstladepistole mit passender scharfer Munition aus. Schusswaffe und Munition konnten aufgrund seiner Angaben sichergestellt werden (Bl. 649 d.A.). In der Folgezeit befand er sich aufgrund des Haftbefehls in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Trier. Während des Ermittlungsverfahrens bestellte sich Rechtsanwalt T. in B. zu seinem Verteidiger.

Am 1. Februar 2006 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschwerdeführer und fünf Mitangeklagte zur Schwurgerichtskammer des Landgerichts Koblenz. Ihm und einer Mitangeklagten wurden gemeinschaftliche versuchte Anstiftung zum Mord bzw. zur Anstiftung zum Mord nach vorheriger Verabredung (§§ 30 Abs. 1 und 2, 211, 25 Abs. 2 StGB) und dem Beschwerdeführer tatmehrheitlich dazu Besitz in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe nebst Munition (§§ 52 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 3 Nr. 2 lit. b WaffG, 52 StGB) zur Last gelegt. Den weiteren Angeklagten wurde räuberische Erpressung, teils in Tatmehrheit mit Bereiterklären und Verabredung zum Mord und weiteren Taten vorgeworfen.

Nachdem Rechtsanwältin B. den Beschwerdeführer am 20. Januar 2006 in der Justizvollzugsanstalt Trier besucht hatte (Bl. 15, 45 KH S.), erteilte Rechtsanwalt T. ihr am 2. Februar 2006 Untervollmacht (Bl. 2009 d.A.).
4
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens bestellte der Strafkammervorsitzende durch Beschluss vom 23. Mai 2006 sämtlichen bereits durch Wahlverteidiger vertretenen Angeklagten zur Verfahrenssicherung andere Rechtsanwälte als Pflichtverteidiger. Dabei wurde Rechtsanwältin B. dem Beschwerdeführer beigeordnet (Bl. 2418 d.A.).
In der Zeit vom 20. Juni 2006 bis zum 14. September 2006 führte die Schwurgerichtskammer 17 Hauptverhandlungstermine durch. An 16 Terminen nahm die Pflichtverteidigerin teil, wobei sie in einem Termin (6. Juli 2006) erst etwa zwei Stunden nach Verhandlungsbeginn erschien und in einem Termin etwa zwei Stunden vor Verhandlungsschluss den Sitzungssaal verließ (14. August 2006). An 7 Verhandlungsterminen nahm zumindest zeitweise auch der Wahlverteidiger teil. Am 15. Verhandlungstag gab der Beschwerdeführer über Rechtsanwältin B. eine zuvor von ihr auf 9 Seiten schriftlich ausgearbeitete Einlassung ab. Die Plädoyers wurden am 16. Verhandlungstag gehalten. Für den Beschwerdeführer plädierte nur der Wahlverteidiger.

Durch Urteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Koblenz vom 14. September 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen „vorsätzlichen unerlaubten Besitzes und Führens einer Schusswaffe und Munition“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Übrigen wurde er freigesprochen. Der gegen ihn bestehende Haftbefehl wurde aufgehoben. Eine Mitangeklagte wurde insgesamt freigesprochen, ein Mitangeklagter insgesamt verurteilt und drei Mitangeklagte teils verurteilt und teils freigesprochen. Das Urteil, das bezüglich des Beschwerdeführers seit dem 27. Dezember 2006 (Rücknahme der gegen die Freisprüche eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft innerhalb der Revisionsbegründungsfrist) und inzwischen bezüglich aller Angeklagten rechtskräftig ist, enthält folgende Kostenentscheidung:

„Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen, soweit sie verurteilt worden sind. Soweit sie freigesprochen worden sind oder das Verfahren eingestellt worden ist, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.“

Durch Auszahlungsanordnungen vom 19. Juli 2006 und 4. Oktober 2006 waren der Pflichtverteidigerin insgesamt 14.480,40 € Pflichtverteidigervergütung ausgezahlt worden. Darin waren neben Verteidigerauslagen nach Nrn. 9700 ff VV-RVG Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 9.030 € zuzüglich 16 % MWSt. (10.474,80 €) enthalten (Grundgebühr gemäß Nr. 4101 VV-RVG: 162 €, Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4119 VV-RVG: 322 €, 16 Terminsgebühren gemäß Nr. 4121 VV-RVG zu je 434 €, 9 Längenzuschläge gemäß Nr. 4122 VV-RVG zu je 178 €). In den Pflichtverteidigerabrechnungen waren insgesamt 13 Besuche bei dem Beschwerdeführer in zwei verschiedenen Justizvollzugsanstalten (2 in Trier und 11 in Koblenz) geltend gemacht worden, wobei die Auslagen für 11 Besuche letztlich zur Auszahlung gelangten.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 17. Januar 2007, eingegangen bei dem Landgericht Koblenz am 19. Januar 2007, hat der frühere Angeklagte Festsetzung seiner von der Staatskasse zu erstattenden, durch die Inanspruchnahme dieser Verteidigerin entstandenen notwendigen Auslagen in Höhe von 10.417,66 € (nach Abzug der ausgezahlten Pflichtverteidigervergütung) beantragt. Auf dringende Anforderung einer der Differenzmethode entsprechenden Abrechnung hat er mit Verteidigerschriftsatz vom 14. März 2007 eine korrigierte Abrechnung vorgelegt, in der 2 % der Wahlverteidigergebühren als (fiktive) auf die Verurteilung entfallende Kosten abgezogen worden waren, so dass sich nunmehr ein Saldo von 9.919,71 € ergab. Im Einzelnen legte er dabei folgende Berechnung zugrunde:


Wahlverteidigervergütung:
1. Grundgebühr, Nr. 4101 VV-RVG (Höchstgebühr) 375,00 €
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4119 VV-RVG (Höchstgebühr) 725,00 €
3. Terminsgebühr, Nr. 4121 VV-RVG,
16 x 975 € (Höchstgebühr) 15.600,00 €
4. Längenzuschlag, Nr. 4122 VV-RVG, 11 x 178 € 1.958,00 €
5. Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Z. 1 bzw. 2 VV-RVG,
für 16 Hauptverhandlungstermine und 4 JVA-Besuche 595,00 €
6. Fahrtkosten, Nr. 7003 VV-RVG,
für 16 Hauptverhandlungstermine und 4 JVA-Besuche 1.635,00 €
7. Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV-RVG 20,00 €
8. Kopierkosten, Nr. 7000 Z. 1, 3589 Kopien 555,85 €
Gesamtbetrag der Wahlverteidigervergütung: 21.463,85 €
Abzüglich auf die Verurteilung entfallender Kosten (2 %) - 429,27 €
Differenz: 21.034,58 €
Zuzüglich MWSt 16 % 3.365,53 €
Von der Staatskasse zu tragende Verteidigervergütung 24.400,11 €
Abzüglich ausgezahlter Pflichtverteidigervergütung - 14.480,40 €
Insgesamt: 9.919,71 €

Zur Überschreitung der Mittelgebühren wurde auf die hohe Bedeutung des Tatvorwurfs, von dem der unbestrafte Beschwerdeführer freigesprochen worden war, und einen infolge der Inhaftierung drohenden Niedergang seines Geschäftsbetriebes (Gebrauchtwagenhandel) hingewiesen.

Durch Beschluss vom 16. März 2007 hat die Rechtspflegerin die dem früheren Angeklagten aufgrund seiner Anträge vom 17. Januar 2007 und 14. März 2007 von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 67,50 € festgesetzt. Die geltend gemachten Verteidigerauslagen hat die Rechtspflegerin nicht in die Berechnung eingestellt, sondern lediglich die auf den Freispruch entfallenden Verteidigergebühren nach der Differenztheorie ermittelt. Dabei hat sie Grund- und Verfahrensgebühr jeweils mit der Höchstgebühr in Ansatz gebracht, die Terminsgebühren hingegen sämtlich lediglich mit der Mittelgebühr, weil einzelne Termine von sehr kurzer Dauer gewesen seien und deshalb die längere Dauer der übrigen Termine kompensiert werde. Die von dem Beschwerdeführer zusätzlich zu den Terminsgebühren nach Nr. 4221 VV-RVG in Ansatz gebrachten Längenzuschläge gemäß Nr. 4122 VV-RVG hat sie nicht anerkannt, weil diese nur dem Pflichtverteidiger zustünden. Bei der Ermittlung der auf die Verurteilung entfallenden Verteidigergebühren ist die Rechtspflegerin davon ausgegangen, dass der Verstoß gegen das Waffengesetz zur Strafkammer angeklagt, der Beschwerdeführer auch insoweit in Haft gewesen und die Hauptverhandlung in nur einem Termin abgeschlossen worden wäre. Von der ermittelten Differenz hat sie die ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren abgezogen. Im Einzelnen hat die Rechtspflegerin folgende Berechnung vorgenommen:
13

Wahlverteidigergebühren: 1. Grundgebühr, Nr. 4101 VV-RVG (Höchstgebühr) 375,00 €
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4119 VV-RVG (Höchstgebühr) 725,00 €
3. Terminsgebühr, Nr. 4121 VV-RVG,
16 x 542,50 € (Mittelgebühr) 8.680,00 €
Gesamtbetrag der Wahlverteidigergebühren: 9.780,00 €
Abzüglich auf die Verurteilung entfallender fiktiver
Verteidigergebühren:
1. Grundgebühr, Nr. 4101 VV-RVG (Mittelgebühr)
(Anm.: Tatsächlich angesetzt ist die Mittelgebühr
Nr. 4100 VV-RVG) - 165,00 €
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4113 VV-RVG (Mittelgebühr) - 188,75 €
3. Terminsgebühr, Nr. 4115 VV-RVG (Mittelgebühr) - 328,75 €
Von der Staatskasse zu tragende Auslagen: 9.097,50 €
Abzüglich ausgezahlter Pflichtverteidigergebühren: - 9.030,00 €
Insgesamt: 67,50 €
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Gegen diesen, der Verteidigerin am 22. März 2007 zugestellten Beschluss hat der frühere Angeklagte durch am 27. März 2007 beim Landgericht eingegangenen Verteidigerschriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er antragsgemäße Festsetzung mit Ausnahme der dem Pflichtverteidiger vorbehaltenen Längenzuschläge begehrt. Er ist insbesondere der Auffassung, die Rechtspflegerin sei unberechtigt von dem Ansatz der Wahlverteidigerhöchstgebühren abgewichen. Denn an mehr als der Hälfte der Termine sei länger, teilweise bis zu 7 bzw. 8 Stunden, verhandelt worden. Da der Pflichtverteidiger für die Teilnahme an einem 5 Stunden überschreitenden Hauptverhandlungstermin eine Zusatzgebühr erhalte, müsse in solchen Fällen auch bei dem Wahlverteidiger von einer überdurchschnittlichen Inanspruchnahme ausgegangen werden. Hinzukomme die besondere Verteidigerleistung der Erarbeitung der schriftlichen Einlassung nach Durchführung der Beweisaufnahme.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache nur einen Teilerfolg. Es führt lediglich zu einer Heraufsetzung der dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Anträge vom 17. Januar 2007 und 14. März 2007 aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen um 802,50 € gegenüber dem in der angefochtenen Entscheidung zuerkannten Betrag von 67,50 €. Denn nur der Abzug fiktiver auf die Verurteilung entfallender Verteidigergebühren und der Nichtansatz der Mehrwertsteuer sind zu korrigieren. Im Übrigen entspricht die angefochtene Entscheidung der Sach- und Rechtslage.

1. Enthält die Kostengrundentscheidung im Falle des echten Teilfreispruchs, wie er hier vorliegt, keine Quotelung nach § 464b StPO, so kann zur Berechnung der zu erstattenden notwendigen Auslagen im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO sowohl die Differenztheorie angewandt oder nach sachgerechter Schätzung eine Quotelung vorgenommen werden. Welche Aufteilungsmethode Anwendung findet, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Rechtspflegers (OLG Koblenz StraFo 99, 105, 106; Beschluss 1 Ws 989/01 vom 25. September 2001 m.w.N.), der sich hier ermessensfehlerfrei für die Anwendung der Differenztheorie entschieden hat.

Nach ihr soll der Verurteilte genau so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre; die in diesem Fall entstandenen Kosten fallen ihm zur Last. Von den Mehrkosten, die durch die Vorwürfe veranlasst sind, bezüglich derer es zum Freispruch kam, soll er freigestellt werden. Lassen sich die Mehrkosten nicht eindeutig zuordnen, weil die Aufwendungen, wie z.B. die Gebühren des Verteidigers, zwangsläufig das gesamte Verfahren betreffen, so müssen sie durch einen Vergleich der dem Verurteilten tatsächlich entstandenen notwendigen Auslagen mit den im Fall des beschränkten Verfahrensgegenstandes hypothetisch erwachsenen ermittelt werden. In Bezug auf die Vergütung des Verteidigers bedeutet dies regelmäßig, dass vom Gesamthonorar das fiktive Honorar abzuziehen ist, welches dem Verteidiger zustehen würde, wenn nur die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Mandats gewesen wäre. Nur in Höhe des weitergehenden Gebührenanspruches besteht dann ein Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten gegen die Staatskasse (OLG Koblenz a.a.0. m.w.N.).

Hier muss jedoch ausnahmsweise eine Überbürdung der gesamten durch die Inanspruchnahme von Rechtanwältin B. entstandenen Verteidigergebühren auf die Staatskasse erfolgen. Es liegt zwar nicht der Fall vor, dass der Angeklagte nachweislich wegen der Tat, die zur Verurteilung geführt hat, keinen Verteidiger beauftragt hätte, für den eine uneingeschränkte Kostenerstattung bei Teilfreispruch anerkannt ist (Senatsbeschluss 1 Ws 989/01 vom 25. September 2001 m.w.N.). Denn es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als zuvor unbestrafter, mithin gerichtsunerfahrener Beschuldigter wegen einer mit einem Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 5 Jahren bedrohten Tat keinen Verteidiger zu Rate gezogen hätte. Er hätte sich aber weder eines zweiten Wahlverteidigers bedient, noch wäre ihm - wie hier geschehen - zur Verfahrenssicherung ein weiterer Verteidiger beigeordnet worden. Denn die Hauptverhandlung wegen des Waffendelikts wäre bei der gegebenen Beweislage (der frühere Angeklagte hatte bei seiner Festnahme selbst auf die in seinem Besitz befindliche Waffe und die Munition hingewiesen und auch eingeräumt, sie zuvor in die Wohnung verbracht zu haben) selbst dann an einem Verhandlungstag abgeschlossen worden, wenn der frühere Angeklagte in der Hauptverhandlung kein Geständnis abgelegt hätte.

Da der frühere Angeklagte (bislang) nicht die durch die Inanspruchnahme des Wahlverteidigers entstandenen Kosten gegen die Staatskasse geltend macht, stellt sich derzeit nicht die Frage der Erstattungsfähigkeit der für dessen Inanspruchnahme entstandenen Kosten (s. dazu Senatsbeschluss 1 Ws 101/03 vom 18. März 2003). Jedenfalls wären insoweit die (fiktiven) auf die Verurteilung entfallenden Verteidigerkosten abzuziehen.

2. Die Rechtspflegerin hat zu Recht die geltend gemachten Verteidiger auslagen nicht in ihre Berechnung eingestellt.

Der frühere Angeklagte kann von der Staatskasse nie die Erstattung von Auslagen eines Pflichtverteidigers verlangen. Der Pflichtverteidiger darf sie ihm nämlich nicht in Rechnung stellen. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 RVG kann der Pflichtverteidiger von dem Beschuldigten nur die G ebühren eines gewählten Verteidigers verlangen, soweit - wie hier - ein Erstattungsanspruch nach § 464b StPO gegen die Staatskasse besteht oder das Gericht die Leistungsfähigkeit des Beschuldigten feststellt. Die Verteidigerauslagen, die für den Wahl- und den Pflichtverteidiger ohnehin gleich sind, darf der Pflichtverteidiger gemäß § 45 Abs. 1 RVG nur von der Staatskasse verlangen (OLG Saarbrücken RPfleger 2000, 564; OLG Hamburg RPfleger 1999, 413; OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 1532; alle zu § 100 Abs. 1 BRAGO). Sie sind der Pflichtverteidigerin auch erstattet worden (s. dazu den Hinweis des Senats unten III.).

3. Die Rechtspflegerin hat auch zutreffend die geltend gemachten Höchstgebühren für die Teilnahme an 16 Hauptverhandlungsterminen insgesamt auf die Mittelgebühren der Nr. 4121 VV-RVG (Gebührenrahmen 110 bis 975 €; Mittelgebühr 542,50 €) herabgesetzt.

Die Höhe der Wahlverteidigergebühren bestimmt der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ist die Gebühr von einem Dritten, wie vorliegend von der Staatskasse, zu erstatten, so ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nur dann nicht verbindlich und abänderbar, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein Fall der Unbilligkeit erst dann vorliegt, wenn die von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die von dem Gericht für angemessen erachtete um mehr als 20 % überschreitet, und eine Überschreitung um bis zu 20 % in der Regel zu tolerieren ist (st. Senatsrechtsprechung, z.B. Beschluss 1 Ws 153/07 vom 26. März 2007).

Nach gefestigter Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist in Fällen, in denen sämtliche nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, von der Mittelgebühr auszugehen. Ein solcher Durchschnittsfall liegt hier vor. Vom Aktenumfang abgesehen, der hier jedoch lediglich zur Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühr nach Nrn. 4101 und 4119 VV-RVG in Höhe der Höchstgebühr führen kann (375 € und 725 €), waren Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in der Hauptverhandlung für ein Schwurgerichtsverfahren, das einen deutlich höheren Gebührenrahmen als ein Verfahren vor der Strafkammer bietet, nur durchschnittlich. Die Behauptung der Verteidigerin, mehr als die Hälfte der Verhandlungstermine sei von langer Dauer gewesen, trifft nicht zu. In den Anträgen vom 17. Januar 2007 und 14. März 2007 wurden zwar 11 und in den Pflichtverteidigerabrechnungen 9 Längenzuschläge nach Nr. 4122 VV-RVG geltend gemacht. Neun hat sie auch festgesetzt erhalten. Tatsächlich dauerten aber nur 7 Termine für diese Verteidigerin über 5 Stunden, weil sie zu einen der 8 tatsächlich über 5 Stunden dauernden Termine erst zwei Stunden nach Verhandlungsbeginn erschien und nur etwa 3 ½ Stunden an der Verhandlung teilnahm. Im Durchschnitt war sie genau 4 Stunden pro abgerechneten Verhandlungstag anwesend. Die Ausarbeitung der schriftlichen Einlassung des früheren Angeklagten wird durch die Entlastung aufgrund der Arbeitsteilung mit dem Wahlverteidiger kompensiert, die ihr sogar das Plädoyer ersparte. Die Verteidigerin hat den Angeklagten auch nicht überdurchschnittlich oft in der Haftanstalt besucht. Die in ihren Pflichtverteidigerabrechnungen geltend gemachten 13 Besuche in der Haftanstalt, von denen zahlreiche lange Zeit vor der Mandatsübernahme bzw. zu einer Zeit in der Justizvollzuganstalt Koblenz stattgefunden haben sollen, als der frühere Angeklagte noch in der Justizvollzugsanstalt Trier in Untersuchungshaft war, treffen offensichtlich nicht zu. Die Anträge nach § 464b StPO weisen auch nur noch vier Besuche aus. Auch die Bedeutung des Verfahrens für den früheren Angeklagten ging keinesfalls über den Durchschnitt eines Schwurgerichtsverfahrens hinaus. Im Verurteilungsfalle wegen versuchter Anstiftung zum Mord wäre die Strafe zwingend nach §§ 30, 49 Abs. 1 StGB zu mildern gewesen. Drohende Folgen für einen selbständig ausgeübten Geschäftsbetrieb sind bei langjährigen Haftstrafen, wie sie in Schwurgerichtsverfahren grundsätzlich drohenden, schon nicht außergewöhnlich. Im Übrigen wurde der Betrieb von Bruder und Vater des Beschwerdeführers weitergeführt. Schließlich sind auch die Einkommensverhältnisse des früheren Angeklagten mit 2500 - 3000 € monatlich (UA S. 6) noch nicht überdurchschnittlich hoch.

Bei dieser Sachlage ist lediglich der Ansatz der Mittelgebühr für sämtliche 16 Hauptverhandlungstermine gerechtfertigt. Der Gebührenansatz der Verteidigerin weicht damit deutlich mehr als 20 % von den angemessenen Gebühren ab. Ihre Bestimmung ist deshalb unbillig und mithin abänderbar.

4. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG entfällt der Anspruch des Rechtsanwaltes auf die Wahlverteidigergebühren „insoweit, als die Staatskasse Gebühren bezahlt hat". Deshalb sind von den Wahlverteidigergebühren die ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren abzuziehen. Auf den Meinungsstreit, ob der Abzug im Fall des Teilfreispruchs im vollem Umfang zu erfolgen hat (so OLG Saarbrücken Rpfleger 2000, 564; OLG Hamburg Rpfleger 1999, 413; OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 1532; LG Koblenz, 1. Strafkammer, Rpfleger 2005, 564) oder nur in der Höhe, die prozentual auf den Freispruch entfällt (so OLG Oldenburg StraFo 2007, 127; OLG Celle NJW 2004, 2396; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 64; LG Koblenz, 9. Strafkammer, JurBüro 2001, 421), bedarf hier keiner Entscheidung. Da der frühere Angeklagte im Fall der Strafverfolgung nur wegen der verurteilten Tat keinen zweiten Verteidiger beauftragt hätte und ihm auch kein Pflichtverteidiger neben einem Wahlverteidiger bestellt worden wäre, entfallen die durch die Tätigkeit der Pflichtverteidigerin entstandenen Kosten in vollem Umfang auf den Freispruch.
27
5. Die angefochtene Entscheidung berücksichtigt nicht, dass der Verteidiger die auf den Differenzbetrag zwischen Pflicht- und Wahlverteidigergebühren entfallende Mehrwertsteuer verlangen kann (OLG Saarbrücken a.a.O.). Sie steht in unlösbarem Zusammenhang mit dem Gebührenanspruch.
28
6. Es ergibt sich mithin folgende Gesamtberechnung:

Wahlverteidigergebühren:
1. Grundgebühr, Nr. 4101 VV-RVG (Höchstgebühr) 375,00 €
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4119 VV-RVG (Höchstgebühr) 725,00 €
3. Terminsgebühr, Nr. 4121 VV-RVG,
16 x 542,50 € (Mittelgebühr) 8.680,00 €
Gesamtbetrag der Wahlverteidigergebühren: 9.780,00 €
Abzüglich ausgezahlter Pflichtverteidigergebühren: - 9.030,00 €
Differenzbetrag 750,00 €
Zuzüglich MWSt. 16 % 120,00 €
Festzusetzender Betrag 870,00 €

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und 4 StPO.
III.

Der Senat weist darauf hin, dass die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung offensichtlich fehlerhaft ist, soweit der Pflichtverteidigerin Abwesenheitsgelder und Fahrtkosten für Besuche in der Justizvollzugsanstalt Koblenz am 8. November 2005, 13. Dezember 2005, 17. Januar 2006, 3. Februar 2006, 8. und 24. März 2006, 19. Mai 2006, 2. Juni 2006 und 22. Juni 2006 zuerkannt wurden. Das Mandatsanbahnungsgespräch fand offensichtlich erst am 20. Januar 2006 in der Justizvollzugsanstalt Trier statt, wo sich der frühere Angeklagte bis kurze Zeit vor Hauptverhandlungsbeginn (20. Juni 2006) in Untersuchungshaft befand. Die genannten Daten stimmen mit der Auflistung der Pflichtverteidigerin der Mitangeklagten E., Rechtsanwältin H., die mit Rechtsanwältin B. in Bürogemeinschaft tätig ist, in deren Kostenfestsetzungsantrag vom 13. Juli 2006 über Besuche in der Justizvollzugsanstalt Koblenz überein (KH E. Bl. 12f.). Hinsichtlich des bereits in dem ersten Festsetzungsantrag der Rechtsanwältin B. vom 14. Juli 2006 (KH S. Bl. 15) geltend gemachten Besuchs am 14. Juni 2006 in der Justizvollzugsanstalt Koblenz besteht ebenfalls Übereinstimmung mit dem Besuch der Rechtsanwältin H. bei der Mitangeklagten in dieser Haftanstalt. Es wird zu klären sein, ob beide Verteidigerinnen an diesem Tag ihre Mandanten in der Justizvollzugsanstalt Koblenz besucht haben und ob sie gegebenenfalls getrennt angereist sind.


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