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RVG Entscheidungen

Nr. 4106 VV

Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 11. 01. 2005, 1 Ws 717/04

Fundstellen: JurBüro 2005, 199

Leitsatz: Wird der Rechtsanwalt erst im Hauptverhandlungstermin zum Verteidiger bestellt und wird am Ende der ersten Hauptverhandlung bereits das Urteil verkündet und Rechtsmittelverzeicht erklärt, entsteht dem Verteidiger keine Verfahrensgebühr nach Nr. 4106, 4107 VV RVG.


Geschäftsnummer:
1 Ws 717/04
2030 Js 42726/04 StA Koblenz
9 Qs 185/04 LG Koblenz


OBERLANDESGERICHT
KOBLENZ

BESCHLUSS
In der Strafsache

g e g e n

PP.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt K.


w e g e n Diebstahls
hier: Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren


hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Rich-ter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht am 11. Januar 2005 b e s c h l o s s e n:


Auf die weitere Beschwerde der Staatskasse werden der Beschluß der 9. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 28. September 2004 und der Beschluß des Strafrichters beim Amtsgerichts Koblenz vom 17. September 2004 aufgehoben.

Der Festsetzungsbescheid der Rechtpflegerin beim Amtsgericht Koblenz vom 25. August 2004 wird dahin abgeändert, daß die aus der Staatskasse zu zah-lende Vergütung des Rechtsanwalts K. für seine Tätigkeit als bestellter Vertei-diger des früheren Angeklagten H. im Verfahren vor dem Amtsgericht Koblenz auf

470,96 €

(vierhundertsiebzig Euro und sechsundneunzig Cent)
festgesetzt wird.


Gründe

I.

1. Mit Anklageschrift zum Strafrichter beim Amtsgericht Koblenz vom 27. Juli 2004 legte die Staatsanwaltschaft dem damals in Untersuchungshaft befindlichen und in-zwischen im beschleunigten Verfahren gemäß §§ 417 f. StPO rechtskräftig verurteil-ten PP. 2 Straftaten zur Last. Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 8. August 2004 um 9:30 Uhr war im Sitzungssaal Rechtsanwalt K. anwesend, der zum Verteidiger bestellt wurde. Nach kurzer Verhandlung – die Sitzung war um 10:10 Uhr beendet – wurde H., der wie schon im Ermittlungsverfahren geständig war, entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verur-teilt. Unmittelbar nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung wurde allseits Rechtsmittelverzicht erklärt.

2. Mit Schriftsatz vom 10. August 2004 beantragte Rechtsanwalt K. die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen in Höhe insgesamt 629,88 €. U.a. machte er eine Verfahrensgebühr (mit „Haftzuschlag“) nach Nr. 4107 VV RVG (137 € zzgl. MwSt) geltend.

3. Nach antragsgemäßer Festsetzung durch die Rechtspflegerin beim Amtsgericht Koblenz am 25. August 2004 legte der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse Erinnerung ein, „soweit die Gebühr nach Nr. 4107 VV RVG zuerkannt ist.“ Zu Be-gründung führte er aus, eine gebührenauslösende Tätigkeit außerhalb der Hauptver-handlung sei nicht ersichtlich. In seiner Stellungnahme vom 10. September 2004 verwies Rechtsanwalt K. hinsichtlich seiner „Tätigkeitsentfaltung“ lediglich auf das Hauptverhandlungsprotokoll. Nachdem die Rechtspflegerin der Erinnerung nicht ab-geholfen hatte, wies der Strafrichter mit Beschluß vom 17. September 2004 den Rechtsbehelf als unbegründet zurück und ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung anstehenden Frage die Beschwerde zu (§§ 33 Abs. 3 Satz 2, 56 Abs. 2 Satz 1 RVG).

4. Die Beschwerde des Bezirksrevisors hat der Einzelrichter beim Landgericht Kob-lenz mit Beschluß vom 28. September 2004 als unbegründet verworfen. Zugleich hat er gemäß §§ 33 Abs. 6 Satz 1, 56 Abs. 2 Satz 1 RVG die weitere Beschwerde zuge-lassen. Zu Begründung hat er ausgeführt:

„Die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4106 VV RVG ist im vorliegenden Fall neben der Terminsgebühr gemäß Nr. 4108 VV RVG angefallen.
Durch die Verfahrensgebühr werden alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts im gerichtli-chen Verfahren abgegolten, soweit dafür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Besondere Gebühren sind ggf. die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV, wenn der Rechtsanwalt erst während des gerichtlichen Verfahrens beim Amtsgericht beauftragt wird, und die Terminsgebühren, und zwar vor allem die für eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht (Nr. 4108 VV), sowie außerdem die Terminsgebühren der Nrn. 4102 VV (vgl. Buhrhoff, RVG, 1. Auflage, Nr. 4106 VV Rdnr. 3).
Hingegen erfasst die amtsgerichtliche Terminsgebühr die „Teilnahme an“ gerichtlichen Hauptverhandlungstermjnen. Dies umfasst auch die Vorbereitung des konkreten Hauptverhandlungstermins (vgl. Buhrhoff a. a.O., Nr. 4108 1 Rdnr. 4 und 5).
Dabei erfasst die Verfahrensgebühr sämtliche Tätigkeiten des Verteidigers während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens. Dieses beginnt nach dem Ende des vorberei-tenden Verfahrens und im vorliegenden Fall daher mit dem Eingang der Anklageschrift bei Gericht; es endet mit dem Abschluss des ersten Rechtszugs, nicht jedoch bereits mit dem Ende der Hauptverhandlung (vgl. Buhrhoff a.a.O. Nr. 4106 Rdnr. 4 und 6).
Als allgemeine Tätigkeiten werden von der gerichtlichen Verfahrensgebühr im ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht u.a. die Tätigkeit im Zusammenhang mit der Pflicht-verteidigerbestellung, die Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels sowie das Tätigwerden im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens erfasst (vgl. Buhrhoff Nr. 4106 VV Rdnr. 7). Alle diese Tätigkeiten hat Rechtsanwalt K. als Verteidiger des Angeklagten entfaltet.
Dabei spielt es keine Rolle, dass seine Bestellung als Pflichtverteidiger sowie die of-fensichtlich erfolgte Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels - am Ende der Hauptverhandlung erklärten der Verteidiger und der An-geklagte Rechtsmittelverzicht - noch in der Hauptverhandlung erfolgt sind. Denn eine strikt formale Betrachtungsweise würde in Fällen der vorliegenden Art zu prozessöko-nomisch sinnwidrigen Ergebnissen führen. Zweifellos wäre die Verfahrensgebühr an-gefallen, wenn der Verteidiger vor Eintritt in die Hauptverhandlung zum Pflichtverteidi-ger bestellt worden wäre oder wenn er nach Abschluss der Hauptverhandlung seinen Mandanten über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels beraten und im Anschluss daran schriftsätzlich den Rechtsmittelverzicht mitgeteilt hätte. In beiden Fällen würden die von dem Verteidiger entfalteten Tätigkeiten nicht durch die Terminsgebühr abge-deckt. Die konsequente Anwendung der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin würde im Ergebnis lediglich dazu führen, dass alle von dem Verteidiger nicht notwen-digerweise in der Hauptverhandlung zu entfaltenden Tätigkeiten von diesem aus fi-nanziellen Erwägungen heraus außerhalb der Hauptverhandlung erbracht würden. Die daraus folgende Mehrbelastung aller Verfahrensbeteiligten gebietet jedoch die An-wendung eines dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie Rechnung tragenden Maß-stabs.
Darüber hinaus ist die Verfahrensgebühr schon für die Tätigkeit des Verteidigers im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens entstanden.“


II.

Die hiergegen gerichtete weitere Beschwerde der Staatskasse hat Erfolg. Die Vergü-tung des Rechtsanwalts K. ist um 158,92 € (137 € zzgl. MwSt) zu kürzen.

Sowohl nach Aktenlage als auch nach der Erklärung des Verteidigers vom 10. Sep-tember 2004 war dieser außerhalb des Hauptverhandlungstermins nicht für den frü-heren Angeklagten H. tätig gewesen. Er hat folglich keine Tätigkeit entfaltet, die eine Verfahrensgebühr nach Nrn. 4106, 4107 VV RVG auslösen könnte.

1. Soweit in der angefochtenen Entscheidung auf eine Verteidigertätigkeit des An-tragstellers in einem „Kostenfestsetzungsverfahren“ abgestellt wird, ist festzustellen, daß es ein solches Verfahren nach Aktenlage nicht gab. Sollte das Landgericht damit das jetzige, mit Antrag vom 10. August 2004 auf Festsetzung der Pflichtverteidiger-gebühren und Auslagen eingeleitete Verfahren gemeint haben, ist darauf hinzuwei-sen, daß ein Rechtsanwalt die Gebühr nach Nrn. 4106, 4107 VV RVG für eine Tätig-keit als (bevollmächtigter oder bestellter) Vertreter einer Person in einen Strafverfah-ren vor dem Amtsgericht erhält und nicht für die Wahrnehmung eigener finanzieller Interessen nach Abschluß dieses Verfahrens.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt eine entsprechende Anwen-dung der Nrn. 4106, 4107 VV RVG für Tätigkeiten, die theoretisch auch außerhalb der Hauptverhandlung erbracht werden könnten (und dann den Ansatz einer Verfah-rensgebühr rechtfertigen würden), im konkreten Fall aber tatsächlich während eines Termins erbracht wurden, nicht in Betracht. Es mag sein, daß das RVG, wie auch schon die BRAGO, Rechtsanwälten – vom Antragsteller allerdings gerade nicht aus-genutzte – „Gestaltungsmöglichkeiten“ bietet, die seriöse Mitglieder dieser Berufs-gruppe als Gebührenschinderei bezeichnen würden. Es besteht allerdings nicht die geringste Veranlassung, solchen Praktiken gewissermaßen vorauseilend durch eine erweiternde Auslegung von Gebührentatbeständen vorzugreifen und sie damit im Ergebnis gutzuheißen.

III.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).

Abschließend weist der Senat darauf hin, daß der Einzelrichter beim Landgericht, wenn er wie hier die grundsätzliche Bedeutung der Sache bejaht, das Verfahren ge-mäß §§ 33 Abs. 8 Satz 2, 56 Abs. 2 Satz 1 RVG auf die Kammer übertragen muß.

Einsender:

Anmerkung: Der Leitsatz ist m.E. zu weit gefasst und trifft nicht den der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt. Danach handelt es sich nämlich um die Beiordnung eines zufällig im Saal anwesenden Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger im beschleunigten Verfahren. Der Rechtsanwalt, der vor seiner Beiordnung für den Mandanten schon im gerichtlichen Verfahren tätig war, kann natürlich die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG abrechnen. Das folgt aus § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG.
Das OLG Koblenz hat dem Pflichtverteidiger eine Verfahrensgebühr nicht gewährt mit dem Begründung, sämtliche Tätigkeiten seien in der Hauptverhandlung erbracht worden. Dabei hat es hinsichtlich des vom Landgericht insoweit zur Begründung herangezogenen Kostenfestsetzungsverfahrens darauf hingewiesen, dass der Pflichtverteidiger seine Gebühr nach Nr. 4104 VV RVG für eine Tätigkeit als Vertreter einer Person in einem Strafverfahren erhalte und nicht für die Wahrnehmung eigener finanzieller Interessen nach Abschluß dieses Verfahrens. M.E. wird aber auch die Festsetzung der Vergütung noch als eine Tätigkeit für den Mandanten bzw. mit dieser in einem so nahen Zusammenhang ansehen müssen, dass sie von der Verfahrensgebühr (auch) erfasst wird und daher zu deren Entstehen führen kann.
Im Übrigen kann man dem Pflichtverteidiger - auf der Grundlage der Entscheidung des OLG Koblenz - nur raten, in vergleichbaren Fällen nicht in der Hauptverhandlung auf Rechtsmittel zu verzichten. Für die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels und die Beratung des Mandanten entsteht dann auf jeden Fall die gerichtliche Verfahrensgebühr. Das hat auch nichts mit "Gebührenschinderei" zu tun, sondern entspricht im Grunde anwaltlicher Fürsorge für den Mandanten. Denn grundsätzlich empfiehlt es sich nicht, unmittelbar nach Erlass des Urteils bereits auf Rechtsmittel zu verzichten.


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